Dies ist der gebündelte Versuch einer Replik auf: Karl R. Popper, Das Elend des Historizismus, was eine Replik darstellte auf: Karl Marx, Das Elend der Philosophie, was eine Replik darstellte auf: Proudhon, Die Philosophie des Elends

22.10.2005

Wozu eine Arbeitswerttheorie?

Dagegen ist festzuhalten, dass in der von Marx überarbeiteten Form der AWT (Tuchscheerer 1968a), die freilich auf einem viel weiteren Problemhintergrund als dem von Smith und Ricar­do zu sehen ist, diese eine zentrale Rolle erfüllt bei der Verbindung von politischer und öko­no­mi­scher Theorie. Im An­griff auf diesen zentralen Bestandteil des marxschen Systems haben frei­lich die Marx-Gegner einen recht guten Instinkt bewiesen, aber auch nicht viel mehr. Schum­peter (1965a), Robinson (1966a) und Sa­muelson(1971a) haben versucht, der marxschen Ökonomie mathematischen Sinn und Verstand ab­zu­gewinnen. Nachdem es gelungen ist, Mar­xens Transformationsproblem in ein rein mathematisches puzzle zu verwandeln, wird es getrost dem mathematischen Raritäten-Kabinett einverleibt. Fragen der empirischen Relevanz bleiben außen vor. Hierin zeigt sich die gewöhnliche falsche Selbstbescheidung der neoklassischen Öko­nomie. Dabei gehen sie von ihrem bornierten Fachhorizont aus, behandeln Marx lediglich als einen Schüler Ricardos. Die über das ökonomische Modell hinausreichenden An­sät­ze Mar­xens werden als fachlich nicht assimilierbar zurückgewiesen.

Die AWT enthält insbesondere zwei prinzipielle Einsichten:

1. um die für eine Gesellschaftsformation wesentlichen Mechanismen und funktionalen wie dysfunk­tio­na­len Prozesse erklären zu können, müssen mehr erklärende Bedingungen endoge­ni­siert werden, als dies in der Betrachtungsweise der klassischen Ökonomie (Smith, Ricardo) ge­schehen ist;

2. der Analyse des Tauschprozesses muss eine fundamentale Theorie des Wertes zugrunde lie­gen.

Auch Dobb (1973a:22) hält die Frage der werttheoretische Grundlegung von Ökonomie nicht für er­le­digt. Er wirft der herrschenden Lehre vor, alle Ökonomie auf Tauschhandlungen aufzu­bauen und dabei zu fingieren, diese seien von der Restgesellschaft unabhängig. Demgegenüber betont er den klas­sischen Ansatz, dass der Tausch durch die Produktions- und Distribu­tions­ver­hältnisse bedingt wer­de (allerdings erweckt Dobb (27) dabei durch seine schiefe Formulierung fast den Ein­druck, dass auch für ihn Tausch im Gegensatz zum Wert nicht gesellschaftlich sei). In Gegensatz zu Dobb charakterisiert Lange die subjektivistische Ökonomik ganz richtig da­durch, dass die sozialen Beziehungen aufgegeben wurden gegenüber einer Betrach­tung der Relation Individuum-Ding:

„Die politische Ökonomie hört hier auf, eine Wissenschaft zu sein, die sich mit den im Prozess der Produktion und der Verteilung zustande kommenden sozi­alen Beziehungen beschäftigt, mit anderen Worten: eine Wissenschaft, die die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den Menschen behandelt, wie es die klas­sische Ökonomie war. Sie hört sogar auf, eine Wissenschaft zu sein, die die Prozesse des Markttausches untersucht, wie es die Vulgärökonomie war. Die po­litische Ökonomie wird vielmehr eine Wissenschaft von den Beziehungen zwi­schen dem Menschen und den Dingen, die der Befriedigung seiner Be­dürf­nisse dienen, zwischen dem Menschen und den Gütern, deren Besitz Lust ver­schafft oder Reichtum darstellt." (Lange 1964a:289f)

Marxens „Kapital" ist aber ein Modell, welches aber den Horizont des quantitativen Modell-Denken Ricardos über­schreitet auf ein an Hegels „Rechtsphilosophie" orientiertem Theoreti­sie­ren entlang sozialer Kategorien, die in einer Totalitätsbeziehung zueinander stehen. Im Hin­blick auf die Interpretation von Bd. I ergibt sich damit ein ähnliches Problem (durch Marxens ehrgeizige Zielsetzung einer materialisti­schen Dialektik sogar noch weiter verkompliziert) wie bei Schumpeter: Es wird nicht eine bestimmte Vor­geschichte erzählt, sondern es wird erst ein­mal das „theoretische Knochengerüst" des darauf zu entfal­ten­den Gesamtmodells errichtet (Pre­döhl 1964a:323).

Nachdem schon Schumpeter und Robinson (1966a) unverkennbar eine Strategie der Abtrennung marx­scher Philosophie und Soziologie von der Ökonomie betrieben hatten, hat Feess-Dörr (1989a) nunmehr dieses Argument weiter mathematisch rationalisiert. Man brauche Marxens AWT nicht, weil alles ökonomisch Relevante sich bereits im Ricardo-Modell sich ausdrücken lasse. Dieses Redundanz-Argument verbleibt jedoch methodologisch äußerst ungeklärt. Nicht die mathematische Modell­me­tho­de an sich kann Instanz der Selektion relevanter Argumente sein. Hat Marxens AWT nicht eine um­fassendere Problemstellung als alle ricardianische Ökonomie sie jemals hatte? An ihrer Problem­stel­lung aber muss man Lösungsversuche messen!

In dieser allgemeinen Verwirrung über die genaue Gestalt der Arbeitswerttheorie (derlei fuz­zi­ness ist nach Agassi jedoch auch zwischen Naturwissenschaftlern bezüglich deren Theo­rien an­zutreffen!) über­rascht dann schon nicht mehr, wenn Krelle gerade ausgehend von Robinsons "Rezep­tion" der AWT eine neomarxistische Wiederbelebung des Gedankengutes von Keynes (1936a) erblickt:

"Eine andere Weiterentwicklung kann man vielleicht die 'neo-marxistische' nen­nen, insofern als die Arbeitswerttheorie die Grundlage der dort vertretenen Ka­pitaltheorie ist und Vertei­lungs­gesichtspunkte mit im Vordergrund stehen. Die­se Denkrichtung ist in Cambridge / Eng­land im wesentlichen entwickelt wor­den, wo ja auch Keynes gelehrt hat. Eine Schülerin von Keynes, Joan Robinson, stand im Mittelpunkt dieser Entwicklung. Aber auch andere, vor al­lem Pasi­net­ti und Morishima haben hier mitgearbeitet. Die grundlegenden Annahmen sind fe­ste Produktionskoeffizienten, die auch schon Marx verwandt hatte, so dass die­ser Ansatz sehr nahe an der Input-Output-Analyse von Leontieff oder dem von Neumann'schen Wachs­tums­modell liegt. Da die Preise durch die Produk­ti­onskoeffizienten bestimmt sind, wirkt eine Er­höhung der realen Nachfrage na­türlich unmittelbar auf die Beschäftigung. Damit ist der Key­nesianische Effekt voll da. Um den geldpolitischen Teil des keynesianischen Ge­dankengutes hat sich diese Schule weniger gekümmert." (Krelle 1986a:11)

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