Dies ist der gebündelte Versuch einer Replik auf: Karl R. Popper, Das Elend des Historizismus, was eine Replik darstellte auf: Karl Marx, Das Elend der Philosophie, was eine Replik darstellte auf: Proudhon, Die Philosophie des Elends

22.10.2005

Der Markt liefert den Maßstab (?)

Wozu aber dann noch eine Methodologie der Wirtschaftswissenschaften? Die Börse legt die Wahrheit fest (diesen praktischen Konsens hat Habermas glatt übersehen!), und der Deut­sche-Bank-Chefökonom ist ihr Lautsprecher, einer der "cheerleaders for the stock market" (Halimi 1999a), mit eigener Website [1]) of course. Neuerdings wird von Yardeni gar die Kom­mer­ziali­sierung des Internet für den Trend einer zunehmenden Annäherung an das mikroöko­no­mi­sche Modell des vollkommenen Wettbewerbs in Anspruch genommen. Diese Behauptung steht so ziemlich auf derselben Ebene mit etwa derjenigen: dadurch, dass der Mensch heute per Internet über unglaublich viele Informationsmöglichkeiten verfüge, werde er immer Gott ähn­li­cher. Das Modell der neoklassischen Preistheorie, das solchen wirtschaftspolitischen Empfeh­lun­gen meist zugrunde liegt und selbst innerhalb der Ökonomie noch häufig als Maßstab effi­zi­enter Ressourcenallokation verwendet wird [2]) , ist nämlich nicht von dieser Welt, weil es die harten Bedingungen dieser unserer Welt einfach nicht kennt (z.B. Informationskosten, Transak­ti­ons­ko­sten usw.).

„Auch die vielfach sich bahnbrechende Erkenntnis von der Irrealität der in so allgemeiner Form behaupteten Gleichgewichtstendenz hat den Glauben an die Optimalität dieses Zustandes naturgemäß nicht beseitigen können." (Albert 1954a:82)

Es ist schon deswegen vollkommen ungeeignet, einen Maßstab für reale Wirtschaftsprozesse abzu­geben, weil es effizient per Definition ist, d.h. aufgrund der getroffenen Annahmen ist es logisch un­mög­lich, dass die Marktteilnehmer sich nicht auf das effiziente Gleichgewicht ein­stellen. Das heißt in dürren Worten, es ist willkürlich gewählt und vielleicht auf irgendeine Welt anwendbar, gewiss aber nicht auf diejenige, welche wir bislang hier auf Erden kennen ge­lernt haben. Für Yardeni aber ähnelt gerade unsere Welt von morgen immer mehr einem „per­fectly competitive market place":

„1) The goal of firms is to maximize their profits.
„2) There are no barriers to entry to new firms. The factors of production are mobile.
„3) The number of competing firms can be as numerous as the market can pro
­fitably sustain.
„4) There is no protection against failure. There are no government support pro
­grams or self-perpetuating monopolies, oligopolies, or cartels.
„5) The goal of consumers is to maximize their utility given their budget con
­straints.
„6) Consumers are free to purchase the best products at the lowest price from any producer. They have cheap and readily available information available to them to make their choices."
(Yardeni 1997#35)

Warum soll dann nicht auch die Einbildung eines Wahnsinnigen als Referenzmodell gewählt werden? Wovon hängt die Wahl eines Referenzmodells denn ab? Wohl nur von dem Ziel der Argumentation. Der Vergleich einer realen Volkswirtschaft mit diesem Modell stiftet hier aber vergleichsweise soviel Nutzen, als ein bestimmtes Forschungsergebnis mit dem absoluten Wis­sen eines hegelschen Weltgei­stes in Vergleich zu setzen. Denn die neoklassische Annahme der vollkommenen Voraussicht ist mindest so heroisch wie die hegelsche Annahme des absoluten Wissens.


[1])

[2]) Albert (1954a:79ff) spricht vom „Trugschluss in der Lehre vom Gütermaximum".

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