Dies ist der gebündelte Versuch einer Replik auf: Karl R. Popper, Das Elend des Historizismus, was eine Replik darstellte auf: Karl Marx, Das Elend der Philosophie, was eine Replik darstellte auf: Proudhon, Die Philosophie des Elends

22.10.2005

Die Botschaft der Popperizismuskritik

Die Popperizismusfrage insgesamt ist schon daher nicht so einfach zu erledigen, weil Popper aufgrund seiner ihm eigentümlichen Definitionslehre nicht sehr deutlich darüber ist, welche An­nahmen der atta­ckierte Popperizismus nun genau umfasst. So hat es Popper noch nicht ein­mal für notwendig gehal­ten, die Beziehung seines Begriffs zu dem zumindest seit dem Me­tho­denstreit in der Ökonomie im Schwange befindlichen Begriff „Historismus" aufzuklären. Be­sonders in der eng­lisch sprechenden Literatur (z.B. Kiser, Hechter 1991a; Hanneman 1988a:21) wer­den beide Begriffe oft heillos durch­ein­ander geworfen. Erstaunlicherweise zeigt sich auch Dahren­dorf (1995a) bereits der anglophonen Begriffskonfusion angepasst und dessen völlig ver­gessen, was auf dem Kontinent schon mal unter „Historismus" verstanden wurde. Im Übrigen soll noch, da Popper soviel Wert auf neo­logische Prioritäten legt, angemerkt werden, verwendet Lukács (1968a:133) den Terminus „Historizismus", und zwar im Sinne eines historischen Rela­ti­vismus.

Popper gebraucht oft Wendungen, denen sich zu widersetzen ebenso unmöglich ist als die Luft zu durchhauen. A fortiori ist es um so schwerer auszumachen, inwiefern von Poppers Pop­pe­rizis­mus­kri­tik die in diesem Feldzuge attackierten Philosophen und deren Anhänger über­haupt getroffen werden. Döring (1996a) findet Gelegenheit, hier von einer „Kritik am falschen Ort" (man könnte vielleicht noch besser sagen: am schlecht definierten Ort) zu sprechen. Quint­es­senz der unzureichenden Popperschen Problemexposition ist nämlich schlicht gesagt dies:

Wenn Popper in seiner Argumentation einen Sieg erfochten hat - gegen wen?

Der Unterschied im Stil der wissenschaftlichen Darstellung zwischen dem Kritiker Marx und dem Kri­tiker Popper ist frappierend. Während Marx oft minutiös exzerpiert und seine Kritik eng am vorliegenden kritisierten Text vollzieht, ist zwar auch er mitunter nicht von dem Vor­wurf frei­zuspre­chen, Texte nicht von der Zielsetzung des Autors her zu interpretieren, sondern so, wie sie in seinen Kram, d.h. sein Projekt der Theoriekonstruktion, passen. Dabei nennt Marx aber fast immer Ross und Reiter, wenn er kritisiert, und lässt uns somit an seinem theo­rie­kritischen Durch­arbeiten der Fachli­te­ra­tur teilnehmen.

Im Gegensatz dazu wird von Popper das Opfer seiner Kritik erst von ihm logisch konstruiert. Er befasst sich daher mit einem idealen (Zerr-) Bild des kritisierten Arguments oder der Positi­on. Das hat den Vorteil. dass Popper (fast) immer im Recht ist; man weiß nur nicht immer, ge­gen wen. Es droht auch bei dieser Form von Modell-Platonismus ständig die Gefahr, dass die Diskrepanz zwi­schen Mo­dell und Realität unterschlagen wird. Vor allen Dinge lernt man die kritisierte Position nur in der Darstellung Poppers kennen. Die Überprüfung an unabhängiger Stelle wird vereitelt, wenn Popper nur zur Illustration zitiert. Popper wirft Marx vor, nicht alle erklärungsrelevanten Elemente in sein Prognosemodell eingeschlossen zu haben bzw. dies über­haupt zu können. Man kann jedoch Popper vorwerfen, in seiner Marx-Widerlegung nicht alle relevanten Theorie-Ele­mente der marxschen Theo­rie eingeschlossen zu haben. Si­cher­lich, vie­le Aussagen vieler Marxisten sind nicht (nur) ideologisch, sondern auch politisch oder me­tho­dologisch naiv. Ein Marx-Kritiker sollte jedoch auch nicht der gän­gigen stali­ni­sti­schen Selbst­darstellung aufsitzen und wie diese Marx/Engels/Lenin/Stalin pauschal als Vie­rer­bande ab­zuhandeln.

Die marxsche Theorie wird jedoch von Popper nicht als empirisch überprüfbares Modell, wie es im „Kapital" vorliegt, rekonstruiert, sondern als ein transzendentales Argument. Der Scho­la­sti­zis­mus liegt daher nicht fern, dass Poppers Popperizismuskritik nicht als Hegel- oder Marx-Kritik gefasst wird, al­so an Kritik zweier von Popper unabhängigen Theorien, sondern dass die Kritik ihren eigenen Anwen­dungsbereich definiert und erst auf diese Weise ihren eigenen Ge­gen­s­tand konstituiert. Popperi­zismus wäre dann auf diese tautologische Art nichts weiter als das­jenige, was Popper als solchen behandelt hat. Wir erfahren dann dadurch nicht mehr etwas über Hegel oder Marx als historisch rele­van­te Entitäten und Autoren, sondern nur noch etwas von Popper und seine Ansichten betreffs Ob­jek­te seines Denkens. Ob Hegel oder Marx Pop­per­i­zisten waren, ist dabei genauso irrelevant, so wie es für manche Ökonomen, z. B. Robbins (1952a), irrelevant ist, ob alle Menschen so rational handeln, wie sie es mit ihrem Modell unter­stellen (Albert 1954a:24). Damit verschafft sich Popper indes geschätzte Möglichkeiten lo­gisch schlüssiger Beweisfüh­rungen.

Leider stellt sich dann jedoch jeweils die Frage, ob sich die Kritisierten als historisch-ob­jek­ti­ve Enti­täten auch den Prämissen seiner an seinem Modell durchgeführten Kritik fügen. Aber für die dadurch geforderte hermeneutische Aufgabe scheint Poppers Situationslogik eher schlech­ter ge­rüstet zu sein als Hegels oder Marxens Dialektik.

Keine Kommentare:

Blog-Archiv