Theodor L. Haering: Hegel. Sein Wollen und sein Werk.
Eine chronologische Entwicklungsgeschichte der Gedanken und der Sprache Hegels, Neudruck der Ausgabe Leipzig 1929
Scientia Verlag Aalen 1963
1.)
... Hegel (auch Leibniz nicht ausgenommen) der erste und einzige abendländische Philosoph war und bis heute wohl auch ist, der seine Erfahrungen, welche die Grundlage für all seine Begriffsbildungen und systematischen Grundkategorien bilden, von Anfang an und vorzugsweise auf geistigem Gebiet, auf dem Boden der Geisteswelt, gemacht hat. (5)
vor allem Erscheinungen des überindividuellen geistigen Geschehens
... sogar in ihrem tiefsten Grunde durch praktische, vor allem volkspädagogische Interessen begründet und bestimmt war. (7)
die verschiedensten Gebiete der Wirklichkeit gleichzeitig, ja in demselben Satz und mit demselben, nach allen diesen Seiten hinschillernden Ausdruck, behandelt m(9)
[bei Popper: "Gedankenflucht"]
wie sich überhaupt unter den jeweils vorherrschenden Teilinteressen doch immer und von Anfang an auch schon darüber hinausgehende universalere Tendenzen verbergen (9)
"Die Gemeinschaft der Person mit anderen muß nicht als eine Beraubung der wahren Freiheit des Individuums, sondern als eine Erweiterung derselben angesehen wedren." (Differenzschrift)
Es ist ihm eine Selbstverständlichkeit, ja eigene Erfahrungstatsache und innerliche Gewißheit von Anfang an, daß solche kulturelle Größen wie Staat, Kirche (Religion), bürgerliche Gesellschaft, auch Recht und Sittlichkeit (zunächst als gute Sitte) ihrem Wesen nach überindividuelle Größen sind, in die der einzelne hineingeboren wird und denen er sich nicht etwa unterordnen soll und muß (deshalb ist ihm später z. B. der Dualismus der kantischen Moralität nie ganz verständlich geworden), sondern sich selbstverständlich unterordnet, als dem Elemente, der Lebensluft, in der er lebt, wie der Fisch im Wasser. (20)
seine "Sachlichkeit"
der ausgesprochene Sinn für das Gemeinsame (der verschiedenen Individuen in der überindividuellen Gemeinschaft) wie die Erhaltung der qualitativen Selbständigkeit des Einzelnen (Freiheit der Individuen in letzterer).
Sinn für die wesens- und lebensnotwendigen Beziehungen von überindividuellen Größen untereinander (22)
Entwicklungsbegriff
Hegel unterscheidet sich von ihnen allen durch das mit diesem Einheitsstreben verbundene empirische Interesse für die Einzeltatsachen und die individuellen Unterschiede. (23)
so geht, wie ja der Zug zur 'Typisierung' nach seiner anderen Seite schon zeigte, neben dem Sinn für die individuellen Differenzen der mehr logisch-systematische Trieb zum Hervorheben des Begrifflich-Gemeinsamen einher, den wir als einen Trieb zur Systematisierung und Klassifikation ('Typisierung' i. w. S.) der Tatsachen, ihrer realen Unterschiede wie Zusammenhänge und Beziehungen, bezeichnen können, und der deutlich schon den späteren Systematiker und Logiker verrät. (24)
bedeutsam fürs Hegels Grundeinstellung
wie er die genannten Phänomene von vornherein kurzweg nicht als individuelle, sondern, wie selbstverständlich, als 'Modifikationen des geselligen Lebens', sozusagen als Zustände eines überindividuellen Geistes faßt, wenn auch gewiß die 'Bemühungen' der einzelnen Menschen dadurch im obigen Sinne keineswegs ihre Bedeutung verlieren! (28)
Gedanken der Volkserziehung
Vielmehr wird es sich uns immer mehr als ein besonders charakteristischer (und ebenfalls antirationalistischer) Zug des Hegelschen Geistes erweisen, wie die theoretische Seite und die praktische bei ihm jederzeit als gleichberechtigte, sich gegenseitig notwendig fordernde, ohne jede prinzipielle Unterordnung der einen unter die andere, auftreten und sich behaupten. Wie das theoretische Interesse zugleich wesensnotwendig ein praktisches für seine Auffassung sein muß, so auch umgekehrt. (31
einem letzten und höchsten Losungswort der Freunde aus jener Zeit zu:
jener vielbesprochenen Formel des 'Hen kai Pan', d.h. des All-Einen, in der für sie Freiheit, Leben und Liebe, jene anderen Symbole – und gerade hier wohl mit besonders deutlichen individuellen Unterschieden – sich offenbar wie in einem Brennpunkt einten. (45)
Gedanken der lebendigen Verbundenheit und Einheit alles Seins mit Gott = Inhalt von Religion (46)
Was für Hölderlin bzw. die Freunde das Wesentliche bei der Beurteilung einer solchen historischen Kulturerscheinung (Wissenschaft und Religion) ist, ist auch hier wieder, ganz in demselben Sinne, nicht der tote Stoff, sondern die lebendige Form der Existenz im Ganzen eines lebendigen Geisteslebens (43)
Pantheismus? vgl. Kontroverse Mendelssohn-Jacobi über Lessings Spinozismus
gemeinsames Losungswort: Liebe
Hatte doch auch wiederum schon Schiller die lebendige Gemeinschaft einzelner, aber sogar auch schon aller Geister, untereinander und mit (in) Gott, in seinem Hymnus (...) mit diesem Namen bedacht und besungen; ebenso aber hatte auch schon Spinoza, der damals überall, wie schon von Goethe und Lessing-Jacobi, in die gefühligere Stimmung der Zeit übersetzte, dem 'amor dei' eine allwaltende, fast kosmische Bedeutung gegeben; sie aber leitete, zusammen mit seinem ganzen System, über den Neuplatonismus, schließlich auf Platon und dessen Lehre vom Eros als geistigen Vater zurück, aus der denn auch Hegel selbst dieses Losungswort mit seinen Gefährten unmittelbar in gemeinsamer Lektüre des 'Symposion' übernahm. Und was war schließlich die 'Brüderlichkeit' neben Freiheit und Gleichheit in der Losung der Französischen Revolution anders als ein anderes Wort hierfür oder doch wenigstens für einen Teil solcher lebendiger Gemeinschaft, wie sie im umfassenden Sinn mit diesem Wort 'Liebe' gekennzeichnet war? (41 f)
Das gemeinsame Ziel der Freunde ist die Aufrichtung einer lebendigen Geistergemeinschaft zwischen allen wirklich Strebenden. (42) 'neue Akademie'
Der 'allgemeine Unglaube', der 'mit der wissenschaftlichen Kritik unserer Zeiten zusammenhängt, welche der positiven Spekulation vorausgeeilt ist', beweist die Notwendigkeit einer solche Abhilfe. 'Entweder muß die Wissenschaft das Christentum vernichten oder mit ihm ein sein, da die Wahrheit nur eine sein kann.' Und charakteristischerweise wird, ..., die wahre Abhilfe nur in einem Zustand der Einheit aller Menschheit und aller Seiten des Menschentums gesehen, die trotzdem der Wissenschaft (innerhalb dieses lebendigen Ganzen) 'eine großartige, würdige, selbständige Existenz' gewährt, und in dem Bestreben, sie 'nicht von äußerlichen Umständen abhängig werden zu lassen'. (42 f)
| Hans Albert ein Romantiker? (Autonomie der Wissenschaft)
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