Dies ist der gebündelte Versuch einer Replik auf: Karl R. Popper, Das Elend des Historizismus, was eine Replik darstellte auf: Karl Marx, Das Elend der Philosophie, was eine Replik darstellte auf: Proudhon, Die Philosophie des Elends

22.10.2005

Die Arbeit des Begriffs

Und so fasste Kant die Tätigkeit des Philosophen als Arbeit des Begriffs" [1]), d.h. als me­tho­dische Entwicklung und Zusammenstellung von Begriffen. Es sieht so aus, als ob die deut­sche Philosophie von der Arbeit des Begriffs erst zum Begriff der Arbeit gefunden habe; so wie die schöpferische Synthesis des transzendentalen Idealismus Vorreiter wurde für die Selbst­er­kennt­nis der Philosophie als Kulturwissenschaft.[2]) Als Prototyp einer derart genie­haf­ten, sub­jektiv gefärb­ten Stimmungsphilosophie führt Kant seinen Schüler Herder an.[3]). So wie Popper polemisiert Herder indes gegen die begriffliche Strenge der Schulphilosophen als das „Wort­ge­zänk der Wortgelehrten" (11). In einer Rezension hat Kant Herders philoso­phischen Stil derma­ßen charakterisiert:

„Daher möchte wohl, was ihm Philosophie der Geschichte der Menschheit heißt, etwas ganz anderes sein, als man gewöhnlich unter diesem Namen ver­steht: nicht etwa eine logische Pünktlichkeit in Bestimmung der Begriffe, oder sorgfältige Unterscheidung und Bewährung der Grundsätze, sondern ein sich nicht lange ver­weilender viel umfassender Blick, eine in Auffindung von Ana­lo­gien fertige Sagazität, im Gebrauche derselben aber kühne Einbildungskraft, ver­bunden mit der Geschicklichkeit, für seinen immer in dunkeler Ferne gehal­te­nen Gegenstand durch Gefühle und Empfindungen einzunehmen, die, als Wir­kungen von einem großen Gehalte der Gedanken, oder als vielbedeutende Win­ke, mehr von sich vermuten lassen, als kalte Beurteilung wohl gerade zu in den­selben antreffen würde." (Kant XII:781)

Die Forderung nach begrifflicher Strenge wird von Hegel voll unterschrieben. Bei Hegel ge­winnt die An­gelegenheit einen objektiven Anstrich: Wenn Philosophen sich genügend anstren­gen, dann arbeitet der Be­griff nur an sich selbst (Negt 1964a:19) und zeigt, was so alles in ihm steckt. Dabei setzt Hegel die be­grei­fende Wahrheit der Philosophie in Gegensatz zu dem weit­ver­breiteten Wunsch, Philosophie solle er­bau­lich [4]) wirken. Dies zeigt aber auch, dass der An­griff Poppers und Alberts auf die sog. „Begriffsorien­tierung" borniert ist. Die begriffs­lo­gi­sche Un­ter­suchung, wel­ches System prinzipieller Kategorien [5]) ver­schiedenen theoretischen An­sät­zen zugrunde liegt, ist an sich durchaus sinnvoll. So ist dem parsonsschen Ent­wurf eines Bildes der Gesellschaft der Ge­gen­entwurf der Konflikttheoretiker erwachsen (Rüschemeyer 1968a:25). Pop­per selbst in seiner eigenen „Geschichtsphilosophie" hat mit offen vs. geschlossen ein Ka­te­go­rien­paar gewählt, das ja nicht außerhalb jeder Kritik oder auch nur einer begriffslogischen Untersuchung steht.

Das Programm einer apriorischen Soziologie (es ist nicht ganz klar, ob König das wirklich im Schilde geführt hat) käme dem aprioristischen Programm Mises’ (1933a) in der Nationalöko­no­mie nahe und wäre damit genau das gefundene Fressen für Poppers Essentialismus-Kritik. Wenn man bedenkt, dass durch die Methodologie des Apriorismus eine empirische Theorie (falls überhaupt vorhanden!) nichts weiter als tautologisiert wird, wie Albert [6]) nach­gewiesen hat - also ein empirisches Objekt durch den Apriorismus nicht kausal erklärt, son­dern einfach de­finiert wird. So ist nicht einzusehen, was die Soziologie durch Königs Pro­gramm einer ka­te­go­rialen So­ziologie außer einer evtl. konsistenten Terminologie zu gewinnen hätte. Soziologen sollten sich hier nicht von der formalen Fassade der Scheinerfolge ökonomi­scher Theorie blen­den lassen - zumin­dest macht die empirische Soziologie wenn auch be­grenz­te, immerhin doch Aussagen über die Realität! Eine gewisse Plausibilität konnte ein solches Pro­gramm nur auf der Grundlage einer am transzendentalen Idealismus orientieren Recht­fer­ti­gungsstrategie gewin­nen, der im Gegensatz zum Empirismus die Existenz synthetischer Urteile a priori voraussetzt. Denn dies beschreibt Feigl (1974a:3) als die „core doctrine of classical em­pi­ricism (from Hume to Carnap and Nagel) according to which there are no synthetic a priori truths in the factual scien­ces, or in factual knowledge generally".

In der neueren Diskussion der analytischen Philosophie ist jedoch bereits die Möglichkeit der deutlichen Unterscheidung analytisch vs. synthetisch in Frage gestellt (Mcmullin 1974a). Steg­mül­ler (1974a:XXVIII) schlägt vor, da sich die scharfe Unterscheidung zwischen Bedeutungs­po­stu­laten und empirischen Hypothesen als problematisch erwiesen habe, eine eigene Klasse der quasi-ana­lytischen" Sätze einzuführen. Feyerabend (1976a:235) hingegen hält diese Unter­schei­dung überhaupt nicht bloß für unscharf, sondern für den Erkenntnisfortschritt sowohl irre­le­vant als auch potentiell schädlich.



[1]) „Es liegt nämlich nicht bloß in der natürlichen Trägheit, sondern auch in der Eitelkeit der Menschen (einer missverstandenen Freiheit), dass die, welche zu leben haben, es sei reichlich oder kärglich, in Vergleichung mit denen, welche arbeiten müssen, um zu leben, sich für Vornehme hal­ten. (...) Mit einem Wort: Alle dünken sich vornehm, nach dem Maße als sie glauben, nicht arbeiten zu dürfen; und nach diesem Grundsatz ist es neuerdings so weit gekommen, dass sich eine vorgeb­liche Philosophie, bei der man nicht arbeiten, sondern nur das Orakel in sich selbst anhören und ge­nießen darf, um die ganze Weisheit, auf die es mit der Philosophie angesehen ist, von Grunde aus in seinen Besitz zu bringen, unverhohlen und öffentlich ankündigt: und dies zwar in einem To­ne, der anzeigt, dass sie sich mit denen, welche - schulmäßig - von der Kritik ihres Er­kennt­nis­ver­mö­gens zum dog­ma­tischen Erkenntnis langsam und bedächtig fortzuschreiten verbunden halten, in eine Linie zu stellen gar nicht gemeinet sind, sondern - geniemäßig -, durch einen einzigen Scharf­blick auf ihr Inneres, alles das, was Fleiß nur immer verschaffen mag, und wohl noch mehr, zu leisten im Stande sind." (Kant VI:378)

[2]) „Das sind die sachlichen Gründe, aus denen Kant neben dem formalen Schematismus sei­ner Problembildungen genötigt war, nachdem er das Prinzip der Synthesis als den Rechtsgrund al­ler Wissenschaft entdeckt hatte, es Schritt für Schritt auch auf die übrigen Gebilde der Kultur an­zu­wenden: so ist es aus der inneren Notwendigkeit der Sache dazu gekommen, dass der Kri­ti­zis­mus, der seiner Methode nach am Problem der Wissenschaft aufgerollt worden war, ungewollt in seiner Leistung eine Kulturphilosophie - die Kulturphilosophie geworden ist. In dem Bewusstsein der schöpferischen Synthesis ist die Kultur zur Selbsterkenntnis gelangt: denn sie ist ihrem inner­sten Wesen nach nichts anderes." (Windelband 1910a:193)

[3]) Be­zeich­nend für dessen Stil sind folgende programmatische Äußerungen aus seiner Vorrede zu den „Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit" (10): „Überall hat mich die große Analogie der Natur auf Wahrheiten der Religion geführt, die ich nur mit Mühe unterdrücken musste, weil ich sie mir selbst nicht zum voraus rauben, und Schritt vor Schritt nur dem Licht treu bleiben woll­te, das mir von der verborgenen Gegenwart des Urhebers in seinen Werken allenthalben zustrahlet. Es wird ein um so größeres Vergnügen für mei­ne Leser und für mich seyn, wenn wir, unsern Weg verfolgend, dies dunkelstralende Licht zuletzt als Flamme und Sonne werden aufgehen sehen." Dies al­les klingt recht wenig nach phi­lo­sophischer Arbeit.

[4]) „Indem die wahre Gestalt der Wahrheit in diese Wissenschaftlichkeit gesetzt wird - oder, was dasselbe ist, indem die Wahrheit behauptet wird, an dem Begriffe allein das Element ihrer Exi­stenz zu haben -, so weiß ich, dass dies im Widerspruch mit einer Vorstellung und deren Folgen zu stehen scheint, welche eine so große Anmaßung als Ausbreitung in der Überzeugung des Zeitalters hat. (...) Das Absolute soll nicht begriffen, sondern gefühlt und angeschaut (werden), nicht sein Be­griff, sondern sein Gefühl und Anschauung sollen das Wort führen und ausgesprochen werden. (...) Wer nur Erbauung sucht, wer die irdische Mannigfaltigkeit seines Daseins und des Gedankens in Nebel einzuhüllen und nach dem unbestimmten Genusse dieser unbestimmten Göttlichkeit ver­langt, mag zusehen, wo er dies findet; er wird leicht selbst sich etwas vorzuschwärmen und damit sich aufzuspreizen die Mittel finde. Die Philosophie aber muss sich hüten, erbaulich sein zu wol­len." Hegels akademischer Konkurrent in Berlin war Schleiermacher!

[5]) „The term "category" comes from the Greek word kategoria, which is derived from kata ("against") and agoreuein ("to assert"). In Philosophy, the term means ultimate or fundamental divi­si­ons or kinds. Several schemes of categories have been offered in the history of philosophy. These schemes are sometimes descriptions of different kinds of things. At other times, they are different ways of thinking or talking about things in the world. To say that two things belong to completely dif­ferent categories is to say that they have literally nothing in common, and we cannot apply the sa­me descriptions to both unless we speak metaphorically. Aristotle was the first to use the term ca­tegory in philosophy. He adapted "categoria" from the legal language, which meant "accusation," and used it to mean that which is asserted about something. Aristotle distinguished between several ty­pes of categories including kind, quality, quantity or size, relation, location, time or date, action, and undergoing. For Kant, a category is any of the twelve forms or relating principles of the un­der­standing, constituting necessary conditions of experience. Kant sought to derive an exhaustive list of pure forms of the understanding from the forms of judgment in the traditional logic: quantity, qua­lity, relation, and modality. His list comprises three of each.

Hegel meant by categories the ideas which explain reality. He used a triad principle and generated around 272 categories. But Hegel also stated that categories were many and their exact number can­not be determined until the system of reality is completely explained. He thus marks a shift in the meaning of "category" as simply any basic notion, concept, or principle in a system of phi­loso­phy. Pierce held that categories are the most general terms into which experience can be divided. They reflect three types of predicates or relations, and his three main categories are "firstness," "se­cond­ness," and "thirdness." These terms stand for "monadic," "dyadic," and "polyadic" respectively. Whi­te­head returned to a more traditional notion of "category" and elaborated a set of 37 categories un­der whose terms it should be possible to explain all experience. For Ryle categories are indefinitely numerous and unordered. The totality of categories is not in a principle an infinite hierarchy of ty­pes. According to him there are no mistakes that are strictly category-mistakes. Today the word "ca­tegory" is used by most philosophers, if at all, to mean any supposedly ultimate type without ma­king in convention as to what type it is." (IEP)

[6]) „Der von Mises behauptete apriorische Charakter der elementaren Wert- und Preislehre, auf den dieser Theoretiker so großen Wert legt, beruht einzig und allein darauf, dass es sich bei die­sen Untersuchungen lediglich um die logische Ex­pli­kation gewisser vorausgesetzter definitorischer Sätze mit Hilfe analytischer Urteile a priori handelt. Nun, diesen Aussagen fehlt der synthetische Cha­rakter, den man im Allgemeinen von Erkenntnissen zu verlangen pflegt." (Albert 1954a:49)

Keine Kommentare:

Blog-Archiv