Dies ist der gebündelte Versuch einer Replik auf: Karl R. Popper, Das Elend des Historizismus, was eine Replik darstellte auf: Karl Marx, Das Elend der Philosophie, was eine Replik darstellte auf: Proudhon, Die Philosophie des Elends

08.10.2005

Kampfinterpretation by Popper

Popper nun hat des öfteren eine Vorliebe bewährt für Slogans [1]) und reißerische Titel, die gemessen an dem realen argumentativen Gehalt der betreffenden Schrift letztlich enttäuschen müs­sen. Hier über­sah er auch, dass der Vorwurf des „Ora­kelns“ sich in Widerspruch befindet zum Vor­wurf des Popperi­zis­mus. Ist es doch das Wesen eines Orakels, eher uninformative Aus­sagen über die Zukunft zu ma­chen, wäh­rend der Historizist nur zu genaue Prognosen trifft, die jedoch wis­sen­schaftlich unbegründbar sind.[2])

Im Übrigen sammelt Popper aus der deutschen politischen und philosophischen Tradition über­kom­me­ne Vorurteile, Mythen und Legenden wie weiland die Brüder Grimm oder Hauff Sa­gen und Mär­chen, vor allem, was Preußen [3]) und den deut­schen Idealismus angeht. Nur wer­den diese hier an­ders als bei be­sag­ten Roman­tikern uns sogleich als die neueste sozi­al­phi­lo­sophische Kritik auf­ge­tischt. Wie er­klärt Popper denn sonst die philosophischen Irrtü­mer Pla­tons, Hegels, Marxens, die er selbst auf solch lächerlichen Karikaturen reduziert hat (Spin­ner 1978a:26f)? Wenn man ihn so liest, kann sich der seriöse, an Philosophie interessierte Le­ser nicht mehr plausibel erklären, wie sol­che Den­ker in derartige Irrtümer haben ver­fal­len kön­nen - für jeden unvoreingenommenen Le­ser ein Indiz, dass etwas mit der Re­konstruktion nicht stim­men kann. Kein Mann der Wissenschaft ist so dumm und lä­cherlich, wie ihn seine Geg­ner ger­ne hin­stel­len. Ein Amok laufender Overkiller ist aber stets ge­zwungen, alles, Freund und Feind, über den Hau­fen zu rennen und da­bei auch im­mer wieder einmal das Kind mit dem Bade aus­zu­schütten. Ein rheto­ri­scher knock-out ist der scha­le Sieg, den man nicht der Position mit den bes­seren Ar­gumenten, sondern der eigenen Bered­sam­keit bzw. der Ermüdungs­fä­higkeit des Le­sers schließlich zu danken hat.

Worin bestehen denn Poppers „important and influential interventions in the theory of inter­pre­ta­tion of texts” (Jarvie, Shearmur 1996a:445)? Das deklarierte objektive [4]) Me­thoden­verständ­nis lässt Pop­per nicht selten bei seinen hermeneutischen Unternehmungen ziemlich in Stich. Falls von In­no­vationen zu gesprochen werden kann, so muss man diese meist eher als einen Schlag ins Ge­sicht einer pünktlichen Textanalyse empfinden.

Eine vorbildliche Rekonstruktion von Philosophien würde voraussetzen, dass der Leser die ei­gen­tüm­li­chen Problemstellungen erfasst, womit diese jeweils starten (Win­delband 1976a:526ff). Als eine ge­lun­gene Einführung in das Werk von Platon, Aristoteles, Hegel oder Marx sind Pop­pers Schrif­ten kaum zu gebrauchen. Denn wir lernen durch seine Po­le­mi­ken nur einen selbstfa­bri­zierten Popper­platon, Pop­peraristoteles, Popperhegel und Popper­marx kennen. Popper er­scheint hier „trapped by fa­mi­liar frameworks“ (Wettersten 1992a:201), die bei ihm auf Neopositivis­mus und Kan­tianismus hin­aus­lau­fen - philosophische Perspektiven, die sicherlich ihre eige­nen Me­ri­ten besitzen, wohl aber nicht sehr hilfreich für Poppers Hegel- und Marx­in­ter­pre­ta­tion waren.

Poppers mixture von Phi­losophie, Ge­schichte und Politik bietet weder das eine noch das an­de­re, sondern von alledem we­niger, als wenn er nur eines von den dreien angebo­ten hätte. Hätte doch Pop­per nur diese seine Empfehlung in seinen sozialphilosophischen Schrif­ten auch selber beherzigt:

“All criticisms are valuable, though some are more valuable than others. The most valuable kind of criticism is one that takes a theory, formulates it as clearly and sharply as possible, put­ting it in its best possible shape, as it were, and which then proceeds to show that, never­theless, there is some­thing wrong with it. The least valuable kind of criticism is one that mis­understands or misin­ter­prets a the­o­ry, and shows that there is something wrong with the the­o­ry when thus misunder­stood or mis­interpreted. It is my firm belief that usually even this kind of criticism has some intellectual va­lue: it may teach us where our ap­pro­ach is open to mi­sun­der­standings and misinterpretation; where we might have chosen a better for­mu­la­ti­on; and perhaps more important, where the ge­ne­ral ap­proach of our critic differs from ours in such a way that, to resolve the mis­un­derstandings or misinter­preta­ti­ons, we have to discuss our problems on a dee­per level.” (Popper 1968a:88)

Demzufolge liegt also der Hauptwert der Popperschen Sozialphilosophie darin, dass sie in ex­zel­lenter Manier demonstriert, auf welch fundamentale Weise man die besprochenen Au­to­ren miss­verstehen kann. Geschichte ist immer selbstfa­bri­ziert und beginnt stets bewusst oder un­be­wusst in der Gegen­wart des Hi­sto­rikers. Dennoch ist Objektivität möglich. Um eine sol­che scheint jedoch Popper hier, so sehr er sonst wo davon redet, nicht allzu sehr bemüht zu sein, sei es, weil er sie bei diesem Gegen­stand entweder nicht für möglich, nötig oder wün­schens­wert hielt, sei es, weil er ein­fach zu wenig Distanz zum gewählten The­ma mitbrach­te.[5])

“... there is one pernicious prejudice to be carefully avoided: the idea that since we are right we should win the debate at all cost.” (Agassi 1993a:227)



[1]) "Die Kunst des Kritikers in nuce: Schlagworte prägen, ohne die Ideen zu verraten. Schlag­wor­te einer un­zu­läng­lichen Kritik verschachern den Gedanken an die Mode." (Benjamin 1955a:52)

[2]) Die modernen Orakel des Globalismus sind die Börsen in New York, London und Tokyo.

[3]) "Es unterliegt ebenfalls keinem Zweifel (obwohl manche Deutsche das irgendwie noch nicht begriffen ha­ben), dass der Austausch Bonn/Berlin im Grunde eine kolossale psychologische Reorientierung für einen wesent­li­chen Teil der deutschen Gesellschaft bedeutet. Es ist keine Frage der Tradition, sondern der Geogra­phie. Was die Tradition angeht, so darf man heute wohl die An­sicht wagen, dass der Geist Preußens in ge­mein­samer Anstrengung von Hitlerfaschisten und Kom­munisten zu Grabe getragen worden ist." (Szczypiorski 1998a)

[4]) „Die sogenannte Objektivität der Wissenschaft besteht in der Objektivität der kritischen Me­thode; das heißt aber vor allem darin, dass keine Theorie von der Kritik befreit ist, und auch dar­in, dass die logischen Hilfsmittel der Kritik. die Kategorie des logischen Widerspruchs - objektiv sind." (Popper 1969b:106)

[5]) „Man sieht mit Erstaunen, dass eine Philosophie, die so viel Aufhebens von ‘Rationalität’ und ‘Objek­tivi­tät’ macht, so entsetzlich wenig von beidem besitzt." (Feyerabend 1976a:297)

1 Kommentar:

meffo hat gesagt…

Genau dieser Diskussionsstil aber, so er auch in eklatantem Widerspruch steht zu Fallibilismus und Pluralismus (d.h. zum Lernen aus denselben Alternativen, die jeder Diskussionsgegner mit Entzücken gratis frei Haus liefert), entsprach so recht Poppers persönlichem Naturell und wurde leider als erste hervorstechende Eigentümlichkeit Poppers von den „Neokriras“ in Form einer Abgrenzungsphilosophie und politischen Rundumschlag-Technik nachgeeifert (Spinner 1978a:37ff). Die Fehler Poppers werden hier, wie das Popper bei den von i abgehandelten Philosophen implizit selbst getan hat, durch das Vergrößerungsglas der Sünden seiner Anhänger gesehen. Ich nehme hierbei in Kauf, Popper mitunter recht grob heranzunehmen, vielleicht sogar unverdient herabzusetzen. Es sollte jedoch klargestellt sein, dass es im vorliegenden Text nicht um die historisch gerechte Würdigung der Person oder Leistung Poppers geht oder um eine philologische Absicht einer pünktlichen Textinterpretation.

Der Name „Popper“ (Gleiches gilt selbstverständlich auch für „Hegel“ oder „Marx“) gilt im Folgenden nicht als Individual-, sondern als ein Universalbegriff, nämlich mindestens in zweierlei Weise: 1. eine Galionsfigur des Vulgärpopperianismus; 2. das, was an Poppers Philosophie wahr bzw. im hegelschen Sinne absolute Philosophie ist. Der Unterschied zwischen beidem dürfte analytisch recht deutlich sein. Mit Popper zu reden: Eine Theorie (wie die poppersche Philosophie) ist ein Welt-3-Objekt; und Popper (als menschliches Individuum) ist ein Subjekt. Außerdem: Nicht immer haben die Erfinder und Konstrukteure einer Idee diese selbst am besten und sofort völlig verstanden. Schon von daher verbietet es sich, die einen für das andere persönlich haftbar zu halten.

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