Dies ist der gebündelte Versuch einer Replik auf: Karl R. Popper, Das Elend des Historizismus, was eine Replik darstellte auf: Karl Marx, Das Elend der Philosophie, was eine Replik darstellte auf: Proudhon, Die Philosophie des Elends

06.08.2007

Wie rational ist Abgrenzung der Wissenschaft?

"Jede sichere Kenntnis, möchte ich sagen, gehört in das Gebiet der Wissenschaft; jedes Dogma in Fragen, über die sichere Kenntnis hinausgehen, in das der Theologie. Zwischen der Theologie und der Wissenschaft liegt jedoch ein Niemandsland, das Angriffen von beiden Seiten ausgesetzt ist; dieses Niemandsland ist die Philosophie." [1])

Russells These ist nach Popper so nicht aufrechtzuerhalten!

Philosophie ist für Popper [2]) in erster Linie "Abgrenzungswissenschaft", wo­mit er sich in diesem besonderen Sinn als ein Fortsetzer Kants sehen darf. Denn die Ab­grenzung zwischen Wissenschaft und Metaphysik ist Popper das zentrale Thema wis­sen­schaft­lich betriebener Philosophie. Und hieraus ergibt sich für ihn, die hergebrachte Philoso­phie in Methodologie aufzulösen.

Methodologie ist ein Vorschlag zur Regelung des Sprachspiels "empirische Wissenschaft". Es kann nicht die Aufgabe von Methodologie sein, inhaltlich vorzuentscheiden, welche Proble­me diejenigen der empirischen Wissenschaft sind. Alles das, dem sich ein Wissenschaftler mit em­pi­ri­schen Methoden zuwendet, gehört legitimer Weise zum Bereich der empirischen Wis­sen­schaften. Die Abgrenzung kann demnach nicht sein zwischen Wissenschaft einerseits und den "Pseudowissenschaften" Marxismus und Psychoanalyse andererseits, sondern zwischen wis­senschaftlicher und unwissenschaftlicher Beschäftigung mit marxistischen und psychoana­ly­tischen Theorien. Insofern Popper z. B. die marxschen Theorien nicht empirisch überprüft oder mit Alternativen konfrontiert, geht er mit diesen unwissenschaftlich um (wofür das Ob­jekt seiner Bemühungen nicht Schuld tragen kann). Poppers Fall vermag uns zu lehren, dass derjenige, welcher eine Methodologie vorschlägt, nicht unbedingt derjenige ist, der sie mit dem erforderlichen Scharfsinn anzuwenden weiß.

Die weitere philosophische Diskussion hat ferner gezeigt, dass die Methode der kritischen Prü­fung nicht auf die Methodologie empirischer Wissenschaften beschränkt bleiben darf. Die da­mit verbundene Konzeption des Fallibilismus muss durch die des Theorienpluralismus [3]) ergänzt werden und kann sodann zu einer Philosophie des Pankritizismus [4]) verallgemeinert und radikalisiert werden.

Popper [5]) zog sich hingegen auf Fideismus zurück, indem er das Bekenntnis zur Rationalität letztlich als eine Frage des mo­ra­lischen Glaubensbekenntnisses verstand.

Die Alternative hierzu: Das Problem der Abgrenzung von Wissenschaft muss zurücktreten gegenüber der Frage der theoretischen Bestimmung von Rationalität!



[1] Bertrand Russell: Philosophie des Abendlandes. Ihr Zusammenhang mit der politischen und der sozialen Entwicklung, München Wien 8. Auflage 1999 (A History of Western Philosophy, London 1945), S. 11

[2] Karl R. Popper: Die beiden Grundprobleme der Erkenntnistheorie. Aufgrund von Manuskripten aus den Jahren 1930-1933, Tübingen 2. verbess. Auflage 1994, S. 385

[3] Helmut F. Spinner: Pluralismus als Erkenntnismodell, Frankfurt 1974

[4] W. W. Bartley, III: Flucht ins Engagement, Tübingen 1987 (zuerst: La Salle, Ill. 1962)

[5] Karl R. Popper: Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, Bd. 2: Falsche Propheten - Hegel, Marx und die Folgen, Tübingen 7. Aufl. 1992 (zuerst: 1944)

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