Wie die aktuelle Asienkrise [1]) durch diese normative Brille betrachtet aussieht, bringt mit der Stringenz eines nobelpreisgekrönten Sonntagsredners, welchem qua Amt die Verkündigung des „Herkömmlichen Konzepts" obliegt, Friedman auf den Punkt:
„Spekulanten wie George Soros [2]) üben eine extrem nützliche Funktion aus, sie stabilisieren die Märkte. Man kann sagen, dass die Analysen der Spekulanten oft untragbare Situationen aufzeigen, noch bevor diese offenbar werden. Wer spekuliert, beschränkt sich also nur darauf, die extremen Auswirkungen instabiler Wirtschaftssysteme vorwegzunehmen." (SSS)
Im Stile einer solchen Argumentation könnte man sagen, dass ein Hacker nur die Sicherheitsrisiken eines EDV-Systems aufdeckt, ein erfolgreicher Einbrecher den mangelnden Sicherheitsstandard einer Bank oder ein Taschendieb die Mängel von Vorbeugungsmaßnahmen: womit jeder also jeweils nur eine höchst positiv gesellschaftliche Funktion erfüllt. Damit beweist auch jede erfolgreiche politische Revolution [3]), dass die herrschende Elite nicht tüchtig genug war, ihre Machtposition zu verteidigen, bzw. dass Schwachstellen in der sozialen Kontrolle vorgelegen haben müssen. Friedmans Argument hat alle Vor- und Nachteile einer ex-post-factum-Analyse. Damit will ich hier nur andeuten, dass eine derartige legitimatorische Floskel beliebig reproduzierbar ist, jedoch im Falle der neoklassischen Ökonomie unter Einsatz von mathematischen Methoden und öffentlichen Belobigungen beim interessierten Publikum auch noch den Anstrich von Wissenschaftlichkeit erfolgreich geltend macht. Albert sagt im Zusammenhang zur häufig unterstellten Unabhängigkeit von Angebot und Nachfrage und der dabei gerne gebrauchten Floskel „Weckung latenter Bedürfnisse", was ebenso auf Friedmans Scheinerklärung anwendbar ist:
„Da der Begriff der Latenz sich hier im vollen Umfang mit dem der Realmöglichkeit (Potenz) deckt, enthält die Annahme der Weckung latenter Bedürfnisse nur die in diesem Zusammenhang nicht sehr interessante Aussage, dass das Aktualisierte der Möglichkeit nach vorhanden gewesen sein muss, eine Aussage, die für jedes Geschehen gilt." (Albert 1954a:79)
Nun ist „Spekulation" ja ein anrüchiger Begriff [4]). Doch wie Mises bereits eingesehen hat, ist jeder Mensch ein Spekulant, indem er nämlich sein Handeln stets dem zukünftig erwarteten Handeln anderer anpasst (Horwitz o.J.). Nichtsdestoweniger enthält diese Maxime vernünftige Politik:
"Overall, the international system has an interest in creating a tax regime that motivates capital to make long-term investments in the real economy, rather than one that rewards speculators for destabilizing currency markets." (Kapstein 1999a)
Der fast ausschließlich ideologische Nutzen der neoklassischen Ökonomie zeigt sich spätestens dann, wenn es nicht darum geht, dem wirtschaftlich Unterlegenen zum Schaden noch den Spott anzuhängen, sondern um Politikberatung zur Lösung aktueller Probleme, die es in der konkreten wirtschaftlichen Realität ja wohl immer noch gibt. Wir haben in Deutschland vorzugsweise das externe Modell von Beratung, wobei die sog. reine ökonomische Theorie eher an den Universitäten und die empirische Forschung eher an den Wirtschaftsinstituten betrieben wird. Gefordert ist aber eine Verzahnung von Theorie und Praxis. Hier kommt man nicht weit mit dem neoklassischen Brett vorm Kopf. Dann räumt der neoklassische Ökonom im Notfall sogar der interdisziplinärer Aushilfe noch ihren Platz ein.
„...angewandte politikorientierte Forschung ist etwas Spezielles, da sie die Umsetzung theoretischen Wissens auf konkrete, manchmal singuläre Probleme darstellt. Hier reicht es nicht aus, konditionale, theoretische Aussagen zu machen, die auf spezifischen Annahmen beruhen (‘Wenn wir annehmen, dass vollkommene Markttransparenz herrscht, dann gilt ...’) Vielmehr ist es auch notwendig, die ‘Wenn-Komponente' empirisch zu spezifizieren, um daraus konkrete Anwendungen der ‘Dann-Komponente’ zu ziehen. Dabei kann auf ‘disziplinäre Grenzen’ traditioneller wissenschaftlicher Fächer, wie sie in Universitäten weltweit zu finden sind, oft keine Rücksicht genommen werden." (Hoffmann, Wagner 1998a:189)
Allerdings liefe Ökonomie dann Gefahr, ihre ideologische und legitimatorische „Kernkompetenzen" aufzugeben. Rationalität und Rationalisierung ist jedoch in der Praxis schwer zu unterscheiden, darauf beruht schließlich die Wirkung von Rationalisierung. Der rationale Gebrauch von Irrationalität [5]) ist so wenig zu befürworten wie der irrationale Gebrauch von Rationalität. Es ist eine offene Frage, inwieweit in dem von Weber behaupteten Trend der zunehmenden Rationalisierung [6]) auch Elemente freudscher Rationalisierung stecken. Dem Kleinen Mann - heute nicht mehr auf der Straße, sondern vorm Fernseher - ist schon jeher die „Pseudorationalität der Herrschenden" (Touraine 1972a:15) ein Greuel - abzulesen etwa an abnehmenden Wahlbeteiligungen. Im Zeitalter des Globalismus hat sich jedoch die Pseudo-Rationalisierung auch schön längst der Wirtschaft samt ihrer Pseudo-Wissenschaft namens Betriebswirtschaftslehre bemächtigt. Der Geist des Kapitalismus überschlägt sich in einer „Rationalisierungs-Spirale" (Deutschmann 1997a). Hier wird Rationalität nicht mit dem Ziel von Aufklärung vollzogen, denn Manager als global player surft auf dem dernier cri.[7])
[1]) die nach Bowles (2000a) zu einer neuen Form des Regionalismus geführt hat
[2]) "On January 12, 1999, over a billion dollars fled Brazil. Three days later, the Central Bank attempted to bring about a limited devaluation of the Brazilian currency, the real, but it failed to prevent a free fall. Over the next two days, another $3 billion was pulled out, and by the end of the month, the real had lost over 40 percent of its value. The Central Bank president resigned, his successor lasted a week, and as speculative attacks continued, President Fernando Henrique Cardoso, in some desperation, sought out one of international financier George Soros's closest associates, Arminio Fraga, for the job. Fraga used to manage a fund that took bets on macroeconomic changes, such as currency devaluations in places like Brazil. It was, as the Brazilian press pointed out, a case of putting the fox among the chickens. The outlook for 1999 is grim. Brazil is facing a deep recession and a return of inflation; continuing volatility in the value of its currency; a political cat fight over fiscal reform legislation in Congress; acute stress in the relationship between the federal government and the states; the risk of defaults on state and federal government debt as well as in the private sector; and astronomic and unsustainable interest rates." (Kenneth Maxwell, WORLD POLICY JOURNAL, ARTICLE SUMMARIES: SPRING 1999)
[3]) "Der gewaltige Umfang, den die Revolution in Russland angenommen hat, die tiefgehende Wirkung, womit sie alle Klassenverhältnisse erschüttert, sämtliche sozialen und wirtschaftlichen Probleme aufgerollt, sich folgerichtig vom ersten Stadium der bürgerlichen Republik voranbewegt hat - wobei der Sturz des Zarismus nur eine knappe Episode, beinahe eine Lappalie geblieben ist -, all dies zeigt auf flacher Hand, dass die Befreiung Russlands nicht das Werk des Krieges und der militärischen Niederlage des Zarismus war, nicht das Verdienst ‘deutscher Bajonette in deutschen Fäusten’, wie die ‘Neue Zeit’ unter der Redaktion Kautskys im Leitartikel versprach, sondern dass sie im eigenen Lande tiefe Wurzeln hatte und innerlich vollkommen reif war." (Luxemburg 1968c:106)
[4]) weshalb er im seriösen Steuerrecht völlig fehl am Platze sei, so jedenfalls Prof. Eckhoff bei der Anhörung des Finanzausschusses zum Steuerentlastungsgesetz. Hingegen: „’Alles theoretische Gedanken’, kommentierte Dieter Ondracek von der Steuer-Gewerkschaft, solange die Kontrolle nicht greife; ihm sei überhaupt nur ein Fall der Erklärung eines Spekulationsgewinns mit Wertpapieren bekannt." (Tenhaeff 1999a)
[5]) wie sie Adorno beim faschistischen Demagogen findet; vgl. Die Freudsche Theorie und die Struktur der faschistischen Propaganda, in: (1971a:59)
[6]) eine Kritik, die grundsätzlich zurückgeht bis auf die Kritik des aufklärerischen Rationalismus und des ökonomischen Lieberalismus, insbesondere dann in philosophischer Form durchgeführt durch den deutschen Idealismus
[7]) "It's amazing how many executives are driven by management fads and slogans - big hairy audacious goals (BHAGs), quantum leaps, inspirational leadership - and then refuse to deviate from course even when the environment changes dramatically. Indeed, researchers have found that when the pressure is on, people exhibit a dismaying tendency to focus on insignificant problems while their perceptions become distorted and they insist on proving that their mistaken view of the situation is actually correct." (Charan, Colvin 2001a:30)
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