Dies ist der gebündelte Versuch einer Replik auf: Karl R. Popper, Das Elend des Historizismus, was eine Replik darstellte auf: Karl Marx, Das Elend der Philosophie, was eine Replik darstellte auf: Proudhon, Die Philosophie des Elends

22.10.2005

Krypto-Normativität

In einer wohl seltenen Übereinstimmung haben sich dem vernichtenden Robinson-Urteil über die AWT sowohl Popper als auch Habermas angeschlossen. Popper (1980b:209) erteilt den Marxisten einen wohlmeinenden Rat [1]), welcher aber nur seinem eigenem level of understanding verhaftet bleibt. Habermas (1968a:9f) zeichnet sich durch eine zurückhaltend ablehnende Haltung aus, schlägt aber Popper im Hinblick auf Positivismus deutlich um Längen. Albert versucht eine Zusammenfassung:

"Wir können z. B. auf die Arbeitswertlehre eingehen. Ich halte sie für eine Theorie, die nichts erklärt, die ausgesprochenen Ideologiecharakter hat, die kryptonormativ ist und die praktisch nur dazu dient, den Ausbeutungs- und Mehrwertbegriff zu definieren und die Brücke zur mar­xistischen Politologie zu schlagen. Sie erklärt nichts. Es handelt sich bei ihr um eine ex­tre­me Dogmatisierung der klassischen Tradition. Deswegen sagen ja Historiker der Natio­nal­öko­nomie mit Recht, dass Marx einer der größten Ricardianer war. Aber gerade in diesem Punkt hat er praktisch nur dogmatisiert. Dies ist nur ein Punkt, aber ein wichtiger Punkt, denn diese Arbeitswertlehre lassen die Marxisten ungerne wegfallen, weil damit das Band ih­res gesamten Systems verlorengeht und das System auseinanderbricht."

Welchen sachlichen Einwand hat Albert jedoch gegen diese Art von Brückenprinzipien, außer dass von ihm immer wieder äußerst dogmatisch der Dogmatismusvorwurf wiederholt wird? Ein norma­ti­ver Beigeschmack muss ja nicht den empirischen Gehalt mindern. Selbst wenn gegeben, dann ist ein solcher Beigeschmack mit Sicherheit für niemand kryptisch. Ob eine Aussage eine normative Funk­ti­on erfüllt, hängt außerdem vom betreffenden Kontext ab (Albert 1972c:141). Dass Marxisten Ideo­lo­gen sind, das ist ja mal so ihr Wesen. Deswegen sind sie ja für Popper und Albert Pseudo-Wissenschaft­ler. Kann man dem Teufel vorwerfen, dass er böse ist? Gibt es aber noch andere Argumente, außer dass Popper und Albert den Marxismus für pseudo-wissenschaftlich halten oder so jedenfalls nicht mö­gen? Es kann ja wohl auch keine wissenschaftliche Todsünde beinhalten, Ricardianer zu sein. Oder haben wir da unverhofft noch einen Pseudo-Wissenschaftler aufgespürt? Wer einmal damit begonnen hat, Ketzer zu verfolgen, findet so leicht kein Ende damit. - Diese Theorie erkläre nichts. Albert ver­gisst jedoch anzugeben oder überhaupt darüber nachzudenken, zur Lösung welches Erklä­rungs­pro­blems [2]) Marx diese Theorie geschaffen hat, und warum sie die von ihr beabsichtigte Erklärungsleistung nicht erbringe.

„... the vital first step towards understanding a theory is to understand the pro­blem situation in which it arises." (Popper 1973a:182)

Es wird wohl niemand unterstellen wollen, eine empirische Problemstellung für die AWT aufzutreiben sei unmöglich. Wenn diese Theorie von Marx benötigt werde, wie Albert berich­tet, um Öko­no­mie und Politik miteinander zu verbinden, so kann sie wohl nicht so ausschließ­lich analytisch oder rein normativ sein. In jedem abstrakteren Modell ist es letztlich Interpreta­tionsfrage, welche Be­standteile man für empirisch oder analytisch anzusehen gewillt ist.

Mit dem mehr oder weniger heimlichen Positivismus von Robinson und Habermas hat sich Müller (1969a) auseinandergesetzt. Seine Devise lautet: Zurück zu Marx und zur richtig ver­standenen AWT! Die selten so einmütige Ablehnungsfront gegen die AWT hat jedoch bei eini­gen „reflektierteren" Mar­xisten auch nur den aus der „bürgerlichen" Ökonomie so wohl be­kann­ten Verteidigungsreflex aus­ge­löst. Es wird an einer irgendwie begründete Existenzbe­rech­tigung der präferierten Theorie festge­hal­ten, ihr empirischer Erklärungsanspruch wird jedoch mehr oder weniger ausdrücklich fallen gelassen. Dies erinnert leider nur zu sehr an das ge­wohnte Bild der Defensivreaktionen neoklassischer Öko­no­men, wie es Weimann (1989a [3]) explizit durch seine eigens dafür geschaffene Methodologie zu legiti­mie­ren gesucht hat. Die hiermit so locker präskribierte Methodologie entpuppt sich als ein einzig­ar­tiges Programm zur Rettung der bedrohten speciesneoklassische Ökonomie" und fällt eindeutig unter die Rubrik „Exhaustionismus" (Wuchere mit den Pfunden, so Du hast!). Doch ein en détail ausgeführter Dog­matismus immer schon die halbe Kritik seiner selbst ist. Denn wir brauchen nur noch fest­zu­halten, dass wir diesen Dogmatismus weder wollen noch brauchen. Argumente dafür stür­men dem Be­trachter dieses methodologisch schlecht maskierten Ideologie-Idylls förmlich ent­gegen. Insbe­son­dere aber will nicht einleuchten, warum Weimann fordert, die Optimalität von Systemen nachzu­weisen, die eingestandenermaßen nur in der Einbildung der zu dieser Sekte zählenden Ökonomen existie­ren. Oder gilt etwa dieses Eingeständnis nur für Sektenange­höri­ge?! Aber vielleicht gibt es in einer ma­the­matischen oder theologischen Fakultät eine Nische für solche Konstrukteure dieses ökonomischen Nirwana.



[1]) „Ich halte die Werttheorie Marxens, die gewöhnlich bei den Marxisten sowie bei den Gegnern des Marxismus als ein Eckstein des marxistischen Gebäudes gilt, für einen ziemlich unwichtigen Bestandteil (...) ... würde sich die Position des Marxismus nur verbessern, wenn man zeigen könnte, dass sich seine entscheidenden historisch-politischen Lehren völlig unabhängig von einer so umstrittenen Theorie entwickeln lassen."

[2]) So weist Schefold (1990a:306) in einer Besprechung von Thweatt auf folgende Problem­situati­on hin: "Peach wendet sich dann der Arbeitswertlehre und dem unveränderlichen Wertmaß zu, wo die einen (Stigler) den Rückgriff auf die Arbeitswertlehre empirisch begründen, während die ande­ren (etwa Blaug) eine 'philosophisch' fundierte Vorliebe für die Stützung des Wertbegriffs auf verkör­per­te Arbeit vermuten. Zu wenig wird bedacht, dass eine Theorie der Preise im langfristigen Gleich­ge­wicht unter Beachtung des Surplusprinzips vor der Entwicklung der modernen analytischen Methoden ohne die Arbeitswertlehre (d. h. ohne Darstellung der Preise als modifi­zier­ter Arbeitswerte) gar nicht entwickelt werden konnte - jedenfalls kennen wir keine Alternative."

[3]) „Offensichtlich muss die durch spezielle Eigenschaften des Erkenntnisobjekts provozierte Unbestimmtheit von Forschungsgegenstand und -methode durch ein Wissenschaftsintern definier­tes Regulativ korrigiert werden, und dieses notwendige Regulativ besteht in der Festschreibung eines für die ökonomische Theorie verbindlichen Theoriebegriffs." (1989a:254) „Das Kriterium der Wissenschaftlichkeit nicht-empirischer Theorien besteht darin, dass eine solche Theorie eine zulässige Anwendung der paradigmatischen Theorie sein muss." (1989a:255) „Gegeben die Vor­aussetzung, dass es eine Wissenschaftliche Gemeinschaft neoklassischer Ökonomen gibt und dass diese mit der allgemeinen Gleichgewichtstheorie über eine paradigmatische Theorie T verfügt, be­darf es als letztes der Unterstellung eines bestimmten Erkenntnisinteresses, bezüglich dessen die in T fixierten Annahmen über Motive rationalen Handelns funktional sind. Ein solches Erkennt­nisin­teresse könnte darin bestehen, die grundsätzliche Funktionsfähigkeit und die Optimalität dezen­tra­ler Allokationssysteme nachzuweisen." (1989a:260)

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