Dies ist der gebündelte Versuch einer Replik auf: Karl R. Popper, Das Elend des Historizismus, was eine Replik darstellte auf: Karl Marx, Das Elend der Philosophie, was eine Replik darstellte auf: Proudhon, Die Philosophie des Elends

22.02.2007

Theorienpluralismus

Der Theorienpluralismus oder theoretische Pluralismus ist keine Zustandsbeschreibung einer (chaotischen) Wissenschaftsdisziplin, sondern die mit dem Fallibilismus einhergehende methodologische Aufforderung, um vergleichende Kritik überhaupt durchführen zu können, zu einer zu beurteilenden wissenschaftlichen Position möglichst viele brauchbare Alternativen aufzusuchen oder zu konstruieren.

Der Theorienpluralismus setzt also Fallibilismus als Methodologie des Erkenntnisfortschritts erst in Gang, weil er Theorienbewertung ermöglicht. Er stützt sich selbst auf die erkenntnispsychologische Einsicht, dass empirische Tatsachen erst im Lichte von Theorien entstehen und für das Erkennen relevant werden; zudem sind metaphysische System für die empirische Erkenntnis nicht schlechthin wertlos, weil sie als Erkenntnisprogramme eingesetzt werden können zur Erzeugung neuer empirisch-wissenschaftlicher Theorien.

Paul K. Feyerabend, Problems of Empiricism, in: R. G. Colodny, (ed.), Beyond the Edge of Certainty, Essays in Contemporary Science and Philosophy, vol. II, Englewood Cliffs, N.J. 1965

Paul K. Feyerabend, How to Be a good Empiricist, in: Philosophy of Science, The Delaware Seminar, vol. II, 1963

Helmut F. Spinner, Theoretischer Pluralismus, in: Hans Albert, (Hrg.), Sozialtheorie und soziale Praxis, Eduard Baumgarten zum 70. Geburtstag, Meisenheim 1971, S. 17ff

Hans Albert, Traktat über kritische Vernunft, Tübingen 4. verb. Aufl. 1980

Helmut F. Spinner, Pluralismus als Erkenntnismodell, Frankfurt 1974

Diemer, A. et al. (Hrsg.): Der Methoden- und Theorienpluralismus in den Wissenschaften, Meisenheim am Glan 1971

21.02.2007

Marxens Proudhon-Kritik

Marx verlangt von den "wirklichen Voraussetzungen" auszugehen.

Damit ist weder eine Rechtfertigungsstrategie oder Begründungsversuch im Sinne Böhm-Bawerks zu verstehen.

Noch im Sinne des Positivismus als den angeblich positiven "realen Fakten"; denn dass die Erfahrungstatsachen theorieabhängig sind, das weiß Marx als Kenner des deutschen Idealismus sowieso.

Damit fordert Marx, an die jeweils gegebene konkrete Realität in ihrer geschichtlichen Gewordenheit als soziale Totalität heranzugehen mit der Methodologie der materialistischen Geschichtsbetrachtung:

Analyse der vorliegenden Produktionsweise (der Produktionsverhältnisse inkl. Eigentumsverhältnisse und der Produktivkräfte), und damit schließlich zum Überbau überzugehen (Staat, Religion, Wissenschaft, Kunst usw.).

Insofern lässt sich Marxens Aufsteigen vom Konkreten zum Abstrakten (Abstraktion – Synthese) mit Mertons Forderung, zur Bildung von soziologischer Theorie im ersten Schritt zunächst Theorien mittlerer Reichweite zu suchen, parallelisieren.

Eine Theorie erweist sich als wirklichkeitsnah, wenn es ihr gelingt, konsistent die Tatsachen zu erklären. Dazu müssen die abstrahierten Begriffe logisch das verbinden, was in der Realität miteinander verbunden ist (Wirkungsmechanismen).

Kritisierte Gegenposition / Interdependenz: Es ist hoffnungslos, ein interdependentes System (bzw. Totalität), wie etwa Arbeitsteilung, Tausch, Warenproduktion, Eigentum aus einem einzigen Axiom oder Ausgangsthese herauszukonstruieren. Proudhons Anknüpfungspunkt ist beliebig; er läuft quasi im Kreis herum.

"Die Produktionsverhältnisse jeder Gesellschaft bilden ein Ganzes."

[Marx: Das Elend der Philosophie, S. 158. Digitale Bibliothek Band 11: Marx/Engels, S. 2465 (vgl. MEW Bd. 4, S. 130)]

Kritisierte Gegenposition / Dialektik:

Proudhons "Dialektik" wirft Marx vor, dass sie nach vorgefassten Begriffen konstruiert und die Tatsachen nachträglich gewaltsam anpasst.

"Die ökonomischen Kategorien sind nur die theoretischen Ausdrücke, die Abstraktionen der gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse. Herr Proudhon stellt als echter Philosoph die Dinge auf den Kopf und sieht in den wirklichen Verhältnissen nur die Fleischwerdung jener Prinzipien, jener Kategorien, die, wie uns wiederum Herr Proudhon, der Philosoph, sagt, im Schoß der »unpersönlichen Vernunft der Menschheit« schlummerten."

[Marx: Das Elend der Philosophie, S. 157. Digitale Bibliothek Band 11: Marx/Engels, S. 2464 (vgl. MEW Bd. 4, S. 130)]

Proudhon arbeitet mit Äquivokationen (Gebrauchswert = Seltenheit = Nützlichkeit = Angebot, Tauschwert = Meinung = Nachfrage). Die Begriffe werden solange gequält, bis das gewünschte Resultat herauskommt: der konstituierte Wert = Gerechtigkeit.

"Worin besteht somit die ganze Dialektik des Herrn Proudhon? Darin, daß er für Gebrauchs- und Tauschwert, für Angebot und Nachfrage abstrakte und sich widersprechende Begriffe setzt, wie Seltenheit und Überfluß, Nützlichkeit und Meinung, einen Produzenten und einen Konsumenten, beide Ritter vom freien Willen.
Und worauf wollte er hinaus?
Sich das Mittel freihalten, früher oder später eines der ausgemerzten Elemente, die Produktionskosten, einzuführen als die Synthese zwischen Gebrauchswert und Tauschwert. Und so bilden denn in seinen Augen die Produktionskosten den synthetischen oder konstituierten Wert."
[Marx: Das Elend der Philosophie, S. 49. Digitale Bibliothek Band 11: Marx/Engels, S. 2356 (vgl. MEW Bd. 4, S. 76-77)]

Marx verbittet sich Robinsonaden als abstrakt, asozial und ahistorisch (weist in diesem schlechten Sinne den heute sog. methodologischen Individualismus zurück):

"Die Mitarbeiter und die verschiedenen Tätigkeitszweige, Arbeitsteilung und Austausch, den letztere in sich begreift, sind da, vom Himmel gefallen."
[Marx: Das Elend der Philosophie, S. 32. Digitale Bibliothek Band 11: Marx/Engels, S. 2339 (vgl. MEW Bd. 4, S. 68)]

Das heißt indes nicht, dass Marxens Methodologie "kollektivistisch" ist bzw. ausschließlich mit Kollektivbegriffen arbeitet (wie alternativ-radikalistisch von Vanberg dargestellt).

Allerdings verwendet er, inspiriert durch Hegels Dialektik, Kategorien als soziale Formen (Wertform, Tauschwert, Geld, Arbeitskraft, Kapital usw.), die einen bestimmten gesellschaftlichen Inhalt sowie eine widersprüchliche dynamische Entwicklung haben.

Hiermit haben dann Ricardianer und überhaupt landläufige Mainstream-Ökonomen das Problem, der Marxschen Theorieperspektive zu folgen bzw. überhaupt richtig zu fassen, dass Marxens Anliegen Politische Ökonomie und nicht Entscheidungslogik oder höhere Wirtschaftsmathematik ist.

"Die Ökonomen erklären uns, wie man unter den obigen gegebenen Verhältnissen produziert; was sie uns aber nicht erklären, ist, wie diese Verhältnisse selbst produziert werden, d.h. die historische Bewegung, die sie ins Leben ruft. Herr Proudhon, der diese Verhältnisse als Prinzipien, als Kategorien, als abstrakte Gedanken nimmt, hat nur diese Gedanken in eine bestimmte Ordnung zu bringen, die sich bereits in alphabetischer Reihenfolge am Schlüsse jeder Abhandlung über politische Ökonomie vorfinden. Die Materialien der Ökonomen sind das bewegte und bewegende Leben der Menschen; die Materialien des Herrn Proudhon sind die Dogmen der Ökonomen. Sobald man aber die historische Entwicklung der Produktionsverhältnisse nicht verfolgt - und die Kategorien sind nur der theoretische Ausdruck derselben -; sobald man in diesen Kategorien nur von selbst entstandene Ideen, von den wirklichen Verhältnissen unabhängige Gedanken sieht, ist man wohl oder übel gezwungen, den Ursprung dieser Gedanken in die Bewegung der reinen Vernunft zu verlegen. Wie erzeugt die reine, ewige, unpersönliche Vernunft diese Gedanken? Wie stellt sie es an, um sie zu erzeugen?"

[Marx: Das Elend der Philosophie, S. 150. Digitale Bibliothek Band 11: Marx/Engels, S. 2457 (vgl. MEW Bd. 4, S. 126)]

Was Marx außerdem nicht ausstehen kann, weder persönlich noch wissenschaftlich, ist die "moralisierende Kritik", d.h. in der Ökonomie mit Moralbegriffen von Gut und Böse zu hantieren und gar noch aus solchen fertigen Werturteilen die Wirklichkeit erklären zu wollen..

Politische Änderungsmöglichkeiten müssen aus den sich wandelnden historischen Bedingungen und von den objektiven Interessen, möglichen Zielvorstellungen und Ressourcen der relevanten Handlungssubjekte abgeleitet werden (damit sind wir wieder zurück bei der materialistischen Geschichtsbetrachtung sowie der Klassenanalyse).

(Karl Marx, Die moralisierende Kritik und die kritisierende Moral, MEW 4:331-359)

Proudhons "Dialektik"

1° L'idée contradictoire de valeur, si bien mise en lumière par la distinction inévitable de valeur utile et valeur en échange, ne vient pas d'une fausse apperception de l'esprit, ni d'une terminologie vicieuse, ni d'aucune aberration de la pratique : elle est intime à la nature des choses, et s'impose à la raison comme forme générale de la pensée, c'est-à-dire comme catégorie. Or, comme le concept de valeur est le point de départ de l'économie politique, il s'ensuit que tous les éléments de la science, - j'emploie le mot science par anticipation, - sont contradictoires en eux-mêmes et opposés entre eux; si bien que sur chaque question l'économiste se trouve incessament placé entre une affirmation et une négation également irréfutable. L'ANTINOMIE enfin, pour me servir du mot consacré par la philosophie moderne, est le caractère essentiel de l'économie politique, c'est-à-dire tout à la fois son arrêt de mort et sa justification.

Antinomie, littéralement contre-loi, veut dire opposition dans le principe ou antagonisme dans le rapport, comme la contradiction ou antilogie indique opposition ou contrariété dans le discours. ... l'antinomie est la conception d'une loi à double face, l'une positive, l'autre négative: telle est, par exemple, la loi appelée atttraction, qui fait tourner les planètes autour du soleil, ...

L'antinomie ne fait qu'exprimer un fait, et s'imposer impérieusement à l'esprit : la contradiction proprement dite est une absurdité. Cette distinction entre l'antinomie (contra-lex) et la contradiction (contra-dictio) montre en quel sens on a pu dire que, dans un certain ordre d'idées et de faits, l'argument de contradiction n'a plus la même valeur qu'en mathématiques.

Während bei der Kontradiktion die gegenteilige Behauptung wahr sein muss, sei das bei der Antinomie nicht der Fall, das Gegenteil ist genauso unwahr.

La contradiction est toujours synonyme de nullité; quant à l'antinomie, que l'on appelle quelquefois du même nom, elle est, en effet, l'avant-coureur de la vérité, à qui elle fournit pour ainsi dire la matière; mais elle n'est point la vérité, et, considérée en elle-même, elle est la cause efficiente du désordre, la forme propre du mensonge et du mal.

L'antinomie se compose de deux termes, nécessaires l'un à l'autre, mais toujours opposés, et tendant réciproquement à se détruire.

thèse – anti-thèse

Nous verrons tout à l'heure, comment de la combinaision de ces deux zéros jaillit l'unité, ou l'idée, laquelle fait disparaître l'antinomie.

2° ... Mais les économistes, demeurés pour la plupart, et par une inconcevable fatalité, étrangers au mouvement philosophique, n'avaient garde de supposer que le caractère essentiellement contradictoire, ou, comme ils disaient, variable de la valeur. fût en même temps le signe authentique de sa constitutionnalité, je veux dire de sa nature éminemment harmonique et déterminable.

(103) Comme les pôles de la pile, l'offre et la demande sont diamétralement opposées, et tendent sans cesse à s'annuler l'une l'autre; c'est par leur antagonisme que le prix des choses ou s'exagère ou s'anéantit : on veut donc savoir s'il n'est pas possible, en toute occasion, d'équilibrer ou faire transiger ces deux puissances, de manière que le prix des choses soit toujours l'expression de la valeur vraie, l'expression de la justice.

Pierre-Joseph Proudhon, Système des contradictions économiques, ou philosophie de la misère.

Nouvelle Édition publiée avec des notes et des documents inédits sous la direction de C. Bouglé et H. Moysset. Introduction et notes de Roger, Œuvres Complètes, Band I, Slatkine Genève-Paris 1982, ISBN 2-05-100362-9

S. 98 ff.

20.02.2007

Geschichtsphilosophie à la Proudhon

Proudhon verwendet die Voraussetzung, dass es eine Gott gebe, wie schon die Theologen vor ihm, um Ordnung und Fortschritt der Welt zu erklären; als Grund der Sicherheit der Wahrheitserkenntnis.

"J'ai besoin de l'hypothèse de Dieu, non seulement, comme je viens de le dire, pour donner un sens à l'histoire, mais encore pour légitimer les réformes à opérer, au nom de la science, dans l'État."

Proudhon, Contradictions, S. 53

Wie Hegel ist Proudhon Geschichte der Philosophie und Philosophie der Geschichte und Metaphysik eines.

"Les philosophes modernes, après avoir recueilli et classé leurs annales, ont été conduits par la nature de leurs travaux à s'occuper aussi d'histoire : et c'est alors qu'ils ont vu, non sans surprise, que l'histoire de la philosophie était la même chose au fond que la philosophie de l'histoire; de plus, que ces deux branches de la spéculation, en apparence si diverses, l'histoire de la philosophie et la philosophie de l'histoire, n'étaient encore que la mise en scène des conceptions de la métaphysique, laquelle est toute la philosophie."

Proudhon, Contradictions, S. 168

Die Preisfragen der Akademie

Die Académie des Sciences morales et politiques hatte folgende Preisfragen gestellt (S. 56 ff.):

1) Déterminer les faits généraux qui règlent les rapports des profits avec les salaires, et ex expliquer les oscillations respectives

2) Quelles sont les causes de la misère ?

3) Quelles sont les applications les plus utiles qu'on puisse faire du principe de l'association volontaire et privée au soulagement de la misère ?

4) Exposer la théorie et les principes du contrat d'assurance, en faire l'histoire, et déduire de la doctrine et des faits les développements que ce contrat peut recevoir, et les diverses applications utiles qui pourraient en être faites dans l'état de progrès où se trouvent actuellement notre commerce et notre industrie

5) Examen critique du système d'instruction et d'éducation de Pestalozzi, considéré principalement dans ses rapports avec le bien-être et la moralité des classes pauvres

6) Quelle influence les progrès et le goût du bien-être matériel exercent-ils sur la moralité d'un peuple?

7) Démontrez comment les progrès de la justice criminelle, dans la poursuite et la punition des attentats contre les personnes et les propriétés, suivent et marquent les âges de la civilisation depuis l'état sauvage jusqu'à l'état des peuples les mieux policés

8) Retracez les phases diverses de l'organisation de la famille sur le sol de la France, depuis les temps anciens jusqu'à nos jours

Pierre-Joseph Proudhon, Système des contradictions économiques, ou philosophie de la misère. Nouvelle Édition publiée avec des notes et des documents inédits sous la direction de C. Bouglé et H. Moysset. Introduction et notes de Roger, Œuvres Complètes, Band I, Slatkine Genève-Paris 1982, ISBN 2-05-100362-9

1) Bestimmen Sie die allgemeinen Tatsachen, die die Beziehungen zwischen Profiten und Löhnen regeln, und erklären Sie die diesbezüglichen Schwankungen!

2) Was sind die Ursachen von Armut?

3) Wie kann man am nützlichsten vom Prinzip der freiwilligen und privaten Vereinigung Gebrauch machen, um die Armut zu bekämpfen?

4) Entwickeln Sie Theorie und Grundsätze des Versicherungsvertrages, und welche nützlichen Anwendungen man daraus für den wirtschaftlichen Fortschritt ziehen kann!

5) Überprüfen Sie kritisch die Pädagogik Pestalozzis, insbesondere im Hinblick auf das Wohlbefinden und die moralische Erziehung der unteren Klassen!

6) Wie beeinflussen der Fortschritt im und die Vorliebe für das materielle Wohlstand die Moral eines Volkes?

7) Zeigen Sie, wie der Fortschritt der Strafjustiz gegenüber Angriffen auf Personen oder Eigentum den zivilisatorischen Fortschritt begleitet haben!

8) Untersuchen Sie die unterschiedlichen geschichtlichen Entwicklungsstadien der Familie in Frankreich!

Kritikimmunität

Kritikimmunität ist ein absichtlich oder unabsichtlicher herbeigeführter Schutz bestimmter Aussagen oder Aussagensysteme vor Kritik, die ausschließlich durch die hierbei angewandte Formulierungsweise erlangt wird.

Kritikimmunität kann man für jede Behauptung oder Argument durch bestimmte Strategien selber herstellen, indem man bestimmte Strategien einsetzt, zum Beispiel Tautologisierung oder konventionalistische Strategien, Ceteris paribus-Klauseln usw.

Indem Aussagen oder Aussagensysteme gegen Kritik immunisiert werden (wie etwa formale Modelle in der Ökonomie: Modellplatonismus; Dogma), wird in demselben Maße auch ihr Informationsgehalt reduziert.

Anders ausgedrückt: Wer sich dafür entscheidet, unter allen Umständen immer recht behalten zu wollen (d.h. bei seinen buchstäblich gemachten Aussagen bleiben zu wollen), der muss darauf verzichten, präzise Informationen zu geben (Leerformel).

In Gegensatz zu Vertretern einer Rechtfertigungsstrategie setzt die Strategie des Fallibilismus (Kritischer Rationalismus) darauf, auch vorerst unbegründete Aussagen zu riskieren, die relevante Dinge zu erklären beanspruchen, und diese sodann schärfster Kritik auszusetzen, um sie rational zu überprüfen:

1. Schritt: Konstruktion, 2. Schritt: Kritik.

Literatur

  • Hans Albert, Tautologisches und Ideologisches, Schweizerische Zeitschrift für Volkswirtschaft und Statistik, 90, 1954, S. 219
  • Hans Albert, Konstruktion und Kritik. Aufsätze zur Philosophie des kritischen Rationalismus, Hamburg 1972

Weblinks

17.02.2007

Pfadabhängigkeit

Pfadabhängigkeit kennzeichnet einen Prozess oder Abfolge in einer Kausalkette von Ereignissen, bei welchem Ereignisse, die zeitlich früher liegen, die Auftretenswahrscheinlichkeit von zeitlich späteren Ereignissen beeinflussen bzw. beschränken.

Der Startpunkt kann wie andere wichtige Punkte in der Ereigniskette als eine für die Zukunft Konsequenzen reiche Entscheidungssituation angesehen werden. Wenn der Pfad als Entscheidung in Situationen unter Zwängen oder Kosten und Ressourcen (Hilfsmitteln) und Belohnungen betrachtet wird, so kann man von Selbstverstärkung eines gewählten Pfades sprechen durch die Höhe der Investitionen in die einmal gewählte Entscheidung (Startkosten), Kostensenkung durch Lerneffekte, Synergieeffekte durch gleichlaufende Änderungen in der Umwelt ebenso wie in der Binnenorganisation selbst.

Das Konzept der Pfadabhängigkeit wird eingesetzt insbesondere von der Theorie des strategischen Managements sowie allgemein von Erklärungsansätzen der Stabilität und des Wandels von Institutionen, z. B. variierende und sich ändernde Formen des Kapitalismus.

Literatur

  • Richard Deeg, Path Dependency, Institutional Complementarity, and Change in National Business Systems, in: Glenn Morgan, Richard Whitley, Eli Moen, Changing Capitalisms? Internationalization, Institutional Change, and Systems of Economic Organization, Oxford University Press 2005, ISBN 0-19-927563-7
  • Paul Pierson, Increasing returns, Path Dependence, and the Study of Politics, American Political Review 2000, 94:251-67
  • Douglas North, Institutions, Institutional Change and Economic Performance, Cambridge: Cambridge University Press 1990
  • James Mahoney, Path Dependence in Historical Sociology. Theory and Society 2000, 29:507-48

Weblinks

Begriffsbestimmung "Islamismus"

"In Abgrenzung zur Religion des Islam versteht man unter Islamismus eine ideologische Ausrichtung, die mit friedlichen oder gewaltsamen Mitteln kompromisslos eine radikale Anwendung islamischer Normen im religiösen und staatlichen Bereich fordert. Islamisten gehen davon aus, dass die Bestimmungen des Korans und der Sunna eine alle Lebensbereiche regelnde Ordnung vorgeben, der sich jede Staatsgewalt zu unterwerfen hat. Sie lehnen dabei nicht nur die zentralen Errungenschaften der Demokratie wie Individualität, Menschenrechte, Pluralismus und Säkularisierung ab, sondern formulieren zudem eine konkrete politische Zukunftsvision, die auch in Deutschland eine fundamentale Änderung der Gesellschaftsordnung hin zu einer absoluten Herrschaft des Islam im Rahmen eines islamischen Gottesstaates abzielt. Ziel von Islamisten in Deutschland ist es, die Anerkennung islamischer Rechtsnormen zu erwirken und innerhalb Deutschlands eine islamische Binnengesellschaft mit weniger Grundrechten und Freiheiten zu schaffen. Diese Bestrebungen richten sich frontal gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland.

Innerhalb der dieser Doktrin folgenden islamistischen Gruppierungen lassen sich der militante 'terroristische Islamismus' und der in seiner Gefährlichkeit oftmals unterschätzte 'politische Islamismus' unterscheiden."

Günther Beckstein, Islamismus – Konsequenzen im Sicherheitsbereich, Aufklärung und Kritik, Sonderheft 13 / 2007: Schwerpunkt Islamismus, hrg. Gesellschaft für kritische Philosophie Nürnberg, ISSN 0945-6627, S. 19

15.02.2007

Katastrophentheorie der Kontradiktion

Wer die Katastrophentheorie der Kontradiktion vertritt, befürchtet, dass unser Denken schlagartig in chaotische Verhältnisse gerät, sobald wir auch nur eine einzige Kontradiktion zulassen (Klaus 1972:54; Popper 1984:51f).

Dahinter verbirgt sich jedoch ein Fehlschluss von einer in der Logik gültigen Regel auf eine methodologische Maxime, die praktisch meist so nicht brauchbar ist oder zu unerwünschten Konsequenzen führt.

Die in der Logik gültige Regel: Wenn in einer logischen Schlussfolgerung eine Kontradiktion, also ein logischer Fehler, auftritt, so ist die gesamte Schlussfolgerung falsch. Denn in der (zweiwertigen) Logik gilt: Entweder falsch oder wahr!

Es ist somit 1. richtig, dass Kontradiktionen möglichst vermieden werden sollten. Es ist aber 2. falsch, dass jedes Aussagensystem, sobald es eine Kontradiktion enthält, insgesamt für die Erkenntnis völlig wertlos ist.

Zum Beispiel wird ein Bilanzbuchhalter, dessen Kontenabschluss nicht stimmt, nicht deswegen alle Berechnungen wegwerfen und mit seiner Arbeit ganz von vorne beginnen. Es stellen sich Fragen: Kann man die Fehlerquelle einkreisen? Wie wichtig ist dieser Fehler, bezogen auf das Gesamtergebnis? Andere Beispiele wären in der Ökonomie das Transformationsproblem oder die Kapitalkontroverse. Wer die Katastrophentheorie vertritt, müsste bei erfolgreichem Nachweis der behaupteten Kontradiktionen auf Rauswurf dieser Theorien aus der Wissenschaft bestehen! Die Forschungspraxis zeigt, dass die beteiligten Fachwissenschaftler minder logisch rigoros denn praktischer denken und nichts wegwerfen, solange sie nichts Besseres haben.

Man kann auch häufig mit Aussagensystemen arbeiten, die fehlerhaft sind, die aber zu praktischen Zwecken dennoch oft brauchbare Resultate liefern (Popper 1984:59); man nehme zum Beispiel die idealtypische Hypothese eines rational Handelnden.

Die Kurzschlüssigkeit der Katastrophentheorie des Widerspruchs wird vermieden, wenn man bei einem Aussagensystem (bzw. einer wissenschaftlichen Theorie) unterscheidet zwischen seiner Wahrheit (oder logischen Richtigkeit) und der methodologischen Entscheidung, ob wir es weiterhin benutzen wollen oder nicht.

Außerdem darf nicht übersehen werden, dass der Nachweis einer logischen Kontradiktion erst einmal voraussetzt, dass eine Theorie bzw. ein Aussagensystem befriedigend formalisiert worden ist. Falls in einer Formalisierung F(1) eine Kontradiktion auftritt, wird man wohl zunächst vermuten, dass diese Formalisierung (F1) nicht recht gelungen ist; nicht aber unbedingt sofort, dass die zugrunde liegende Theorie widersprüchlich ist.

Ein Sonderfall ist hier Hegels Dialektik, die Popper (1984:51f) so interpretiert, dass hier Widersprüche 1. unvermeidlich und 2. erwünscht sind. Dies ist gewiss ein Missverständnis, da in Hegels philosophischem Reflektieren sich die Antinomien von Begriffen selber kritisieren und zu neuen Antinomien aufheben – man kann davon halten, was man will, aber Popper verfehlt wohl das Ziel, wenn er diese Aufgabenstellung mit den einfachsten Mitteln der formalen Logik angeht.


Literatur

  • Helmut F. Spinner, Pluralismus als Erkenntnismodell, Frankfurt 1974
  • Georg Klaus, Moderne Logik, Berlin 1972
  • Karl R. Popper, Logik der Forschung, Tübingen 8. verb. u. verm. Aufl. 1984
  • Imre Lakatos, The Methodology of Scientific Research Programmes, Cambridge 1978

14.02.2007

Katastrophentheorie der Kontradiktion

Vertreter der Katastrophentheorie der Kontradiktion befürchten, dass unser Denken augenblicklich in chaotische Verhältnisse gerät, sobald wir auch nur eine einzige Kontradiktion zulassen (Klaus 1972:54).
In ähnlicher Weise begründet Popper seine Kritik an Hegels Dialektik:
"Denn die Kritik besteht immer in dem Aufweis gewisser Widersprüche oder Diskrepanzen, und der wissenschaftliche Fortschritt besteht hauptsächlich in der Beseitigung von Widersprüchen, wo immer sie auftreten. Aber das bedeutet, dass das Vorgehen der Wissenschaft auf der Annahme der Unzulässigkeit und Vermeidbarkeit von Widersprüchen beruht, was zur Folge hat, dass die Entdeckung eines Widerspruchs den Wissenschaftler zwingt, alles zu seiner Beseitigung zu unternehmen; und es ist wirklich so, dass die Wissenschaft zusammenbrechen muss, sobald auch nur ein Widerspruch zugelassen wird. Aber Hegel zieht aus seiner dialektischen Triade einen ganz anderen Schluss. Da Widersprüche die Mittel sind, durch die die Wissenschaft fortschreitet, so zieht er den Schluss, dass Widersprüche nicht nur zulässig und unvermeidlich, sondern auch in hohem Maße erwünscht seien. Das ist eine Lehre, die jedes Argument und jeden Fortschritt zerstören muss. Denn wenn Widersprüche unvermeidbar und erwünscht sind, dann besteht kein Bedürfnis zu ihrer Beseitigung, und damit muss aller Fortschritt enden." (Popper 1984:51f)
Popper räumt indes selber ein:
„...wir arbeiten ja oft mit Sätzen, die eigentlich falsch sind, dabei aber Resultate liefern, die für gewisse Zwecke genügen." (Popper 1984: 59)
Das besagt nichts Anderes als: Wir müssen zwischen dem formallogischen Aspekt und dem pragmatischen Aspekt von Kontradiktionen unterscheiden.
"Good theorizing may be born of illogical and ill-defined progenitors. The critical point is to know the difference." (Markovsky 1996:35)
Logische Widerlegungen einer in einer bestimmten nichtlogischen Sprache formulierten Theorie A sind immer nur im Rahmen einer formalen Rekonstruktion A’ dieser Theorie A möglich. Eine definitive logische Widerlegung setzt indessen voraus:
1. eine Explikation A’ der Theorie A,
2. der Nachweis, dass A’ die einzig sinnvoll mögliche Explikation von A darstellt,
3. der Nachweis, dass eine nachweisbare Kontradiktion k in A’ für A wesentlich und unaufhebbar ist.
Diese Forderungen sind nicht leicht zu erfüllen. In der Regel wird eine Kontradiktion wohl eher der Explikation A’ als der zugrunde gelegten Theorie A zu Last gelegt werden. Helmut F. Spinner verweist daher auf die Kritik der Popperschen Katastrophentheorie, die diese und die damit verbundene Auffassung der Sofort-Rationalität („instant rationality") durch Imre Lakatos (1978) erfahren hat:
"Am Rande kann hier auch Lakatos' Kritik des Mythos der Moment-Rationalität ('instant rationality'), auf dem auch die Poppersche Katastrophentheorie des Widerspruchs beruht, erwähnt werden. Relevant ist hier auch Lakatos' Kritik der daraus implizit abgeleiteten, buchstäblich kurzschlüssigen identifizierenden Kopplung von Widerlegung und Verwerfung wissenschaftlicher Theorien im Popperschen Falsifikationskonzept. Dagegen stellt Lakatos mit überzeugenden Argumenten die logische Unabhängigkeit der Akzeptierungsproblematik von der Geltungsproblematik heraus und schlägt im Anschluss an eine detaillierte Analyse der vielschichtigen Problemsituation unabhängige, differenzierte Akzeptierbarkeitsbegriffe und -kriterien vor." (Spinner 1974:214)

Literatur

  • Helmut F. Spinner, Pluralismus als Erkenntnismodell, Frankfurt 1974
  • Georg Klaus, Moderne Logik, Berlin 1972
  • Karl R. Popper, Logik der Forschung, Tübingen 8. verb. u. verm. Aufl. 1984
  • Imre Lakatos, The Methodology of Scientific Research Programmes, Cambridge 1978
  • Barry Markovsky, THEORY, SCIENCE, AND "MICRO-MACRO" BRIDGES IN STRUCTURAL SOCIAL PSYCHOLOGY, CURRENT RESEARCH IN SOCIAL PSYCHOLOGY, 1, 4, 1996, pp. 30

12.02.2007

Theorie der Rationalität

Jedenfalls verweist Bartleys (1987a:90) Vorstoß darauf, dass für Fallibilisten die Explikation ei­ner Rationalitätstheorie so wie einer darauf bezüglichen Methodologie unabdingbar ist:

„Ich behaupte daher, dass die ständige Integritätskrise, in die Rationalisten regelmäßig geraten, oder in die sie hinein gezwungen werden, ihre Ursache in einer vernachlässigten Identitätskrise in der rationa­li­sti­schen Tradition hat. Vernachlässigt ist sie zum Teil deswegen, weil die Philosophen es im Allge­mei­nen verabsäumen, sich ebenso um die Entwicklung einer Rationalitätstheorie zu bemühen wie um die ei­ner Erkenntnistheorie. Wegen dieser Krisen ist das wertvolle Faktotum im Hause des Irrationalisten - das Tu-quoque-Argument - die Leiche im Keller des Rationalisten. Rationalisten sind zu sehr einem Ra­ti­onalitätsbegriff oder einer rationalistischen Identität verpflichtet, die zu erlangen unmöglich ist, und die unvermeidliche Enttäuschung ihrer Bemühungen, dieser übermäßigen Verpflichtung gerecht zu wer­den, hindert sie daran, Integrität zu erlangen. Gleichzeitig versetzt dieses Unvermögen der rati­ona­li­sti­schen Tradition, ihre Identitätskrise zu lösen, viele Irrationalisten ganz unabhängig von ihren Bin­dun­gen in die Lage, ihre eigene Identität ohne Integritätsverlust zu wahren."

Eine solche Rationalitätstheorie und eine vollständig ausgeführte fallibilistische Methodologie müssen dann allerdings einiges mehr leisten und umfassen, als Popper in seiner „Logik der For­schung" abgehandelt hatte:

"... any fallibilist theory of rationality invites a fallibilist theory of the selection and of the use of theo­ries."(Wettersten 1996a:98)

Worauf wird zurückgeführt?

„Die Frage nach der Möglichkeit oder Unmöglichkeit einer Letztbegründung hängt schließlich davon ab, welche Art von Entitäten man als grundlegend betrachtet. Dass eine Letztbegründung logisch un­möglich ist, dürfte heutzutage allgemein anerkannt sein. Ob die Unmöglichkeit aber auch dann besteht, wenn die Entitäten, die beim Begründungsverfahren verwendet werden, solche von nicht-begrifflicher Art sind, ist zweifelhaft." (Reenpää 1974a:521)

Hegels Emanationen waren da noch begrifflicher Natur.

Es wird allerdings hier an diesem Punkte zumindest eines deutlich: dass die Erörterung sowohl von „Rechtfertigung" wie von „kriti­scher Widerlegung" nicht ohne die Bestimmung des Begriffs des logischen Denkens auskommt. Lakatos (1970a:99) übernimmt von Fries und Popper (1984a:60f) das Argument, dass Aussagen nur durch Aussagen begründet oder widerlegt werden können.

Ist aber unumstößlich, dass ei­ne Logik nur auf Grundlage von Aussagen möglich ist?

Es lässt sich nur die historische Tatsa­che feststellen, dass Kritische Rationalisten immer wieder eine bestimmte Gestalt von sym­bo­li­scher Logik fraglos als Rasiermesser der Kritik ansetzen. Diese Waffe ist jedoch kei­nes­wegs so hygienisch neutral, wie sie gerne glauben machen möchten. Vielmehr hat sich hier bei Pop­per an einigen ungepflegten Stellen eine zählebige Rasse platonischer Restproble­ma­ti­ken an­ge­siedelt. Wie jedoch Poppers Anti-Definitionismus schon andeutet, lässt sich logi­sches Den­ken äußerst schlecht auf formal Rekonstruierbares reduzieren.

Der Weg ist das Ziel

Mag diese Sackgasse uns heutzutage wie auch schon Platon und Aristoteles noch so offensichtlich sein, niemand kann im Voraus wissen, ob beim Durchlaufen einer Sackgasse bis zu ihrem toten Punkt (der sich aber doch praktisch nie errei­chen lässt, weil er sich immer weiter ins Unendliche hinausschieben lässt!) unterwegs nicht doch ein paar interessante Ergebnisse unseren Weg kreuzen. In solchem Falle gilt wie im touristischen Nor­malleben: Der Weg ist das Ziel. Doch ist denn die Wahl eines Weges minder pro­ble­ma­tisch als die Wahl eines Ziels? Hilft uns beim Wohin, wenn wir das Woher wissen?

„Es ist nemlich ein Unterschied, ob jener Bildungstrieb blind wirkt, oder mit Bewusstseyn, ob er weiss, woraus er hervorgieng und wohin er strebt. Denn diss ist der einzige Fehler der Menschen, dass ihr Bil­dungstrieb sich verirrt, eine falsche, überhaupt unwürdige Richtung nimmt, oder doch seine eigentümli­che Stelle verfehlt, oder, wenn er diese gefunden hat, auf halbem Wege, bei den Mitteln, die ihn zu sei­nem Zweck führen sollten, stehen bleibt. Dass dieses in hohem Grade weniger geschehe, wird dadurch ge­sichert, dass wir wissen, wovon und worauf jener Bildungstrieb überhaupt ausgehe, dass wir die we­sent­lichsten Richtungen kennen, in denen er seinem Ziele entgegengeht, dass uns auch die Umwege oder Abwege, die er nehmen kann, nicht unbekannt sind, dass wir alles, was vor und um uns aus jenem Trie­be hervorgegangen ist, betrachten aus als aus dem gemeinschaftlichen ursprünglichen Grunde her­vor­gegangen, woraus er mit seinen Producten überall hervorgeht..." (Hölderlin 3:258)

Eine meines Erachtens ausgezeichnete Übersicht über die aktuelle Diskussion erkenntnistheo­re­tischer Recht­fertigung gibt Grundmann(1997a). Das wichtigste Ergebnis eines solchen Aus­pro­bierens von Sackgassen scheint mir zu sein die Ergründung des Minenfelds bzw. der grund­legenden Struk­turen von Optionen, die systematisches Philosophieren aufzuweisen ver­mag. In solcher Wei­se geht die philosophische Forschung über in Systematologie (Kröner 1970a). Das syste­ma­ti­sche Moment darf dabei jedoch so stark überbetont werden, dass es den Übergang zu einem an­deren System zu einem derartigen Sprung werden lässt, bei dem man sich logisch den Hals bricht (Toulmin 1978a:123).

Radikaler Zweifel - eine Sackgasse?

Wenn FP die Annahmen, wovon er jeweils ausgeht, als vorläufig unproble­ma­tisch dahingestellt sein lässt, so schließt er für Habermas damit die Radikalität des Zweifelns aus.

Hier kann man in der Tat mit Hegel weiterfragen, ob mit dem Vorsatz des radikalen Zwei­felns nicht auch schon der Vorsatz des Zweifelns selbst, also die sog. cartesianische Metho­de bezweifelt werden müsse. Es scheint dann allerdings, dass wir damit nicht zu ei­nem voraussetzungslosen Anfang, sondern zu überhaupt keinem Anfang gelangen, vielmehr der Zweifel ohne einen beträchtlichen Schuss Dogmatismus nie zu seinem Ziel, nämlich einem Anfang gelangen könne.

Schon Hume (Kulenkampf 1981a:437) hatte gegenüber Descartes eingewandt, dass der radikale Zweifel ) unmöglich durchzuführen sei, so dass nach „Durchführung" des radikalen Zweifels der hübscheste Dogmatismus Platz greifen könne. Auch Poppers zahlreiche Anrufungen der Mu­se der Kritik haben allenthalben doch erstaunlich wenig Opfer unter seinen bevorzugten Grund­positionen gefordert. So hat es dem Fallibilisten Popper wenig Herzensmüh gekostet, ins­be­sondere gesellschaftspolitisch dem beschaulichsten Dogmatismus zu frönen. Ein kri­ti­sches Prinzip ward erfunden - was aber noch keinen Philosophen jemals daran gehindert hat, ein eben solches zu seinen persönlichen dogmatischen Zwecken auszubeuten.

Der Fehler liegt dar­in, dass das Prinzip der kritischen Prüfung zu schnell aufgegeben wird. So lässt Popper (1994b) als völlig befriedigend nur immanente Kritik zu. Außerdem darf FP eine RM-Philosophie nicht schon einfach dadurch für widerlegt halten, dass FP RM als letztlich undurchführbar nachweist (durch das Argument des Münch­hausen-Trilemma). Durch dieses grundsätzliche Argument ist man nicht schon der Kritik der Einzelthesen der jeweiligen Philosophie enthoben - denn FP darf sich gerade selbst nicht ohne Selbstwidersprüche auf die RM stützen, um mit der Wi­der­legung der Grundposition auch schon alle abgeleiteten Thesen als widerlegt zu bezeichnen ).

Also muss doch wohl der Fehler in der von Habermas geforderten Radikalität liegen? Dieses Pro­blem des Anfangs , von Hegel selbst schon mehrfach hin- und hergewälzt, stellt sich aber sowohl dem linear verfahrenden Fundamentalismus wie auch der meist zirkulär auf­tre­ten­den kohärenztheoretischen Variante der Rechtfertigungsstrategie. Freilich könnte eine Kohärenztheorie auch fallibilistisch gedeutet werden, mit der kritischen Prüfung als Vehikel des Fort­schreitens. Hegel verglich das didaktische Problem, wie und wo man zu spekulieren be­gin­ne, mit dem Problem des Schwimmenlernens auf dem Trockenen. Das Problem weist da­mit Analogie auf zum hermeneutischen Zirkel. Dass es Leute gibt, die schwimmen bzw. spre­chen können, darf als Hinweis gewertet werden, dass praktisch dieses Rätsel irgendwie lösbar sein muss, ebenso wie das berühmte Problem, wieso ein Läufer schneller sei als eine Schild­krö­te. Das Problem des Schwimmenlernens besteht hauptsächlich darin, die Furcht un­ter­zu­ge­hen bzw. die Angst vor dem Wasser zu überwinden. Die Lösung besteht also im Sprung ins Was­ser, und zwar dass dieser unter solchen Bedingungen erfolge, dass der Handlungsvollzug nicht durch plötzliche Einwirkung von außen sein abruptes Ende finde. Wo man ins Wasser springt, ist vergleichsweise belanglos (die Stelle muss nur entsprechend tief genug sein). Wichtig ist, dass man sich für eine gewisse Dauer über Wasser hält - ein strömungstechnisch keineswegs trivi­ales Problem. Nun ist zwar wenig darüber bekannt, ob Hegel ein guter Schwimmer war, obzwar er an den Gestanden des Neckar ) aufgewachsen sein soll. Dass Hegel sich aber trotz solch möglicher Einsichten mit der Frage des Anfangens weiterhin herumgeplagt hatte, deutet an, dass er sich von dem Rettungsring der Rechtfertigungsstrategie letzten Endes doch nicht los­zureißen vermochte.

Das Münchhausen-Trilemma

Habermas (1975a:16a):

"Weil Erkenntnistheorie mit dem Anspruch auf Selbst- und Letztbegründung das Erbe der Ursprungsphilosophie antritt, ist für sie die Strategie des voraussetzungslosen Anfangens unabdingbar."

RM, das ist die Forderung, alle Aussagen endgültig zu begründen, oder anders formuliert: voraussetzungslos anzufangen durch die Selbstbegründung des entsprechenden Systems, ist nicht einzulösen.

RM verrennt sich in der Sackgasse des „Münchhausen-Trilemma"(Albert 1980a:13ff). Dieses zwingt zu einer Entschei­dung zwischen dreierlei Optionen, von denen indessen keine zu leisten vermag, was sie lesiten soll:

1. infiniter Regress;

2. logischer Zirkel;

3. willkürlicher Abbruch des Verfahrens.

Das Problem sieht wie zuvor schon Platon (Mittelstraß 1981a) und Aristoteles (Aubenque 1961a; Höffe 1981a:72) auch Habermas (1975a:14f) auf ganz ähnliche Weise:

„Erst anhand von zuverlässigen Kriterien der Geltung unserer Urteile können wir prüfen, ob wir unseres Wissens auch gewiss sein dürfen. Allein, wie könnte vor dem Erkennen das Erkenntnisvermögen kri­tisch untersucht werden, wenn doch auch diese Kritik selber Erkenntnis zu sein beanspruchen muss?"

Der Grundfehler von RM aus Sicht von FP liegt darin, dass der Anspruch auf wahre Erkenntnis mit der Forderung der Sicherheit oder Gewissheit der Wahrheit verbunden wird.

Hinwieder kann ironischer Weise RM schon daraus die Exi­stenzberechtigung ableiten, dass es gerade für konsequenten FP eine Al­ternative zum FP geben muss, damit überhaupt FP selbst der Kritik unterzo­gen werden kann (Spinner 1974a).

Denn wie kann man von Wahrheit reden, wenn es nichts Falsches gibt?

„With all messages being equal, there is no message." (Phillips 1994a)

Ebeling (1973a:21ff) suchte gegenüber FP den Einwand herauszukehren, dass für FP der Aufweis der Apo­rie von RM selbst schon die Funktion einer Begründung erfülle. Dem ist nicht zuzustimmen, denn dem Trilemma dankt FP lediglich ein bestimmtes Argument, nicht je­doch seine definitive Begründung. Eine letzte Begründung ist definitionsgemäß das Ziel von RM; FP setzt RM lediglich als seine Gegenposition logisch vor­aus­. FP kann sich ganz pragmatisch damit begnügen, Punkte zu sammeln, indem er Fehler aufzuspüren sucht und aus­­schaltet. Wenn er auf einem bestimmten Wege nicht von der Stelle kommt, versucht er not­gedrungen und von Dogmen möglichst unbelastet, sich einfach etwas Neues einfallen zu las­sen.

RM vs. FP

"Entzweiung ist der Quell des Bedürfnisses der Philosophie..." (Hegel 1962a, 12).


Das Erkenntnisinteresse des Menschen geht auf ein kohärentes System des Wissens. Inkonsistenzen sind Dissonanzen, die nach ihrer Auflösung schreien. Hegel denkt hier keineswegs an binäre Schemata, wie sie etwa späterhin noch bei Talcott Parsons ubiquitäre Verwendung fanden. Sondern an Widersprüche in der Art philosophischer Aporien oder gegensätzlicher Systemprinzipien, wie sie Kröners Systematologie als antinomische Grundstruktur allen Philosophierens thematisiert hat.

Wenn nicht als eine derartige Antinomie, dann zumindest als eine prinzipielle Option kann die Entscheidung zwischen zwei alternativen methodologischen Strategien zur Lösung der Grundsatzfrage des Begründens angesehen werden:

  1. RM = die Rechtfertigungsstrategie in Verbindung mit Theoriemonismus;
  2. FP = Fallibilismus in Verbindung mit Theorienpluralismus.


Man darf diese Option nicht verabsolutieren.

Genauso wenig, wie es praktisch keinen Unterschied ausmacht, ob die Erde eine Kugel oder eine Scheibe ist, wenn man von Luxemburg nach Mannheim mit der Bahn fährt; genauso wenig spielt es für den Wissenschaftsfortschritt eine große Rolle, ob ein Wissenschaftler an RM oder an FP glaubt und/oder diese Methodologie tatsächlich praktisch eingesetzt hat. Letzten Endes kommt es allein auf die Gültigkeit oder Brauchbarkeit der von ihm vorgeschlagenen Lösung an (und weniger darauf, warum er geglaubt hat, dass diese Lösung richtig sein muss).


Es ist nicht nur der Unterschied festzustellen zwischen deklarierter und praktizierter Methodologie; es ist auch zu unterscheiden, ob man von einem einzelnen Wissenschaftler strenge Objektivität bzw. Kritikfähigkeit einfordern muss oder ob es genügt, dass im Großen und Ganzen die Institutionen der Wissenschaft die Einhaltung gewisser Spielregeln gewährleisten, die dem Erkenntnisfortschritt förderlich sind. Gewiss dürfen Methodologen sich auch Gedanken darüber machen, was hierbei ein optimales Vorgehen wäre.

Es soll hier lediglich die schlichte Grundeinsicht festgehalten werden, dass sich jede theoretische oder empirische Erkenntnis unabhängig von der Methodologie innerhalb der Wissenschaft weiterverwerten lässt. Wenn es auch manchmal hilfreich bei der Interpretation einer Theorie sein wird, zu wissen und zu bedenken, unter welchen methodologische Voraussetzungen der Theoretiker jeweils argumentiert hat und wie er erkenntnispraktische dabei vorgegangen ist. Und manchmal ist hierbei sogar der Weg wichtiger als das Ziel.

09.02.2007

Theoretische Erklärung der Entstehung und Entwicklung des Imperialismus

Unter dem Begriff Imperialismus (von lat. imperare „herrschen“; imperium „Herrschaftsgebiet“; z.B. Imperium Romanum) versteht man die Bestrebungen eines Staates, seinen Einfluss auf andere Länder oder Völker auszudehnen. Dieser Machterweiterungspolitik können unter anderem bevölkerungspolitische und nationalistische Motive zugrunde liegen, regelmäßig ideologisch begründet mit der weltgeschichtlichen Mission bestimmter Vöklker oder Rassen, über die anderen zu herrschen.

Die theoretische Erklärung des Imperialismus leidet gewiss sehr darunter, dass die Debatte vor allem ideologisch stattfindet. Während der Begriff ursprünglich von Vertretern einer imperialen Politik geschaffen und propagiert worden ist, ist die theoretische Erklärung der damit stattfindenden Entwicklung weitgehend von Gegnern einer solchen Politik geleistet worden.

In den 1870er Jahren wurde Imperialismus als politisches Schlagwort von Disraeli systematisch in die britische Politik eingeführt, erhielt in den 90er Jahren seine wirtschaftspolitische Orientierung und wurde schlagartig internationalisiert.

Zwischen 1898 und 1906 begann der Versuch, diese weltweit neu entdeckte politische Wirklichkeit systematisch zu beschreiben und theoretisch zu analysieren, als eine offensichtlich neue Phase der wirtschaftlich-politischen Entwicklung, die auf die klassische Epoche der Konkurrenz unter Freihandelsbedingungen und der staatlichen Zurückhaltung folgt, gleichsam ein neuer Merkantilismus, indem Politik und Wirtschaft sich verbanden.

Grundlegend für alle spätere Analyse war J. A Hobson mit "Der Imperialismus" (London, New York 1902). Für ihn war Imperialismus ein Entwicklungsstadium des Kapitalismus, wobei er am Beispiel von Südafrika stark die Rolle der Kapitalausfuhr betonte.

Es folgten Rudolf Hilferding mit "Das Finanzkapital" (1910) und Rosa Luxemburg "Die Akkumulation des Kapitals, ein Beitrag zur ökonomischen Erklärung des Imperialismus" (1913).

Die Grundlinien der marxistischen Erklärung von Imperialismus lassen sich wie folgt angeben:

  1. Strukturänderung des Kapitalismus: Konzentration in Monopolunternehmen und Finanzkapital;
  2. Abkehr der staatlichen Wirtschaftspolitik vom Wirtschaftsliberalismus;
  3. neue Formen des Kolonialismus, Streben nach Aufteilung der Welt;
  4. wachsende internationale Spannungen und Bereitschaft zu Einsatz militärischer Gewalt;
  5. bei Lenin auch Eindringen des Reformismus in die internationale Arbeiterbewegung.

Der Imperialismus sollte als ein Gesamtkomplex analysiert werden, auf dem Hintergrund der Entwicklung des Kapitalismus. Dabei ist die Beziehung zwischen entwickelten und unterentwickelten Ländern besonders ins Auge zu fassen. Hierunter fällt auch die historische und wirtschaftliche Einschätzung der Rolle des Kolonialismus. Ein anderer wesentlicher Aspekt ist die Beziehung zwischen Wirtschaft und Militär, insbesondere die Rüstungsindustrie sowie die Entwicklung der Militärtechnologien.

Während Hobson und Lenin stark auf die Rolle der Kapitalausfuhr fixiert waren, muss auch die Frage des Kapitalimports berücksichtigt werden.

Die gewachsene Gefahr von militärischen Auseinandersetzungen bis hin zu weltweiten Kriegen wird erklärt aus der internationalen Konkurrenz des nationalstaatlich verfassten Kapitals. Daneben wird auch von Nichtmarxisten (David Landes, Harvard) hingewiesen auf die Erschöpfung technologischer Möglichkeiten und auf ein andauerndes Nachhinken der Nachfrage hinter dem Angebot und damit der Suche nach neuen Märkten.

Literatur:

Eric Hobsbawm, Die Imperialismusdebatte in der Geschichtsschreibung, Sozialistische POLITIK, 1. Jahrgang, Nr. 1 April 1969

08.02.2007

Mystik bei Joan Robinson und Jürgen Habermas

"Indeed, a language which compels us to say that capital (as opposed to ownership of capital) is not productive rather obscures the issue. It is more cogent to say that capital, and the application of science to industry, are immensely productive, ..." (Robinson 1966, S. 19)

Dass Robinson Wertbestimmung für beliebige Definitionsveranstaltungen ansieht und theoretische Analyse für Metaphysik oder Mystizismus, rächt sich auf der Stelle.

Ihre "naiv-positivistische Methodenlosigkeit" (Wolfgang Müller, S. 40) lässt sie übersehen, dass Kapital für Marx ein gesellschaftliches Verhältnis bezeichnet, während sie unter Kapital nichts anderes als die physischen Produktionsmittel erblicken kann; also wie gewöhnlich wird Ökonomie aufgefasst als die "Astronomie von den Güterströmen".

Und Jürgen Habermas folgte getreulich Robinson, indem er Technik und Wissenschaft für die erste Produktivkraft hielt (Theorie und Praxis, S. 194).

Dazu hatte aber eigentlich Marx in "Zur Kritik der Politischen Ökonomie" schon alles Notwendige gesagt:

"Es handelt es sich in all diesen Anschauungen nicht von der abstrakten Arbeit, wie sie Quelle des Tauschwerts ist, sondern von der konkreten Arbeit als einer Quelle stofflichen Reichtums, kurz von der Arbeit, sofern sie Gebrauchswerte hervorbringt ....

Während sich die Tauschwert setzende Arbeit in der Gleichheit der Waren als allgemeiner Äquivalente verwirklicht, verwirklicht sich die Arbeit als zweckmäßige produktive Tätigkeit in der unendlichen Mannigfaltigkeit ihrer Gebrauchswerte." (MEW 13, 23)

Der Doppelcharakter von Tauschwert und Gebrauchswert ist jedoch jemandem schwer zu vermitteln, der die theoretische Erfassung sozialer Beziehungen innerhalb der Ökonomie für Mystik oder bestenfalls Hegelsche Metaphysik hält.

Transformationsproblem

Das Transformationsproblem bezeichnet innerhalb der Arbeitswerttheorie von Karl Marx die Frage, ob ein konsistentes formales Verfahren angegeben werden kann, das erlaubt, die Arbeitswerte von Waren in Produktionspreise umzurechnen.

Die Problemstellung

Nach dem Wertgesetz werden Waren gemäß ihrem Wert, d.h. der in sie gesteckten gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit ausgetauscht (Das Kapital, Band I):

Warenwert = c + v + m

  • Warenwert = Wert der produzierten Waren
  • c = konstantes Kapital (Abnutzung der eingesetzten Produktionsmittel)
  • v = variables Kapital (Ersatz des Wertes der hierbei aufgewandten Arbeitskraft)
  • m = Mehrwert

In Das Kapital, Band III wird jedoch als zusätzliche Annahme eingeführt, dass die vom Kapitalisten erzielte Profitrate m / (c+v) dazu tendiert, sich über alle Branchen auszugleichen (Tendenz der Bildung einer Durchschnittsprofitrate).
Die unter diesen Bedingungen berechneten Produktionspreise weichen von den so zuvor berechneten Warenwerten systematisch ab.

Das Problem stellt sich wie in ähnlicher Weise schon bei David Ricardo ebenfalls für Karl Marx, nämlich inwieweit die Wertbestimmung gemäß der gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit mit der Struktur der relativen Preise bzw. Tauschwerte vereinbart werden kann bzw. inwiefern sie sich in einem konsistenten formalen Verfahren so ableiten lassen, dass die ursprünglich ermittelten Tauschproportionen erhalten bleiben.
In Marxens eigenen Worten:
"Infolge der verschiednen organischen Zusammensetzung der in verschiednen Produktionszweigen angelegten Kapitale; infolge daher des Umstandes, daß je nach dem verschiednen Prozentsatz, den der variable Teil in einem Gesamtkapital von gegebner Größe hat, sehr verschiedne Quanta Arbeit von Kapitalen gleicher Größe in Bewegung gesetzt werden, werden auch sehr verschiedne Quanta Mehrarbeit von ihnen angeeignet oder sehr verschiedne Massen Mehrwert von ihnen produziert. Demgemäß sind die Profitraten, die in verschiednen Produktionszweigen herrschen, ursprünglich sehr verschieden. Diese verschiednen Profitraten werden durch die Konkurrenz zu einer allgemeinen Profitrate ausgeglichen, welche der Durchschnitt aller dieser verschiednen Profitraten ist. Der Profit, der entsprechend dieser allgemeinen Profitrate auf ein Kapital von gegebner Größe fällt, welches immer seine organische Zusammensetzung, heißt der Durchschnittsprofit. Der Preis einer Ware, welcher gleich ist ihrem Kostpreis plus dem im Verhältnis ihrer Umschlagsbedingungen auf sie fallenden Teil des jährlichen Durchschnittsprofits auf das in ihrer Produktion angewandte (nicht bloß das in ihrer Produktion konsumierte) Kapital, ist ihr Produktionspreis."

[Marx: Das Kapital, S. 2862 ff.. Digitale Bibliothek Band 11: Marx/Engels, S. 6171 ff. (vgl. MEW Bd. 25, S. 167 ff.)]

Problemgeschichte

Karl Marx hat die vier Bände von Das Kapital fast in umgekehrter Reihenfolge veröffentlicht als er sie geschrieben hat; nach seinem Tode wurden die verbleibenden Manuskripte von Friedrich Engels herausgegeben. Es ist damit ziemlich abwegig zu unterstellen, Marx wäre sich eines Konsistenzproblems erst während des Arbeitens an Band III bewusst geworden (wie dies bereits Böhm-Bawerk insinuiert hatte).

Herausgeber Engels hat dieses Problem öffentlich zur Diskussion gestellt; das führte im Laufe der Jahrzehnte zu einer regelrechten "Preisrätsel-Literatur".

Erster Höhepunkt war die Kontroverse zwischen Eugen von Böhm-Bawerk und Rudolf Hilferding. Als erster hat Ludwig von Bortkiewicz begonnen, auf die Problemstellung neuere mathematische Methoden anzuwenden. Schließlich hat Paul A. Samuelson sich den formalen Aspekten des so aufgeworfenen Problems angenommen und nachgewiesen, dass es keinen Algorithmus geben könne von Arbeitswerten hin zu Produktionspreisen.

Dieser Nachweis stützt sich wohl gemerkt auf eine rein formale Betrachtungsweise der Problemstellung, d.h. die Konsistenz der Annahmen und der darauf basierenden Berechnungsweisen. Es bleibt indes immer noch dahingestellt bzw. umstritten, welche Schlussfolgerungen sich daraus ergeben im Hinblick auf das Theoriegebäude insgesamt der Marxschen Politischen Ökonomie sowie deren empirischer Erklärungskraft.

Obwohl offensichtlich Marx wie Engels der Lösung dieses Problems gerade auch in seiner formalen Darstellungsform einen hohen Erkenntniswert eingeräumt haben, muss gefragt werden, warum die Arbeitswerttheorie darauf bestehen muss, die Einkommensverteilung (inkl. Erzeugung von Mehrwert) und die relative Preisstruktur in ein und demselben Modell zu erklären. Wie Pierangelo Garegnani nachgewiesen und es sich nicht zuletzt in der Kapitalkontroverse herausgestellt hat, ist die von Paul A. Samuelson als Alternative dazu favorisierte Gleichgewichtstheorie mit ihrer Grenzproduktivitätstheorie weit entfernt davon, die Frage der Wertbestimmung (hier: des Kapitals) gelöst zu haben.

Die Kritiker glauben jedoch hiermit entweder Marx eine grundsätzliche Inkonsistenz im ökonomischen Modelldenken nachgewiesen zu haben, oder zumindest doch dies, dass die Wertrechnung gegenüber der Rechnung in Produktionspreisen völlig überflüssig sei. Hintergrund ist hierbei, dass man hiermit auch die Marxsche Ausbeutungs- und Mehrwerttheorie für erledigt hält.

Literatur

  • Friedrich Eberle, (Hrg.), Aspekte der Marxschen Theorie 1. Zur methodologischen Bedeutung des 3. Bandes des ‘Kapital’, Frankfurt 1973
  • L. von Bortkiewicz, Wertrechnung und Preisrechnung im Marxschen System, Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik 3, XXIII and XXV, 1906
  • Paul A. Samuelson, Understanding the Marxian Notion of Exploitation: A Summary of the So-Called Transformation Problem Between Marxian Values and Competitive Prices, Journal of Economic Literature, 2, 1971, S. 399 ff.
  • P. Wicksteed, The common sense of political economy, and selected papers and reviews on economic theory, 2 Bde. London 1933
  • Vilfredo Pareto, Marxisme et économie pure, Bd. 9, Oeuvres complètes, Genf 1966
  • V. Dmitriev, Essais économiques esquisse de synthèse organique de la théorie de la valeur-travail et de la théorie de l'utilité marginale, Paris 1968
  • E. Burmeister, A. Dobell, A mathematical theory of economic growth, New York 1970
  • R. Dorfman, P. Samuelson, R. Solow, Linear programming and economic analysis, New York 1958
  • Wassili Leontief, Input-output economics, New York 1966
  • M. Morishima, F. Seton, Aggregation in Leontief Matrices and the Labour Theory of Value, Econometrica, April 1961, S. 203-220

04.02.2007

Entstehungsgeschichte des "Kapital" und seine Interpretation

Böhm-Bawerk hämisch:

"Auch der Umstand war dem Einfluss des Marxschen Werkes nicht hinderlich, dass es bei Lebzeiten des Verfassers ein Torso blieb. Sonst pflegt man – und nicht mit Unrecht – gerade gegen isolierte erste Bände neuer Systeme besonders misstrauisch zu sein. In 'allgemeinen teilen' lassen sich ja allgemeine Grundsätze recht schön vortragen; aber ob sie die lösende Kraft, die ihr Autor ihnen zuschreibt, wirklich besitzen, das erprobt sich erst im Ausbau des Systems, erst wenn sie der Reihe nach gegen alle einzelnen Tatsachen gehalten werden. Und in der Geschichte der Wissenschaft sind die Fälle gar nicht selten, in denen einem hoffnungs- und anspruchsvoll hinausgesandten ersten Bande trotz Lebens und guter Gesundheit des Verfassers ein zweiter Band überhaupt nicht mehr folgte, weil eben der neue Grundgedanke die Feuerprobe der konkreten Tatsachen vor dem genauer zusehenden Verfasser selbst nicht bestehen konnte. Karl Marx hat unter solchem Misstrauen nicht gelitten. Die Masse seiner Anhänger schoss ihm auf Grund des ersten Bandes ungemessenes gläubiges Vertrauen auch auf den Inhalt der noch ungeschriebenen Bände des Systems vor." (in Eberle, S. 25 f).

Entstehungsgeschichte: Zeitraum 1850 – 1863

1859: erste Darstellung der neuen Werttheorie publiziert als "Zur Kritik der politischen Ökonomie"

Anfang 1860er Jahre: Manuskript Band IV

Mitte 1860er Jahre: Manuskript Band III

1867: Band I erschienen

Band II: von Engels aufbereitet aufgrund Manuskript aus 70er Jahren

"Marx schrieb das 'Kapital' also gewissermaßen in umgekehrter Reihenfolge – vom vierten Band zum ersten (obwohl der zweite Band aus diesem Schema 'herausfällt')." (Wygodski, S. 13)

"Eine Besonderheit der schöpferischen Methode von Marx bestand darin, dass seine Arbeit auf politökonomischem Gebiet stets in zwei parallelen Richtungen verlief: Kritik des Kapitalismus, insbesondere Kritik der bürgerlichen und kleinbürgerlichen Theorien, und Ausarbeitung der eigenen ökonomischen Theorie." (Wygodski, S. 15)

Die umgekehrte Reihenfolge von Schreiben und Publizieren stellt gewiss auch ein besonderes Verständnisproblem bei der Lektüre dar.

Denn Band I setzt auf einem hohen Abstraktionsniveau ein, bei dem die durchaus feststellbaren didaktischen Hilfen des Autors vielleicht nicht lächerlich, aber manchmal etwas bizarr wirken. Der Leser wähnt sich zuweilen im Keller oder im Vorgarten (Vorgeschichte) des Theoriegebäudes, wo er sich doch im obersten Stockwerk oder gar auf dem Dachgarten bewegt.

Es mag hinzutreten, dass sich Experten-Interpreten wie Engels oder gar Marx selbst sich nicht immer ganz klar darüber sind bei der abstrakten Modellargumentation nach Ökonomen-Art in Band I, wie diese nicht bloß zur didaktischen Explikation, sondern auch zur wissenschaftlichen Erklärung auf die konkrete Empirie anzuwenden sei.