Dies ist der gebündelte Versuch einer Replik auf: Karl R. Popper, Das Elend des Historizismus, was eine Replik darstellte auf: Karl Marx, Das Elend der Philosophie, was eine Replik darstellte auf: Proudhon, Die Philosophie des Elends

22.10.2005

Der Markt - ein vernünftiger Automat?


"Das einzige Forum kollektiver Entscheidung, das Fremdherrschaft ausschließt, indem es auf ein- oder ge­gen­sei­ti­gen Zwang verzichtet, ist der Markt."

(PD Dr. Hardy Bouillon, Aufklärung und Kritik, 6, 2, 1999, S. 159)

„Und grade die Fähigkeit des Kapitalisten, seinem Kapital eine andere Rich­tung zu geben, macht den auf eine bestimmten Arbeitszwang eingeschränkten ouvrier entweder brotlos oder zwingt ihn, sich allen Forderungen dieses Kapi­ta­listen zu unterwerfen." (Marx, ÖPM:472)

„the bigger the market, the greater the prosperity!" (Yardeni, Moss 1990a)

„In this way, the medieval saying nulle terre sans seigneur gives way to the mo­dern saying l'argent n'a pas de maitre [‘Money knows no master’], which is an ex­pres­sion of the complete domination of dead matter over men." (Marx ÖPM: 507)

Kehrseite dieser „Versachlichung" der Ökonomie ist die angebliche Künstlichkeit und Ineffi­zienz politischen Gestaltungswillens sowie der unproduktive, abgeleitete Charakter von Kul­tur sowie der gesellschaftlichen Verhältnisse überhaupt. Globalismus ist damit nur eine Fort­bil­dung des seit dem Entstehen der liberalen Ökonomie - mindestens seit Smith und Ricardo - ver­breiteten Glaubens an die Naturwüchsigkeit, selbsttätige Effizienz und naturrechtliche Le­gi­ti­mi­tät kapitalistischen Wirtschaftens. Doch selbst wenn man Adam Smiths „invisible hand" als eine kybernetische Idee einer Form sozialer Kontrolle ansieht (Albert 1964c:90, Anm.14; Ottow 1991a), muss diese erstaunliche Blüte eines sozialen Optimismus der Spezifizierung der Bedin­gun­gen und detaillierter kritischer Prüfung unterworfen werden:

„This pattern of social functions and individual dysfunctions is at variance with the vigorous and untu­tored optimism unforgettably expressed by Adam Smith, who speaks of a ‘harmonious order of nature, under divine guidance, which pro­motes the welfare of man through the operation of his individual pro­pensities.’ If only it were that simple. One of the prime problems for sociological theory is that of iden­ti­fying the special conditions under which men’s propensities and the re­quire­ments of the social system are in sufficient accord to be functional for both indi­vi­duals and the social system." (Merton 1973a:448, Anm.20)

Dies ist damit aber ein offener Widerspruch derjenigen, die Wohlfahrtswesen und Wissen­schaf­ten vom private sponsoring abhängig zu machen wünschen: Der Kapitalismus fördert an­geb­lich die gesellschaftliche Wohlfahrt, indem er egozentrisches Verhalten belohne. Anderer­seits erwarten wir von den somit belohnten Egoisten, dass sie sich eines bislang bestraften Alt­ru­is­mus besönnen und aufgrund solcher Motive das Gemeinwohl förderten. Exegese stößt hier auf das sog. "Adam-Smith-Problem" (Kazmierski 1998a:110):

In welchem inneren Zusammenhang steht die "Theorie der ethischen Gefühle" mit dem "Woh­l­stand der Nationen"?

Vielleicht liegt aber gerade der Systemfehler des Kapitalismus darin, dass er nur Egoisten [1]) erlaubt, Altruisten zu sein.[2])



[1]) Stirner hat recht, wenn er 'den Menschen' Feuerbachs, wenigstens des 'Wesens des Christen­tums' verwirft; der feuerbachsche 'Mensch' ist von Gott abgeleitet, Feuerbach ist von Gott auf den 'Men­schen' gekommen, und so ist 'der Mensch' allerdings noch mit einem theologischen Heiligen­schein der Abstraktion bekränzt. Der wahre Weg, zum 'Menschen' zu kommen, ist der umgekehr­te. Wir müs­sen vom Ich, vom empirischen, leibhaftigen Indivi­du­um ausgehen, um nicht, wie Stirner, drin stecken zu bleiben, sondern uns von da aus zu 'dem Menschen' zu erhe­ben. 'Der Mensch' ist im­mer ei­ne Spukgestalt, solange er nicht an dem empirischen Menschen seine Basis hat. Kurz, wir müssen vom Empirismus und Materialismus ausgehen, wenn unsre Gedanken und namentlich un­ser 'Mensch' etwas Wahres sein sollen; wir müssen das Allgemeine vom Einzelnen ableiten, nicht aus sich selbst oder aus der Luft à la Hegel." (Engels an Marx, 19.11.1844, MEW 27:12)

[2]) In welch engem Zusammenhang öffentlich demonstrierte Wissenschaftlichkeit (Positi­vis­mus, Wertur­teils­frei­heit, methodischer Rigorismus, internationale Reputation, etc.) mit dem Fluss der Spendengelder steht, kann man am Fall der LSE bei Dahrendorf (1995a) nachlesen.

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