Dies ist der gebündelte Versuch einer Replik auf: Karl R. Popper, Das Elend des Historizismus, was eine Replik darstellte auf: Karl Marx, Das Elend der Philosophie, was eine Replik darstellte auf: Proudhon, Die Philosophie des Elends

22.10.2005

Antipathie gegen Soziologie

Und wie bemerkte doch ganz nebenbei ein ge­no­belter Sonntagsredner :

„- allerdings anerkenne ich die Existenz einer Wissenschaft der Soziologie nicht" (Hayek 1983a)

Jedermann ist selbstredend frei, seine persönliche Nichtanerkennungspolitik zu treiben. Es könn­te aber gut möglich sein, dass schon empirische Sozialforschung auf ganz andere Ansich­ten der Reali­tät trifft als die reine Lehre der herrschenden Ökonomie. Welche Rückschlüsse auf politische Rationalität lassen sich aber dar­aus ziehen, wenn ganze wissenschaftliche Diszip­li­nen nach Belie­ben ausgegrenzt werden? Nach Habermas (1985b) wäre der Anti-Soziologismus von Konservativen eine spezifisch deut­sche Erscheinung [1]) Wie engagiert linke sog. „Ideologen" die akademische Wertfreiheit zu vertei­di­gen ver­su­chen, währenddessen konservative Ideologen in der ihnen sozial zustehen­den unver­schäm­ten Weise Ide­ologie zu Wis­senschaft deklarieren, kann recht instruktiv am Bei­spiel der LSE [2]) studiert wer­den, ebenso wie die Disziplin namens „Soziologie" schon immer ein Fußballfeld der akademischen Politik, gespielt zwischen rechten und linken gate keepers, ge­we­sen ist. Ein ver­gleich­ba­res Beispiel politischer Irrationalität liefert die politische Ab­leh­nung von Soziologie auf dem Gebiet der inneren Sicherheit [3]), wie sie etwa in Italien ver­zeich­net wur­de.[4]) Eine entsprechende Ablehnung der Soziologie als kritischer Aufdeckung sozialer Realität ma­ni­festierte sich auch in der DDR.[5]) Wie ein Psychologe mit seinem Röntgenblick, so wird So­zi­o­logie insgesamt als "Rönt­gen­abteilung für das öffentliche und private Leben" (Mills 1963a: 233) perhorres­ziert. Habermas (1985b:84) glaubt, liegt eine jungkonservative Erbschaft der deut­schen Politikgeschichte darin, dass hierzulande im Gegensatz zur USA Neokonser­va­ti­ve als An­ti-Soziologen firmieren. Amerika - Du hast es besser?! Der "ökonomi­sche Impe­rialis­mus", d.h. die vorgebliche Vorreiterrolle der Wirtschaftswis­sen­schaf­ten gegenüber der angeb­lich weicheren Sozialwissenschaften hat mit Klas­sen­ide­ologie und politischen Interessen zu tun. Vor allem damit:

Soziologie ist Gegenwartswissenschaft, d.h. sie ist eingespannt in das dialektische Ver­hältnis von Geschichte und den möglichen Zukünften.



[1]) "Anstatt etwas als 'von der Vergangenheit überkommen' zu 'erklären', sollten wir lieber fra­gen: 'wa­r­um ist es von der Vergangenheit überkommen?'" (Mills 1963a:204)

[2]) „Cambridge was not the only university in which sociology as a subject of study was absent if not anathema in the 1940s and beyond. The hybrid word had been invented a century earlier, and the heroes of the discipline had taught, or more often written, at Bordeaux and Turin and Hei­delberg half a century ago, but by the end of the Second World War few European universities went beyond allowing one philosopher or historian or just departmental misfit to call himself by that newfangled name. English booksellers listed books like Hirshfeld’s History of Sex under the heading sociology. The exceptions to such uncertainties were mostly to be found in North Ame­ri­ca, at Harvard, Co­lumbia, Chicago for outstanding examples, and they were most impressive where protagonists of social theory and so­cial research co-operated, even converged. Talcott Parsons and Samuel Stouffer at Harvard, Robert Merton and Paul Lazarsfeld at Columbia provided the mo­dels." (Dahrendorf 1995a:376)

[3]) „Hatten sich die 68er-Linken auch gründlich getäuscht, als sie die Notstandsge­setze als Prä­ludi­um zur Abschaffung der Demokratie verstanden - in der Diagnose der Berufsver­bo­te, des Auf­baus zentralisierter Über­wachungsorgane und der die Rechte der Verteidigung ein­schrän­kenden Ge­setze lagen sie nicht so falsch. Die re­vo­lutionären Utopisten sind heute ver­schwun­den, der Über­wachungsapparat hat sich modifiziert, Ballast abge­worfen - aber er wuchert wei­ter. Er hat sich - siehe Lauschangriff und Europol - sogar neue Betätigungsfelder er­schlos­sen." (Semler 1999a) -„Between 1993 to 1998, the United States conducted sustained diplomatic activity seeking to per­suade EU nations and the OECD to adopt their ‘key recovery’ system. Throughout this period, the US government insisted that the purpose of the initiative was to assist law enfor­ce­ment agencies. Documents obtained for this study suggest that these claims wilfully misrepresented the true in­tention of US policy. Documents obtained under the US Freedom of Information Act in­di­cate that policymaking was led exclusively by NSA officials, sometimes to the complete exclu­si­on of police or judicial officials. For example, when the specially ap­poin­ted US ‘Ambassador for Crypto­gra­phy’, Da­vid Aaron, visited Britain on 25 November 1996, he was accom­pa­nied and brie­fed by NSA's most senior representative in Britain, Dr James J Hearn, formerly Deputy Director of NSA. Mr Aaron had did not meet or consult FBI officials attached to his Embassy. His meeting with Bri­tish Cabi­net officials included NSA's representative and staff from Britain's GCHQ, but police of­fi­cers or justice officials from both nations were excluded. - Since 1993, unknown to European par­lia­men­ta­ry bodies and their electors, law enforcement officials from many EU countries and most of the UKUSA nations have been meeting annually in a separate forum to discuss their re­qui­rements for intercepting com­munications. These officials met under the auspices of a hitherto un­known orga­nisation, ILETS (International Law Enforcement Tele­communications Seminar). ILETS was initi­ated and founded by the FBI. Table 2 lists ILETS meetings held between 1993 and 1997." Inter­ception Capabilities 2000 ; vgl. auch

[4]) „Die Soziologie als ein Mittel zur Rechtfertigung der Kriminalität zu beschie­ßen vermittelt das Ge­fühl einer kulturellen Absicherung, der Rückkehr zu den gu­ten alten Zeiten, der Wieder­einführung der ‘guten italienischen Werte’ in die Dis­kussion der neuen Kultur." (Ferrari 1980a:110ff)

[5]) „Soziologie als intellektuelle kolumbianische Entdeckung. Das ist die Entdeckung einer rei­chen Land­schaft sozial­wissenschaftlicher Forschung und ihrer Theorien durch uns, die wir an der Peripherie lebten, abgeschirmt, täglich misstrauisch bewacht, an ausfahrenden Unternehmungen ge­hindert. Die stalinistische In­qui­sition lehrte, dass die Erde nicht rund und dass hinter dem Ozean kein Land ist." (Meyer 1996a:289)

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