Dies ist der gebündelte Versuch einer Replik auf: Karl R. Popper, Das Elend des Historizismus, was eine Replik darstellte auf: Karl Marx, Das Elend der Philosophie, was eine Replik darstellte auf: Proudhon, Die Philosophie des Elends

22.10.2005

Totalität

"Die Wissenschaftslehre hat also absolute Totalität. In ihr führt Eins zu Allem, und Alles zu Einem. Sie ist aber die einzige Wissenschaft, welche vollendet wer­den kann; Vollendung ist demnach ihr auszeichnender Charakter. Alle ande­re Wissenschaften sind unendlich, und können nie vollendet werden; denn sie laufen nicht wieder in ihren Grundsatz zurück. Die Wissenschaftslehre hat dies für alle zu beweisen und den Grund davon anzugeben."

(Fichte: Ueber den Begriff der Wissenschaftslehre:81f)

Ein zentrales Motiv hegelschen Philosophieren läuft hinaus auf eine Kritik der analytischen Lo­gik in die­ser aufspaltenden Form, wie sie Kant mit seiner scharfen Scheidung zwischen rei­ner und prak­ti­scher Vernunft inauguriert hatte. Gerade im Bereich der politischen Praxis führen die Ver­all­ge­mei­ne­rungen der analytischen Vernunft zu abstrakten, d.h. inhaltsleeren Maximen. Wie Lask dar­ge­legt hat, geht es dem Neu­kantianismus darum, ohne die analytische Logik auf­zugeben, durch Ein­führung einer be­sonderen Werttheorie das Problem der historischen Irratio­nalität, d.h. der Ve­nachlässigung des Individuellen durch die analytische Logik, zu lösen. Wenn Albert [1]) die Ziel­set­zung als schlechten Utopismus ablehnt, am Reißbrett eine Idealordnung der Wirtschaft oder Ge­sell­schaft zu entwickeln, und dabei die Konstruktion abstrakter Ideal­ord­nungen als gefährlich für die politische Praxis an­sieht, so rennt er damit bei Hegel (Hic Rhodus, hic salta!) wie bei Marx [2]) of­fene Türen ein, sind es doch gerade Entartungen analytisch-dog­ma­tischen Denkens, die er damit an­greift. Albert betont damit wie schon Marx die Notwen­dig­keit, von einer jeweiligen Ein­schät­zung der politischen Defizite und Handlungsmöglichkeiten der konkreten Situation auszu­ge­hen, wenn eine wissenschaftliche Beratung von Politik das Ziel sein soll. Gerade Marx hat sich dem An­sin­nen, utopische Gesellschaftsentwürfe in die Welt zu setzen, stets standhaft verweigert. Dem wi­der­spricht keineswegs, dass er als Dialektiker immer auch einen rationalen Kern in sozialen Utopi­en (Bloch 1946a) zu erkennen vermochte. Die Gren­ze zwischen utopischer und „Realpolitik" ist auch in den seltensten Fällen eindeutig zu zie­hen. Unter sich ständig ändernden Umständen kann Realpolitik wie nüchternster Konserva­ti­vis­mus schnell „uto­pische" Züge gewinnen.

Hegel hat mit seinem System philosophischer Begriffe und Argumentierens eine eigene Spra­che ent­wickelt. Eine solche „konkrete Totalität“ ist als eine logische Darstellungsform eige­nen Rechts an­zu­sehen, etwa in Kontrast zum Denken in symbolisch-logischen, mathema­ti­schen oder rechner­ge­stützten Modellen [3]). Die Leistungsfähigkeit derartiger Darstellungsfor­men sind im Hinblick auf ih­re Anwendungsfelder zu bewerten. Keineswegs können dieselben wie Hy­pothesen widerlegt wer­den oder auch nur wie Aussagen falsifiziert werden. Eine Sprache kann nicht widerlegt werden, son­dern es können nur Grenzen der Anwendbarkeit und evtl. „blin­de Flecken“ aufgewiesen wer­den.[4])



[1] ) „Es ist ein Irrtum anzunehmen, dass man sich zur Aufdeckung konkreter sozialer Übel­stän­de an einem ab­strak­ten Ideal einer vollkommenen Gesellschaft orientieren müsse." (Albert 1976a:81)

[2] ) siehe etwa Marxens „Kritik des Gothaer Programms"

[3]) Einen Überblick über „Modelle und Experimente" gibt Spinner (1969b).

[4]) wie dies etwa Adolphi (1989a) für die unterschiedlichen Weisen hegelschen Argumentierens vorgeführt hat

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