Dass mit der materialistischen Kritik Hegels schon Feuerbach aus den Widersprüchen dialektischen Denkens Widersprüche der Sache, d.h. Widerspruch als eine Kategorie empirischer Theorie aufgefasst wurde, zeigt zum Beispiel Feuerbachs Briefwechsel mit Dorguth [1]). Ein anderer Strang der Interpretation von „objektiven Widersprüchen" läuft anscheinend über Proudhon, den Marx intensiv studiert und in mehreren Schriften expliziert und kritisiert hat. Proudhon gibt als seine 3 Quellen folgende an:
1. die Bibel,
2. Adam Smith und
3. Hegel.
Wie kommt ein Franzose zu Hegel, zumal, wenn dieser nicht Deutsch versteht? So [2]) ist es leicht erklärlich, dass, in einen fremden Kontext verpflanzt, die hegelsche Dialektik eine sozioökonomische Uminterpretation erfuhr, die eher mit Feuerbach als mit Hegel zusammen stimmte. Marx musste diese beiden Interpretationsstränge, einerseits Feuerbach und andererseits Proudhon, wieder auseinanderklamüsern, und dies gelang ihm allmählich bei ihrer Anwendung auf die kritische Interpretation der englischen Nationalökonomie, insbesondere Smith und Ricardo.
Hegels Philosophie basiert wie der gesamte deutsche Idealismus auf Kant. Die Besonderheit von Hegels System und Methode liegt in der Zielsetzung [3]), Kants durch dessen analytische Methode gesetzten transzendentalen Dualismus von Form und Materie, Allgemeinem und Besonderem durch seine spezifische Art der Dialektik, eine Variante emanatistischer Logik, und eine monistische Systembildung zu überwinden. Hegels Dialektik ist absoluter Idealismus; sie basiert auf der Identität [4]) von Denken und Sein. Demgegenüber führt Marx den Materialismus [5]) ins Feld.
„Die Originalität von Marx besteht darin, einerseits unabweisbar gegen Hegel ins Feld zu führen, dass die Geschichte in Bewegung ist, dass das Sein auf das Wissen unreduzierbar bleibt, und andererseits die dialektische Bewegung im Sein und im Wissen beibehalten zu wollen. Praktisch hat er Recht." (Sartre 1967a:23)
Schumpeter dem Ökonomen ist Materialismus wie Idealismus sowieso einerlei [6]). Damit beweist er lediglich, dass dem Fachgelehrten jegliche Philosophie überflüssig erscheint. Dass man hingegen selbst innerhalb der ökonomischen Methodologie damit nicht allzu weit gelangt, zeigen seine schwankenden Einschätzungen der marxschen Leistung. Aber ganz grundsätzlich: Selbstverständlich kann man Marxens Schriften auch als eine ökonomische Dogmen- und/oder Daten-Sammlung lesen. Ob man sich auf diesem Wege das theoretische Potenzial des marxschen Denkens erschließt, darf jedoch füglich bezweifelt werden. So wäre es ein großer Fehler, wie Böhm-Bawerk etwa bei Marx wie bei einem Vertreter des Apriorismus nach dem Beweis für die absolute Wahrheit zu suchen. Marxens Problemverschiebung von Philosophie hin zur politischen Ökonomie erlaubte ihm, unter der von Hegel inspirierten Firma „dialektische Methode“ eine Art von forschungsorientiertem Fallibilismus zu praktizieren, welche sich nach eingeschlagener politischer Zielrichtung frei aller zugänglichen Methoden und Theorien bediente[1]) Dieser, ein alter Landgerichtsrat, hat noch bis in sein vorgerücktes Alter in der Philosophie berühmtere Zeitgenossen mit philosophischer Korrespondenz beschäftigt und war begeistert dabei, mit dem Schwerte des Materialismus um sich zu hauen: Grundkritik der Dialektik und des Identitätssystems, Magdeburg 1849; Kritik des Idealismus und Materialien zur Grundlage des apodiktischen Real-Rationalismus, Magdeburg 1837; Das Licht der wahrhaften kosmischen dem Irrlichte der hegelschen Dialektik gegenüber. Schreiben an Schopenhauer, Magdeburg 1854; Nachträge und Erläuterungen zur Kritik des Idealismus; Die Welt als Einheit, Lehrgedicht, Magdeburg 1848; Die falsche Wurzel des Idealrealismus. an Prof. Karl Rosenkranz, Magdeburg 1843. - "Sicher ist Ihnen bereits bekannt, dass diese drei Briefe in den Gesammelten Werken Ludwig Feuerbachs, hrsg. von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften durch Werner Schuffenhauer Berlin 1984 zur Veröffentlichung kommen konnten. Im ersten Briefwechselband, der den Zeitraum von 1817 bis 1839 umfasst, finden Sie die von Ihnen erwähnten Briefe, auch mit Hinwiesen auf die Originale, im vollen Wortlaut." Per Email am 28.01.00 von Manuela Köppe, Berlin-Brandenburg Academy of Sciences ,
[2]) „Having no knowledge of the German language, he could not have read the works of Hegel, which at that time had not been translated into French. It was Charles Grün, a German, who had come to France to study the various philosophical and socialistic systems, who gave him the substance of the Hegelian ideas. During the winter of 1844-45, Charles Grün had some long convesations with Proudhon, which determined, very decisively, not the ideas, which belonged exclusively to the bisontin thinker, but the form of the important work on which he labored after 1843, and which was published in 1846 by Guillaumin. Hegel's great idea, which Proudhon appropriated, and which he demonstrates with wonderful ability in the 'System of Economical Contradictions,' is as follows: Antinomy, that is, the existence of two laws or tendencies which are opposed to each other, is possible, not only with two different things, but with one and the same thing. Considered in their thesis, that is, in the law or tendency which created them, all the economical categories are rational, -- competition, monopoly, the balance of trade, and property, as well as the division of labor, machinery, taxation, and credit. But, like communism and population, all these categories are antinomical; all are opposed, not only to each other, but to themselves. All is opposition, and disorder is born of this system of opposition. Hence, the sub-title of the work, -- "Philosophy of Misery." No category can be suppressed; the opposition, antinomy, or contre-tendance, which exists in each of them, cannot be suppressed. Where, then, lies the solution of the social problem? Influenced by the Hegelian ideas, Proudhon began to look for it in a superior synthesis, which should reconcile the thesis and antithesis. Afterwards, while at work upon his book on "Justice," he saw that the antinomical terms do not cancel each other, any more than the opposite poles of an electric pile destroy each other; that they are the procreative cause of motion, life, and progress; that the problem is to discover, not their fusion, which would be death, but their equilibrium, -- an equilibrium for ever unstable, varying with the development of society." siehe
[3]) Die philosophische Situation, durch die diese Aufgabe erst zum konkreten philosophischen Problem wird, führt zurück auf Kants Entdeckung der einheitlichen Wurzel der beiden Erkenntnisstämme Verstand und Sinnlichkeit in der reinen Apperzeption bzw. der transzendentalen Einbildungskraft (von Hegel selbst als die eigentliche Problembasis seiner Philosophie herausgestellt). Damit hat Kant für Hegel nicht nur die innere Möglichkeit der Einheit von Verstand und Sinnlichkeit, sondern auch von Denken und Sein, Subjektivität und Objektivität aufgewiesen (...) und somit ein seit Descartes verlorenes Desiderat der Philosophie wiedergewonnen. Gerade Descartes hat für Hegel den ‘allgemein um sich greifenden Dualismus ... in philosophischer Form ausgesprochen’, zur philosophischen Wahrheit gemacht." (Marcuse 1968a:41)
[4]) „Die kantische Frage nach der Bedingung der Möglichkeit synthetischer Urteile a priori beantwortet Hegel jetzt durch die Ansetzung der ‘Vernunft’ als dieser prinzipiellen Bedingung: ‘die Möglichkeit dieses Setzens (der Identität von Subjekt und Prädikat im Urteil, als der Identität von Besonderem und Allgemeinem, Denken und Sein) ist allein die Vernunft, welche nichts anders ist als die Identität solcher Ungleichartigen’ , und die Synthesis des Urteils ist nur der Ausdruck der ‘Identität des Subjektiven und Objektiven’, die das ‘Prinzip’ des Seins selbst ausmacht. Weil die ‘reine’ Wesenheit des Seienden’ nichts anderes ist als die geschehende Synthesis des Einen und Mannigfaltigen, des Subjektiven und Objektiven, deshalb kann die Synthesis des urteilenden menschlichen Subjekts a priori die Wahrheit des Seins zum Ausdruck bringen. ‘Denken’ und ‘Sein’ sind ihrem Seinssinn nach nicht etwas Verschiedenes, sondern dasselbe: im ‘Prinzip’ der absoluten Synthesis, die als ‘Denken’ überhaupt erst Seiendes sein lässt, sind beide gleichursprünglich geeint, und diese ursprüngliche Einheit lässt selbst erst die Differenz aus sich geschehen. Die ‘Welt’, die gegebene Mannigfaltigkeit des Seienden, ist nicht Gegenstand des menschlichen Ich, nichts ihm seinsmäßig entgegenstehendes, - sondern sie ‘gehört’ ganz ursprünglich zu seinem Sein, als die Negativität, durch die es allein erst Positivität ist, als die Mannigfaltigkeit, durch deren Synthesis es überhaupt erst ist, - wie alles Seiende erst durch solche Synthesis ist." (Marcuse 1968a:41)
[5]) Im Brief an Kugelmann vom 06.03.1868 sagt Marx (MEW 32:538) über Dühring: „Er weiß sehr wohl, dass meine Entwicklungsmethode nicht die hegelsche ist, da ich Materialist, Hegel Idealist. Hegels Dialektik ist die Grundform aller Dialektik, aber nur nach Abstreifung ihrer mystischen Form, und dies gerade unterscheidet meine Methode."
[6]) „Marxens Philosophie ist nicht materialistischer als die Hegels, und seine Geschichtstheorie ist nicht materialistischer als irgend ein anderer Versuch, den historischen Prozess durch die der empirischen Wissenschaft zur Verfügung stehenden Mittel zu erklären. Es sollte klar sein, dass dies mit jedem metaphysischen oder religiösen Glauben logisch vereinbar ist, genau wie jedes physikalische Weltbild ist." (Schumpeter 1987a:28)
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