Dies ist der gebündelte Versuch einer Replik auf: Karl R. Popper, Das Elend des Historizismus, was eine Replik darstellte auf: Karl Marx, Das Elend der Philosophie, was eine Replik darstellte auf: Proudhon, Die Philosophie des Elends

18.06.2007

Hegels Problemstellung

Theodor L. Haering: Hegel. Sein Wollen und sein Werk.

Eine chronologische Entwicklungsgeschichte der Gedanken und der Sprache Hegels, Neudruck der Ausgabe Leipzig 1929
Scientia Verlag Aalen 1963

Auch in Diltheys genialem und im übrigen grundlegenden Werk über 'Hegels Jugendgeschichte' besitzen wir diese verlangte Entwicklungsgeschichte noch nicht, auch abgesehen davon, daß auch hier auf jeden Versuch, der geistigen Entwicklung eine entsprechende Geschichte der Entwicklung seiner Ausdrucksweise parallel gehen zu lassen, ganz verzichtet ist. Ist doch hier auch die Gedankenentwicklung Hegels ebenfalls nur erst in größten Zügen und noch auf Grund eines chronologisch nicht einwandfrei geordneten Quellenmaterials gegeben. Erst nachher ist, auf Diltheys eigene Anregung hin (vor allem durch seinen Schüler H. Nohl, und in anderen Teilen des Nachlasses durch Ehrenberg und Link und vor allem durch Lasson) der Nachlaß dann publiziert und dabei endlich auch mit annähernder Genauigkeit datiert worden, so daß wir die in vielem gewiß genialen Intuitionen Diltheys erst jetzt im einzelnen auf ihre Richtigkeit nachzuprüfen und in vielem, wiencih zeigen werde, auch zu korrigieren vermögen. (VIII)

Nohl, Hegels theologische Jugendschriften, Tübingen (Mohr) 1907


1.)
... Hegel (auch Leibniz nicht ausgenommen) der erste und einzige abendländische Philosoph war und bis heute wohl auch ist, der seine Erfahrungen, welche die Grundlage für all seine Begriffsbildungen und systematischen Grundkategorien bilden, von Anfang an und vorzugsweise auf geistigem Gebiet, auf dem Boden der Geisteswelt, gemacht hat. (5)

vor allem Erscheinungen des überindividuellen geistigen Geschehens

2.)
... sogar in ihrem tiefsten Grunde durch praktische, vor allem volkspädagogische Interessen begründet und bestimmt war. (7)

ein echt romantischer Zug
die verschiedensten Gebiete der Wirklichkeit gleichzeitig, ja in demselben Satz und mit demselben, nach allen diesen Seiten hinschillernden Ausdruck, behandelt m(9)

[bei Popper: "Gedankenflucht"]

wie sich überhaupt unter den jeweils vorherrschenden Teilinteressen doch immer und von Anfang an auch schon darüber hinausgehende universalere Tendenzen verbergen (9)

"Die Höchste Gemeinschaft ist die höchste Freiheit."

"Die Gemeinschaft der Person mit anderen muß nicht als eine Beraubung der wahren Freiheit des Individuums, sondern als eine Erweiterung derselben angesehen wedren." (Differenzschrift)

Es ist ihm eine Selbstverständlichkeit, ja eigene Erfahrungstatsache und innerliche Gewißheit von Anfang an, daß solche kulturelle Größen wie Staat, Kirche (Religion), bürgerliche Gesellschaft, auch Recht und Sittlichkeit (zunächst als gute Sitte) ihrem Wesen nach überindividuelle Größen sind, in die der einzelne hineingeboren wird und denen er sich nicht etwa unterordnen soll und muß (deshalb ist ihm später z. B. der Dualismus der kantischen Moralität nie ganz verständlich geworden), sondern sich selbstverständlich unterordnet, als dem Elemente, der Lebensluft, in der er lebt, wie der Fisch im Wasser. (20)

Die einfache natürliche Selbstverständlichkeit griechischen Staatsbewußtseins und überindividueller griechischer Sittlichkeit und Religion, der Unterordnung des Individuums unter diese überindividuellen Mächte, wie sie auch in Platons Utopie ja die Grundlage bildet, sprach ihn offenbar aufs stärkste an. dabei bedeutet es für ihn, ganz schon im Sinne auch des späteren Hegel, keineswegs einen Widerspruch, wenn ihm andererseits damals der stoische Individualismus und seine sittliche Autonomie offenbar mächtig imponierte, wie er ihm aus Epiktets Encheiridion oder der Schrift des Longinus über das Erhabene oder auch aus mancher ciceronianischen Lektüre in sekundärer Form entgegentrat. (21)


seine "Sachlichkeit"
der ausgesprochene Sinn für das Gemeinsame (der verschiedenen Individuen in der überindividuellen Gemeinschaft) wie die Erhaltung der qualitativen Selbständigkeit des Einzelnen (Freiheit der Individuen in letzterer).

Sinn für die wesens- und lebensnotwendigen Beziehungen von überindividuellen Größen untereinander (22)

Entwicklungsbegriff
Hegel unterscheidet sich von ihnen allen durch das mit diesem Einheitsstreben verbundene empirische Interesse für die Einzeltatsachen und die individuellen Unterschiede. (23)

charakteristische Art des Blicks für Zusammenhänge

so geht, wie ja der Zug zur 'Typisierung' nach seiner anderen Seite schon zeigte, neben dem Sinn für die individuellen Differenzen der mehr logisch-systematische Trieb zum Hervorheben des Begrifflich-Gemeinsamen einher, den wir als einen Trieb zur Systematisierung und Klassifikation ('Typisierung' i. w. S.) der Tatsachen, ihrer realen Unterschiede wie Zusammenhänge und Beziehungen, bezeichnen können, und der deutlich schon den späteren Systematiker und Logiker verrät. (24)

Wenn Hegel, wie wir zeigten, die Unterschiede ebenso wie die Beziehungen des Verschiedenen und unter den letzteren die realen (nach Sein und Werden, in horizontaler wie vertikaler Richtung) wie die logisch-klassifikatorisch-systematischen, von Anfang an mit gleicher Intensität an diesen geistigen (vor allem überindividuellen) Größen beachtet, ohne in die Einseitigkeiten anderer zu verfallen, so dürfen wir, die wir Hegels vollendete Lehre kennen, ihn in der tat auf diesem Doppelwege schon auf dem Pfade sehen, der später einmal zu der Entdeckung des spezifisch Hegelschen 'Begriffs', mit seiner Einheit von Realem und Logischem, von Mannigfaltigkeit der Unterschiede und lebendiger Einheit derselben, führen wird. Hier sei nur noch allgemein darauf hingewiesen, wie gerade der obige Gedanke der notwendigen Gleichberechtigung von Unterschied und Beziehung, im logischen wie realen Sinn, es offenbar ist, der später auch das eigentliche Wesen der Hegelschen 'Dialektik' ausmacht. Bedeutet diese doch zunächst nichts anderes, als daß Einheit lebendiger Art nur als Einheit im Gegensatz und Unterschied (von A und Non A) möglich sei, eben darum aber auch ein Begreifen ihres (wahren) Wesens nur in einem 'Begriff', der beidem Rechnung trägt und gerecht wird. (27)


bedeutsam fürs Hegels Grundeinstellung
wie er die genannten Phänomene von vornherein kurzweg nicht als individuelle, sondern, wie selbstverständlich, als 'Modifikationen des geselligen Lebens', sozusagen als Zustände eines überindividuellen Geistes faßt, wenn auch gewiß die 'Bemühungen' der einzelnen Menschen dadurch im obigen Sinne keineswegs ihre Bedeutung verlieren! (28)

Gedanken der Volkserziehung

Vielmehr wird es sich uns immer mehr als ein besonders charakteristischer (und ebenfalls antirationalistischer) Zug des Hegelschen Geistes erweisen, wie die theoretische Seite und die praktische bei ihm jederzeit als gleichberechtigte, sich gegenseitig notwendig fordernde, ohne jede prinzipielle Unterordnung der einen unter die andere, auftreten und sich behaupten. Wie das theoretische Interesse zugleich wesensnotwendig ein praktisches für seine Auffassung sein muß, so auch umgekehrt. (31

Gerade dieses vermeintliche Herausfühlen eben desselben kommenden Neuen, Lebendigeren aus den an sich heterogensten damaligen Zeitströmungen und die darin liegende jugendliche Unklarheit über den näheren Inhalt desselben, wenn es nur ein Lebendiges war, ist für diese Jugendjahre der drei durchaus charakteristisch und erklärt es auch vollkommen, weshalb an sich so verschiedene Naturen, wie die drei genannten, sich doch, damals wenigstens, ganz eins fühlen konnten. (38)


einem letzten und höchsten Losungswort der Freunde aus jener Zeit zu:

jener vielbesprochenen Formel des 'Hen kai Pan', d.h. des All-Einen, in der für sie Freiheit, Leben und Liebe, jene anderen Symbole – und gerade hier wohl mit besonders deutlichen individuellen Unterschieden – sich offenbar wie in einem Brennpunkt einten. (45)

Gedanken der lebendigen Verbundenheit und Einheit alles Seins mit Gott = Inhalt von Religion (46)

Was für Hölderlin bzw. die Freunde das Wesentliche bei der Beurteilung einer solchen historischen Kulturerscheinung (Wissenschaft und Religion) ist, ist auch hier wieder, ganz in demselben Sinne, nicht der tote Stoff, sondern die lebendige Form der Existenz im Ganzen eines lebendigen Geisteslebens (43)

Pantheismus? vgl. Kontroverse Mendelssohn-Jacobi über Lessings Spinozismus


gemeinsames Losungswort: Liebe

Hatte doch auch wiederum schon Schiller die lebendige Gemeinschaft einzelner, aber sogar auch schon aller Geister, untereinander und mit (in) Gott, in seinem Hymnus (...) mit diesem Namen bedacht und besungen; ebenso aber hatte auch schon Spinoza, der damals überall, wie schon von Goethe und Lessing-Jacobi, in die gefühligere Stimmung der Zeit übersetzte, dem 'amor dei' eine allwaltende, fast kosmische Bedeutung gegeben; sie aber leitete, zusammen mit seinem ganzen System, über den Neuplatonismus, schließlich auf Platon und dessen Lehre vom Eros als geistigen Vater zurück, aus der denn auch Hegel selbst dieses Losungswort mit seinen Gefährten unmittelbar in gemeinsamer Lektüre des 'Symposion' übernahm. Und was war schließlich die 'Brüderlichkeit' neben Freiheit und Gleichheit in der Losung der Französischen Revolution anders als ein anderes Wort hierfür oder doch wenigstens für einen Teil solcher lebendiger Gemeinschaft, wie sie im umfassenden Sinn mit diesem Wort 'Liebe' gekennzeichnet war? (41 f)

Das gemeinsame Ziel der Freunde ist die Aufrichtung einer lebendigen Geistergemeinschaft zwischen allen wirklich Strebenden. (42) 'neue Akademie'

Der 'allgemeine Unglaube', der 'mit der wissenschaftlichen Kritik unserer Zeiten zusammenhängt, welche der positiven Spekulation vorausgeeilt ist', beweist die Notwendigkeit einer solche Abhilfe. 'Entweder muß die Wissenschaft das Christentum vernichten oder mit ihm ein sein, da die Wahrheit nur eine sein kann.' Und charakteristischerweise wird, ..., die wahre Abhilfe nur in einem Zustand der Einheit aller Menschheit und aller Seiten des Menschentums gesehen, die trotzdem der Wissenschaft (innerhalb dieses lebendigen Ganzen) 'eine großartige, würdige, selbständige Existenz' gewährt, und in dem Bestreben, sie 'nicht von äußerlichen Umständen abhängig werden zu lassen'. (42 f)

| Hans Albert ein Romantiker? (Autonomie der Wissenschaft)

Der Kantische Gedanke z.B., daß zum Wesen des Sittlichen als Sittlichem das Moment und Merkmal des unbedingten und doch freien Suchunterordnens des Menschen unter ein überindividuelles Gesetz gehöre, ist ihm zwar zeitlebens nie verlorengegangen, aber er hat immer zugleich (und zwar unzweifelhaft in naher Anknüpfung an Schillers Kritik Kants) unermüdlich und, ..., gegen Kants 'abstrakte' Auseinanderreißung der sittlich-vernünftigen und sinnlichen Natur des Menschen und seinen extremen Dualismus von Geist und Trieb wie gegen seinen Rigorismus gekämpft. Er war überzeugt, daß dem unbedingten Gebot der sittlichen Pflicht, von dem er nichts nachließ, doch auch in der sinnlichen Natur des Menschen und in der Welt der 'Neigung' letzten Endes etwas entgegenkomme und entgegen kommen müsse, wenn das Sittliche nicht bloß Chimäre bleiben solle -, worin ihn, neben Schiller, die Lektüre Shaftesburys mit seiner optimistischen Lehre von dem ursprünglichen altruistischen Zug des Menschen und vielleicht auch Leibniz gewiß bestärkte. (56)

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