Dies ist der gebündelte Versuch einer Replik auf: Karl R. Popper, Das Elend des Historizismus, was eine Replik darstellte auf: Karl Marx, Das Elend der Philosophie, was eine Replik darstellte auf: Proudhon, Die Philosophie des Elends

22.10.2005

Marx und Ricardo

„Die Sache im Gebrauch ist eine einzelne nach Qualität und Quantität bestimmte und in Be­ziehung auf ein spezifisches Bedürfnis. Aber ihre spezifische Brauchbarkeit ist zugleich als quan­titativ bestimmt vergleichbar mit anderen Sachen von derselben Brauchbarkeit, so wie das spezifische Bedürfnis, dem sie dient, zugleich Bedürfnis überhaupt und darin nach seiner Be­sonderheit ebenso mit anderen Bedürfnissen vergleichbar ist und danach auch die Sache mit solchen, die für andere Bedürfnisse brauchbar sind. Diese ihre Allgemeinheit, deren ein­fa­che Bestimmtheit aus der Partikularität der Sache hervorgeht, so dass von dieser spe­zi­fischen Qualität zugleich abstrahiert wird, ist der Wert der Sache, worin ihre wahrhafte Sub­stan­tialität bestimmt und Gegenstand des Bewusstseins ist. Als voller Eigentümer der Sache bin ich es ebenso von ihrem Werte als von dem Gebrauche derselben." Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts, S. 115. Digitale Bibliothek Band 2: Philosophie, S. 42310 (vgl. Hegel-W Bd. 7, S.135-136)

Diese Wertbestimmung in einer sozioökonomischen Theorie auf den Begriff zu bringen. ist aber ge­nau das, was die AWT zu leisten unternimmt. Und es ist diese Aufgabenstellung, die Marx von Ricardo, bei allen Anleihen, die Marx vor allem zu Beginn seiner ökonomischen Studien bei Ricardo aufgenommen hat, grundsätzlich unterscheidet. Und nicht zuletzt dieser Punkt ist es, wo Marx Ricardo in Richtung hegelscher, genauer gesagt, materialistischer Dialektik revidiert! Darin liegt auch begründet, dass Marx mit Hegels Terminologie nicht bloß „kokettiert" hat, sondern dass diese, materialistisch „umgestülpt", eine wichtige Funktion in der Logik sei­nes ökonomischen Systems ausübt.

Unter diesem Gesichtspunkt muss etliches an Schumpeters (1965a:739) Dar­stel­lung des Verhältnisses von Marx zu Ricardo geradegerückt werden. Schumpe­ter hat aber schon die marxsche Modifikation der Herleitung des Wertes als eine absolute, d.h. vom Markttausch unabhängige missverstanden. Der springende Punkt der AWT ist nun allerdings der, dass selbstverständlich auch der Tausch am Markt gesellschaftlich bestimmt ist, d.h. in struktureller und funktionaler Logik auf ein System anderer In­sti­tutionen wie Eigentumsverhältnisse, Arbeitsteilung und verfügbare Produktivkräfte bezogen ist. Wie Smith und Ricardo geht er davon aus, dass langfristig gesehen, wenn also Angebot und Nachfrage sich ausgleichen, eine Ware zu ihren Produktionskosten getauscht wird. Dies bedeutet aber für Marx eben damit, dass über den Tausch der Ware die Allokation der gesellschaftlich ver­fügbaren Arbeitszeit er­folgt. Der Arbeitswert repräsentiert demnach, wieviel ge­sellschaftliche Arbeitszeit unter marktmäßig notwendigen technologischen Bedin­gungen eine bestimmte Einheit Ware unter den Gleich­ge­wichts­be­dingungen zur Herstellung aufgewandt werden darf. Der Markttausch legt daher im einen nicht nur den Marktpreis, sondern langfristig auch den Gleichgewichtspreis, sodann die am Markt dominierende Technologie mit ihrem Arbeitszeitrahmen sowie die zu­läs­sige Allokation der Arbeitskraft fest. Die Ent­stehung der AWT in der Ausein­andersetzung mit den anderen klassischen Nationalökonomen, ins­be­sondere Smith und Ricardo, stellt im einzelnen recht brauchbar Tuchscheerer (1968a) dar.

Es wäre aber daher sehr irreführend, zu sagen, die AWT kenne den Markttausch nicht. Wenn Dobb sagt:

Nicht der Wille der Individuen und die Verhaltensweisen der Markt-Partner, seien sie Käufer oder Verkäufer, sondern objektive Produktionsbedingungen setzen das Wertverhältnis, in dem Struktur und Gestalt der ökonomische Lage sichtbar werden." (Dobb 1973a:28)

so klingt das reichlich mystisch, als könnten situative Faktoren ohne handelnde Individuen Werte festlegen. Natürlich ist es der Markttausch, worüber der Wert­me­chanismus wirkt. Es mag in bestimmten Modellfällen natürlich sein, dass man davon unter bestimmten Voraussetzungen davon absehen kann. Aber auch Marx stellt grundsätzlich das Tauschverhältnis und den damit implizierten Wertvergleich an die zentrale Stelle des ökonomischen Systems (siehe „Kapital", Bd. 1!). Aller­dings sieht die AWT das ökonomische System umfassender als die heute herr­schen­de Lehre, die alles außer den Marktprozessen in den Datenkranz verbannt hat. Die Produktionsbedingungen setzen sich als kosten- und damit wertbe­stim­mend allein dann durch, wenn wir unter den Verhältnissen des langfristigen Gleich­gewichts von Angebot und Nachfrage auf dem Markte abstrahieren.

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