Dagegen ist festzuhalten, dass in der von Marx überarbeiteten Form der AWT (Tuchscheerer 1968a), die freilich auf einem viel weiteren Problemhintergrund als dem von Smith und Ricardo zu sehen ist, diese eine zentrale Rolle erfüllt bei der Verbindung von politischer und ökonomischer Theorie. Im Angriff auf diesen zentralen Bestandteil des marxschen Systems haben freilich die Marx-Gegner einen recht guten Instinkt bewiesen, aber auch nicht viel mehr. Schumpeter (1965a), Robinson (1966a) und Samuelson(1971a) haben versucht, der marxschen Ökonomie mathematischen Sinn und Verstand abzugewinnen. Nachdem es gelungen ist, Marxens Transformationsproblem in ein rein mathematisches puzzle zu verwandeln, wird es getrost dem mathematischen Raritäten-Kabinett einverleibt. Fragen der empirischen Relevanz bleiben außen vor. Hierin zeigt sich die gewöhnliche falsche Selbstbescheidung der neoklassischen Ökonomie. Dabei gehen sie von ihrem bornierten Fachhorizont aus, behandeln Marx lediglich als einen Schüler Ricardos. Die über das ökonomische Modell hinausreichenden Ansätze Marxens werden als fachlich nicht assimilierbar zurückgewiesen.
Die AWT enthält insbesondere zwei prinzipielle Einsichten:
1. um die für eine Gesellschaftsformation wesentlichen Mechanismen und funktionalen wie dysfunktionalen Prozesse erklären zu können, müssen mehr erklärende Bedingungen endogenisiert werden, als dies in der Betrachtungsweise der klassischen Ökonomie (Smith, Ricardo) geschehen ist;
2. der Analyse des Tauschprozesses muss eine fundamentale Theorie des Wertes zugrunde liegen.
Auch Dobb (1973a:22) hält die Frage der werttheoretische Grundlegung von Ökonomie nicht für erledigt. Er wirft der herrschenden Lehre vor, alle Ökonomie auf Tauschhandlungen aufzubauen und dabei zu fingieren, diese seien von der Restgesellschaft unabhängig. Demgegenüber betont er den klassischen Ansatz, dass der Tausch durch die Produktions- und Distributionsverhältnisse bedingt werde (allerdings erweckt Dobb (27) dabei durch seine schiefe Formulierung fast den Eindruck, dass auch für ihn Tausch im Gegensatz zum Wert nicht gesellschaftlich sei). In Gegensatz zu Dobb charakterisiert Lange die subjektivistische Ökonomik ganz richtig dadurch, dass die sozialen Beziehungen aufgegeben wurden gegenüber einer Betrachtung der Relation Individuum-Ding:
„Die politische Ökonomie hört hier auf, eine Wissenschaft zu sein, die sich mit den im Prozess der Produktion und der Verteilung zustande kommenden sozialen Beziehungen beschäftigt, mit anderen Worten: eine Wissenschaft, die die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den Menschen behandelt, wie es die klassische Ökonomie war. Sie hört sogar auf, eine Wissenschaft zu sein, die die Prozesse des Markttausches untersucht, wie es die Vulgärökonomie war. Die politische Ökonomie wird vielmehr eine Wissenschaft von den Beziehungen zwischen dem Menschen und den Dingen, die der Befriedigung seiner Bedürfnisse dienen, zwischen dem Menschen und den Gütern, deren Besitz Lust verschafft oder Reichtum darstellt." (Lange 1964a:289f)
Marxens „Kapital" ist aber ein Modell, welches aber den Horizont des quantitativen Modell-Denken Ricardos überschreitet auf ein an Hegels „Rechtsphilosophie" orientiertem Theoretisieren entlang sozialer Kategorien, die in einer Totalitätsbeziehung zueinander stehen. Im Hinblick auf die Interpretation von Bd. I ergibt sich damit ein ähnliches Problem (durch Marxens ehrgeizige Zielsetzung einer materialistischen Dialektik sogar noch weiter verkompliziert) wie bei Schumpeter: Es wird nicht eine bestimmte Vorgeschichte erzählt, sondern es wird erst einmal das „theoretische Knochengerüst" des darauf zu entfaltenden Gesamtmodells errichtet (Predöhl 1964a:323).
Nachdem schon Schumpeter und Robinson (1966a) unverkennbar eine Strategie der Abtrennung marxscher Philosophie und Soziologie von der Ökonomie betrieben hatten, hat Feess-Dörr (1989a) nunmehr dieses Argument weiter mathematisch rationalisiert. Man brauche Marxens AWT nicht, weil alles ökonomisch Relevante sich bereits im Ricardo-Modell sich ausdrücken lasse. Dieses Redundanz-Argument verbleibt jedoch methodologisch äußerst ungeklärt. Nicht die mathematische Modellmethode an sich kann Instanz der Selektion relevanter Argumente sein. Hat Marxens AWT nicht eine umfassendere Problemstellung als alle ricardianische Ökonomie sie jemals hatte? An ihrer Problemstellung aber muss man Lösungsversuche messen!
In dieser allgemeinen Verwirrung über die genaue Gestalt der Arbeitswerttheorie (derlei fuzziness ist nach Agassi jedoch auch zwischen Naturwissenschaftlern bezüglich deren Theorien anzutreffen!) überrascht dann schon nicht mehr, wenn Krelle gerade ausgehend von Robinsons "Rezeption" der AWT eine neomarxistische Wiederbelebung des Gedankengutes von Keynes (1936a) erblickt:
"Eine andere Weiterentwicklung kann man vielleicht die 'neo-marxistische' nennen, insofern als die Arbeitswerttheorie die Grundlage der dort vertretenen Kapitaltheorie ist und Verteilungsgesichtspunkte mit im Vordergrund stehen. Diese Denkrichtung ist in Cambridge / England im wesentlichen entwickelt worden, wo ja auch Keynes gelehrt hat. Eine Schülerin von Keynes, Joan Robinson, stand im Mittelpunkt dieser Entwicklung. Aber auch andere, vor allem Pasinetti und Morishima haben hier mitgearbeitet. Die grundlegenden Annahmen sind feste Produktionskoeffizienten, die auch schon Marx verwandt hatte, so dass dieser Ansatz sehr nahe an der Input-Output-Analyse von Leontieff oder dem von Neumann'schen Wachstumsmodell liegt. Da die Preise durch die Produktionskoeffizienten bestimmt sind, wirkt eine Erhöhung der realen Nachfrage natürlich unmittelbar auf die Beschäftigung. Damit ist der Keynesianische Effekt voll da. Um den geldpolitischen Teil des keynesianischen Gedankengutes hat sich diese Schule weniger gekümmert." (Krelle 1986a:11)
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