Dies ist der gebündelte Versuch einer Replik auf: Karl R. Popper, Das Elend des Historizismus, was eine Replik darstellte auf: Karl Marx, Das Elend der Philosophie, was eine Replik darstellte auf: Proudhon, Die Philosophie des Elends

22.10.2005

piece meal engineering

Popper trifft hier jedoch eine begriffliche Scheidung: Planbarkeit und rationales Handeln ist in­nerhalb des bestehenden Gesellschaftssystems möglich. Gesell­schaft­liche Revolutionen sind jedoch an sich unkontrollierbar und daher irrational. In diesem Sinne ist Popper struktur­kon­ser­va­tiv und politischer Positivist.

Der politische Positivismus akzeptiert für die Bemessung des Spielraums von Än­derungen un­re­flektiert die bestehende Ordnung:

"Als wissenschaftlich unerlaubt gelten dieser Form von Positivismus vor­wie­gend jene Urteile, die den bestehenden Zustand der Gesellschaft trans­zen­die­ren, woge­gen Aussagen, in denen die bestehenden Verhältnisse verewigt bzw. in die Zukunft prolongiert werden, sich der allgemeinen Zustimmung er­freu­en." (Lenk 1972a:298)

Das von Popper propagierte Schlagwort "piece-meal engineering" fußt auf einer der­artigen posi­ti­vi­sti­schen Voraussetzung. Es setzt eine Prämie auf eine Politik, die den Kopf in den Sand steckt. Denn die­ses Schlagwort stellt eine Problem­verkür­zung dar - wie ja gemeinhin eine poli­tische Posi­tion am be­sten dadurch gekenn­zeichnet zu werden pflegt, nicht was sie als Ge­mein­platz behauptet, sondern was sie verschweigt, auslässt oder als Thematik unterdrückt.

Popper trennt mit seinem Slogan die refor­mi­sti­sche Position aus dem Zusammen­hang der Revisio­nis­mus-Diskurs (Sombart 1908a:244) heraus, die um die Jahrhun­dert­wende innerhalb der Arbeiter­be­wegung sehr viel kon­kreter und differenzierter ge­führt worden war. Ging es damals um die Frage Reform oder Revolution, so war hiermit präzise die Fra­ge definiert, um welche Gesell­schaft, in welcher Situation und im Hinblick auf welches politische Ziel man diskutierte. Schon hier war jedoch der Begriff "Re­volution" nie völlig eindeutig (Sombart 1908a:78): Meint man da­­mit das Ergreifen der politischen Macht im Staate, oder meint man damit ei­ne Um­­wälzung von so­zi­oökonomischen Verhältnissen?[1])

Im Vergleich zu dieser historischen Debatte liefert Popper lediglich ein Schlag­wort mit eini­gen Allge­meinen Überlegungen, die in einem sozialen Vakuum auf dem zeitlosen Hintergrund einer histori­schen tabula rasa vorgeführt werden. Man kann diese Vulgarisierung der einen, näm­lich der reformi­sti­schen Position zu Recht als eine Problemdegeneration betrachten, da aus in­haltlich präzi­sen und un­mittel­bar problembezogenen Argumenten nichts weiter als Leerfor­meln abgezogen wur­den, von de­nen niemand mehr recht zu sagen weiß, worauf sie eigentlich an­wend­bar sein sol­len.



[1]) Ist ein Revolutionär so etwas Ähnliches wie eine Dampfmaschine? So pointierte Kautsky diese alternative Sichtweisen von "Revolution".

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