Dies ist der gebündelte Versuch einer Replik auf: Karl R. Popper, Das Elend des Historizismus, was eine Replik darstellte auf: Karl Marx, Das Elend der Philosophie, was eine Replik darstellte auf: Proudhon, Die Philosophie des Elends

22.09.2007

Das Territorialverhalten der Kritischen Rationalisten

Paul Feyerabend: ''Über die Methode. Ein Dialog.'' in: Gerard Radnitzky, Gunnar Andersson: ''Voraussetzungen und Grenzen der Wissenschaft.'' Tübingen 1981. ISBN 3-16-942722-9

In einem Dialog, der an Dadaismus sowie in seiner Verfremdungs-Strategie an Bertolt Brecht erinnert, werden Philosophen als "Denkbeamte" und der Philosophie-Business als Staatsreligion qualifiziert.

Gerard Radnitzky, Gunnar Andersson: ''Voraussetzungen und Grenzen der Wissenschaft.'' Tübingen 1981. ISBN 3-16-942722-9

"Früher hat er sich für den Theorienpluralismus eingesetzt, jetzt setzt er sich für eine Pluralität der Lebensformen ein, weil er Offenheit gegenüber anderen Lebensformen und die Bereitschaft, von ihnen zu lernen, für wünschenswert und geradezu für eine Art des Rationalismus hält." Gunnar Andersson: ''Voraussetzungen, Probleme und Erkenntnisfortschritt.'' in: Gerard Radnitzky, Gunnar Andersson: ''Voraussetzungen und Grenzen der Wissenschaft.'' Tübingen 1981. S. 6. ISBN 3-16-942722-9

Relativismus:
"Nach J. St. Mill zielte die Sokratische Dialektik mit ihren negativen Diskussionen auf die Vorbereitung eines wohlbegründeten Urteils. Bei Feyerabend findet sich nichts Ähnliches. In dieser Beziehung ähnelt seine Dialektik mehr der der Sophisten als der des Sokrates. Auch Feyerabends Verhältnis zur Rhetorik steht dem der Sophisten wesentlich näher als dem des Sokrates. Zur Entscheidung für eine Lebensform oder für eine wissenschaftliche Theorie gibt Feyerabend keine Anleitung, meint aber, sie sei ein Ergebnis der Propaganda, also der modernen Form der Rhetorik. Feyerabend empfiehlt nicht nur Offenheit gegenüber verschiedenen Lebensformen, sondern am Ende kann er sich kaum dem Schluss entziehen, dass alle Lebensformen, theoretisch gesehen, gleich gut seien. Damit endet die Feyerabendsche Philosophie in der Skepsis. Wir sollen anderen Lebensformen gegenüber offen sein, doch es ist die Offenheit des Relativismus und der Skepsis."
Gunnar Andersson: ''Voraussetzungen, Probleme und Erkenntnisfortschritt.'' in: Gerard Radnitzky, Gunnar Andersson: ''Voraussetzungen und Grenzen der Wissenschaft.'' Tübingen 1981. S. 7. ISBN 3-16-942722-9

28.08.2007

Historischer Materialismus

"Und so hoffe ich, daß auch die britische »Respektabilität«, die man auf deutsch Philisterium heißt, nicht gar zu entsetzt sein wird, wenn ich im Englischen, wie in so vielen andern Sprachen, den Ausdruck »historischer Materialismus« anwende zur Bezeichnung derjenigen Auffassung des Weltgeschichtsverlaufs, die die schließliche Ursache und die entscheidende Bewegungskraft aller wichtigen geschichtlichen Ereignisse sieht in der ökonomischen Entwicklung der Gesellschaft, in den Veränderungen der Produktions- und Austauschweise, in der daraus entspringenden Spaltung der Gesellschaft in verschiedne Klassen und in den Kämpfen dieser Klassen unter sich."

[Engels: ''Über historischen Materialismus.'' S. 19. Digitale Bibliothek Band 11: Marx/Engels, S. 8934 (vgl. MEW Bd. 22, S. 298)]

Die Methode des Aufsteigens vom Abstrakten zum Konkreten

3. Die Methode der politischen Ökonomie

Wenn wir ein gegebnes Land politisch-ökonomisch betrachten, so beginnen wir mit seiner Bevölkerung, ihrer Verteilung in Klassen, Stadt, Land, See, den verschiednen Produktionszweigen, Aus- und Einfuhr, jährlicher Produktion und Konsumtion, Warenpreisen etc.
Es scheint das Richtige zu sein, mit dem Realen und Konkreten, der wirklichen Voraussetzung zu beginnen, also z.B. in der Ökonomie mit der Bevölkerung, die die Grundlage und das Subjekt des ganzen gesellschaftlichen Produktionsakts ist. Indes zeigt sich dies bei näherer Betrachtung [als] falsch. Die Bevölkerung ist eine Abstraktion, wenn ich z.B. die Klassen, aus denen sie besteht, weglasse. Diese Klassen sind wieder ein leeres Wort, wenn ich die Elemente nicht kenne, auf denen sie beruhn, z.B. Lohnarbeit, Kapital etc. Diese unterstellen Austausch, Teilung der Arbeit, Preise etc. Kapital z.B. ohne Lohnarbeit ist nichts, ohne Wert, Geld, Preis etc. Finge ich also mit der Bevölkerung an, so wäre das eine chaotische Vorstellung des Ganzen und durch nähere Bestimmung würde ich analytisch immer mehr auf einfachere Begriffe kommen; von dem vorgestellten Konkreten auf immer dünnere Abstrakta, bis ich bei den einfachsten Bestimmungen angelangt wäre. Von da wäre nun die Reise wieder rückwärts anzutreten, bis ich endlich wieder bei der Bevölkerung anlangte, diesmal aber nicht als bei einer chaotischen Vorstellung eines Ganzen, sondern als einer reichen Totalität von vielen Bestimmungen und Beziehungen. Der erste Weg ist der, den die Ökonomie in ihrer Entstehung geschichtlich genommen hat. Die Ökonomen des 17. Jahrhunderts z.B. fangen immer mit dem lebendigen Ganzen, der Bevölkerung, der Nation, Staat, mehreren Staaten etc.an; sie enden aber immer damit, daß sie durch Analyse einige bestimmende abstrakte, allgemeine Beziehungen, wie Teilung der Arbeit, Geld, Wert etc. herausfinden. Sobald diese einzelnen Momente mehr oder weniger fixiert und abstrahiert waren, begannen die ökonomischen Systeme, die von dem einfachen, wie Arbeit, Teilung der Arbeit, Bedürfnis, Tauschwert, aufsteigen bis zum Staat, Austausch der Nationen und Weltmarkt. Das letztre ist offenbar die wissenschaftlich richtige Methode. Das Konkrete ist konkret, weil es die Zusammenfassung vieler Bestimmungen ist, also Einheit des Mannigfaltigen. Im Denken
erscheint es daher als Prozeß der Zusammenfassung, als Resultat, nicht als Ausgangspunkt, obgleich es der wirkliche Ausgangspunkt und daher auch der Ausgangspunkt der Anschauung und der Vorstellung ist. Im ersten Weg wurde die volle Vorstellung zu abstrakter Bestimmung verflüchtigt; im zweiten führen die abstrakten Bestimmungen zur Reproduktion des Konkreten im Weg des Denkens. Hegel geriet daher auf die Illusion, das Reale als Resultat des sich in sich zusammenfassenden, in sich vertiefenden und aus sich selbst sich bewegenden Denkens zu fassen, während die Methode, vom Abstrakten zum Konkreten aufzusteigen, nur die Art für das Denken ist, sich das Konkrete anzueignen, es als ein geistig Konkretes zu reproduzieren. Keineswegs aber der Entstehungsprozeß des Konkreten selbst. Z.B. die einfachste ökonomische Kategorie, sage z.B. Tauschwert, unterstellt Bevölkerung, Bevölkerung, produzierend in bestimmten Verhältnissen; auch gewisse Sorte von Familien-
oder Gemeinde- oder Staatswesen etc. Er kann nie existieren außer als abstrakte, einseitige Beziehung eines schon gegebnen konkreten, lebendigen Ganzen. Als Kategorie führt dagegen der Tauschwert ein antediluvianisches Dasein. Für das Bewußtsein daher - und das philosophische Bewußtsein ist so bestimmt -, dem das begreifende Denken der wirkliche Mensch und daher die begriffne Welt als solche erst das Wirkliche ist, erscheint daher die Bewegung der Kategorien als der wirkliche Produktionsakt - der leider nur einen Anstoß von außen erhält -, dessen Resultat dieWelt ist; und dies ist - dies ist aber wieder eine Tautologie - soweit richtig, als die konkrete Totalität als Gedankentotalität, als ein Gedankenkonkretum, in fact ein Produkt des Denkens, des Begreifens ist; keineswegs aber des außer oder über der Anschauung und Vorstellung denkenden und sich selbst gebärenden Begriffs, sondern der Verarbeitung von Anschauung und Vorstellung in Begriffe. Das Ganze, wie es im Kopfe als Gedankenganzes erscheint, ist ein Produkt des denkenden Kopfes, der sich die Welt in der ihm einzig möglichen Weise aneignet, einer Weise, die verschieden ist von der künstlerischen, religiösen, praktisch-geistigen Aneignung dieser Welt. Das reale
Subjekt bleibt nach wie vor außerhalb des Kopfes in seiner Selbständigkeit bestehn; solange sich der Kopf nämlich nur spekulativ verhält, nur theoretisch. Auch bei der theoretischen Methode daher muß das Subjekt, die Gesellschaft, als Voraussetzung stets der Vorstellung vorschweben.

[Marx: Einleitung [zur Kritik der politischen Ökonomie], S. 34 ff. Digitale Bibliothek Band 11: Marx/Engels, S. 2791 ff. (vgl. MEW Bd. 13, S. 631 ff.)]

Ludwig Feuerbach / Marxismus

Feuerbachs Hauptleistung für Karl Marx und Friedrich Engels bestand darin, dem deutschen Idealismus, der in Hegel kulminierte, den Standpunkt des [[Materialismus]] entgegengesetzt zu haben, welcher den Menschen in seiner Wirklichkeit zum Ausgangspunkt nimmt. Marx und Engels haben Feuerbachs Hegel-Kritik begeistert anerkannt und in den Grundzügen nur noch erweitert - in Gegensatz zu den als "Neomarxisten" bezeichneten Vertretern der [[Kritische Theorie | Kritischen Theorie]] wie etwa [[Herbert Marcuse]], die Marx "rehegelianisiert" haben.

"Feuerbachs große Tat ist:
1. der Beweis, daß die Philosophie nichts andres ist als die in Gedanken gebrachte und denkend ausgeführte Religion; eine andre Form und Daseinsweise der Entfremdung des menschlichen Wesens; also ebenfalls zu verurteilen ist;
2. die Gründung des wahren Materialismus und der reellen Wissenschaft, indem Feuerbach das gesellschaftliche Verhältnis »des Menschen zum Menschen« ebenso zum Grundprinzip der Theorie macht;
3. indem er der Negation der Negation, die das absolut Positive zu sein behauptet, das auf sich selbst ruhende und positiv auf sich selbst begründete Positive entgegenstellt."

[Marx: ''Ökonomisch-philosophische Manuskripte aus dem Jahre 1844.'' S. 200f. Digitale Bibliothek Band 11: Marx/Engels, S. 768f (vgl. MEW Bd. 40, S. 569-570)]



Indes fasst Feuerbach nach Marx den Menschen nur als abstraktes Naturwesen, d.h. ohne die gegenständlich-praktische Aktivität der Menschen in Wirtschaft, Gesellschaft, Politik und Geschichte konkret in Theorie und revolutionäre Praxis einzubeziehen.

"Der Hauptmangel alles bisherigen Materialismus (den Feuerbachschen mit eingerechnet) ist, daß der Gegenstand, die Wirklichkeit, Sinnlichkeit, nur unter der Form des Objekts oder der Anschauung gefaßt wird; nicht aber als sinnlich menschliche Tätigkeit, Praxis; nicht subjektiv." [http://www.mlwerke.de/me/me03/me03_005.htm Karl Marx: ''Thesen über Feuerbach'' (1847)]-

"Stirner hat recht, wenn er 'den Menschen' Feuerbachs, wenigstens des 'Wesens des Christentums' verwirft; der feuerbachsche 'Mensch' ist von Gott abgeleitet, Feuerbach ist von Gott auf den 'Menschen' gekommen, und so ist 'der Mensch' allerdings noch mit einem theologischen Heiligenschein der Abstraktion bekränzt. Der wahre Weg, zum 'Menschen' zu kommen, ist der umgekehrte. Wir müssen vom Ich, vom empirischen, leibhaftigen Individuum ausgehen, um nicht, wie Stirner, drin stecken zu bleiben, sondern uns von da aus zu 'dem Menschen' zu erheben. 'Der Mensch' ist immer eine Spukgestalt, solange er nicht an dem empirischen Menschen seine Basis hat. Kurz, wir müssen vom Empirismus und Materialismus ausgehen, wenn unsre Gedanken und namentlich unser 'Mensch' etwas Wahres sein sollen; wir müssen das Allgemeine vom Einzelnen ableiten, nicht aus sich selbst oder aus der Luft à la Hegel." (Engels an Marx, 19.11.1844, MEW 27:12)


Es war den Gründern des [[Marxismus]] also von entscheidender Bedeutung, nicht nur Hegel überwunden zu haben, sondern darüber hinaus weiter zu gehen und auf der gewonnenen neuen Grundlage eine Wissenschaft konkret zu entwickeln.

* Walter Jaeschke, Werner Schuffenhauer (Hrg.): ''Ludwig Feuerbach, Entwürfe zu einer Neuen Philosophie.'' Felix Meiner Verlag Hamburg 1996, ISBN 3-7873-1077-0;

enthält neben einer Einleitung der Herausgeber: ''Vorläufige Thesen zur Reformation der Philosophie,'' ''Grundsätze der Philosophie der Zukunft,'' (vgl. Ges. Werke, Akademie-Verlag Bd. 9) sowie ''Übergang von der Theologie zur Philosophie,'' ''Grundsätze der Philosophie. Notwendigkeit einer Veränderung.'' (neu erstellt aufgrund Manuskripte aus dem Nachlass).

27.08.2007

Friedmans F-twist

Ein Mann, dem ein so großer Einfluss in der Wirtschaftspolitik zugeschrieben wird, kann kaum verfehlen, eine Kritik in entsprechend hohem Maße zu provozieren, vornehmlich auch für die faktischen Resultate einer Wirtschaftspolitik, die im Namen der von ihm vertretenen Lehrmeinungen praktiziert wurde.

So kritisiert Tom Palley [http://www.sharedprosperity.org/bp191/bp191.pdf Tom Palley, Reviving full employment policy], S. 6f
den negativen Einfluss der Theorie der natürlichen Arbeitslosenquote auf die US-Geldpolitik, die systematisch zu einer Verschlechterung der Einkommenssituation der Arbeitnehmer geführt habe. Neben großzügigen, aber unrealistischen theoretischen Annahmen über die Flexibilität und die Funktionsweise des Arbeitsmarktes sei es bislang niemand gelungen, eine stabile "natürliche Arbeitslosenquote" nachzuweisen. Zudem wurde von Mishkin 1982
''Does anticipated policy matter? An econometric investigation.'' Journal of Political Economy. February 1982. pp. 22-51.
nachgewiesen, dass Erwartungen bezüglich geldpolitischer Maßnahmen sich sehr wohl auf Output und Beschäftigungsniveau auswirkten.

Als "F-Twist"[[Alan Musgrave]]: ''Unreal assumptions in Economic Theory: The F-twist untwisted.'' Kyklos, 34, 1981, pp.26-29, 377-387 wurde FriedmansMilton Friedman: ''Essays in Positive Economics.'' Chicago 1953, S. 14 Schwanken bezeichnet zwischen empiristischem und [[Konventionalismus | konventionalistischem]] Verständnis der Annahmen in der ökonomischen Theorie, was in dem Ausspruch gipfelte: „the more significant the theory, the more unrealistic the assumption". Albert [[Hans Albert]]: ''Aufklärung und Steuerung. Aufsätze zur Sozialphilosophie und zur Wissenschaftslehre der Sozialwissenschaften.'' Hamburg 1976, S. 155f, Anm.98 erblickte in der Mehrdeutigkeit von „Annahme" den Ursprung der hervorgerufenen Konfusion, die schließlich Arni

Jean-Louis Arni: ''Die Kontroverse um die Realitätsnähe der Annahmen in der Oekonomie.'' Grüsch 1989 zu klären unternahm.

Am umstrittensten ist jedoch Friedman in seiner exponierten Rolle als gesellschaftspolitischer Propagandist.vgl. dazu [[Paul Krugman]]: ''Auf eine Reformation folgt eine Gegenreformation. Über Milton Friedman,'' Merkur 61. Jg. Heft 698, Juni 2007, S. 508-521 So hat [[Noam Chomsky]] in einem seiner Bücher Friedmans Sentenz: "Das Gewinnstreben ist das Wesen der Demokratie." zurückgewiesen mit der Bemerkung: "Das Ziel der Demokratie besteht darin, dass die Leute über ihr eigenes Leben und die politischen Entscheidungen, die sie betreffen, frei bestimmen können." [http://www.taz.de/index.php?id=monde-diplomatique&art=2938&id=monde-diplomatique-artikel&cHash=6fbfab8469 NOAM CHOMSKY unterhält sich mit dem Radioreporter Daniel Mermet], ''Monde Diplomatique'' 10.08.2007

http://de.wikipedia.org/wiki/Milton_Friedman

Pseudowissenschaft

Ein Popperplagiat an Engels?


Eine '''Pseudowissenschaft''' (neoklass. Lehn-Affixoid ''pseud-'' = unecht, vorgetäuscht, scheinbar; abgeleitet von dem altgr. Verb ψεύδω''[[pseudo]]'' = täuschen, lügen bzw. dem Substantiv ψεύδος ''pseudos'' = Lüge, TäuschungFr. Kluge (2002): Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. -- 24. Aufl.: LXXXIX + 1023 S.; Berlin u. New York (de Gruyter).C.F. Werner (1972): Wortelemente lateinisch-griechischer Fachausdrücke in den biologischen Wissenschaften. -- Suhrkamp Taschenbuch, Bd. 64, 1. Aufl.: 475 S.; Frankfurt am Main (Suhrkamp).)
ist eine Lehre, die sich den äußeren Anschein einer [[Wissenschaft]] gibt, ohne diesen Anspruch zu erfüllen."... wie man in der Ökonomie annimmt, daß jeder Konsument gründlicher Kenner allerder Waren ist, die er zu seinem Lebensunterhalt einzukaufen in den Fall kommt - so soll es nun auch in der Wissenschaft gehalten werden. Freiheit der Wissenschaft heißt, daß man über alles schreibt, was man nicht gelernt hat, und dies für die einzige streng wissenschaftliche Methode ausgibt. Herr Dühring aber ist einer der bezeichnendsten Typen dieser vorlauten Pseudowissenschaft, die sich heutzutage in Deutschland überall in den Vordergrund drängt und alles übertönt mit ihrem dröhnenden - höhern Blech." [Engels: ''[[Anti-Dühring | Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft]],'' S. 5. Digitale Bibliothek Band 11: Marx/Engels, S. 7636 (vgl. MEW Bd. 20, S. 6)]

http://de.wikipedia.org/wiki/Pseudowissenschaft

[aus wikipedia entfernt von Livani mit dem Vermerk, dass Engels-Zitate dort nicht hingehören]

Es gibt jedoch wissenschaftliche Autoren, für die beginnt die Weltgeschichte mit Popper:

· "Incidentally, the philosopher Karl Popper coined the term, ‘pseudo-science’. The examples he gave were (Western) astrology and homeopathy, the medical system developed in Germany." V. V. S. Sarma: Natural calamities and pseudoscientific menace. Current Science 90:2 (25. Januar 2006); "The notion of pseudoscience, as coined by philosopher Karl Popper is discussed in the context of its application to library science and its implications for selection." Graham Howard: Pseudo Science and Selection. Collection Management 29:2 (24. Mai 2005); "The very prestige that science enjoys, however, has also given rise to a variety of scientific pretenders-disciplines such as phrenology or eugenics that merely claim to be scientific. The renowned philosopher of science Karl Popper gave a great deal of consideration to this problem and coined the term "pseudoscience" to help separate the wheat from the chaff." Sheldon Rampton und John Stauber: Deciding What You'll Swallow. Trust Us We're Experts (New York: Jeremy P. Tarcher/Putnam, 2001), S. 55, ISBN 158542059X; "'Pseudoscience'... It's the catchword of the times in the scientific community. Originally coined by Sir Karl Popper in the 1950's, the term 'pseudoscience' has become a political weapon being hurled around the scientific and pseudoscientific communities to disclaim research that disagrees with a group's political or personal convictions", Roberta C. Barbalace: Pseudoscience: A Threat to Our Environment EnvironmentalChemistry.com (2004).

19.08.2007

Apriorismus

Apriorismus ist in der Erkenntnistheorie eine Auffassung im Sinne der Rechtfertigungsstrategie, die in Erfüllung des Satzes vom zureichenden Grund der Forderung der Letztbegründung verlangt: Die Wahrheit von einzelnen Aussagen ist zu beweisen durch logische Deduktion aus letzten wahren Voraussetzungen. Diese werden in der Philosophie des Rationalismus herkömmlicher Weise als evidente Axiome vorgestellt oder als a priori gültige Aussagen mit einer Geltungsweise ähnlich wie die einer Tautologie.

Das Vorbild hierfür lieferte neben der Euklidischen Geometrie die Kritik der reinen Vernunft. Immanuel Kant war so von der Wahrheit der Newtonschen Physik überzeugt, dass er daraus meinte schließen zu können, es gebe gültige synthetische Urteile a priori.

Die physikalische Theorien wurden seither immer wieder abgeändert, so dass Kants Überzeugung heutzutage über keine naturwissenschaftliche Basis mehr verfügt. Dennoch wird der Apriorismus manchmal noch mehr oder minder explizit vertreten, obwohl seine Kritiker - von Friedrich Engels angefangen bis Karl Popper - ihm immer wieder entgegenhalten, dass er, um seiner Zielsetzung gemäß die Wahrheit von Aussagen zu stützen, gerade die am schlechtest geeignete bzw. am wenigsten wissenschaftlich überprüfte Grundlage gewählt habe.

06.08.2007

Wie rational ist Abgrenzung der Wissenschaft?

"Jede sichere Kenntnis, möchte ich sagen, gehört in das Gebiet der Wissenschaft; jedes Dogma in Fragen, über die sichere Kenntnis hinausgehen, in das der Theologie. Zwischen der Theologie und der Wissenschaft liegt jedoch ein Niemandsland, das Angriffen von beiden Seiten ausgesetzt ist; dieses Niemandsland ist die Philosophie." [1])

Russells These ist nach Popper so nicht aufrechtzuerhalten!

Philosophie ist für Popper [2]) in erster Linie "Abgrenzungswissenschaft", wo­mit er sich in diesem besonderen Sinn als ein Fortsetzer Kants sehen darf. Denn die Ab­grenzung zwischen Wissenschaft und Metaphysik ist Popper das zentrale Thema wis­sen­schaft­lich betriebener Philosophie. Und hieraus ergibt sich für ihn, die hergebrachte Philoso­phie in Methodologie aufzulösen.

Methodologie ist ein Vorschlag zur Regelung des Sprachspiels "empirische Wissenschaft". Es kann nicht die Aufgabe von Methodologie sein, inhaltlich vorzuentscheiden, welche Proble­me diejenigen der empirischen Wissenschaft sind. Alles das, dem sich ein Wissenschaftler mit em­pi­ri­schen Methoden zuwendet, gehört legitimer Weise zum Bereich der empirischen Wis­sen­schaften. Die Abgrenzung kann demnach nicht sein zwischen Wissenschaft einerseits und den "Pseudowissenschaften" Marxismus und Psychoanalyse andererseits, sondern zwischen wis­senschaftlicher und unwissenschaftlicher Beschäftigung mit marxistischen und psychoana­ly­tischen Theorien. Insofern Popper z. B. die marxschen Theorien nicht empirisch überprüft oder mit Alternativen konfrontiert, geht er mit diesen unwissenschaftlich um (wofür das Ob­jekt seiner Bemühungen nicht Schuld tragen kann). Poppers Fall vermag uns zu lehren, dass derjenige, welcher eine Methodologie vorschlägt, nicht unbedingt derjenige ist, der sie mit dem erforderlichen Scharfsinn anzuwenden weiß.

Die weitere philosophische Diskussion hat ferner gezeigt, dass die Methode der kritischen Prü­fung nicht auf die Methodologie empirischer Wissenschaften beschränkt bleiben darf. Die da­mit verbundene Konzeption des Fallibilismus muss durch die des Theorienpluralismus [3]) ergänzt werden und kann sodann zu einer Philosophie des Pankritizismus [4]) verallgemeinert und radikalisiert werden.

Popper [5]) zog sich hingegen auf Fideismus zurück, indem er das Bekenntnis zur Rationalität letztlich als eine Frage des mo­ra­lischen Glaubensbekenntnisses verstand.

Die Alternative hierzu: Das Problem der Abgrenzung von Wissenschaft muss zurücktreten gegenüber der Frage der theoretischen Bestimmung von Rationalität!



[1] Bertrand Russell: Philosophie des Abendlandes. Ihr Zusammenhang mit der politischen und der sozialen Entwicklung, München Wien 8. Auflage 1999 (A History of Western Philosophy, London 1945), S. 11

[2] Karl R. Popper: Die beiden Grundprobleme der Erkenntnistheorie. Aufgrund von Manuskripten aus den Jahren 1930-1933, Tübingen 2. verbess. Auflage 1994, S. 385

[3] Helmut F. Spinner: Pluralismus als Erkenntnismodell, Frankfurt 1974

[4] W. W. Bartley, III: Flucht ins Engagement, Tübingen 1987 (zuerst: La Salle, Ill. 1962)

[5] Karl R. Popper: Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, Bd. 2: Falsche Propheten - Hegel, Marx und die Folgen, Tübingen 7. Aufl. 1992 (zuerst: 1944)

Theorienpluralismus vs. Monopolpluralismus

Der „Streit der Fakultäten“ ist ebenso unvermeidlich und gesetzmäßig wie ei­ne Pflicht [1]). Wissenschaft soll sein wie eine Wohnung, in der wirkliches Leben ist. Wenn sie jemals aufgeräumt erscheinen sollte, dann nur, wenn sie tot ist.[2])

Fal­libilismus [3]) bedarf eines Pluralismus von Theorien, um sein kritisches Erkenntnispo­ten­ti­al voll entfalten zu können. Denn der Wahrheit nähert man sich nicht durch endgültige Be­grün­dun­gen, sondern durch Auseinandersetzung mit relevanten Alternativen. Diese Alter­na­tiven müs­sen zuerst aufgestellt, d.h. expliziert und rekonstruiert werden, hernach vergli­chen. Dabei wird die Grundregel von Brain storming angewandt: Die Produktion und die Eva­lu­ation von Einfällen sind als voneinander getrennte Schritte bzw. Gebiete zu behandeln!

Diese Methodologie eines Pluralismus an Alternativlösungen ist auch bei der Entscheidung für eine Metatheorie bzw. für eine Methodologie durchzuführen. Den wissenschaftlichen Dis­kurs von vornherein auf die Anerkennung von Fallibilismus, Pluralismus oder sonst wie defi­nierter Wissen­schaftlichkeit festlegen zu wollen, liefe auf einen „Monopolpluralismus“, d.h. einer von einer Partei einseitig diktierten Fassung von „Pluralismus“ [4]) hinaus - nach dem Motto: Pluralismus ist, wenn nur Positionen vertreten werden, welche ich für wissenschaftlich vertretbar halte. Solchem wider­spräche aber schon der Idee und Aufgabe von Me­thodologie, eine Verständigung über die Regeln des Diskurses herbeizuführen.

Es wird von Kritischen Rationalisten im Allgemeinen als ihre philosophische Position de­finierend anerkannt:

Keine wissenschaftliche Aussage kann definitiv bewiesen oder definitiv wider­legt [5]) werden.

Erkenntnisfortschritt ist allein durch kritischen Vergleich mit Alternativen zu er­lan­gen.[6])

Ist der erste Punkt durch die Kritik am Münchhausen-Trilemma der Rechtfertigungs-Strategie be­grün­det, so der zweite durch die Einsicht, dass eine Kritik von Theorien am effektivsten durch andere Theorien vollzogen werden kann.

Da es eine von jeglicher Theorie prinzipiell unabhängige Beobachtungssprache nicht gibt, stel­len also Basisaussagen für eine zu prüfende Theorie immer schon Aussagen dar, die im Lich­te der­sel­ben The­o­rie und in deren Sprache formuliert sind. Deswegen sind zu einem stren­gen Test einer Theo­rie stets Alternativtheorien notwendig, welche in der Lage sind, ihre ei­ge­nen, evtl. zu konkur­rie­renden The­orien konträre Fakten zu produzieren [7]). Also ist der Theori­en­pluralismus eine notwendige Ergänzung des Fallibilismus [8]).

Außerdem kann gerade die Metaphysik, die einem empirischen Theorieansatz mehr oder we­ni­ger ausgesprochen zugrunde liegt, zur Kritik dieses Ansatzes eingesetzt werden. [9]) Auch die analytische Philosophie ist zu der Einsicht der Offenheit des philosophischen Ent­wurfs ge­langt, nachdem es sich sowohl für die Logik und die Mathematik wie auch für die Er­kennt­nis­the­o­rie her­ausgestellt hat, dass grundsätzlich stets verschiedene Möglichkeiten vor­han­den sind, die­sel­be zu rekonstruieren und wir wohl nie zu definitiven Lösungen aller dieser Fra­gen gelangen wer­den [10]).

Dass Popper jedoch gerade in seiner Essentialismus-Kritik so tut, als ob er über die definitive Lo­gik verfüge, ist eine andere Sache und wird im Anschluss erörtert werden. Es zeigt sich, dass sein Anti-Es­sentialismus einen proprietären Popper-Essentialismus [11]) zu seiner un­über­seh­ba­ren, aber nicht eingestandenen Voraussetzung hat. Poppers Methodologie und So­zial­philoso­phie entpuppen sich dabei als die Inszenierung ei­nes Diskurs, dessen half-hidden agenda aus­er­koren ist, seine ei­gen­tüm­li­chen Glaubensartikel im Hinblick auf Wissenschaftlichkeit und of­fene Gesellschaft als uni­versell gültige Essenz von Rationalität und menschlicher Freiheit zu eta­b­lieren.



[1] ) Immanuel Kant: Werkausgabe, hrg. von Wilhelm Weischedel, Bd.XI, Frankfurt 4. Aufl. 1982, S. 296

[2] ) “Debate, I heard since my childhood, is the symptom of ignorance, and this is why politi­ci­ans have de­ba­tes but scientists agree among themselves. I hated this ideas before I could say why; later I came to think that it is the same idea as: clean people do not have to take a bath, only dirty people bathe re­gular­ly.” (Joseph Agassi: Science in Flux, Dordrecht Boston 1975, S. 21)

[3] ) „Der Fortschritt der Wissenschaft vollzieht sich durch Konstruktion und Kritik, wo­bei die Er­fin­dung theoretischer Alternativen und die Erfindung und Her­stel­lung brauchbarer experimenteller Si­tua­tionen - bzw. die Suche nach relevanten Tat­sa­chen - eine wichtige Rolle spielen. Zur Wissenschaftslehre des Kritizismus gehört al­so ein theoretischer Pluralismus, der ausdrücklich die po­si­tive Bedeu­tung von Al­ter­nativen für das Problemlösungsverhalten betont und darüber hin­aus die Mög­lich­keit eines Erkenntnisfortschritts in kontra-intuitiver und in kontra-induktiver Rich­tung berücksichtigt.“ (Hans Albert: Konstruktion und Kritik. Aufsätze zur Philosophie des kritischen Rationalismus, Hamburg 1972, S. 199)

[4] ) Fidel Castro hält der Forderung des Auslands nach mehr Pluralismus entgegen, Kuba habe zu einer ei­ge­nen Form von Pluralismus ("pluralismo singular") gefunden. Dieser komme mit einer ein­zigen Partei aus, weil alle Strömungen und Tendenzen darin Platz gefunden hätten. (FAZ. wha, Havanna 17.11.99.

[5] "Nun gibt es endgültige Falsifizierbarkeit, wie bereits angedeutet. Trotzdem gibt es, wie ich in der Logik der Forschung nachdrücklich betonte, kaum so etwas wie eine Falsifikation durch Be­ob­achtungen, die als un­zwei­fel­haft (oder endgültig) bezeichnet werden kann." (Karl R. Popper: Die beiden Grundprobleme der Erkenntnistheorie. Aufgrund von Manuskripten aus den Jahren 1930-1933, Tübingen 2. verbess. Auflage 1994, S. XXIX)

„Auch wenn Revisionen von Falsifikationen in der Praxis selten sind, so sind sie vom Stand­punkt ei­nes kon­se­quenten Fallibilismus aus immer möglich. Aus diesem Grun­de ist die An­nahme, dass Fal­sifikationen endgültig sind, mit einem konse­quen­ten Fallibilismus unvereinbar." (Gunnar Andersson: Kritik und Wissenschaftsgeschichte. Kuhns, Lakatos’ und Feyerabends Kritik des Kritischen Rationalismus, Tübingen 1988, S.110)

„... all appraisals of theories are appraisals of the status of their critical discus­si­on.” (Karl R. Popper: Objective Knowledge. An Evolutionary Approach, Oxford 1973, zuerst: 1972, S. 58)

[6] „This is all that is needed: as soon as we have competing theories, there is plen­ty of scope for critical, or rational, discussion: we explore the consequences of the the­ories, and we try, especially, to discover their weak points - that is, con­se­quen­ces which we think may be mistaken. This kind of critical or ratio­nal dis­cussion may sometimes lead to a clear defeat of one of the theories; more often it only helps to bring out the weaknesses of both, and thus challenges us to pro­du­ce some further theory.” (Karl R. Popper: Objective Knowledge. An Evolutionary Approach, Oxford 1973, zuerst: 1972, S. 35)

[9] Dies hat Hans Albert: Aufklärung und Steuerung, Aufsätze zur Sozialphilosophie und zur Wissenschaftslehre der Sozialwissenschaften, Hamburg 1976, S. 103, Anm.24 betont und selbst am Beispiel hervorragend demon­striert, indem er die Prä­missen der Nutzenmetaphysik (Tapas Majumdar: The Measurement of Utility, London 1958) zur Kritik der Berech­nungs­methoden des So­zialpro­dukts bzw. des Modelldenkens der neoklassischen Ökonomie ver­wen­det.

„Wer also ein Maximum an Kritik in der Wissenschaft will, muss philosophische The­o­rien in die Wissenschaft einführen und wissenschaftliche Theorien mit philosophi­schen Ideen mög­lichst direkt (...) kon­frontieren." (Helmut F. Spinner: Wege und Irrwege der Wissenschaft, 20, Soziale Welt, 1969, S. 331)

[10] Wolfgang Stegmüller: Probleme und Resultate der Wissenschaftstheorie und Analytischen Philosophie, Bd. I: Wissenschaftliche Erklärung und Begründung, Berlin Heidelberg New York (verb. Nachdruck) 1974, S. XXVI

[11] so wie in analoger Weise die westliche Islam-Kritik einen Essentialismus in Form des „Uni­versalismus" der besonderen Kultur des Westens vorauszusetzen pflegt (S. Sayyid: Anti-essentialism and Universalism, Innovation - The European Journal of Social Sciences, 11, 4, 1998, S. 377-390)

Man sollte Popper erst gar nicht zu kanonisieren suchen!

Nichts erscheint abwegiger zu sein, als das Bestreben, die Begriffe eines Autoren definieren zu wollen, der Definitionen selber verabscheute.

Ei­ne Kanonisie­rung setzt im Allgemeinen voraus, dass ein wissenschaftliches Gebiet erschöpft sei und seinen de­finitiven Abschluss gefunden habe, so wie ihn Kant auf dem Gebiet der (ari­sto­telischen [1]) Lo­gik erreicht geglaubt und wie er dasselbe in Bezug auf die Philosophie zu lei­sten erhofft hat­te. Wird eine Kanonisierung auf einem Gebiet unternommen, das nicht er­schöpfend behandelt ist oder auf­grund seiner inhalt­lichen Problematik nie abgeschlossen werden wird [2]), so kann dieses Ka­nonisieren nur Scholasti­fi­zie­rung oder weitere Vulgarisierung bedeuten.

Dem Kritische Rati­o­nalismus aber drohte das Schick­sal einer dogmatischen Philosophie zu erleiden, die ihre we­sent­lichsten Pro­bleme be­reits als gelöst ansieht. Sie erhält zwar immer mehr Zulauf von Men­schen, die in ihr die Lö­sung ihrer Probleme vorhanden glauben, die nicht aber gekommen sind, um immer wie­der neue Fragen zu stellen oder gestellt zu bekommen. Ab einer kritischen Masse sol­cher An­hän­ger überwiegt dann der Trend zur Selbstbestätigung und zur geistigen Inzucht. Die Zer­falls­pro­zesse kritischen Bewusstseins werden gesteuert durch um sich greifende Sprach­re­ge­lun­gen zur Umgehung prekär gehaltener Probleme. Kanonisierung führt unter sol­chen Um­stän­den da­zu, dass Antworten behauptet werden, von de­nen kein Mensch mehr zu sa­gen weiß, zu wel­chen Fragen sie gegeben wurden. Indikator für eine solche Entwicklung kann dann sein, in­wie­weit innerhalb der In-Group kritische Infragestellung des theoretischen Kerns über­haupt noch toleriert wird.

Kanonisierung unterschlägt die historische Entwicklung, die jeder Autor hinter sich gebracht hat.

Zu wel­chen unterschiedlichen Bildern einer Philosophie man dabei kommt, wenn man diese ent­we­der retrograd oder in der historischen Entwicklung betrachtet, macht der Tagungsstreit zwi­schen Pop­per [3]) und Bartley deutlich: Popper betont die Kontinuität seiner Philo­so­phie und sieht überhaupt keinen Widerspruch zwischen seiner Theorie der Demarkation und der Ra­ti­onalität. Bart­ley sieht Brüche in der Entwicklung und Problemverschiebungen, die von Pop­per überkleistert wurden.[4]) Da Identität der Philosophie auch ein Problem der persönlichen Iden­ti­tät des Philosophen ist, ist verstehbar, dass dem Philosophen die Unterschiede seiner Ent­wick­lung keineswegs so gra­vie­rend vorkommen wie einem Gegenüber. Wer schreibt, der bleibt. Wer schreibt, dessen Ände­run­gen sind dafür aber anderen umso besser feststellbar. Auch Iden­ti­tät muss ja erst hergestellt, konstruiert werden, will das Individuum als solches wei­ter exi­stie­ren, was uns allen heutzutage, wo der Kultur­schock mittlerweile All­tags­er­fahrung darstellt, aus der eigenen Erfahrung bekannt sein dürfte. Wer sich aber berufen fühlt, ei­nen in­tel­lek­tuel­len Führungsanspruch auszuüben, erliegt umso schneller einer Neigung zum Window dressing.

Popper hat die aposteriorische Rekonstruktion seiner philosophischen Identität in seiner Au­to­bi­o­grafie [5]) niedergelegt, die seitdem zum Springquell aller angeblich „authentischen“ Pop­per-Dar­stel­lung geworden ist. Während Popper seine Kontinuität fast schon im Sinne eines Tri­umph­zugs der Unfehlbarkeit überbetont [6]), ist man geneigt, bei Alberts [7]) erratischer Wan­derung von Hei­deg­ger über den Positivismus hin zu Popper ein viel stärkeres Profil nach­zu­zeichnen, als die­ser selbst vielleicht zugeben würde. Wie einstens bei der Kanoni­sie­rung von Marx, Engels und Lenin ist bei solchem Vorgang zu erleben, dass die bio­gra­fi­sche Entwick­lung des phi­lo­so­phischen In­di­viduums unter der Hand zu einer hagiografischen In­karnation chan­giert: Er kam auf die Welt, stach schon hervor vor Leuten seines Alters durch seine Weis­heit und Tu­gend und brauchte fortan nur noch seine im Ganzen fertige Lehre zu ver­künden [8]). Ob jedoch eine neu hin­zu­gefügte Information als die kritische Masse be­trachtet wird, die zu ei­ner Än­derung des Ge­samten zwingt, hängt im­mer auch von der Masse des Ausgebreiteten ab.



[1] ) Die Weiterentwicklung der Aussagenlogik der Stoa durch das Mittelalter wird häufig über­sehen; vgl. Karl Dürr: Aussagenlogik im Mittelalter, Erkenntnis, 7, 1937/38, S. 160-168

[2] ) was m.E. sowohl für die Philosophie im All­ge­mei­nen wie die poppersche im besonderen zutrifft

[4] ) Joseph Agassi: A Philosopher's Apprentice. In Karl Popper's Workshop, Amsterdam Atlanta, GA 1993, S. 174 beklagt, dass Popper allfällige Hinweise auf Änderungen seiner Mei­nun­gen in der Regel unterlässt.

[5] ) Karl R. Popper: Ausgangspunkte. Meine intellektuelle Entwicklung, Hamburg 1. Aufl. 1979

[6] ) zu nachträglichen, irreführenden sowie schönenden Korrekturen durch Poppers eigene Hand siehe John R. Wettersten: The Roots of Critical Rationalism, Amsterdam Atlanta, GA 1992, S. 146

[7] ) Hans Albert: Mein Umweg in die Soziologie, in: Christian Fleck: Wege zur Soziologie nach 1945. Biographische Notizen, Opladen 1996, S. 7-16

[8] ) John R. Wettersten: The Roots of Critical Rationalism, Amsterdam Atlanta, GA 1992, S. 197 mutet dermaßen Pop­pers Selbstdarstellung an.

Fallibilismus/Theorienpluralismus vs. Rechtfertigungsstrategie/Theoriemonismus

Das Interesse des Menschen an Erkenntnis geht auf ein zusammenhängendes System des Wissens, das in sich konsistent sei.

Inkonsistenzen wirken wie Dissonanzen, die nach ihrer Auflösung schreien: "Entzweiung ist der Quell des Bedürfnisses der Philosophie..." [1]).

Damit gemeint sind nicht bloße paarweise bzw. binäre Schematisierungen, wie sie Talcott Parsons allerorten zur Potenz erhoben hat.[2]) Auch nicht besser ist es, begriffliche Entwicklungsstufen nach dem öden Dreier-Schema, den sog. Triaden, zu rangieren, wozu vielfach Hegels Dialektik hoffnungslos trivialisiert wurde.

Vielmehr ist hier gedacht an gegensätzliche Systemprinzipien, wie sie die Systematologie als antinomische Grundstruktur allen Philosophierens herausgestellt hat.[3])

Wenn nicht als eine derartige Antinomie, dann zumindest als eine prinzipielle Option kann die Entscheidung zwischen zwei methodologischen Alternativstrategien zur Lösung der Grundsatzfrage des Begründens [4]) angesehen werden:

  1. RM = die Rechtfertigungsstrategie in Verbindung mit Theoriemonismus;
  2. FP = Fallibilismus in Verbindung mit Theorienpluralismus.

Welche Konsequenzen hat die Entscheidung in der Option RM/FP? Wie stark ist die Auswirkung?

Vermutlich am ehesten in der methodologisch (bewusst oder unbewusst) gesteuerten Praxis der Forschung und/oder Theoriebildung. Ganz gewiss im Vorgehen beim Theorienvergleich: Umgang mit Alternativen.

Vorbildlich ist hier Marxens Übergang zu nennen von der Logik Hegels über Feuerbachs Kritik auf die englische Nationalökonomie sowie die französische Sozialisten (etwa Proudhon). Dies Beispiel zeigt einen explizit argumentierten Wechsel in der Metatheorie, verbunden mit teilweiser Beibehaltung so mancher metatheoretischen Strategien und Ideen!

Ein nicht so ganz empfehlenswertes Beispiel ist die Rezeption Max Webers durch Hans Albert; Webers explizite neukantianische Metatheorie wird solange umgebügelt, bis Kritischer Rationalismus daraus wird. Wenig anders verfährt Popper mit Kant; dabei geht es dieser aus Poppers Dampfbügelverfahren noch besser hervor als die Philosophen, die er explizit als Feinde bekämpft, wie etwa Platon, Aristoteles, Hegel oder Marx. Sie sind nach Poppers "Kritik" nicht mehr wiederzuerkennen; so formlos und hässlich misshandelt, taugen sie kaum noch für die Altkleidersammlung.

Man darf die Entscheidungsalternative bei dieser Option nicht verabsolutieren!

Denn genauso wenig, wie es pragmatisch keinen Unterschied ausmacht, ob die Erde eine Kugel oder eine Scheibe ist, wenn man von Luxemburg nach Mannheim mit der Bahn fährt; genauso wenig spielt es für den Wissenschaftsfortschritt eine sonderlich große Rolle, ob ein Wissenschaftler an RM oder an FP glaubt und/oder diese Methodologie tatsächlich praktisch eingesetzt hat.

Letztendlich kommt es vor allem weniger auf die absolute Gültigkeit als auf die Fruchtbarkeit für den Erkenntnisfortschritt und/oder praktische Brauchbarkeit einer vorgeschlagenen Lösung an - und weniger darauf, warum jemand geglaubt hat, dass diese Lösung die richtige sein muss. Damit soll nicht einem Relativismus hinsichtlich der absoluten Wahrheit das Wort geredet werden; sondern nur betont werden, dass wir in der Praxis oft mit weniger als der Klärung der letzten Fragen auskommen, oder, um es katholisch auszudrücken, dass viele Wege nach Rom führen.

In diesem Zusammenhang ist vielleicht interessant, dass Friedrich Engels sozusagen eine Art "Bachkieseltheorie" entwickelt hat: Fundamentalismen schleifen sich gegenseitig ab.[5])

Es ist nicht nur zu unterscheiden zwischen deklarierter und praktizierter Methodologie; es ist auch zu unterscheiden, ob man von jedem einzelnen Wissenschaftler strenge Objektivität bzw. Kritikfähigkeit einfordern muss oder ob es genügt, dass im Großen und Ganzen die Institutionen der Wissenschaft die Einhaltung gewisser Spielregeln gewährleisten, die dem Erkenntnisfortschritt förderlich sind. Gewiss sollten Methodologen sich Gedanken darüber machen dürfen, was hierbei ein optimales Vorgehen wäre. Oder ist dies der Hauptzweck einer guten Methodologie: seine Kritiker ins Leere laufen zu lassen, das eigene Ge­wis­sen zu beruhigen und das eigene Tun zu beschönigen?!

Es soll an dieser Stelle lediglich die schlichte Grundeinsicht festgehalten werden, dass möglicherweise jede theoretische oder empirische Erkenntnis (unabhängig von der zu ihrer Produktion benutzten Methodologie) sich innerhalb der Wissenschaft weiterverwerten lässt. Die Wahrheit einer Aussage ist zu beurteilen unabhängig von ihrer Herkunft.[6]) Wenn es auch in den meisten Fällen sehr hilfreich bei der Interpretation einer Theorie sein wird, zu wissen und zu bedenken, unter welchen methodologische Voraussetzungen der Theoretiker jeweils argumentiert hat und wie er erkenntnispraktisch dabei vorgegangen ist. Und manchmal ist hierbei sogar der Weg wichtiger als das Ziel. Doch unter Umständen können sogar das Missverstehen eines Autors oder die Fehlinterpretation eines Textes zu einer neuen Einsicht verhelfen. Auch aus trüben Quellen kann man Wasser schöpfen; man muss es nur hernach richtig aufbereiten, was aber ein wenig mehr Mühe macht.



[1] G. W. F. Hegel: Differenz des Fichte'schen und Schelling'schen System der Philosophie, Hamburg 1962, S. 12

[2] Talcott Parsons: Structure and Process in Modern Societies, New York 1960. - Zum Binärcode innerhalb der Mensch-Maschine-Kommunikation: "Whatever glowing words are said about the wonders of computer communication or multi-media, the bottom line is that the computer is a literate and linear machine. It employs binary mathematics and depends on grammar. When humans fail to follow the rules, the machine does not respond correctly." (Gerald M. Phillips: A NIGHTMARE SCENARIO: LITERACY AND TECHNOLOGY, Interpersonal Computing and Technology: An Electronic Journal for the 21st Century, 1994, http://infosoc.uni-koeln.de/etext/text/phillips.94b.txt)

[3] Franz Kröner: Die Anarchie der philosophischen Systeme. Graz 1970 (verm. und verb. Nachdruck der bei Felix Meiner in Leipzig 1929 erschienenen Ausgabe)

[4] Helmut F. Spinner: Pluralismus als Erkenntnismodell, Frankfurt 1974

[5] "Diese Anschauungsweise ist wesentlich die aller englischen und französischen und der ersten deutschen Sozialisten, Weitling einbegriffen. Der Sozialismus ist der Ausdruck der absoluten Wahrheit, Vernunft und Gerechtigkeit, und braucht nur entdeckt zu werden, um durch eigne Kraft die Welt zu erobern; da die absolute Wahrheit unabhängig von Zeit, Raum

und menschlicher, geschichtlicher Entwicklung ist, so ist es bloßer Zufall, wann und wo sie entdeckt wird. Dabei ist dann die absolute Wahrheit, Vernunft und Gerechtigkeit wieder bei jedem Schulstifter verschieden; und da bei einem jeden die besondre Art der absoluten Wahrheit, Vernunft und Gerechtigkeit wieder bedingt ist durch seinen subjektiven Verstand, seine Lebensbedingungen, sein Maß von Kenntnissen und Denkschulung, so ist in diesem Konflikt absoluter Wahrheiten keine andre Lösung möglich, als daß sie sich aneinander abschleißen. Dabei konnte dann nichts andres herauskommen, als eine Art von eklektischem Durchschnittssozialismus, wie er in der Tat bis heute in den Köpfen der meisten sozialistischen Arbeiter in Frankreich und England herrscht, eine, äußerst mannigfaltige Schattierungen zulassende, Mischung aus den weniger auffälligen kritischen Auslas-

sungen, ökonomischen Lehrsätzen und gesellschaftlichen Zukunftsvorstellungen der verschiednen Sektenstifter, eine Mischung, die sich um so leichter bewerkstelligt, je mehr den einzelnen Bestandteilen im Strom der Debatte die scharfen Ecken der Bestimmtheit abgeschliffen sind wie runden Kieseln im Bach. Um aus dem Sozialismus eine Wissenschaft zu machen, mußte er erst auf einen realen Boden gestellt werden."

[Engels: Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft, S. 26f. Digitale Bibliothek Band 11: Marx/Engels, S. 7657f (vgl. MEW Bd. 20, S. 18f)]

[6] Diese spätestens seit Sokrates altbekannte Binsenwahrheit muss immer wieder ins Gedächtnis gerufen werden, weil fast schon jede alltägliche Kommunikation aus sozialen Ursachen gegen diese simple Regel verstößt; nicht zuletzt auch unter Wissenschaftlern, und seien sie auch bekennende Fallibilisten!

30.07.2007

Der Wortzauber Poppers und das geschlossene Europa

Dass Poppers Bestseller heute immer noch für aktuell gehalten wird, liegt weniger an den aktuellen Inhalten als am Unzeitgemäßen der politisch vorherrschenden Bewusstlosigkeit (vgl. Spinners "Popper und die Politik"). Unser politisches und philosophisches Bewusstsein hat sich soweit zurückentwickelt, dass wir Poppers Dogmen wieder als geschichtsträchtig empfinden können.

Poppers Bestseller wird von manchen Kreisen als ein Heiliges Buch behandelt, das nicht wissenschaftlich kritisiert und dadurch in seinen Ergebnissen fortentwickelt wird. Die Rolle der Kritik wurde vielmehr durch politische Korrektheit ersetzt. Das Zitierkartell Popper-Hayek-Albert-Topitsch-Radnitzky und linientreue Schüler verwischt Unterschiede der persönlich differierenden Lesarten des Kritischen Rationalismus/Neoliberalismus im Stile offizieller Verlautbarungen des damaligen ZKs der KPdSU: Kursänderungen, Revisionen und parteiinterne Differenzen werden kosmetisch wegretuschiert; der Kurs bleibt immer richtig und derselbe! (nur Feyerabend, Spinner, Bartley, Lakatos, Agassi, Wettersten usw. weichen hiervon ab).

Dass Poppers Methodologie und seine Sozialphilosophie eine Einheit bildeten, ist ein unbestätigtes Gerücht. Inwieweit beide kongruente oder inkongruente Züge enthielten, entzieht sich der Gesamtbeurteilung ähnlich wie die Frage, ob ein Glas Wasser halb voll oder halb leer sei. Indes kann man eindeutig die Frage beurteilen, ob die von Popper praktizierte Methodologie seiner deklarierten Methodologie entspreche. Sein geschichtsphilosophisches Traktat deklariert als Methode Fallibilismus und Theorienpluralismus; de facto praktiziert Popper gerade die Methode, die er Platon und Hegel und schließlich auch Marx vorwirft.

Zur intellektuellen Redlichkeit gehören die Mittel, deren Wahl durch den politischen Zweck (Kriegsbeitrag, Krieg der Ideen, psychologische Kriegführung, Antikommunismus, Mont Pélerin Society) geheiligt werden. Die Ergebnisse Poppers geschichtsphilosophischer Spekulation stellen eine moralische Kritik einer angeblichen Beziehung zwischen den Ideen Platons, Aristoteles, Hegels und Marx und dem Entstehen und Wirken des modernen Totalitarismus dar. Diese kommen indes nur dadurch zustande, dass die Gültigkeit dieser Ergebnisse bereits durch das von ihm gewählte Darstellungs-Genre unterstellt sind (vgl. Russell). Poppers Rationalitätsbegriff ist leer und besitzt daher überhaupt keine kritische Trennschärfe (vgl. Feyerabends Kritik an "des Kaisers neuen Kleidern"). So irrtumsunterworfen sich Popper methodologisch gibt, so absolut überzeugt verkündet er im Brustton seine persönlichen politischen Positionen (vgl. Dykes). Auf diese Weise ahmt er in der beabsichtigten politischen Wirkung sein charismatisches Führeridol Churchill nach, dessen geschichtsmächtige Siegermoral aufs Podest gehoben wird.

Die von Popper unterstellte Beziehung zwischen Ideen (und deren Frosch-Mäuse-Krieg) von Philosophen und der gesellschaftlichen Wirklichkeit ist kein Deut anders oder besser als der Idealismus Platons oder Hegels (in Gegensatz zu Feuerbach oder Marx!). Nirgendwo führt Popper für seine Thesen eine empirische Basis als Beleg an im Sinne einer empirisch bewährten soziologischen Theorie. Es ist sogar fraglich, ob für Popper derartiges überhaupt existent ist, nachdem Hayek eine Soziologie als Wissenschaft explizit bestreitet!

Historizismus: Der Beweis, dass die Zukunft nicht vorausgesagt werden kann, setzt voraus, dass wir die Zukunft kennen, zumindest insofern, was ihren nicht voraussagbaren Charakter angeht. Der Beweis ist also kein 100%ig logischer, sondern basiert auf einer metaphysischen Hypothese (die man einer bestimmten Geschichtsphilosophie einordnen muss), die nicht jeder teilen muss bzw. nicht unbedingt verbindlicher für uns sein muss als irgendeine andere geschichtsphilosophische These.

Sofern Popper in den Chor derer einstimmt, die Hegel Akkommodation an den Staat Preußen vorwerfen, so darf nicht unerwähnt bleiben, dass auch Popper gerade mit seinem Beststeller seine staatstragende Berufsrolle als Universitätslehrer für Philosophie erfüllt bzw. seine Qualifikation dafür öffentlich demonstriert hat. Muss ein Philosoph Berufsverbot erhalten, damit er als Kritiker glaubwürdig ist?! Der politische und theoretische Stellenwert der Vernunft bzw. Kritik hat Marx in seinen Manuskripten sehr viel deutlicher und dezidierter gekennzeichnet. Eine ausschließlich theoretisch existierende Vernunft, die auch in einer unvernünftigen Wirklichkeit nur das Vernünftige erkennen kann, kann nicht anders als die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse verklären: Apologetik im Sinne eines politischen Konservativismus. Da auch Popper die Beweislast für eine politische Veränderung den Veränderern auferlegt (Alternativradikalismus Reform-Revolution im Sinne der sozialdemokratischen Revisionismusdebatte, vgl. Bernstein, Kautsky), bleibt völlig unklar, inwiefern er überhaupt Hegel aus staatstragendem Konservativismus einen Vorwurf machen kann.

Wenn Popper Hegels Dialektik als kontradiktorisch im Sinne der modernen Aussagenlogik expliziert, so vertritt er damit nicht nur eine Katastrophentheorie der Kontradiktion, sondern er verkennt überhaupt die hegelsche Problemstellung. Wenn Hegel die Grundlagen der formal-analytischen wie der Aussagenlogik in Frage stellt, so kommt es einer petitio principii gleich, dieser Kritik eine Exposition gemäß den Regeln der Aussagenlogik als Argument entgegenzusetzen. Popper setzt damit genau das voraus, was Hegel bestreitet. Popper hätte sich schon auf den Boden des Universalienstreits und der philosophischen Grundlagen der Logik bemühen müssen, um sich rational mit Hegel auseinanderzusetzen.


Poppers Logizismus (die Logik ist die Idee dessen, was wahr ist) stimmt in der Kernposition überein mit dem objektiven Idealismus Platons und Hegels. Daher auch bei Popper (in Nachfolge Kants) der "Primat der Theorie". Demgegenüber hat erst Feuerbach den Materialismus geltend gemacht; Marx hat sodann, der Vorherrschaft der Universalien entgegengesetzt, die historisch-singulär existierende, gegenständliche Praxis eingeführt. Universalien existieren in der Gesellschaft als die Gesellschaftsformationen definierende Institutionen (Wert, Geld und Kapital als Formen gesellschaftlicher Beziehungen). Diesem, dem Alltagsbewusstsein natürlichen (verdinglichten) Wertplatonismen steht die historisch-individuelle gegenstandsverändernde Praxis der konkreten menschlichen Individuen gegenüber. Gegenüber den verdinglichten Formen des gesellschaftlich Bewusstseins bilden die praktisch handelnden Individuen die "wahre Existenz" des gesellschaftlichen Seins.

25.07.2007

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Hans Joachim Kujath, Kontinuitäten und Brüche der Wirtschaftsentwicklung in ausgewählten Städten und Regionen Ostdeutschlands, Aus Politik und Zeitgeschichte. Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament, 29.01.1999, B 5/99, S. 15f

Kulenkampf 1981a
Jens Kulenkampf, David Hume, in: Höffe 1981a, S. 434ff

Kunze 1971a
Bärbel Kunze, Erich Matthias' Apologie der SPD-Entwicklung, Das Argument 13, 1/2, 1971, S. 54-78

Kurthen, Losey 1995a
Hermann Kurthen, Kay Marie Losey, Schlagwort oder Kampfbegriff? Zur ‘Political Correctness’-Debatte in den USA, Aus Politik und Zeitgeschichte. Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament, B 21-22/95, 19. Mai 1995

Küting 1999a
Karlheinz Küting, Das Rechnungswesen des Konzerns im Umbruch. Einbindung des Rechnungswesens in die Konzernführung muss neu überdacht werden / Neugestaltung der Konzernsteuerung, FAZ 15.11.1999, Nr. 266, S. 41