Dies ist der gebündelte Versuch einer Replik auf: Karl R. Popper, Das Elend des Historizismus, was eine Replik darstellte auf: Karl Marx, Das Elend der Philosophie, was eine Replik darstellte auf: Proudhon, Die Philosophie des Elends

22.10.2005

Die Methode der Modellbetrachtung

Der Kalkülbegriff hat in der Philosophie des 17. und 18. Jahr­hun­derts eine bedeutende Rolle gespielt (Arndt 1971a). Jahrhunderte lang hat der an Eu­klids Ge­o­me­trie orientierte „mos geo­me­tricus" das Gardemaß an Wissenschaftlichkeit vor­ge­ge­ben. Aber weit entfernt, eine Axioma­ti­sierung im hilbertschen Sinne darzustellen, muss sie hi­sto­risch als die Ur­form einer Modell-Be­trachtung angesehen werden (Mueller 1969a): Eine eu­klid­sche Ableitung [1]) ist allerdings nicht eine logische Ableitung aus Postulaten - eine derartige Interpretation wurde erst von Hilbert eingeführt - son­dern ein Gedankenexperiment, durchgeführt an einem ideali­sier­ten Objekt, wo­bei zuvor An­nah­men über die Natur desselben und die an demselben zu­läs­si­gen Operationen getroffen wurden. So gesehen liegt einer jeden Modellbetrachtung eine Stan­dardisierung der Gesprächssituation, diese als ein wissenschaftlicher Diskurs betrachtet, zu­grunde. Jeder Diskurs setzt eine Scheidung des Frag­lichen von dem als zumindest vorläufig als ungefragt Unterstell­ten voraus. Diese Relativierung eines jeden Modells auf eine Klasse be­stimmter Vorausset­zun­gen oder Annahmen ist unabweisbar und logisch bedingt. Man muss sich daher davor hüten, die jeweiligen logischen Bedingungen oder Annahmen eines Modells zu ontologisieren, sie zu unhintergehbaren Voraussetzungen der Realität zu machen.[2]) Was in ei­ner Mo­dell­betrachtung je­weils relativ dazu als gegeben unterstellt wird, ist nicht mit einer in der Realität ab­so­lut wah­ren Voraussetzung oder historischen Bedingung [3]) oder einer realen In­varianz zu verwech­seln.

Die Frage der Modellbildung sowie des Verhältnisses zwischen Modell und Realität lässt sich al­so am Beispiel der Geometrie dennoch recht gut untersuchen. Die reine Geometrie ist eine rein be­griffliche Angelegenheit und hat erst einmal mit der Realität nichts zu tun (Popper 1994b:205). Erst bei der An­wendung einer bestimmten Geometrie auf die Realität kommt es zu einem Gegen­satz zwischen Em­pirismus und Konventionalismus. Beide Positionen sind durch­führ­bar, implizi­ren jedoch un­terschiedliche Konsequenzen für die Methodologie.

Der Konventionalist sagt, dass ein abweichendes Messergebnis nicht zur Wahl einer anderen Ge­o­metrie zwingt, sondern dass die benutzten Messkörper korrigiert werden müssen. Der Em­pirist wird sagen, dass der Messkörper durch eine explizite Zuordnungsdefinition fest­ge­legt ist. Daher könne nur die Erfahrung über die der Realität entsprechende Geometrie ent­schei­den.

Man kann demnach sagen: Während der Konventionalist die Geometrie frei wählt und den Mess­kör­per anpasst, hat der Empirist die Messkörper festgelegt und passt die zu wählende Ge­o­metrie den Messergebnissen an (Popper 1994b:210).



[1]) "I conclude, then, that a Euclidean derivation is an experiment performed on idealised phy­sical objects, the experiment being limited by preliminary agreements (first principles) concerning the nature of the objects, some of their properties, and the opera­ti­ons that may be performed on them." (Mueller 1969a:295) Dies steht in Gegensatz zur Auffassung von "Ableitung" bei Hilbert: " a deduction according to principles of logic from a certain group of sentences called postulates"

[2]) "Man soll aus Definitionen nicht folgern das heißt entweder, man soll daraus, dass man sich ohne Widerspruch in die Beschreibung eines Dinges, welches ganz unabhängig von unserer Be­schreibung existiert, ein gewisses Merkmal hat denken können, nicht ohne weiteren Grund schlie­ßen, dass dasselbe darum im wirklichen Dinge anzutreffen sein müsse; oder man soll bei einem Din­ge, das selbst erst durch uns, nach einem davon gebildeten Begriffe, der den Zweck desselben aus­drückt, hervorgebracht werden soll, aus der Denkbarkeit dieses Zwecks noch nicht auf die Aus­führbarkeit desselben in der Wirklichkeit schliessen; aber nimmermehr kann es heißen, man solle sich bei seinen gei­stigen oder körperlichen Arbeiten keinen Zweck aufgeben, und sich denselben, noch ehe man an die Arbeit geht, ja nicht deutlich zu machen suchen, sondern es dem Spiele seiner Einbildungskraft oder seiner Finger überlassen, was etwa herauskommen möge." (Fichte, Über den Begriff der Wissenschaftslehre:26)

[3]) Dies hat Marx der vertragsrechtlich konstruierten Story vorgeworfen hat, wie sie Proudhon unterkommt.

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