Dies ist der gebündelte Versuch einer Replik auf: Karl R. Popper, Das Elend des Historizismus, was eine Replik darstellte auf: Karl Marx, Das Elend der Philosophie, was eine Replik darstellte auf: Proudhon, Die Philosophie des Elends

22.10.2005

Marx, Hegel und Proudhon

Dass mit der materialistischen Kritik Hegels schon Feuerbach aus den Widersprüchen di­alek­ti­schen Denkens Widersprüche der Sache, d.h. Widerspruch als eine Kategorie empirischer The­o­rie aufgefasst wur­de, zeigt zum Beispiel Feuerbachs Briefwechsel mit Dorguth [1]). Ein an­de­rer Strang der Interpretation von „objektiven Widersprüchen" läuft anscheinend über Proud­hon, den Marx intensiv studiert und in mehreren Schriften expliziert und kritisiert hat. Proud­hon gibt als seine 3 Quellen folgende an:

1. die Bibel,
2. Adam Smith und
3. Hegel.

Wie kommt ein Franzose zu Hegel, zumal, wenn dieser nicht Deutsch versteht? So [2]) ist es leicht er­klär­lich, dass, in einen fremden Kontext verpflanzt, die hegelsche Dialektik eine so­zio­öko­nomische Um­in­terpretation erfuhr, die eher mit Feuerbach als mit Hegel zusammen stimm­te. Marx musste diese bei­den Interpretationsstränge, einerseits Feuerbach und ande­rer­seits Proudhon, wieder aus­ein­an­der­klamüsern, und dies gelang ihm allmählich bei ihrer An­wen­dung auf die kritische In­ter­pre­tation der englischen Nationalökonomie, insbesondere Smith und Ricardo.

Hegels Philosophie basiert wie der gesamte deutsche Idealismus auf Kant. Die Besonderheit von He­gels System und Methode liegt in der Zielsetzung [3]), Kants durch dessen analytische Me­tho­de gesetzten transzendentalen Dualismus von Form und Materie, Allgemeinem und Be­son­de­rem durch seine spezifische Art der Dialektik, eine Variante emanatistischer Logik, und ei­ne monistische Sy­stembildung zu überwinden. Hegels Dialektik ist absoluter Idealismus; sie ba­siert auf der Identität [4]) von Denken und Sein. Demgegenüber führt Marx den Materialis­mus [5]) ins Feld.

„Die Originalität von Marx besteht darin, einerseits unabweisbar gegen Hegel ins Feld zu füh­ren, dass die Geschichte in Bewegung ist, dass das Sein auf das Wissen unreduzierbar bleibt, und andererseits die dialektische Bewegung im Sein und im Wissen beibehalten zu wol­len. Praktisch hat er Recht." (Sartre 1967a:23)

Schumpeter dem Ökonomen ist Materialismus wie Idealismus sowieso einerlei [6]). Da­mit be­weist er lediglich, dass dem Fachgelehrten jegliche Philosophie überflüssig erscheint. Dass man hingegen selbst innerhalb der ökonomischen Methodologie damit nicht all­zu weit gelangt, zeigen seine schwankenden Einschätzungen der marxschen Leistung. Aber ganz grundsätzlich: Selbst­verständ­lich kann man Marxens Schriften auch als eine ökonomi­sche Dogmen- und/oder Daten-Sammlung lesen. Ob man sich auf diesem Wege das theoreti­sche Po­tenzial des marx­schen Denkens er­schließt, darf jedoch füglich bezweifelt wer­den. So wä­re es ein großer Fehler, wie Böhm-Bawerk etwa bei Marx wie bei einem Vertreter des Apri­orismus nach dem Beweis für die absolute Wahrheit zu suchen. Marxens Pro­blem­ver­schiebung von Phi­losophie hin zur po­litischen Ökonomie erlaubte ihm, unter der von Hegel in­spirierten Firma „dia­lek­tische Me­thode“ eine Art von forschungsorientiertem Fal­li­bi­lismus zu praktizieren, wel­che sich nach ein­geschlagener politischer Zielrichtung frei aller zu­gäng­li­chen Methoden und The­orien be­diente


[1]) Dieser, ein alter Landgerichtsrat, hat noch bis in sein vorgerücktes Alter in der Philosophie be­rühmtere Zeit­ge­nossen mit philosophischer Korrespondenz beschäftigt und war begeistert da­bei, mit dem Schwerte des Ma­te­ri­alismus um sich zu hauen: Grundkritik der Dialektik und des Iden­titätssystems, Magdeburg 1849; Kritik des Ide­alismus und Materi­ali­en zur Grundlage des apo­dik­tischen Real-Rationalismus, Magdeburg 1837; Das Licht der wahrhaften kosmi­schen dem Irr­lich­te der hegelschen Dialektik gegenüber. Schreiben an Schopenhauer, Mag­deburg 1854; Nach­trä­ge und Erläuterungen zur Kritik des Idealismus; Die Welt als Einheit, Lehrgedicht, Mag­deburg 1848; Die fal­sche Wurzel des Idealrealismus. an Prof. Karl Rosenkranz, Magdeburg 1843. - "Sicher ist Ihnen bereits bekannt, dass diese drei Briefe in den Gesammelten Werken Ludwig Feuerbachs, hrsg. von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften durch Werner Schuf­fen­hau­er Berlin 1984 zur Veröffentlichung kommen konnten. Im ersten Briefwechselband, der den Zeitraum von 1817 bis 1839 umfasst, finden Sie die von Ihnen erwähnten Briefe, auch mit Hin­wie­sen auf die Originale, im vollen Wortlaut." Per Email am 28.01.00 von Manuela Köppe, Berlin-Bran­denburg Academy of Sciences , info@bbaw.de>

[2]) „Having no knowledge of the German language, he could not have read the works of He­gel, which at that time had not been translated into French. It was Charles Grün, a German, who had come to France to stu­dy the va­ri­ous philosophical and socialistic systems, who gave him the sub­stance of the Hegelian ideas. Du­ring the win­ter of 1844-45, Charles Grün had some long con­ve­sations with Proudhon, which determined, very decisively, not the ideas, which belonged exclu­sively to the bisontin thinker, but the form of the impor­tant work on which he la­bored after 1843, and which was published in 1846 by Guillaumin. He­gel's great idea, which Proudhon appropriated, and which he demonstrates with wonderful ability in the 'Sy­stem of Economical Contradictions,' is as fol­lows: Antinomy, that is, the existence of two laws or tendencies which are opposed to each other, is possible, not only with two different things, but with one and the same thing. Con­sidered in their thesis, that is, in the law or tendency which created them, all the economical categories are ra­ti­onal, -- competition, monopoly, the balance of trade, and property, as well as the division of la­bor, machi­ne­ry, taxation, and credit. But, like communism and population, all these categories are an­tinomical; all are op­posed, not only to each other, but to themselves. All is opposition, and dis­or­der is born of this system of op­po­si­ti­on. Hence, the sub-title of the work, -- "Philosophy of Misery." No category can be suppressed; the opposition, an­ti­nomy, or contre-tendance, which exists in each of them, cannot be suppressed. Where, then, lies the solution of the social problem? Influenced by the Hegelian ideas, Proudhon began to look for it in a superior synthesis, which should reconcile the thesis and antithesis. Afterwards, while at work upon his book on "Justice," he saw that the an­tinomical terms do not cancel each other, any more than the opposite poles of an electric pile de­stroy each other; that they are the procreative cause of motion, life, and progress; that the pro­blem is to discover, not their fusion, which would be death, but their equilibrium, -- an equilibrium for ever un­stable, varying with the development of society." siehe

[3]) Die philosophische Situation, durch die diese Aufgabe erst zum konkreten philosophischen Problem wird, führt zurück auf Kants Entdeckung der einheitlichen Wurzel der beiden Erkennt­nis­stämme Verstand und Sinn­lichkeit in der reinen Apperzeption bzw. der transzendentalen Ein­bildungskraft (von Hegel selbst als die ei­gent­li­che Problembasis seiner Philosophie herausgestellt). Damit hat Kant für Hegel nicht nur die innere Möglichkeit der Einheit von Verstand und Sinnlich­keit, sondern auch von Denken und Sein, Subjektivität und Objek­tivität auf­gewiesen (...) und somit ein seit Descartes verlorenes Desiderat der Philosophie wiederge­won­nen. Gerade Des­cartes hat für Hegel den ‘allgemein um sich greifenden Dualismus ... in philosophischer Form aus­gespro­chen’, zur philoso­phi­schen Wahrheit gemacht." (Marcuse 1968a:41)

[4]) „Die kantische Frage nach der Bedingung der Möglichkeit synthetischer Urteile a priori be­antwortet He­gel jetzt durch die Ansetzung der ‘Vernunft’ als dieser prinzipiellen Bedingung: ‘die Mög­lich­keit dieses Setzens (der Identität von Subjekt und Prädikat im Urteil, als der Identität von Besonderem und Allgemei­nem, Denken und Sein) ist allein die Vernunft, welche nichts anders ist als die Identität solcher Ungleich­ar­tigen’ , und die Synthesis des Urteils ist nur der Ausdruck der ‘Identität des Subjektiven und Objek­tiven’, die das ‘Prinzip’ des Seins selbst ausmacht. Weil die ‘reine’ Wesenheit des Seienden’ nichts anderes ist als die ge­schehende Synthesis des Einen und Mannigfaltigen, des Subjektiven und Objektiven, deshalb kann die Syn­thesis des urteilenden menschlichen Subjekts a priori die Wahrheit des Seins zum Ausdruck bringen. ‘Den­ken’ und ‘Sein’ sind ihrem Seinssinn nach nicht etwas Verschiedenes, sondern dasselbe: im ‘Prinzip’ der ab­solu­ten Synthesis, die als ‘Denken’ überhaupt erst Seiendes sein lässt, sind beide gleichursprünglich geeint, und diese ursprüngliche Einheit lässt selbst erst die Dif­ferenz aus sich geschehen. Die ‘Welt’, die gegebene Man­nigfaltigkeit des Seienden, ist nicht Gegen­stand des menschlichen Ich, nichts ihm seinsmäßig entge­gen­stehendes, - sondern sie ‘gehört’ ganz ursprünglich zu seinem Sein, als die Negativität, durch die es allein erst Positivität ist, als die Man­nig­faltigkeit, durch deren Synthesis es überhaupt erst ist, - wie alles Seiende erst durch solche Syn­thesis ist." (Marcuse 1968a:41)

[5]) Im Brief an Kugelmann vom 06.03.1868 sagt Marx (MEW 32:538) über Dühring: „Er weiß sehr wohl, dass meine Entwicklungsmethode nicht die hegelsche ist, da ich Materialist, Hegel Ide­a­list. Hegels Dialektik ist die Grundform aller Dialektik, aber nur nach Abstreifung ihrer mystischen Form, und dies gerade unterscheidet meine Methode."

[6]) „Marxens Philosophie ist nicht materialistischer als die Hegels, und seine Geschichtstheorie ist nicht ma­teri­ali­sti­scher als irgend ein anderer Versuch, den historischen Prozess durch die der em­pirischen Wissenschaft zur Ver­fügung stehenden Mittel zu erklären. Es sollte klar sein, dass dies mit jedem metaphy­si­schen oder religiösen Glau­ben logisch vereinbar ist, genau wie jedes physika­li­sche Weltbild ist." (Schumpeter 1987a:28)

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