Dies ist der gebündelte Versuch einer Replik auf: Karl R. Popper, Das Elend des Historizismus, was eine Replik darstellte auf: Karl Marx, Das Elend der Philosophie, was eine Replik darstellte auf: Proudhon, Die Philosophie des Elends

22.10.2005

Die Theorie des Klassenkampfs

Der aktuelle Stand der Klassenanalyse sieht jedoch so aus, dass die Soziologie bislang noch nicht ausreichend differenzierte Methoden entwickelt hat, ihre theoretischen Konstrukte empirisch zu messen (Grusky, Sørensen 1998a). Doch auch in Deutschland schlägt die Klassenspaltung, entsprechend differenziert begriffen und gemessen, sogar noch auf Wahlverhalten [1]) durch. Es sieht also gar nicht so aus, als sei Klassenkampf ein Gerücht aus vergangenen Tagen oder nichts weiter als ein popperizistischer Trugschluss:

„By the 1980s it had become clear to corporate decision-makers that there is no such thing as an inherently docile working class. It was as if they had been chasing the mirage of cheap and disciplined labor around the world, only to find themselves continuously recreating militant labor movements in the new locations. As the limits of the industrial relocation "solution" became clear, a second response to heightened world-economic competition gathered force in the 1980s and 1990s: disinvestment from production, investment in finance and speculative activities, and pressuring states to redistribute resources from labor to capital. The growing financialization of capital thus, has gone hand-in-hand with a rapid and unseemly polarization of wealth, both intra-nationally and internationally." (Silver 1998a)

Marxens Theorie des Klassenkampfs ist darin einseitig, dass sie in ihrer theoretischen Kon­struk­tion (weniger in Marxens historischen Analysen) zu wenig systematisch berücksichtigt, dass es zur Identifikation mit der sozialen Klasse [2]) funktionale Äquivalente, vor allem im Sinne eth­ni­scher und religiöser Identitätsbildung gibt (Delgado-Moreira 1997a). Diese Äquivalenz kann zur Über­lagerung der Klassenkonfliktgrenzen durch internationale Konfliktzonen bis hin zu deren fast völligen Ausschaltung führen (Naber 1996a). So hatte Lenin (1962a) Marxens Theorie da­hin­gehend revidiert, dass das Klassenbewusstsein nicht naturwüchsig sozialistisch werde, son­dern planmäßig organisiert werden müsse durch eine proletarische Partei von Be­rufs­re­vo­lu­ti­onä­ren (Abendroth 1970a), eine strategische Ausrichtung hin auf Zentralismus und Elitarismus, der Luxemburg unter demokratischen Gesichtspunkten alsbald heftig widersprochen hatte.[3])

Michels (1970a) hatte, indem er von extrem unrealistischen Vorstellungen über Demokratie aus­ging, das „eherne Gesetz der Oligarchie" entwickelt. Sein übersteigerter Idealismus hat ihn nach seiner Auswanderung nach Italien mit einem ideologischen salto mortale zum Faschismus geführt (Pfetsch 1964a; Röhrich 1972a).

Bezeichnenderweise spricht Lukács explizit die Fiktion aus, dass der Proletarier „an sich" ein „orthodoxer Marxist" sei; man müsse es ihm nur noch richtig klar machen. Der hier angesprochene Übergang von „subjektivem Bewusstsein" zum „objektiven Klasseninteresse" ist sicherlich jedoch äußerst prekär. Es lässt sich wohl kaum verhehlen, dass er durch den Marxismus keineswegs theoretisch befriedigend bewältigt wurde. Man muss eher den Eindruck gewinnen, dass er im Falle Bernsteins (1899a) durch Abwarten, im Falle von Lenin oder Lukács von Fall zu Fall, d.h. durch die konkrete politische Entscheidung „gelöst" wurde. Allerdings hat Lenin (1962a) eine organisatorische Strategie entwickelt, deren soziologische Voraussetzungen nicht mit jeder Art von Klassentheorie kompatibel sind. Insbesondere vertritt Lenin (entgegen Lukàcs) ganz klar die These, dass Sozialismus eine Wissenschaft und schon von daher nicht ein Produkt spontaner Entwicklung proletarischen Klassenbewusstseins darstellen könne. Es sei Aufgabe der Partei, in die proletarische Klasse die sozialistische Theorien hineinzutragen und in politischen Kämpfen die Klasse zu einem Subjekt [4]) politischen Handelns zu entwickeln. Ein weiteres Licht auf den theoretischen Hintergrund der marxistischer Strategie der Mobilisierung von Arbeiterbewegung scheint die anscheinend naive Hypothese [5]) Marxens zu werfen, dass Kapitalismus

1. zur absoluten Verelendung führe (dies schien erstens empirisch gut bestätigt und zweitens durch die Smith entlehnte Modellannahme über den Wert der Ware Arbeitskraft theoretisch belegt; Green 1991a),
2. damit zur Polarisierung und
3. es dadurch zum organisierten Klassenkampf käme.[6])

Folglich recht hilflos (Wagner 1976a) zeigte sich dann beispielsweise der marxistische SPD-Stratege Kautsky, als es

1. nicht zur Zunahme absoluter Verelendung kam,
2. dennoch die Gewerkschaften und die SPD gerade durch die Organisation der besser gestellten Facharbeiterschaft zu einer starken politischen Kraft geworden war und dann
3. die Revolution bzw. was man teilweise so nennen konnte, nicht von unten provoziert, sondern durch den von den politisch herrschenden Eliten planmäßig vorbereiteten und provozierten imperialistischen Weltkrieg heraufbeschworen wurde.

Die These von der Wertbestimmung der Ware Arbeitskraft hatte Marx kaum verwandelt aus der klassischen Nationalökonomie rezipiert, wo diese These allerdings mehr als eine exogene Bedingung denn als abgeleitetes Theorem figuriert. Immerhin hat Marx klar erkannt, dass diese Wertbestimmung ein kulturell bestimmtes Moment enthält. Theoriegeschichtlich von Interesse ist hier, dass eben ein solcher Aspekt auch von Max Weber beim Vergleich der Lohnansprüche deutscher und polnischer Landarbeiter herausgestrichen wurde (Baumgarten 1964a:89; neu: Torp 1998a). Heute ist die deutsch-polnische Grenze (vor USA/Mexiko!) weltweit die Grenze mit dem gößten Lohngefälle der angrenzenden Bevölkerung ("Trotz Globalisierung wächst die Zahl der Migranten", FAZ 02.03.2000).

Tendenzen zu einer absoluten Verelendung waren selbst in den hochentwickelten Staaten der kapitalistischen Metropole nie ganz abwesend. Die entsprechende These wurde im Zuge der Nachkriegsentwicklung in Europa und den USA ebenso leichtfertig wie vorschnell ad acta gelegt wie die Krisentheorie. Entsprechend ist die These Touraines (1972a:13) zu relativieren, heute habe das Problem der Manipulation das Problem der Verelendung ersetzt. Aber sie hat sich entgegen Marxens Vorhersage nie in einem zunehmenden Trend verschärft [7]). Diese Sicht wird selbstverständlich verzerrt durch den ethnozentrischen [8]) Blickwinkel, welcher sich immer nur auf Nordamerika und Europa konzentriert. Unter dem Eindruck der un­mensch­lichen Lebensbedingungen eines großen Teils der menschlichen Gattung lässt sich sehr mit großer Berechtigung fragen, ob die politische Diskussion über Ausbeutung in den In­du­strieländern nicht ein moralisch unvertretbarer Luxus darstellt. Man kann aber wohl davon ausgehen, dass die Bedingungen der Ausbeutung und der politischen Manipulation in den entwickelten Ländern mit der Unterentwicklung [9]) des Rests der Welt eng, und zwar heute mehr denn je, miteinander zusammenhängen.

Was im Zusammenhang unserer Diskussion jedoch vor allem wichtig ist: Die Hypothese

Je größer das Elend, desto mehr verstärkt sich die Tendenz zu politischen Umsturz!

hat sich jedenfalls als grundfalsch oder zumindest als erheblich irreführend erwiesen. Selbst eine Gewaltbereitschaft verelendeter Massen kann nie allein zu einem politischen Umsturz führen. Schon eine Rebellion, ganz zu schweigen von einem politischen Umsturz, setzt entsprechende ideelle und materielle Ressourcen der Umsturzpartei voraus; letztere stehen aber gerade den absolut Verelendeten schon per Definition nicht zur Verfügung. Dergleichen vermag schon eine sozialstrukturelle Analyse von Wahlbeteiligungen nahezulegen:

„One cannot expect a hungry and badly housed person to care for voting." (Samir 1998a)

Schon aufgrund dieser simplen Überlegung sind Revolutionen eher von Kreisen zu erwarten, die wenn nicht selbst das Kommando führen, so doch die Möglichkeit des Zugriffs auf die be­treffenden Machtressourcen [10]) haben. Potenter Widerstand mit systemverändernder Spreng­kraft ist eher aus Kreisen zu erwarten, die an strategischen Stellen des ökonomischen Wachs­tums­prozesses positioniert sind und dort wesentliche Funktionen ausüben. Dann aber hängen Ver­lauf und Stoßrichtung eines einmal in Gang gekommenen Konflikts in hohem Maße von den jeweils vorliegenden strukturellen Randbedingungen ab:

"Eine soziale Bewegung ist nicht von Natur aus revolutionär, sondern erst dann, wenn ein Klassenkonflikt auf ein institutionelles System stößt, das dem Stand der Produktion und der gesellschaftlichen Verhältnisse nicht angepasst ist." (Touraine 1972a:108)

Auslöser für Protest ist aber niemals das objektive Maß an Elend. Für uns heute erscheint so frappierend wie unerklärlich, wie wenig Marx bei seiner sonstigen soziologischen und po­liti­schen Sensitivität zumindest bei der Grundlegung seiner Theorie der sozialen Polari­sierung die­se Relativität so wenig berücksichtigt hat. Entscheidend ist überwiegend die Erfahrung der re­la­tiven Deprivation:

„Social tensions are an expression of unfulfilled expectations." (Bell 1965a:31)

Unter diesem Aspekt muss auch Hegels Herr-Knecht-Paradigma überprüft werden. Es zeigt sei­ne Begrenztheit bereits insofern, als es sich auf einen Dualismus beschränkt, der für mo­derne Klassenverhältnisse und deren politische Verwerfungen sowie daraus erwachsende strategische Situationen sich viel zu eng erweist. Insbesondere geraten solche meso-soziologische Themen wie „Kanalisierung von Konflikt" und „abhängige Partizipation" (Touraine 1972a:13) dadurch häufig überhaupt nicht ins Blickfeld. Das hegelsche wie das marxsche Entfremdungs-Paradigma scheinen zur Analyse solch konkreterer Zusammenhänge in zu hohem Maße übergeneralisiert zu sein.

Ähnlich wie damals in Russland ging es den Massen weniger um eine soziale oder politische Transformation des betreffenden Systems als ganzschlicht um eine Beendigung des Krieges, not­falls durch den Sturz der regierenden Autoritäten. Entsprechend gewann dann sogleich, nach­dem dieses mehr oder weniger bewerkstelligt war, eine Sehnsucht nach Ruhe und Ord­nung die Oberhand. Wenn Popper also politische Befürchtungen hegt gegen sozialutopische Ex­perimente, so besaß eine solche Gefahr zumindest in Deutschland noch selten eine reale Grundlage. Fakt ist, dass politische und soziale Strukturen sich weitaus öfter zu langsam als zu schnell geändert haben. Eine ganz andere politische Gefahr utopischen Handelns finden wir immer nur bei der herrschenden Elite, die die bislang unternommenen imperialistischen Experimente nun durch Experimente in Globalismus ausgetauscht hat, die nicht weniger, sondern mehr riskant sind.

Empirisch scheint sich eher zu beweisen, dass Gewaltbereitschaft eher bei vom Abstieg bedrohten Schichten zu gewärtigen ist als bei aufstiegsorientierten (Greenblum, Pearlin 1953a). Personen mit inkonsistentem sozialen Status ziehen sich eher zurück (Lenski 1956a). Allerdings scheinen große nationale Unterschiede aufzutreten, z. B. in der Bereitschaft der Bourgeoisie, für sich die politische Macht zu erobern (zu den teilweise beträchtlichen Divergenzen in Marxens Diagnosen siehe Schluchter 1972a).

Die Einkommensverteilung [11]) wird immer asymmetrischer, gerade auch in den USA [12])(DSA).Die Polarisierung [13]) zwischen Arm und Reich nimmt global [14]) weiter zu.

Die Polarisierung nimmt auch lokal weiter zu. Darauf verweist z.B. die Aussage von Marx (Sozialbündnis Trier), bezogen auf eine 100.000-Einwohner-Stadt in Deutschland 1999.[15])

Dass allein schon die statistische Frage nach der Verteilung des Volkseinkommens oder des Vermögens den regierenden Kreisen unwillkommen ist, zeigt die Tatsache, dass der SPD-An­trag vom Sommer 1997 über eine regelmäßige Berichterstattung über die Einkom­mens­ver­tei­lung im Bundestag abgeschmettert wurde (Bedau, Krause 1998a:209). Das schlechthin Gewisse ist das schlechte Gewissen, jedenfalls was die Moral [16]) von Politikern angeht. Vielleicht kön­nen immer noch zu wenige Wähler davon überzeugt werden, dass ökonomische Ungleichheit einfach heilsam und notwendig sei, Wirtschaft und Gesellschaft voran zu bringen.

"To begin with, instead of reducing inequalities, globalisation of trade exacerbates them and does so both between and within nations. In the so-called rich countries and above all the champions of free trade - the United States and the United Kingdom - no-one disputes the ever-widening income and poverty gap. Even the OECD puts on a show of concern from time to time. The fact is that this gap is no longer a matter of real concern for leaders, some of whom actually argue that inequalities are an essential factor for growth." (Cassen 1999a)

Im Gegenteil also: Dem positiven Denker ist der Mangel immer ein Vorteil! So erblickt der hoffnungsvolle Yardeni (1997#34) zunehmend bessere Geschäftschancen durch den Trend zu einem populistischen Kapitalismus und frohlockt: Power to the People!

„Today, as we approach the next century, 'Populist Capitalism' is flourishing and proliferating. Many workers have acquired stock in their companies through incentive-compensation and profit-sharing plans. The compensation of more and more company managers is even more directly tied to the performance of the company’s stock price through warrants and options. During the first half of the 1990s, the relationship between workers and management was often hostile and sometimes violent. Now the differences between the two classes are becoming less distinct as both are becoming Populist Capitalist or Equity Cheerleaders, who want stock prices to rise. The common ennemy is "the competition" and the common goal is to get richer through higher stock prices."

Volkskapitalismus [17]) heißt: Jeder beutet sich selbst aus; d.h. er entfremdet sich von sich und der Gattung als Kapitalist und als Lohnarbeiter (und als Kleinaktionär?! [18]). Bestimmt die Ideolo­gie die wirtschaftlichen Verhältnisse, d.h.: Ist derjenige Kapitalist, der sich danach fühlt, oder bestimmen die wirtschaftlichen Verhältnisse die Ideologie, oder anders gefragt: Wa­rum jubeln Großbanken, wenn sich bereits Kleinbürger als Kapitalisten fühlen? Freilich ist Yardeni (1997#35:12) auch schon eine eigenartige Verstocktheit mancher europäischer Eingebo­re­ner auf­ge­fallen wie eine spezifische „Inflexibilität" des europäischen Arbeiters, was ein Kos­mo­po­lit je­doch unter „Folklore" [19]) verbucht:

„In France, the workers aren’t as accommodating as in the US: They go to the streets to protest. When their jobs or wage gains are threatened, they’ve been known to shut down the airport in Paris, join a na­ti­onal strike, or kidnap their boss. While workers in France seem to walk out at the slightest pro­vo­ca­tion, Germans rarely strike. But the price for industrial peace is so high it has become untenable."

Der ökonomische Sachzwang wird's richten, notfalls der Minimalstaat in seiner Nacht­wäch­ter-Rolle. Wann aber werden Beschäftigte den echten ökonomischen Sachverstand )[20] auf­brin­gen und auf die Straße gehen, nicht wenn ihr Lohn, sondern der shareholder value der Be­leg­schafts­anteile sinkt?!



[1]) "Die Diagnose der abnehmenden Erklärungskraft von Klassenzugehörigkeit für das Wahlverhalten wird in die­sem Ansatz in Frage gestellt. Diese Diagnose ist u. a. Folge des Umstandes, dass in den meisten Studien die be­nutzten Begriffe und Operationalisierungen die im Prozess des sozialen und ökonomischen Wandels dif­fer­en­zier­ter gewordene Erwerbs- und Sozialstruktur nicht adäquat erfassen. Deshalb wird ein für die Analyse adä­qua­te­res Klassenschema entwickelt, in dem Goldthorpes Dienstklasse in drei Segmente aufgegliedert wird: die ad­mi­nistrative Dienstklasse, die Experten sowie professionelle und semi-professionelle Berufe in den sozialen und kul­turellen Diensten. In einer Analyse eines großen Langfristdatensatzes wird untersucht, wie sich in Deutsch­land der Zusammenhang zwischen sozialstruktureller Lage und Parteipräferenzen im historischen Zeitverlauf und in der Kohortenfolge gewandelt hat. Dabei zeigt sich, dass die alten Konfliktfronten der Klassenspaltung weit­gehend erhalten geblieben sind und dass darüber hinaus auch die sog. Neue Politik in einem erheblichen Aus­maß eine klassenstrukturelle Grundlage besitzt. Entgegen verbreiteten Annahmen finden sich keine Hin­wei­se darauf, dass die Ausbreitung postmaterialistischer Wertorientierungen die klassenstrukturelle Basis des Wahl­ver­haltens geschwächt hat." (Müller 1998a)

[2]) "Unter einer sozialen Klasse verstehe ich diejenige Gesellschaftsgruppe, die ihrer Idee nach ein bestimmtes Wirtschaftssystem vertritt. Wobei ich unter einem Wirtschaftssystem verstehe: eine bestimmte Wirtschafts­ord­nung mit einem (oder mehreren) hervorstechenden Wirtschaftsprinzipien. Die Wirtschaftsordnung aber ist die Ge­samtheit der Rechts- und Sittennormen, die jeweils Produktion und Verteilung der Güter objektiv regeln; Wirt­schaftsprinzipien dagegen sind jene Motivreihen, die das Verhalten der Wirtschaftssubjekte vorwaltend be­stimmen." (Sombart 1908a:1) "soziale Klasse" ist zu unterscheiden von "Partei" und "sozialer Bewegung".

[3] ) Inwieweit kann Geschichte (wie etwa Schapiro 1962a ) zur Kritik des Leninismus herangezogen werden, wenn eine solche Geschichtsschreibung nolens volens um das Bild Lenins als eines kriminellen Machtpolitikers organisiert ist? Solche Bilder müssen zusammen mit Alternativ-Hypothesen geprüft werden und nicht einfach als ein Ausgangspunkt von Erklärungen als ein „mitbewiesener“ Teil des Gesamterklärung präsentiert werden.

[4]) Eine vergleichende Analyse von Proletarier, Puritaner und dem Fremden jeweils als Subjekt sozialen Wandels gibt Helle (1968a).

[5]) Schon Fichte (Die Bestimmung des Menschen, S. 369; Batscha 1977a:24) schließt kurz von der Uner­träg­lichkeit einer Situation auf das unvermeidliche Eintreffen von Revolution. Dieser Automatismus scheint auf ein Artefakt vorgeblich dialektischen Denkens hinzudeuten, dessen scheinbare logische Evidenz empirisch zu hin­ter­fragen regelmäßig unterblieb.

[6]) „Eventually wages, which have already been reduced to a minimum, must be reduced even further in order to meet the new competition. This then leads necessarily to revolution." (Marx ÖPM:509f)

[7]) wenn man die Jahre der Weltkriege als Ausnahme gelten lässt; was man jedoch auch mit guten Gründen ablehnen kann, weil auch die Kriegsjahre zur Geschichte von Kapitalismus und Sozialismus wesentlich angehören und keineswegs einen zufälligen Betriebsunfall der Geschichte darstellen.

[8]) „In the west one can talk about inequality or discrimination, but no one can talk about dehumanization in the west (one-fifth of the world population). The majority of the population in the rest of the world (four-fifths of world population) still lives under non-human conditions and hence is forced to dehumanization in reality and in con­sciousness. They live in underdeveloped and deformed societies. Most of these societies are raw material pro­ducers and have not gone through the industrialization stage. They are former colonies of western countries who kept them for long as raw material producers and consumers for their industrial products. They have been de­prived for long from the right to develop. After attaining their national independence they remained in­cor­po­rated in the world system as dependent countries." (Samir 1998a)

[9]) "Während viele Afrikaner noch gegen die Erfahrung von Knappheit kämpfen, um zu überleben, heißt Überleben für Michael vor allem, den Überfluss richtig zu organisieren." Daniel Sturm, 'Man braucht da nur zwei Mark zum Überleben' oder wie die neuen Missionare statt Bibeln Bausparverträge bringen

[10]) „Aber die Erfahrung der kapitalistischen Industriegesellschaften hat deutlich gezeigt, dass die Kategorien, die der sozialen Herrschaft am meisten unterworfen sind, nicht notwendig auch diejenigen sind, die den Kampf am aktivsten führen. Je ferner sie den Machtzentren stehen, desto mehr werden sie ausgebeutet und desto mehr beschränkt sich ihr Kampf auf die Verteidigung der materiellen Existenzbedingungen und nimmt nur schwer die Form eines offensiven Protests an. Dieser wird von Gruppen getragen, die nicht nur eine größere Widerstandskraft haben - Intellektuelle oder Facharbeiter mit hohem Lebensstandard und besserer Ausbildung oder einer stärkeren Position auf dem Arbeitsmarkt -, sondern auch unmittelbarer an den zentralen Mechanismen des wirtschaftlichen Fortschritts teilhaben." (Touraine 1972a:69)

[11]) „If you're between the ages of 35 and 50, you're doing about the same. If you're closer to 35, you're doing a little worse, and if you're closer to 50, you're doing a little better. If you're below the age of 35, you're clearly doing worse. Now, it is important to remember that productivity -- which economists will tell you is the basis for higher income -- did not stop growing after 1973. Output per worker although it slowed down, continued to rise. What changed was that wages stagnated and then fell. In other words, while the economy continued to generate increasing wealth, it was not as broadly shared. Not surprisingly, the result has been a large upward redistribution of income and wealth. The share of both income and wealth that is going to the bottom 60% -- and by some estimates, going to the bottom 80% -- of American families is the lowest it has been since we began collect those numbers. These are good times, as we're reading every day in the newspaper. And yet, for 60 to 80% of American families, real incomes are below where they were six years ago. We all know what families have done to keep up. It used to be that you could actually raise a family with one person going to work. Now it takes two, and in some cases we're finding it takes three. Kids are going to work not just for extra pin money -- not just to buy an extra pair of basketball shoes -- but to help pay the mortgage." (Faux 1998a)

[12]) zu diesem Thema vgl.

[13]) "Divergence in relative productivity and living standards is the dominant feature of modern economic hi story. In the last century, incomes in the 'less developed' (or euphemistically, the 'developing') countries have fallen far behind those in the 'developed' countries, both proportionately and absolutely. I estimate that from 1870 to 1990 the ratio of per capita incomes between the richest and the poorest countries increased by roughly a factor of five and that the difference in income between the richest country and all others has increased by an order of magnitude. This divergence is the result of the very different patterns in the long-run economic performance of two set of countries." (Pritchett 1997a)

[14]) "Seit 1982 ist der Umsatz der 200 führenden Unternehmen von 3 auf 7 Billiarden Dollar angewachsen. Das jährliche Umsatzwachstum dieser Unternehmen in Marktpreisen liegt seit mehreren Jahren etwa doppelt so hoch wie das Wirtschafts­wachstum der 29 Mitgliedsländer der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Und seit 1992 übersteigt der Umsatz der 200 größten Unternehmen das aufsummierte BIP aller Länder, die nicht der OECD angehören. Obwohl die herrschende Lehre die Kapitalakkumulation als Spartätigkeit und Investition darstellt, sei daran erinnert, dass diese horrenden Summen, die die Börse aufblähen und den Appetit der Großraubtiere nur noch weiter anregen, auf Verschuldung beruhen. Die kumulierte globale Verschuldung von Privathaushalten, Unternehmen und Staaten ist zwischen 1997 und 1999 von 33,1 auf 37,1 Billionen Dollar gestiegen. Das entspricht einem exponentiellen jährlichen Wachstum von 6,2 Prozent und damit dem Dreifachen des weltweiten Bruttoinlandsproduktes - ein gefährliches Gemisch, das jederzeit explodieren kann." FRÉDÉRIC F. CLAIRMONT, Riesenspielzeug Weltwirtschaft. DIE MACHT DER GROSSKONZERNE WÄCHST, Le Monde diplomatique Nr. 6019 vom 17.12.1999, S.11, 170 Zeilen

[15]) „Allein in Trier gibt es 140 Millionäre. Sie besitzen über 492 Millionen Mark, das sind 51,9 Prozent des Gesamt­vermögens. Gleichzeitig beziehen 4540 Personen Sozialhilfe. Offiziell sind in Trier 441 Menschen obdachlos. Die Bettler in der Innenstadt gehören zum Trierer Leben genauso wie die üppig ausgestatteten Häuser in den Villenvierteln der Stadt. Viele Men­schen in Pflegeheimen können sich nicht einmal eine Tageszeitung leisten. Besonders furchtbar ist die Kinderarmut, die sich mit der Armut von Alleinerziehenden - meist Frauen - überschneidet. Zudem: Noch nie gab es so viele von sozialer Armut Betroffene in diesem Land wie jetzt. Dennoch wurden Sozialleistungen in den vergangenen Jahren - pro Kopf gerechnet - gekürzt." (TV 02./03.01.99)

[16]) Die Politik sagt: 'Seid klug wie die Schlangen'; die Moral setzt (als einschränkende Bedingung) hinzu: 'und ohne Falsch wie die Tauben." (...) "Ehrlichkeit ist besser denn alle Politik ..." (Kant XI:229)

[17]) "Denn während der Mensch früher dem Arbeitsrhythmus der Maschine unterworfen schien, ist er jetzt den Zyklen des Geldumlaufs gnadenlos ausgeliefert." Perspektiven der Generation X, Landesarbeitsprogramm der Berliner Jusos 1998 - 2000

[18]) "Durch das Aktienwesen werden die Ersparnisse der kleinen Leute den großen Kapitalisten zur Verfügung gestellt, die sie benützen, als wären es ihre eigenen Kapitalien und dadurch die zentralisierende Kraft ihrer eigenen großen Vermögen noch weiter steigern." (Kautsky 1972a:32)

[19]) „Man denke an die Begriffe ‘sozialistische Kultur’, ‘Klasseninstinkt’, ‘Arbeiterwissenschaft’, ‘Ar­bei­ter­be­wusst­sein’, Begriffe, mit denen sich wohlgemerkt auch bedeutende Denker wie Lukács auseinandergesetzt ha­ben. 3. Gegenüber dieser geistigen Tradition stellt das Werk Gramscis ein wichtiges kritisches Reagenz dar. Es ge­nügt, hier an seinen Entwurf einer The­orie der Kultur zu denken, in der Alltagsbewusstsein, aufgeklärter All­tagsverstand und kritische Philosophie mit wichtigen Nu­ancierungen voneinander abgesetzt sind; in der die Folk­lo­re beispielsweise - die zwar hinsichtlich der Möglichkeit einer kri­tischen Funktion einen eigenen positiven Wert gewinnt hinsichtlich der systematischen Bildung dennoch weiterhin als eine sub­alterne kulturelle For­ma­ti­on beurteilt wird." (Lindt 1997a) - „Das Ziel der Arbeiterbewegung war es, durch Selbsterziehung ihre ‘historische Mission’ zu erfüllen; sich zu eman­zipieren und so mitzuhelfen, die Menschheit zu befreien und, vor allem andern, dem Krieg für immer ein En­de zu machen. In ihrer beschränkten Freizeit besuchten viele Arbeiter, jung und alt, Arbei­ter­bil­dungskurse oder eine der Volkshochschulen. Sie arbeiteten an ihrer eigenen Weiterbildung, und sie halfen mit an der Er­zie­hung ihrer Kinder, an der Schulreform, an der Wohnungsreform, an der Lebensreform." (Popper 1979a:44f)

[20]) "Jean-Marc Sylvestre, der mit seinem neoliberalen Fanatismus schon des Öfteren die Kritik der Hörer von France Inter herausgefordert hat, ließ etwa folgendes verlauten: 'Ich habe eine sehr bescheidene Vorstellung von meinem Beruf als Journalist. Ich versuche, Tatsachen zu recherchieren, zu erklären und so darzustellen, dass die Menschen sie verstehen. Es geht mir nicht darum, zu sagen, was gut und was böse ist. Meine Aufgabe ist die ei­nes Lehrers. Ich stehe vor dem Problem, den Menschen die aktuellen wirtschaftlichen Zusammenhänge zu er­klä­ren. Nun stelle ich fest, dass wir in einer zunehmend globalisierten Wirt­schaft mit einer zunehmenden Li­be­rali­sie­rung des Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehrs leben. Ich bin Lehrer, weiter nichts.' (4) BELEHREN, erklären, feststellen - und das natürlich in aller Bescheidenheit. Der moderne Wirtschaftsjournalist nimmt sich den Physiker zum Vorbild und hebt den Zeigefinger: Hier haben Sie die Erde heute, und hier haben Sie einen Apfel: Nun sehen Sie, wie der Apfel heutzutage zu Boden fällt. Das hört sich dann im entsprechenden Kontext vielleicht folgender­maßen an: 'Die Globalisierung ist für die Wirtschaft, was die Luft für den Menschen oder der Apfel für die Gravitationsgesetze ist.'(5) So weit geht Jean-Marc Sylvestre allerdings nicht: "In wirt­schaft­lichen Dingen zählt nicht die Wirklichkeit, sondern die Vorstellung von ihr."(6) Da hat er immerhin recht." (Halimi 1999b)

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