Und wie bemerkte doch ganz nebenbei ein genobelter Sonntagsredner :
„- allerdings anerkenne ich die Existenz einer Wissenschaft der Soziologie nicht" (Hayek 1983a)
Jedermann ist selbstredend frei, seine persönliche Nichtanerkennungspolitik zu treiben. Es könnte aber gut möglich sein, dass schon empirische Sozialforschung auf ganz andere Ansichten der Realität trifft als die reine Lehre der herrschenden Ökonomie. Welche Rückschlüsse auf politische Rationalität lassen sich aber daraus ziehen, wenn ganze wissenschaftliche Disziplinen nach Belieben ausgegrenzt werden? Nach Habermas (1985b) wäre der Anti-Soziologismus von Konservativen eine spezifisch deutsche Erscheinung [1]) Wie engagiert linke sog. „Ideologen" die akademische Wertfreiheit zu verteidigen versuchen, währenddessen konservative Ideologen in der ihnen sozial zustehenden unverschämten Weise Ideologie zu Wissenschaft deklarieren, kann recht instruktiv am Beispiel der LSE [2]) studiert werden, ebenso wie die Disziplin namens „Soziologie" schon immer ein Fußballfeld der akademischen Politik, gespielt zwischen rechten und linken gate keepers, gewesen ist. Ein vergleichbares Beispiel politischer Irrationalität liefert die politische Ablehnung von Soziologie auf dem Gebiet der inneren Sicherheit [3]), wie sie etwa in Italien verzeichnet wurde.[4]) Eine entsprechende Ablehnung der Soziologie als kritischer Aufdeckung sozialer Realität manifestierte sich auch in der DDR.[5]) Wie ein Psychologe mit seinem Röntgenblick, so wird Soziologie insgesamt als "Röntgenabteilung für das öffentliche und private Leben" (Mills 1963a: 233) perhorresziert. Habermas (1985b:84) glaubt, liegt eine jungkonservative Erbschaft der deutschen Politikgeschichte darin, dass hierzulande im Gegensatz zur USA Neokonservative als Anti-Soziologen firmieren. Amerika - Du hast es besser?! Der "ökonomische Imperialismus", d.h. die vorgebliche Vorreiterrolle der Wirtschaftswissenschaften gegenüber der angeblich weicheren Sozialwissenschaften hat mit Klassenideologie und politischen Interessen zu tun. Vor allem damit:
Soziologie ist Gegenwartswissenschaft, d.h. sie ist eingespannt in das dialektische Verhältnis von Geschichte und den möglichen Zukünften.
[1]) "Anstatt etwas als 'von der Vergangenheit überkommen' zu 'erklären', sollten wir lieber fragen: 'warum ist es von der Vergangenheit überkommen?'" (Mills 1963a:204)
[2]) „Cambridge was not the only university in which sociology as a subject of study was absent if not anathema in the 1940s and beyond. The hybrid word had been invented a century earlier, and the heroes of the discipline had taught, or more often written, at Bordeaux and Turin and Heidelberg half a century ago, but by the end of the Second World War few European universities went beyond allowing one philosopher or historian or just departmental misfit to call himself by that newfangled name. English booksellers listed books like Hirshfeld’s History of Sex under the heading sociology. The exceptions to such uncertainties were mostly to be found in North America, at Harvard, Columbia, Chicago for outstanding examples, and they were most impressive where protagonists of social theory and social research co-operated, even converged. Talcott Parsons and Samuel Stouffer at Harvard, Robert Merton and Paul Lazarsfeld at Columbia provided the models." (Dahrendorf 1995a:376)
[3]) „Hatten sich die 68er-Linken auch gründlich getäuscht, als sie die Notstandsgesetze als Präludium zur Abschaffung der Demokratie verstanden - in der Diagnose der Berufsverbote, des Aufbaus zentralisierter Überwachungsorgane und der die Rechte der Verteidigung einschränkenden Gesetze lagen sie nicht so falsch. Die revolutionären Utopisten sind heute verschwunden, der Überwachungsapparat hat sich modifiziert, Ballast abgeworfen - aber er wuchert weiter. Er hat sich - siehe Lauschangriff und Europol - sogar neue Betätigungsfelder erschlossen." (Semler 1999a) -„Between 1993 to 1998, the United States conducted sustained diplomatic activity seeking to persuade EU nations and the OECD to adopt their ‘key recovery’ system. Throughout this period, the US government insisted that the purpose of the initiative was to assist law enforcement agencies. Documents obtained for this study suggest that these claims wilfully misrepresented the true intention of US policy. Documents obtained under the US Freedom of Information Act indicate that policymaking was led exclusively by NSA officials, sometimes to the complete exclusion of police or judicial officials. For example, when the specially appointed US ‘Ambassador for Cryptography’, David Aaron, visited Britain on 25 November 1996, he was accompanied and briefed by NSA's most senior representative in Britain, Dr James J Hearn, formerly Deputy Director of NSA. Mr Aaron had did not meet or consult FBI officials attached to his Embassy. His meeting with British Cabinet officials included NSA's representative and staff from Britain's GCHQ, but police officers or justice officials from both nations were excluded. - Since 1993, unknown to European parliamentary bodies and their electors, law enforcement officials from many EU countries and most of the UKUSA nations have been meeting annually in a separate forum to discuss their requirements for intercepting communications. These officials met under the auspices of a hitherto unknown organisation, ILETS (International Law Enforcement Telecommunications Seminar). ILETS was initiated and founded by the FBI. Table 2 lists ILETS meetings held between 1993 and 1997." Interception Capabilities 2000
[4]) „Die Soziologie als ein Mittel zur Rechtfertigung der Kriminalität zu beschießen vermittelt das Gefühl einer kulturellen Absicherung, der Rückkehr zu den guten alten Zeiten, der Wiedereinführung der ‘guten italienischen Werte’ in die Diskussion der neuen Kultur." (Ferrari 1980a:110ff)
[5]) „Soziologie als intellektuelle kolumbianische Entdeckung. Das ist die Entdeckung einer reichen Landschaft sozialwissenschaftlicher Forschung und ihrer Theorien durch uns, die wir an der Peripherie lebten, abgeschirmt, täglich misstrauisch bewacht, an ausfahrenden Unternehmungen gehindert. Die stalinistische Inquisition lehrte, dass die Erde nicht rund und dass hinter dem Ozean kein Land ist." (Meyer 1996a:289)
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