"Jede sichere Kenntnis, möchte ich sagen, gehört in das Gebiet der Wissenschaft; jedes Dogma in Fragen, über die sichere Kenntnis hinausgehen, in das der Theologie. Zwischen der Theologie und der Wissenschaft liegt jedoch ein Niemandsland, das Angriffen von beiden Seiten ausgesetzt ist; dieses Niemandsland ist die Philosophie." [1])
Russells These ist nach Popper so nicht aufrechtzuerhalten!
Philosophie ist für Popper [2]) in erster Linie "Abgrenzungswissenschaft", womit er sich in diesem besonderen Sinn als ein Fortsetzer Kants sehen darf. Denn die Abgrenzung zwischen Wissenschaft und Metaphysik ist Popper das zentrale Thema wissenschaftlich betriebener Philosophie. Und hieraus ergibt sich für ihn, die hergebrachte Philosophie in Methodologie aufzulösen.
Methodologie ist ein Vorschlag zur Regelung des Sprachspiels "empirische Wissenschaft". Es kann nicht die Aufgabe von Methodologie sein, inhaltlich vorzuentscheiden, welche Probleme diejenigen der empirischen Wissenschaft sind. Alles das, dem sich ein Wissenschaftler mit empirischen Methoden zuwendet, gehört legitimer Weise zum Bereich der empirischen Wissenschaften. Die Abgrenzung kann demnach nicht sein zwischen Wissenschaft einerseits und den "Pseudowissenschaften" Marxismus und Psychoanalyse andererseits, sondern zwischen wissenschaftlicher und unwissenschaftlicher Beschäftigung mit marxistischen und psychoanalytischen Theorien. Insofern Popper z. B. die marxschen Theorien nicht empirisch überprüft oder mit Alternativen konfrontiert, geht er mit diesen unwissenschaftlich um (wofür das Objekt seiner Bemühungen nicht Schuld tragen kann). Poppers Fall vermag uns zu lehren, dass derjenige, welcher eine Methodologie vorschlägt, nicht unbedingt derjenige ist, der sie mit dem erforderlichen Scharfsinn anzuwenden weiß.
Die weitere philosophische Diskussion hat ferner gezeigt, dass die Methode der kritischen Prüfung nicht auf die Methodologie empirischer Wissenschaften beschränkt bleiben darf. Die damit verbundene Konzeption des Fallibilismus muss durch die des Theorienpluralismus [3]) ergänzt werden und kann sodann zu einer Philosophie des Pankritizismus [4]) verallgemeinert und radikalisiert werden.
Popper [5]) zog sich hingegen auf Fideismus zurück, indem er das Bekenntnis zur Rationalität letztlich als eine Frage des moralischen Glaubensbekenntnisses verstand.
Die Alternative hierzu: Das Problem der Abgrenzung von Wissenschaft muss zurücktreten gegenüber der Frage der theoretischen Bestimmung von Rationalität!
[1] Bertrand Russell: Philosophie des Abendlandes. Ihr Zusammenhang mit der politischen und der sozialen Entwicklung, München Wien 8. Auflage 1999 (A History of Western Philosophy, London 1945), S. 11
[2] Karl R. Popper: Die beiden Grundprobleme der Erkenntnistheorie. Aufgrund von Manuskripten aus den Jahren 1930-1933, Tübingen 2. verbess. Auflage 1994, S. 385
[3] Helmut F. Spinner: Pluralismus als Erkenntnismodell, Frankfurt 1974
[4] W. W. Bartley, III: Flucht ins Engagement, Tübingen 1987 (zuerst: La Salle, Ill. 1962)
[5] Karl R. Popper: Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, Bd. 2: Falsche Propheten - Hegel, Marx und die Folgen, Tübingen 7. Aufl. 1992 (zuerst: 1944)
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