"Die Banken haben gepennt!" So bodenständig der Trierer Betriebswirt Hellmuth Milde zum Fall Philipp Holzmann AG, wo der Aufsichtsrats-Vorsitzende der Deutschen Bank einen Konzern bis hin zur Zahlungsunfähigkeit vorgesessen hat (TV 23.11.1999). Milde spricht von "Seilschaften" und "inkompetenten alten Männern" und spricht dabei von Speerspitze des deutschen Finanzkapitalismus. Der vielbeschworene Wettbewerbsnachteil Deutschlands liegt nicht in der Qualifikation der 40.000 Beschäftigten [1]), deren Arbeitsplatze damit gefährdet sind, sondern am bankensystem-gesteuerten Missmanagement, wodurch sich der Standort Deutschland offenbar zusehends auszeichnet. Der Deutschen Bank ist hier wieder einmal nicht bloß vorzuwerfen, dass sie ihre besonderen Interessen und das bestehende System vertritt - sondern dass sie ihre eigenen Interessen auf die denkbar schlechteste Weise, d.h. ineffizient vertritt. Vielleicht wären wir wirklich in einer etwas besseren Welt, wenn die Kapitalisten wenigstens ihre eigenen Ratschläge (z.B. moderne Betriebswirtschaftsmethoden) befolgen würden.
Vielleicht besteht wirklich die Malaise Deutschlands darin, nicht zuviel Kapitalismus, sondern zu wenig davon, stattdessen noch zuviel Feudalismus und Kaiser-Wilhelms zu haben. Ein SPD-Bundeskanzler musste sich natürlich aufgerufen fühlen, hier piece-meal engineering am lebenden Objekt vorzuführen. Da wir überhaupt kein rein marktwirtschaftliches System haben, ist die berufene Kritik an der vorgenommenen "Unternehmensberatung nach Husarenmanier" (FAZ-Kommentator 26.11.1999, S.1), sie sei nicht systemkonform, schwerlich zu bewerten, und den betroffenen Beschäftigten wohl ziemlich egal. Wer will schon sagen (außer den Scholastikern der Ideologie, deren Urteil nicht wohlfeil, aber wertlos ist), wo hier die Ausnahme und wo die Regel ist.
Auf jeden Fall: Der shareholder hat immer Recht! Freilich jedoch greift Stückwerk prinzipiell zu kurz, wenn es sich um strukturelle Mängel eines Systems dreht.[2]) Der "soziale Ausgleich" erscheint immer erst dann auf der Bildfläche, wenn die Hinterlassenschaften des Sozialdarwinismus zu entsorgen sind.[3])
Die massenpsychologisch zureichend erklärbare Rationalität irrationalen Börsianerverhaltens überträgt sich durch kommunikationstechnologische Innovationen potenziert auf Weltwirtschaft: „Casino-Kapitalismus". Die neuen Gurus der allerneuesten Religion des verschlankten [4]) Instant-Kapitalismus mit kostenminmierten, besser: virtualisierten und externalisierten Selbstkosten und vollflexibilisierten [5]) Arbeitskraftunternehmern [6]) sowie hochdosierten Subventionen der Angebotspolitiker und shareholder value-Schützer sind die Topberater, welche den Dorfpastor schon längst aus dem Geschäft der Seelenmassage des Kapitalisten verdrängt haben. Positives Denken [7]) mit anderen Mitteln - denn nur wer glaubt bzw. positiv denkt, der wird selig oder fitt für den Weltmarkt. Wer nicht daran zu glauben vermag, der ist reif für die Insel oder, solange es nicht auch schon wegverschlankt und abgewickelt ist, das Sozialamt [8]).
[1]) "... focus on the quality of your people. We hope it's no longer necessary to argue that this is increasingly your company's only source of competitive advantage. Yet when times get tough, many companies ease up on recruiting, figuring a slow economy will drive more applicants their way, and they spend less on training as a way to raise profits quickly without doing immediate damage to the business." (Charan, Colvin 2001a:30)
[2]) "Der öffentliche Charakter der Großunternehmen wird auch dadurch dokumentiert, dass ihre Eigentümer, handele es sich um wenige Großaktionäre oder um eine Vielzahl von kleinen Anteilseignern, faktisch nicht mehr in der Lage sind, für Verluste, die aus ihren Beschlüssen oder denen ihrer Beauftragten entstehen, zu haften. (...) dann lässt sich ihre ausschließlich private Lenkung nicht mehr legitimieren." (Pross, 1970a:91)
[3]) „The truth, of course, is that the era of big government is not over. It is not over for the big business lobbyists who crawl all over this town. Every working day, they insert another little amendment in an obscure law, or influence a federal regulatory decision, or fund a special program that helps their clients. Under cover of ‘free trade,’ we make international agreements that protect investors at the expense of working people and the environment. Under cover of deregulation, we encourage megamergers that further concentrate economic power at the top." (Faux 1998a)
[4]) What's about "Downsizing the Pentagon"?! Siehe dazu Hartung 1999a. "This is a job for Vice President Al Gore. He has tried to make a name for himself promoting a series of initiatives on 'reinventing government' so cutting waste at the Pentagon should be a natural assignment. And unlike President Clinton, he served in Vietnam and had significant experience on national security issues before arriving at the White House, so one hopes he will not be quite as timid about taking on the Pentagon bureaucracy. If Gore rises to the challenge, there will be plenty of work to do. A recent General Accounting Office report suggests rather tactfully that 'many of DOD's programs are still vulnerable to waste, abuse, and mismanagement.' A summary in Defense Week noted that among the report's most jarring findings were the following: 'auditors could not match about $22 billion in signed checks with corresponding obligations; $9 billion in known military materials and supplies were unaccounted for; and contractors received $19 million in overpayments.' As a result, 'the Pentagon doesn't know what it can send to troops, can't avoid buying more of something that the military already owns, and can't tell how much its programs actually cost.'"
[5]) Flexibilisierung steht in Widerspruch zu Mitbestimmung. das erkennt zumindest das ZEW (Zentrum für europäische Wirtschaftsforschung) im Vorspann zu einem Managementkursus messerscharf: "Im Anschluss an die Flexibilisierung der Arbeitszeit ist ein Flexibilisierungsdruck auf das Arbeitsentgelt festzustellen. Ausschlaggebend hierfür ist zum einen, dass variable Entgeltbestandteile dann mehr Motivationskraft erzeugen, wenn sie leistungs- bzw. erfolgsabhängig ausgestaltet werden. Zum anderen erlauben leistungs- und erfolgsabhängige Komponenten des Arbeitsentgelts eine systematische Anpassung an konjunkturelle Entwicklungen, indem in konjunkturell guten Zeiten die Erfolgskomponenten ansteigen und in schlechten Zeiten zurückgeführt werden können, ohne mit Einstellungen oder Entlassungen reagieren zu müssen. Die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Entgeltflexibilisierung hängen entscheidend davon ab, ob die Flexibilisierung im Tarifvertrag, in der Betriebsvereinbarung oder in den Arbeitsverträgen vereinbart werden soll. Die Wahl der richtigen Regelungsebene gibt auch den Einfluss des Unternehmens vor. Zudem ist regelungstechnisch darauf zu achten, ob die Entgeltanpassung automatisch dynamisch durch Ausrichtung an bestimmten Faktoren geschehen soll, wie etwa dem Aktienkurs des Unternehmens oder dem Bilanzgewinn. Anpassung kann auch durch Wahl- und Bestimmungsrecht einer Seite, sei es des Arbeitgebers, insbesondere bei der Nutzung von Freiwilligkeits- und Widerrufsvorbehalt geschehen. Denkbar sind allerdings auch Entscheidungsrechte des Arbeitnehmers, insbesondere in sogenannten Cafeteriasystemen. Ergänzend ist ein Blick auf die Mitbestimmung des Betriebsrats geboten, die die Entgeltanpassung erschweren kann und damit ein Flexibilitätshindernis darstellt." - Da haben wir's: Mitbestimmung kostet Arbeitsplätze. Mit derselben Situationslogik der herrschenden Klasse hat schon Popper (1992b) nachgewiesen, dass revolutionäres Aufmucken von Unterdrückten nur dazu geeignet ist, die Herrschenden zu Gegenrevolution und Faschismus herauszufordern, also in jedem Fall irrational oder kontraproduktiv ist. Sei immer bescheiden und nähre Dich redlich! Ausgezeichnet wird im voranstehenden Text jedoch klargemacht, dass all diese Konsequenzen völlig unintendiert sind. Selbst wenn in dem Kursus ein paar neue Ideen vorkommen sollten (andernfalls wäre er vielleicht auch ziemlich überflüssig), so erfolgen derlei Verschlankungs-Innovationen immer nur im Hinblick darauf, selber möglichst schnell vorwegzunehmen, was andere sowieso tun werden. Denn die ökonomisch "Mächtigen" beugen sich ja nur dem Diktat des Marktes! Welcher Unternehmer würde nicht noch mehr Leute einstellen, wenn er nur könnte, wie er wollte! - Zur deutschen Unternehmermentalität vgl. Max Weber: "Ich kann das nicht ausführlich erörtern, namentlich nicht, inwieweit die selbstverständlich bis zu einem gewissen Grade berechtigte Behauptung der Herren Arbeitgeber zutrifft, dass ihnen die allerverschiedensten technischen und ökonomischen Schwierigkeiten durch das Vorhandensein von Gewerkvereinen gemacht würden. Ich kann nur darauf hinweisen, dass die hochstehenden Industrien der Welt in England und Amerika trotz aller Schwierigkeiten eben im Erfolge doch damit vorzüglich auskommen. Es liegt das zum guten Teil nicht in ökonomischen Notwendigkeiten, sondern in unseren deutschen Traditionen.(...) wie unsere gegenwärtige Politik nicht selten den Eindruck erweckt und erwecken muss, dass sie nicht etwa die Macht, sondern vor allem den Schein der Macht, das Aufprotzen mit der Macht sucht. (...) So etwas steckt auch unseren Arbeitgebern im Blute, sie kommen über den Herrenkitzel nicht hinweg, sie wollen nicht bloß die Macht, die gewaltige, faktische Verantwortung und Macht, die in der Leitung jedes Großbetriebes liegt, allein - nein, es muss auch äußerlich die Unterwerfung des anderen dokumentiert werden." (Baumgarten 1964a:521f) Zur Frage Lehrstellenknappheit oder Investition in "Humankapital": "Wir haben gesagt, dass der Sklave nur für die Arbeiten des Lebensbedarfs gebraucht wird, so dass er auch nur geringer Tugend bedarf, gerade genügend, damit er nicht aus Zuchtlosigkeit oder Trägheit den Dienst versäumt." (Aristoteles 1970a:89)
[6]) Der Arbeitskraftunternehmer ist die gesellschaftliche Form der Ware Arbeitskraft, bei der Arbeitende nicht mehr primär ihr latentes Arbeitsvermögen verkaufen, sondern (inner- oder überbetrieblich) vorwiegend als Auftragnehmer für Arbeitsleistung handeln - d.h. ihre Arbeitskraft weitgehend selbstorganisiert und selbstkontrolliert in konkrete Beiträge zum betrieblichen Ablauf überführen, für die sie kontinuierlich funktionale Verwendungen (d.h. 'Käufer') suchen müssen." (Voß, Pongratz 1998a:139f)
[7]) "Von der Macht des Gemüts, durch den blossen Vorsatz seiner krankhaften Gefühle Meister zu sein",Kant (XI:371ff )
[8]) "Brennpunkt Sozialamt. Der Druck wächst: Probleme mit Bittstellern sind vorprogrammiert. Eine dicke Glasscheibe trennt den Beamten am Informationsschalter des Mainzer Sozialamtes von den Wartenden. Auch zwei Mitarbeiter eines privaten Wachdienstes stehen im Eingangsraum. (...) Vor zwei Jahren hatten die Sozialamtsmitarbeiter diese Sicherheitsvorkehrungen gefordert, nachdem ein Kollege in einem Rollstuhl von einem wütenden Antragsteller angegriffen und ein anderer mit Tränengas besprüht wurde. (...) 'Es stoßen Menschen, die mehr oder weniger unfreiwillig zu Bittstellern wurden, in ein Geflecht aus Rechten und Pflichten. Zugleich sind sie vom Können, Verständnis oder gar Frust der Sachbearbeiter abhängig...'" (Sandra Jessel, Trierischer Volksfreund, 05.10.1999) Zu den US-amerikanischen Erfahrungen mit Reformen der welfare legislation siehe Matthews, Becker (o.J.).
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