Dies ist der gebündelte Versuch einer Replik auf: Karl R. Popper, Das Elend des Historizismus, was eine Replik darstellte auf: Karl Marx, Das Elend der Philosophie, was eine Replik darstellte auf: Proudhon, Die Philosophie des Elends

22.10.2005

Dogmatische Präferenz für Aussagenlogik

Zumindest ist zu dieser Emporhebung der Aussagenlogik die Begriffslogik als Alternative zu be­trach­ten. So baut zum Beispiel Freytag (1961a:547f) auf der aristotelischen Syllogistik eine Be­griffslogik auf und unternimmt den Nachweis, dass, indem Sätze als Begriffe aufgefasst werden könnten, die moderne extensionale Logik in seiner Begriffslogik enthalten sei.

Zweckmäßigkeitsargumente überhaupt sind jedoch selten zwingend; zumindest sind sie stets re­lativ zu den vorausgesetzten Zwecken. Popper erweckt jedoch den Anschein, dass die Be­griffs­orientierung an sich falsch oder doch in hohem Maße methodologisch ungesund wäre. Die­se starke Behauptung kann durch diese aussagenlogisch begründete Zweck­mä­ßig­keits­über­le­gung keineswegs voll gestützt werden; sicherlich spielen methodologisch stets weitere, an­de­re Zwecküberlegungen eine Rolle.

Die genetische Priorität der kognitiven Aussage wird von Klaus (1972a:32) im Anschluss an Ru­binstein denkpsychologisch begründet. Diese These beruht indessen nach Holenstein auf ei­nem logizistischen Vorurteil; d.h. für eine Psychologie nach dem Vorverständnis der heutigen Logik:

"Die Behauptung, dass die Prädikation eine oder gar die fundamentale sprach­li­che und kognitive Struktur ist, der keine andere Struktur vorausliegt, we­der ge­netisch noch systematisch, ist charakteristisch für die allermeisten Sprach­theo­re­tiker, die das Verständnis der Sprache nicht von der Struktur der Er­fahrung her, von unten her, sondern von oben herab, von der Logik des Den­kens her, su­chen. Sie ist ein Logizismus - ... Hier (...) wird eine kognitiv und sprachlich se­kundäre Form einer primären, fundierenden Form als Explikation unterscho­ben." (Holenstein 1980a: 26)

Dieses Argument betrifft auch Poppers principle of transference:

„What is true in logic is true in psychology." (Popper 1973a:24)

Dasselbe heuristische Prinzip nimmt Popper (1973a:6) analog auch für das Verhältnis von Lo­gik zu Methodologie und Wissenschaftsgeschichte in Anspruch.

Demgegenüber kann Holenstein (1980a:27) darauf verweisen, dass in der kognitiven Ent­wick­lung des menschli­chen Individuums dem Prädizieren nichtkonstative Satzformen vorangehen wie der Anruf und der Befehl und dass die adjektivische Determination des Nomens der ad­jek­tivischen Prädikation vo­rangeht (36). Bevor der Mensch urteilen, d.h. Qualitäten über Dinge aus­sagen lernt, erfährt er Gegenstände im Zusammen­hang mit intentionalem Handeln (28). Dass der Handelnde die Hand­lung selbst konstruiert, setzt seine Fähigkeit zu prädizieren voraus (30).

Aber auch Klaus (1972a:32) begründet die Priorität des Urteilens, bzw. der Aussage nicht al­lein psychologisch, son­dern auch damit, dass es einfacher sei, von der Aussage, bzw. der Aus­sagenlogik auszugehen, um das Gebiet der Logik aufzubauen. Unter anderem hat Witt­gen­stein (1984a) einen Versuch in dieser Richtung unternommen; er scheitert jedoch an der Schwie­rig­keit, Aussage unabhängig vom Wahrheitsbegriff zu definieren (Hülser 1979a).

Freytag (1961a) konstruiert seine Begriffslogik, indem er die Wahrheit erst durch das Urteil in Frage kommen lässt; die logische Struktur zusammengesetzter Aussagen lasse sich zunächst oh­ne den logischen Begriff der Wahrheit analysieren.

Methodologie hingegen muss, unter Berücksichtigung von Psychologie und Logik und der Ziel­setzung von Erfahrungswissenschaft, entsprechende Prioritäten setzen, welche jedoch kei­nes­wegs jeglicher Kritik entzogen sind:

"Theorien - und nicht Begriffe oder Daten - sind die Hauptinformationsträger der wissenschaftlichen Erkenntnis." (Spinner 1974a:113)

Die nach Popper angebliche (Mehrheits-) Meinung der modernen Wissenschaftsphilosophie steht jedoch in anscheinend starkem Gegensatz zur traditionellen Philosophie, als dessen Ver­tre­ter hier Kant angeführt werden kann. Seine Auffassung vom Erkenntnisprozess fasst die­ser so zusammen:

„... da der natürliche Fortschritt der menschlichen Erkenntnis dieser ist, dass sich zuerst der Verstand ausbildet, indem er durch Erfahrung zu anschauenden Urteilen und durch diese zu Begriffen gelangt, dass darauf diese Begriffe in Ver­hältnis mit ihren Gründen und Folgen durch Vernunft und endlich in einem wohlgeordneten Ganzen vermittelst der Wissenschaft erkannt werden ..." (Kant II:907)

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