Dies ist der gebündelte Versuch einer Replik auf: Karl R. Popper, Das Elend des Historizismus, was eine Replik darstellte auf: Karl Marx, Das Elend der Philosophie, was eine Replik darstellte auf: Proudhon, Die Philosophie des Elends

25.06.2007

emanatistische Logik

Eine emanatistische Logik ist für Max Weber [1] im Anschluss an Emil Lask eine bestimmte Auffassung des Verhältnisses von Allgemeinbegriff und Einzelnem, wie sie von Hegel in seiner Logik vorgeführt wurde.

Der Allgemeinbegriff wird danach nicht durch das die Einzelfälle verallgemeinernde Denken gebildet, sondern das Besondere entstamme einer realen Abhängigkeit vom Begriff als einer ‘organischen’ innigen Durchdringung von Gattung und Einzelwirklichkeit. Dabei entlasse der Begriff den besonderen Verwirklichungsfall sozusagen aus seiner überreichen Fülle.[2]

Max Weber wirft Wilhelm Roscher vor, sich mit der Marxschen Dialektik des Kapital selbst sich nie auseinandergesetzt zu haben [3], tut dies selber aber auch nicht. Eine genaue Lektüre von Zur Kritik der Hegelschen Staatsrechts ergibt, dass auch Marx die Deduktion des Besonderen aus dem Allgemeinen als logisch unzulässig verwirft.

Schon Karl Rosenkranz kennt den Vorwurf der "abstrakten Empirie" an Hegel, seine Begriffslogik komme aus der Abhängigkeit von der empirisch vorgefundenen Anschauung nicht heraus und erkünstele nur die Produktion der Wirklichkeit aus dem reinen Denken.[4]

Anmerkungen [Bearbeiten]

  1. „Da die Geschichte die Aufhellung der kausalen Bedingtheit der Kulturerscheinungen (im weitesten Sinn des Wortes) bezweckt, so können diese ‘Grundsätze’ nur solche der kausalen Verknüpfung sein. Und hier findet sich nun bei Roscher der eigentümliche Satz, dass es Gepflogenheit der Wissenschaft - und zwar jeder Wissenschaft - sei, bei kausaler Verknüpfung mehrerer Objekte ‘das Wichtiger-Scheinende die Ursache des minder Wichtigen zu nennen’. Der Satz, dessen emanatistische Provenienz ihm an der Stirn geschrieben steht, wird nur verständlich, wenn man unterstellt, dass Roscher mit dem Ausdruck ‘wichtiger’ einerseits dasselbe gemeint hat, was Hegel unter ‘allgemein’ verstand, andererseits aber das gattungsmäßig Allgemeine davon nicht schied. Dass dies in der Tat der Fall ist, wird sich uns im weiteren Verlauf der Betrachtung von Roschers Methode immer wieder zeigen. Roscher identifizierte die Begriffe: gattungsmäßig allgemein (generell) und: inhaltlich umfassend miteinander. Außerdem aber schied er auch nicht zwischen der mit dem universellen Zusammenhang identifizierten generellen Geltung der Begriffe und der universellen Bedeutung des Begriffenen: das ‘Gesetzmäßige’ ist, wie wir sahen, das ‘Wesentliche’ der Erscheinung. Und es versteht ihm sich endlich - wie so vielen noch heute - von selbst, dass, weil man die generellen Begriffe durch Abstraktion von der Wirklichkeit aufsteigend gebildet habe, so auch umgekehrt die Wirklichkeit aus diesen generellen Begriffen - deren richtige Bildung vorausgesetzt – absteigend wieder müsse deduziert werden können." (Max Weber: Roscher und Knies und die logischen Probleme der historischen Nationalökonomie. 1903-1906, in: Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, UTB 1492, Tübingen 1988a, S. 18f)
  2. „Nach der Entscheidung der Frage, welcher Wahrheits- und Wirklichkeitsgehalt den Gattungsbegriffen zuzuerkennen ist, lassen sich alle von jeher aufgestellten Begriffstheorien in zwei Hauptgruppen teilen. Die Anhänger der einen halten das logisch Untergeordnetste, das Inhaltreichste, das, was der Stufenfolge der Begriffe nach unten hin eine Schranke setzt, kurz die unbegrenzte Zahl der Einzeldinge, das empirisch unmittelbar Erlebbare, für die einzige Wirklichkeit, für die unverrückbare Basis, von der alle Begriffsbildung ihren Ausgang nimmt. Das Empirische wird ihnen zur einzigen und vollen Wirklichkeit: der Begriff zu einem künstlich ausgesonderten Teilinhalt ohne eigene Existenzfähigkeit, der durch Auflösung des ursprünglich Verbundenen entsteht und sich lediglich als Produkt des Denkens erweist. Die Begriffsbildung vollzieht sich hier durch Analyse des unmittelbar Gegebenen; wir können die Logik, die auf diesem Standpunkt steht, kurz die analytische Logik nennen. Die ihr entgegengesetzte Richtung deutet die logische Herrschaft des Begriffs über das Einzelding zur realen Macht einer höheren Wirklichkeit um, der gegenüber die Welt des Empirischen zu einer niederen und abhängigen Daseinsform herabgedrückt wird. Diese Richtung hat einen großen Formenreichtum entwickelt, bei dessen Erzeugung mannigfache metaphysische und erkenntnistheoretische Gedanken wirksam gewesen sind. Es lässt sich aber zeigen, dass diese alle auch einem rein logischen Ideal des Begriffs zustreben, das seiner Struktur nach dem Begriff, wie ihn die analytische Logik fordert, in wesentlichen Punkten entgegengesetzt ist. Bei diesen Theorien nämlich muss der Begriff stets inhaltsreicher als die empirische Wirklichkeit ausfallen, nicht als deren Teil, sondern umgekehrt so gedacht werden, dass er sie als seinen Teil, als Ausfluss seines überwirklichen Wesens umfasst. Beziehungen zwischen Begriff und Einzelnem werden dann nicht etwa durch ein die Begriffe erst bildendes Denken ermöglicht, sondern entstammen einer realen Abhängigkeit des Besonderen, einer ‘organischen’ innigen Durchdringung von Gattung und Einzelwirklichkeit. Da hierbei der Begriff den besonderen Verwirklichungsfall sozusagen aus seiner überreichen Fülle entlässt, mag die solche Ergebnisse hervortreibende Anschauungen eine emanatistische Logik genannt werden. Schon diese kurze Übersicht muss gezeigt haben, dass das Prinzip der Einteilung in die beiden Arten der Logik gebildet wurde durch ein verschiedenes Verhältnis des Begriffs zur empirischen Wirklichkeit, zu der er sich nämlich das eine Mal als unterwirklicher Teilinhalt, das andere Mal als überwirklicher Urgrund verhält." (Emil Lask: Fichtes Idealismus und die Geschichte. Tübingen 1914 (zuerst: 1902), S. 25f)
  3. „Eine eingehendere Auseinandersetzung mit derjenigen Form der hegelschen Dialektik, welche das ‘Kapital’ von Marx repräsentiert, hat Roscher nie unternommen." (Weber 1988, S. 17, Anm. 6)
  4. "Gegen Hegel nimmt die abstrakte Empirie vorzüglich die Stellung ein, ihm die Wahrheit seiner dialektischen Methode, welche die Ontologiker formell anerkennen, abzustreiten und ihn selbst der Empirie, der Abhängigkeit von der Anschauung anzuklagen, die er nur künstlich verstecke. Sie hält das reine Denken für ein solches, welches aus sich das sein auch nach seiner realen Mannigfaltigkeit, ohne sich um sie durch die Vermittelung des Anschauens zu bekümmern, abzuleiten nicht bloß, nein auch zu produzieren sich unterfange." (Karl Rosenkranz: Georg Wilhelm Friedrich Hegels Leben. Darmstadt 1998 (zuerst: Berlin 1844), S. XXIV)

18.06.2007

Militarismus bei Hegel und Popper

Während Marx noch gegenüber Proudhon betont hatte, dass Propheten stärker geprüft werden müssen als andere Schriftsteller, so muss man in Bezug auf Popper sagen:

Kritische Rationalisten sollte man strengeren methodologischen Maßstäben unterwerfen als andere.

Doch zeigt sich gerade in Poppers Sozialphilosophie, dass sie schmählich ihre anderen Wissenschaftlern aufgestellten Maßstäbe verfehlt.

Diskrepanz deklarierte und praktizierte Methodologie, müsste Hans Albert diagnostizieren.

Gemäß Poppers kritischer Methode stellte man ein wissenschaftliche Problem möglichst deutlich auf, um es hernach möglichst produktiv mit dem Ziele des Erkenntnisfortschritts zu erörtern.
Vor allen Dingen ignorierte man nicht die Problemstellungen der Autoren, die man abhandelt, und macht man aus ihren Problemlösungen keine Karikaturen oder Popanze!

Popper hingegen liefert hier jedoch noch nicht einmal eine Polemik, sondern vielmehr eine Persiflage.
Denn im Gunde liefert sie genau das, was sie zu bekämpfen vorgibt, aber in einer flacheren und plumperen Fassung!


"Hegel, die Quelle des Historizismus unserer Zeit, ..." (S. 35)

Hingegen ist nach Hegels Konzeption gar keine philosophische Geschichtsprophetie überhaupt denkbar:

"Schon bei Hegel hat der absolute Geist der Geschichte an der Masse sein Material und seinen entsprechenden Ausdruck erst in der Philosophie. Der Philosoph erscheint indessen nur als das Organ, in dem sich der absolute Geist, der die Geschichte macht, nach Ablauf der Bewegung nachträglich zum Bewußtsein kömmt. Auf dieses nachträgliche Bewußtsein des Philosophen reduziert sich sein Anteil an der Geschichte, denn die wirkliche Bewegung vollbringt der absolute Geist unbewußt. Der Philosoph kommt also post festum."

(Hl. Familie, MEW 2:90)

"um den Leser von allem Anfang an zu entmutigen, Hegels schwulstiges und mystifizierendes Kauderwelsch ernst zu nehmen, ..." (S. 36)

Was man nicht versteht, kann man nicht ernstlich kritisieren, sondern davon muss man schweigen.
Es ist unerfindlich, wie man eine Behauptung widerlegen kann, die man nicht einmal versteht.
Oder verfügt Popper etwa über einen exklusiv persönlichen authentischen Zugangs zu Hegels Dialektik?!

"Trotzdem ist es unwahrscheinlich, daß Hegel ohne Unterstützung von seiten des preußischen Staates je zu der einflußreichen Gestalt der deutschen Philosophie hätte emporsteigen können. Wie die Dinge lagen, wurde er der erste offizielle Philosoph des Preußentums, ernannt in einer Periode feudaler 'Restauration' nach den napoleonischen Kriegen." (37)

Popper hat sein Werk durch Hayeks Vermittlung erst veröffentlichen können; denn es wurde vom ersten Verlag abgelehnt, vermutlich wegen seines unwissenschaftlichen Charakters. Da es jedoch zu Beginn des Kalten Krieges dem Geist der Zeit entsprach (zumindest für Freund Hayek), wurde es zu einem Bestseller gemacht und dient manchen Kreisen bis heute als ein Heiliges Buch, das keiner Revision mehr bedarf oder fähig ist.

Wer so im Glashaus sitzt, sollte mit Karrierismus-Vorwürfen gegen frühere Staatsphilosophen zumindest vorsichtiger sein!

"Die Hegelsche Philosophie ist die Renaissance der Ideologie der Horde. Die historische Bedeutung Hegels wird aus dem Umstand klar, daß er gleichsam das 'Bindeglied' ('missing link') ist zwischen Platon und den modernen Formen des totalitären Gedankenguts." (39)


"Die Stellen zeigen, daß der radikale Kollektivismus Hegels ebensosehr von Platon wie von dem Preußenkönig Friedrich Wilhelm III. abhängt, der in der kritischen Periode während und nach der Französischen Revolution König von Preußen war. Ihre Lehre ist, daß der Staat alles ist und das Individuum nichts; denn es verdankt dem Staat alles, seine physische sowie auch seine geistige Existenz." (40)

vgl. indes zu Hegels Individualismus Haering;
vgl. besser und gründlicher schon als Popper Marxens Kritik an Hegels Rechtsphilosophie


Gehässigkeiten Schopenhauers übernommen (41)

Überhaupt bevorzugt Popper statt philosophische Problem aufzustellen und zu untersuchen den politischen Gegner persönlich zu verunglimpfen und sucht auch sonst allerhand persönliche Anekdoten über Philosophen zum Amüsement des Lesers aufzutischen: Personalisierung anstelle Problemerörterung.

vgl. dazu Kaufmann, (Hegel: Perspektive des Kammerdieners)

S. 75, (a) - (f):

Liste totalitärer Ideen, deren Verbreitung Popper Hegel zurechnet


[Sklaverei entsprach noch der römischen Rechtsauffassung:

"Durch das Völkerrecht verbreitete sich die Sklaverei" (Corpus iuris civilis, zit. in MEW 2,30)]

Popper (Bd.2, 12. Hegel und der neue Mythos von der Horde, S. 92):

"ich sympathisiere völlig mit Kolnais Bemerkung:

'Vielleicht ist es kein Paradox, ... wenn wir uns in unserer Verzweiflung über die deutsche Kultur mit der Überlegung trösten, daß es schließlich neben dem Deutschland der preußischen Denker noch ein anderes Deutschland gibt, das der preußischen Generale."

A. Kolnai, The War against the West, 1938
"Ich habe Kolnais Buch sehr viel zu verdanken; dieses Buch ermöglichte es mir, im restlichen Teil dieses Kapitels eine beträchtliche Zahl von Autoren zu zitieren, die mir sonst unzugänglich gewesen wären." (S. 381)

Nicht zu übersehen, dass es sich beim selbigen Buch Poppers ausdrücklich um seinen eigenen "Kriegsbeitrag" handelt, im "Krieg der Ideen"!

Man beachte zudem die ausdrückliche Bezugnahme schon im Titel auf das Freund/Feind-Denkschema!

vgl. die Kritik Alberts am dogmatischen Denken, politischer Theologie – Manichäismus und Alternativradikalismus;

letzterer allerdings entspringt eher den Kantschen analytischen Dualismen als Hegelscher Dialektik, wo ein Widerspruch stets auch das Gegenteil als aufgehoben enthält – Ironie, aber wahr!


Grundsätzlich ist es verkehrt, wenn Popper wie Hegel gesellschaftliche Wirklichkeiten wie Totalitarismus aus der Geschichte philosophischer Ideen abzuleiten unternimmt:

"Die 'Idee' blamierte sich immer, soweit sie von dem 'Interesse' unterschieden war."

(Heilige Familie, MEW 2:85)

Anschauung bei Hegel und Kant

Um eine Philosophie zu verstehen, muss man des besonderen Philosophen Auffassung von Sprache berücksichtigen. Diese hängt wiederum zusammen mit seiner (psychologischen) Erkenntnistheorie.

So bei Kant und Popper (Berkson, William / Wettersten, John: Lernen aus dem Irrtum. Die Bedeutung von Karl Poppers Lerntheorie für die Psychologie und die Philosophie der Wissenschaft. Hoffmann und Campe. Hamburg 1982, ISBN 3-455-09278-0);.

So auch bei Hegel:

"The kinship between the Hegelian and Kantian doctrines of intuition is obvious, but the deep difference, too, is worth noting. For Hegel as for Kant the content of intuition is in some sense the individual 'this here and now', and spatio-temporal intuition is the matter for the form of thinking. But kant's forms of intuition inform a sense-manifold passively received from the thing-in-itself, whereas Hegel's Intuition has a matter immanent in it, a lower self which ist activity consists in transcending and intellectualizing. It is true that in order to justify a priori synthesis in mathematics Kant offers his forms of intuition as at once and in one pure forms and pure spatio-temporal contents (manifolds), but how for purposes of empirical experience this pure spatio-temporal form-and-matter shoukd inform the thing-in-itself and presents, so to say, no credentials, remains a sheer mytsery. The content of Hegel's Intuition, on the other hand, traces a legitimate descent back to Nature through the continuous self-development pf Concrete Spirit.

Between passive and active, particular and universal, sense and thought there may be chasms which philosophy can never finally cross, but the demand thet they be bridged is of the very essence of philosophical thinking, and Hegel – though of course with Kant's help – came far nearer to fulfilling it than Kant. His dialectical treatment of spirit may restate the question, but so does any fresh solution of a philosophical problem whioch does not manipulate it into nonsense."

Mure, Geoffrey Reginald Gilchrist: A study of Hegel's logic . - Oxford: Clarendon Press, 1967, S. 6 f.

Hegels Problemstellung

Theodor L. Haering: Hegel. Sein Wollen und sein Werk.

Eine chronologische Entwicklungsgeschichte der Gedanken und der Sprache Hegels, Neudruck der Ausgabe Leipzig 1929
Scientia Verlag Aalen 1963

Auch in Diltheys genialem und im übrigen grundlegenden Werk über 'Hegels Jugendgeschichte' besitzen wir diese verlangte Entwicklungsgeschichte noch nicht, auch abgesehen davon, daß auch hier auf jeden Versuch, der geistigen Entwicklung eine entsprechende Geschichte der Entwicklung seiner Ausdrucksweise parallel gehen zu lassen, ganz verzichtet ist. Ist doch hier auch die Gedankenentwicklung Hegels ebenfalls nur erst in größten Zügen und noch auf Grund eines chronologisch nicht einwandfrei geordneten Quellenmaterials gegeben. Erst nachher ist, auf Diltheys eigene Anregung hin (vor allem durch seinen Schüler H. Nohl, und in anderen Teilen des Nachlasses durch Ehrenberg und Link und vor allem durch Lasson) der Nachlaß dann publiziert und dabei endlich auch mit annähernder Genauigkeit datiert worden, so daß wir die in vielem gewiß genialen Intuitionen Diltheys erst jetzt im einzelnen auf ihre Richtigkeit nachzuprüfen und in vielem, wiencih zeigen werde, auch zu korrigieren vermögen. (VIII)

Nohl, Hegels theologische Jugendschriften, Tübingen (Mohr) 1907


1.)
... Hegel (auch Leibniz nicht ausgenommen) der erste und einzige abendländische Philosoph war und bis heute wohl auch ist, der seine Erfahrungen, welche die Grundlage für all seine Begriffsbildungen und systematischen Grundkategorien bilden, von Anfang an und vorzugsweise auf geistigem Gebiet, auf dem Boden der Geisteswelt, gemacht hat. (5)

vor allem Erscheinungen des überindividuellen geistigen Geschehens

2.)
... sogar in ihrem tiefsten Grunde durch praktische, vor allem volkspädagogische Interessen begründet und bestimmt war. (7)

ein echt romantischer Zug
die verschiedensten Gebiete der Wirklichkeit gleichzeitig, ja in demselben Satz und mit demselben, nach allen diesen Seiten hinschillernden Ausdruck, behandelt m(9)

[bei Popper: "Gedankenflucht"]

wie sich überhaupt unter den jeweils vorherrschenden Teilinteressen doch immer und von Anfang an auch schon darüber hinausgehende universalere Tendenzen verbergen (9)

"Die Höchste Gemeinschaft ist die höchste Freiheit."

"Die Gemeinschaft der Person mit anderen muß nicht als eine Beraubung der wahren Freiheit des Individuums, sondern als eine Erweiterung derselben angesehen wedren." (Differenzschrift)

Es ist ihm eine Selbstverständlichkeit, ja eigene Erfahrungstatsache und innerliche Gewißheit von Anfang an, daß solche kulturelle Größen wie Staat, Kirche (Religion), bürgerliche Gesellschaft, auch Recht und Sittlichkeit (zunächst als gute Sitte) ihrem Wesen nach überindividuelle Größen sind, in die der einzelne hineingeboren wird und denen er sich nicht etwa unterordnen soll und muß (deshalb ist ihm später z. B. der Dualismus der kantischen Moralität nie ganz verständlich geworden), sondern sich selbstverständlich unterordnet, als dem Elemente, der Lebensluft, in der er lebt, wie der Fisch im Wasser. (20)

Die einfache natürliche Selbstverständlichkeit griechischen Staatsbewußtseins und überindividueller griechischer Sittlichkeit und Religion, der Unterordnung des Individuums unter diese überindividuellen Mächte, wie sie auch in Platons Utopie ja die Grundlage bildet, sprach ihn offenbar aufs stärkste an. dabei bedeutet es für ihn, ganz schon im Sinne auch des späteren Hegel, keineswegs einen Widerspruch, wenn ihm andererseits damals der stoische Individualismus und seine sittliche Autonomie offenbar mächtig imponierte, wie er ihm aus Epiktets Encheiridion oder der Schrift des Longinus über das Erhabene oder auch aus mancher ciceronianischen Lektüre in sekundärer Form entgegentrat. (21)


seine "Sachlichkeit"
der ausgesprochene Sinn für das Gemeinsame (der verschiedenen Individuen in der überindividuellen Gemeinschaft) wie die Erhaltung der qualitativen Selbständigkeit des Einzelnen (Freiheit der Individuen in letzterer).

Sinn für die wesens- und lebensnotwendigen Beziehungen von überindividuellen Größen untereinander (22)

Entwicklungsbegriff
Hegel unterscheidet sich von ihnen allen durch das mit diesem Einheitsstreben verbundene empirische Interesse für die Einzeltatsachen und die individuellen Unterschiede. (23)

charakteristische Art des Blicks für Zusammenhänge

so geht, wie ja der Zug zur 'Typisierung' nach seiner anderen Seite schon zeigte, neben dem Sinn für die individuellen Differenzen der mehr logisch-systematische Trieb zum Hervorheben des Begrifflich-Gemeinsamen einher, den wir als einen Trieb zur Systematisierung und Klassifikation ('Typisierung' i. w. S.) der Tatsachen, ihrer realen Unterschiede wie Zusammenhänge und Beziehungen, bezeichnen können, und der deutlich schon den späteren Systematiker und Logiker verrät. (24)

Wenn Hegel, wie wir zeigten, die Unterschiede ebenso wie die Beziehungen des Verschiedenen und unter den letzteren die realen (nach Sein und Werden, in horizontaler wie vertikaler Richtung) wie die logisch-klassifikatorisch-systematischen, von Anfang an mit gleicher Intensität an diesen geistigen (vor allem überindividuellen) Größen beachtet, ohne in die Einseitigkeiten anderer zu verfallen, so dürfen wir, die wir Hegels vollendete Lehre kennen, ihn in der tat auf diesem Doppelwege schon auf dem Pfade sehen, der später einmal zu der Entdeckung des spezifisch Hegelschen 'Begriffs', mit seiner Einheit von Realem und Logischem, von Mannigfaltigkeit der Unterschiede und lebendiger Einheit derselben, führen wird. Hier sei nur noch allgemein darauf hingewiesen, wie gerade der obige Gedanke der notwendigen Gleichberechtigung von Unterschied und Beziehung, im logischen wie realen Sinn, es offenbar ist, der später auch das eigentliche Wesen der Hegelschen 'Dialektik' ausmacht. Bedeutet diese doch zunächst nichts anderes, als daß Einheit lebendiger Art nur als Einheit im Gegensatz und Unterschied (von A und Non A) möglich sei, eben darum aber auch ein Begreifen ihres (wahren) Wesens nur in einem 'Begriff', der beidem Rechnung trägt und gerecht wird. (27)


bedeutsam fürs Hegels Grundeinstellung
wie er die genannten Phänomene von vornherein kurzweg nicht als individuelle, sondern, wie selbstverständlich, als 'Modifikationen des geselligen Lebens', sozusagen als Zustände eines überindividuellen Geistes faßt, wenn auch gewiß die 'Bemühungen' der einzelnen Menschen dadurch im obigen Sinne keineswegs ihre Bedeutung verlieren! (28)

Gedanken der Volkserziehung

Vielmehr wird es sich uns immer mehr als ein besonders charakteristischer (und ebenfalls antirationalistischer) Zug des Hegelschen Geistes erweisen, wie die theoretische Seite und die praktische bei ihm jederzeit als gleichberechtigte, sich gegenseitig notwendig fordernde, ohne jede prinzipielle Unterordnung der einen unter die andere, auftreten und sich behaupten. Wie das theoretische Interesse zugleich wesensnotwendig ein praktisches für seine Auffassung sein muß, so auch umgekehrt. (31

Gerade dieses vermeintliche Herausfühlen eben desselben kommenden Neuen, Lebendigeren aus den an sich heterogensten damaligen Zeitströmungen und die darin liegende jugendliche Unklarheit über den näheren Inhalt desselben, wenn es nur ein Lebendiges war, ist für diese Jugendjahre der drei durchaus charakteristisch und erklärt es auch vollkommen, weshalb an sich so verschiedene Naturen, wie die drei genannten, sich doch, damals wenigstens, ganz eins fühlen konnten. (38)


einem letzten und höchsten Losungswort der Freunde aus jener Zeit zu:

jener vielbesprochenen Formel des 'Hen kai Pan', d.h. des All-Einen, in der für sie Freiheit, Leben und Liebe, jene anderen Symbole – und gerade hier wohl mit besonders deutlichen individuellen Unterschieden – sich offenbar wie in einem Brennpunkt einten. (45)

Gedanken der lebendigen Verbundenheit und Einheit alles Seins mit Gott = Inhalt von Religion (46)

Was für Hölderlin bzw. die Freunde das Wesentliche bei der Beurteilung einer solchen historischen Kulturerscheinung (Wissenschaft und Religion) ist, ist auch hier wieder, ganz in demselben Sinne, nicht der tote Stoff, sondern die lebendige Form der Existenz im Ganzen eines lebendigen Geisteslebens (43)

Pantheismus? vgl. Kontroverse Mendelssohn-Jacobi über Lessings Spinozismus


gemeinsames Losungswort: Liebe

Hatte doch auch wiederum schon Schiller die lebendige Gemeinschaft einzelner, aber sogar auch schon aller Geister, untereinander und mit (in) Gott, in seinem Hymnus (...) mit diesem Namen bedacht und besungen; ebenso aber hatte auch schon Spinoza, der damals überall, wie schon von Goethe und Lessing-Jacobi, in die gefühligere Stimmung der Zeit übersetzte, dem 'amor dei' eine allwaltende, fast kosmische Bedeutung gegeben; sie aber leitete, zusammen mit seinem ganzen System, über den Neuplatonismus, schließlich auf Platon und dessen Lehre vom Eros als geistigen Vater zurück, aus der denn auch Hegel selbst dieses Losungswort mit seinen Gefährten unmittelbar in gemeinsamer Lektüre des 'Symposion' übernahm. Und was war schließlich die 'Brüderlichkeit' neben Freiheit und Gleichheit in der Losung der Französischen Revolution anders als ein anderes Wort hierfür oder doch wenigstens für einen Teil solcher lebendiger Gemeinschaft, wie sie im umfassenden Sinn mit diesem Wort 'Liebe' gekennzeichnet war? (41 f)

Das gemeinsame Ziel der Freunde ist die Aufrichtung einer lebendigen Geistergemeinschaft zwischen allen wirklich Strebenden. (42) 'neue Akademie'

Der 'allgemeine Unglaube', der 'mit der wissenschaftlichen Kritik unserer Zeiten zusammenhängt, welche der positiven Spekulation vorausgeeilt ist', beweist die Notwendigkeit einer solche Abhilfe. 'Entweder muß die Wissenschaft das Christentum vernichten oder mit ihm ein sein, da die Wahrheit nur eine sein kann.' Und charakteristischerweise wird, ..., die wahre Abhilfe nur in einem Zustand der Einheit aller Menschheit und aller Seiten des Menschentums gesehen, die trotzdem der Wissenschaft (innerhalb dieses lebendigen Ganzen) 'eine großartige, würdige, selbständige Existenz' gewährt, und in dem Bestreben, sie 'nicht von äußerlichen Umständen abhängig werden zu lassen'. (42 f)

| Hans Albert ein Romantiker? (Autonomie der Wissenschaft)

Der Kantische Gedanke z.B., daß zum Wesen des Sittlichen als Sittlichem das Moment und Merkmal des unbedingten und doch freien Suchunterordnens des Menschen unter ein überindividuelles Gesetz gehöre, ist ihm zwar zeitlebens nie verlorengegangen, aber er hat immer zugleich (und zwar unzweifelhaft in naher Anknüpfung an Schillers Kritik Kants) unermüdlich und, ..., gegen Kants 'abstrakte' Auseinanderreißung der sittlich-vernünftigen und sinnlichen Natur des Menschen und seinen extremen Dualismus von Geist und Trieb wie gegen seinen Rigorismus gekämpft. Er war überzeugt, daß dem unbedingten Gebot der sittlichen Pflicht, von dem er nichts nachließ, doch auch in der sinnlichen Natur des Menschen und in der Welt der 'Neigung' letzten Endes etwas entgegenkomme und entgegen kommen müsse, wenn das Sittliche nicht bloß Chimäre bleiben solle -, worin ihn, neben Schiller, die Lektüre Shaftesburys mit seiner optimistischen Lehre von dem ursprünglichen altruistischen Zug des Menschen und vielleicht auch Leibniz gewiß bestärkte. (56)

Poppers Widerlegung des Historizismus

Historizismus

Ein Mensch weiß nur, was er weiß.

Was ein Mensch nicht weiß, das weiß er nicht.

Über diese Tautologie bzw. ihre Negation hat Popper ein ganzes Buch geschrieben (Das Elend des Historizismus).

Denn wer einen logischen Beweis geben will, dass Nichtwissen kein Wissen ist, wird über diese Tautologie niemals hinausgelangen (sosehr er auch im Einzelnen die logische Beweiskette aufzudröseln unternimmt!).

Die Frage, wie neues Wissen möglich ("the logic of scientific discovery") ist und wie man einen konkreten Prozess möglichen neuen Wissenserwerbs im Voraus einzuschätzen vermag, ist mit dieser logisch-abstrakten Vorgehensweise noch in keinster Weise auch nur berührt.

Dass psychologisch die Grenze zwischen Wissen und Nichtwissen nicht anders als fließend ist, hat indes sogar schon der super-reine Analytiker Kant gesehen.

Überhaupt, sprachlogisch gesehen, trifft es sowohl bei der Beschreibung konkret-historische Wissensbestände, die in der Zukunft liegen mögen, als auch generell bei künftigen historischen Ereignissen zu, dass das Konkrete sich immer nur in allgemeinen Begriffen wiedergeben lässt. Derart allgemeine Begriffe enthalten jedoch stets (zumindest in nuce) theoretische Beschreibung und Erklärung; also auch auf diese Weise notwendig auch "Vorhersage-Möglichkeiten" (die sich ihrerseits kritisch gegenüber Alternativen prüfen lassen).

Wenn dem nicht so wäre, so wäre auch jedwede wissenschaftspolitische Einschätzung der Erkenntnischancen künftiger Forschungsvorhaben nicht nur unnütz, sondern ohne jedwede Erkenntnisgrundlage.

Im Übrigen läuft der poppersche Demarkationismus (in schlechter Nachfolge von Kants erkenntniskritischem Programm) darauf hinaus, per logischem Unmöglichkeits-Beweis einen Erkenntnisverzicht zu oktroyieren. Die Logik kann nur Kontradiktionen abweisen; was jedoch beweist die Gültigkeit der Logik? (=> infiniter Regress!)

Eine solche Strategie absoluter Begründung (die Kant noch auf dem menschlichen Erkenntnisapparat sowie der Gültigkeit der newtonschen Physik gründen zu können glaubte) steht damit in eklatantem Gegensatz zum Programm des von Popper später rezipierten Fallibilismus, welcher plädiert für die Konstruktion kühner Hypothesen und deren anschließender Kritik in einem Prozess des Alternativenvergleichs.

In diesem Sinne kritische Vergleiche werden gehindert bzw. von Anfang an unmöglich gemacht, wenn a priori bestimmte Alternativen überhaupt nicht zum Wettbewerb zugelassen werden. Nach der Prozesslogik des Fallibilismus lässt sich erst nach kritischer Prüfung feststellen, was Pseudoerkenntnis ist oder nicht; diese Prüfung setzt allerdings voraus, dass man die Alternativen möglichst genau betrachtet, also zum Gegenstand der wissenschaftlichen Diskussion macht, und nicht mit willkürlichen Pseudoargumenten von selbsternannten Wissenschaftsautoritäten (Feyerabend: "Ayatollah Popper") ausgrenzt.

12.06.2007

Falsche Propheten

Popper, Bd. 2: "Falsche Propheten: Hegel, Marx und die Folgen"

Fordert P. statt falschen Propheten richtige?!

Ein Prophet bezeichnet eine Person, die im Sinne seines Glaubens eine Botschaft oder Prophezeiung von einem Gott oder Gottheit durch Vision, Audition oder Traum empfängt und den Auftrag erfüllt, diese Botschaft anderen zu überbringen. Das meist (aber nicht immer) vorhandene Selbstverständnis als Prophet beruht auf einem persönlichen Gottesverhältnis.
Das Wort stammt aus der altgriechischen Bibelübersetzung Septuaginta, die um 250 v. Chr. erfolgte. Das hebräische Substantiv נבי (nābī) wird meist mit προφητης (prophētēs), wörtlich "Sprecher/in (einer Gottheit)", übersetzt.

Vielfach herrscht jedoch die Vorstellung, Propheten würden die "Zukunft vorhersagen". Im engeren Sinn beinhaltet Prophetie allerdings die zukunftsgerichtete Warnung und die Verkündigung des Willens einer Gottheit.

http://de.wikipedia.org/wiki/Prophet

Schon das Alte Testament und auch Jesus sprechen vom Auftreten falscher Propheten, deren Auftrag nicht von Gott stammt, die aber große Anhängerschaft gewinnen können. Nach Deuteronomium 18,22 kann man einen falschen Propheten daran erkennen, dass das, was er weissagt, auch nicht eintritt.

Im Konnex der Bibel kann man sie "an ihren Früchten erkennen" (Matthäus 7,15]), was allerdings die Gabe der Unterscheidung von gut und böse voraussetzt (1 Joh. 4,1).
Von der Bibelstelle Mt. 7,15 (Hütet euch vor den falschen Propheten; sie kommen zu euch wie (harmlose) Schafe, in Wirklichkeit aber sind sie reißende Wölfe) kommt auch die Redewendung Wolf im Schafspelz. Als häufiges Merkmal falscher Propheten wird auch fehlende Bescheidenheit angesehen, denn fast alle biblischen Propheten/innen haben sich zunächst als für die Aufgabe ungeeignet bezeichnet.

Die Unvermeidlichkeit von Geschichtsphilosophie ergeben sich aus der psychologischen Priorität des theoretischen Denkens [William Berkson, John Wettersten, Lernen aus dem Irrtum. Die Bedeutung von Karl Poppers Lerntheorie für die Psychologie und die Philosophie der Wissenschaft. Mit einem Vorwort von Hans Albert, Hamburg 1982] sowie dem damit einhergehenden gesellschaftlich wirksamen Sinngebungszwang:

"Nachdrücklich und immer wieder hat Max Weber die Indoktrination von Weltbildern, die Deutung des individuellen Schicksals wie des kollektiven Lebenssinns aus der Zuständigkeit des Wissenschaftlers und der in Universitäten institutionalisierten Wissenschaft abgewiesen. (...) Die Ausgrenzung der Sinngebung aus der Wissenschaft begründet sich mit methodischen Postulaten für das Verfahren empirischer Erkenntnisgewinnung. Für die Erfüllung der Deutungsbedürfnisse rechnet Max Weber mit Propheten und Demagogen, mit Institutionen, die sich auf die Sinngebung der Welt spezialisieren. Der Wissenschaftler wird verwiesen auf seine Fähigkeit, die 'ethische Irrationalität der Welt' zu ertragen; die Wissenschaft könne ihm nur insoweit helfen, als sie ihn zwinge, stets aufs neue die Grundlagen und Konsequenzen subjektiver letzter Wertentscheidungen zu prüfen, das Bewußtsein seiner prinzipiellen Ungewißheit zu schärfen."

[M. Rainer Lepsius, Gesellschaftsanalyse und Sinngebungszwang, in: Interessen, Ideen und Institutionen, Opladen 1990, S. 286]

"Wertsetzungen also ermöglichen Wissenschaft; über den Glauben an ihre Gültigkeit rechtfertigen sich die Methoden zur Erkenntnisgewinnung und die Auswahl von Erkenntnisobjekten.

Jede wissenschaftliche Disziplin erfordert insofern eine Binnen- und eine Außenlegitimität. Die Binnenlegitimität bezieht sich auf Wertvorstellungen, die sowohl den Objektbereich einer Wissenschaft betreffen als auch ihre Methoden, sie rechtfertigt die Fragestellung einer Wissenschaft für jene, die solche Wissenschaft betreiben. Die Außenlegitimität hingegen bezieht sich auf Wertvorstellungen, die jenen eine wissenschaftliche Tätigkeit gerechtfertigt erscheinen lassen, die diese weder in ihrer Vorgehensweise noch auch in ihren voraussehbaren Ergebnissen überblicken können. Die Chance für eine autonome Wissenschaft beruht insofern auf dem Aufbau und der gegenseitigen Vermittlung von institutionalisierten Wertvorstellungen für die Rechtfertigung der Wissenschaft nach innen gegenüber denjenigen, die sie betreiben, wie nach außen gegenüber denjenigen, die sie alimentieren und ihre Folgen hinzunehmen befreit sind." (Lepsius, aaO., S. 288)

"Für die Ausbildung einer autonomen Wissenschaft, die sich auf bestimmte Problemstellungen spezialisiert und methodologischen Erkenntnisstrategien folgt, ergeben sich folgende Probleme:

  1. Homogenisierung der Wertvorstellungen und der Kriterien ihrer Interpretation, die für die Außen- und Binnenlegitimierung dieser Wissenschaft in Anspruch genommen werden;
  2. Verminderung des wahrgenommenen Leistungsdefizits zwischen den Erwartungen und den Ergebnissen;
  3. Abweisung solcher Sinngebungsbedürfnisse, die von der Wissenschaft nach Problemstellung und Methodenwahl nicht erfüllt werden können, und Überweisung ihrer Befriedigung an andere soziale Institutionen.

Max Webers Postulat der Werturteilsfreiheit der Wissenschaft hat nur dann eine Chance, wenn diese Probleme eine hinreichende Lösung gefunden haben." (Lepsius, aaO., S. 289)


"Der für die Soziologie in weltanschaulich heterogenen Gesellschaften charakteristische permanente Methodenstreit ist dann Ausdruck eines Kampfes um Durchsetzung oder Anerkennung von Wertpräferenzen, die keine direkte Bedeutung für die einzelne Forschungsaufgabe haben können." (Lepsius, aaO., S. 294)

"Gesellschaftsanalyse bleibt in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Erfahrung der sozialen Totalität in der menschlichen Existenz und ihren Ordnungswerten. Der Methodenstreit in der Soziologie ist insofern Ausdruck der geringen Isolierbarkeit der Legitimationsgründe aus der kulturellen Wertstruktur, ihren Widersprüchen und Kontradiktionen. Was sich als Methodenstreit darstellt, ist der Streit über die Kriterien zur Einengung der Interpretation der Legitimationsgründe. Offenbar leistet das kulturelle Selbstverständnis gegen die Herauslösung von sozialen Elementen aus dem Sinnzusammenhang der menschlichen Existenz weit größeren Widerstand als etwa gegen die Herauslösung der Wirtschaftsgesetzlichkeiten oder anderer Teilfunktionen der gesellschaftlichen Ordnung. Diese höhere Verflechtung mit den gesamtgesellschaftlich wirksamen, moralisch relevanten und politisch herrschenden Konstruktionen der sozialen Wirklichkeit unterwirft die Gesellschaftsanalyse einem beständigen Sinngebungszwang." (Lepsius, aaO., S. 296)

"Durch die geringe Isolierung der Erkenntnisgegenstände der Gesellschaftsanalyse aus dem Sinnzusammenhang der sozialen Erfahrung hat jedes Teilergebnis der Soziologie, gleich welchen methodologisch gesicherten Aussagewert es auch haben möge, eine nicht notwendig beabsichtigte, aber direkte Wirkung als Bestätigung oder Entkräftung von herrschenden Sinnzusammenhängen. Soziologie ist insofern unabhängig von der Mentalität und Absicht des Soziologen, gleichzeitig aufklärerisch und obskurantistisch." (Lepsius, aaO., S. 296)

"Da sich keine einfache Strategie zur Erhöhung der Autonomie durchsetzen läßt oder genauer, mit jeder dieser Strategien schwerwiegende Konsequenzen für die Entwicklung der Soziologie und die soziale Organisation der beständigen Reflexion menschlichen Selbstverständnisses und der moralischen Ordnung des menschlichen Lebens sich ergeben, kann es nicht nützlich sein, die Gesamtproblematik durch Gesinnungsappelle zu verkürzen, oder durch Methodendiskussionen quasi-professionell zu verdecken. Die Profession selbst muß ihr Bedürfnis nach subjektiver Gewißheit in naiver Moralsicherheit oder pathetischem Partisanentum aufgeben." (Lepsius, aaO., S. 298)

P. bekämpft Geschichtsphilosophie überhaupt, wobei er übersieht, dass er selbst eine Geschichtsphilosophie, mehr oder weniger explizit, kreiert.

Eine Verbesserung der philosophischen Form ist dabei mitnichten zu erkennen.

Pierre Bayle:

a) unversöhnlicher Gegensatz von Wissen und Glaube

b) Ethik ist unabhängig von Religion

c) Auch Atheisten können ehrliche Leute sein.

"Pierre Bayle bereitete nicht nur dem Materialismus und der Philosophie des gesunden Menschenverstandes ihre Aufnahme in Frankreich durch die skeptische Auflösung der Metaphysik vor. Er kündete die atheistische Gesellschaft, welche bald zu existieren beginnen sollte, durch den Beweis an, daß eine Gesellschaft von lauter Atheisten existieren, daß ein Atheist ein ehrbarer Mensch sein könne, daß sich der Mensch nicht durch den Atheismus, sondern durch den Aberglauben und den Götzendienst herabwürdige."

[Marx/Engels: Die heilige Familie oder Kritik der kritischen Kritik, S. 254 f. Digitale Bibliothek Band 11: Marx/Engels, S. 1085 f. (vgl. MEW Bd. 2, S. 134 f.)]

Inwieweit kann Popper zurecht ein "Nachzügler der Aufklärung" genannt werden?

Kritische Philosophie im Sinne von Aufklärung setzte wissenschaftliche Exposition der angesprochenen Problemstellungen voraus;

diese eine Rekonstruktion der Problemgeschichte (Diskurs, Kontroversen), also mittelbar: Hermeneutik/Analytik und Quellenkritik

"Ein sogenanntes wissenschaftliches Fach ist nur ein abgegrenztes und konstruiertes Konglomerat von Problemen und Lösungsversuchen."

[Karl R. Popper, Die Logik der Sozialwissenschaften, KöZfSS 14 (1962), S. 237]

P. s Geschichtsphilosophie verzeichnet bzw. unterschlägt die Problemgeschichte:

Prophet von einem in der Theologie positiv ausgezeichneten Wahrheits-Kriterium verkommen zu einem von der Religionskritik und der anti-theologischen Aufklärung abwertend gebrauchten Kampfbegriff; zuletzt völlig verkehrt auf Marxismus angewandt (Kautsky; Popper, Topitsch, Albert).

Marx ganz eindeutig auf der Seite von Bayle, Aufklärung, L. Feuerbach

zwielichtige Position Hegels (vgl. Haering; nützliche Funktion des Irrtums?!)

die historische Funktion der Massen (Idealismus/Materialismus)

(Marx/Engels, Hlg. Familie) – Kerngedanke des Historischen Materialismus

P. Ideengeschichte mit anekdotischer Soziologie aufgelockert (Bayle: die bei Historikern beliebten Abschweifungen!)

Zur Frage, ob P.s Sozialphilosophie u. Methodologie eine systematische Einheit bilden:

Wichtiger als

die Frage, wie viele Analogien / Disanalogien es zwischen beiden Theorien gibt [Helmut F. Spinner, Popper und die Politik. Rekonstruktion und Kritik der Sozial-, Polit- und Geschichtsphilosophie des kritischen Rationalismus. I. Geschlossenheitsprobleme, Bonn 1978] ,

ist die Frage:

Wendet P. in seiner Sozialphilosophie seine eigene Methodologie konsequent und mustergültig an?