Dies ist der gebündelte Versuch einer Replik auf: Karl R. Popper, Das Elend des Historizismus, was eine Replik darstellte auf: Karl Marx, Das Elend der Philosophie, was eine Replik darstellte auf: Proudhon, Die Philosophie des Elends

22.10.2005

Ist eine wissenschaftliche Philosophie möglich?


„... wer mag, kann in der Kritik auch nichts weiter als das ewig sich wälzende Rad, das jeden Augenblick eine Gestalt, welche die Welle oben hinauf trug, hin­un­terzieht, erblicken, - es sei, dass er, auf der breiten Base des gesunden Men­schen­verstandes ruhend, seiner selbst sicher, nur an diesem objektiven Schau­spiel des Erscheinens und Verschwindens sich weidet und aus ihm selbst sich noch mehr Trost und Befestigung für seine Entfernung von der Philosophie holt, indem er a priori durch Induktion die Philosophie, an welcher das Be­schränkte scheitert, auch für eine Beschränktheit ansieht, - oder dass er mit in­niger und neugieriger Teilnahme das Kommen und Gehen der aufschießenden Formen bewundernd und mit vieler Bemühung aufgreift, dann mit klugen Au­gen ihrem Verschwinden zu­sieht und schwindelnd sich forttreiben lässt.“ (Hegel, Aufsätze:24)

Es würden nun aber Poppers Attacken auf Hegel völlig unverständlich, wenn es für ihn keine philosophische Wahrheit gäbe. Stritt er gegen ihn etwa um Glaubens­fra­gen?!

„Die Vernunft ist die Regel, der Glaube die Ausnahme von der Regel. Selbst in der besten Harmonie ist daher eine Kollision zwischen beiden unvermeidlich, denn die Spezialität des Glaubens und die Universalität der Vernunft decken sich nicht vollkommen, sondern es bleibt ein Überschuss von freier Vernunft, wel­cher für sich selbst, im Widerspruch mit der an die Basis des Glaubens ge­bun­denen Vernunft, wenigstens in besonderen Momenten, empfunden wird. So wird die Differenz zwischen Glauben und Vernunft selbst zu einer psycho­lo­gi­schen Tatsache." (Feuerbach 1976a:11)

Feuerbach hält die Differenz von Glaube und Vernunft zu recht für eine real er­fahr­­ba­re psy­chische Möglichkeit. Ihr verdankt sich Aufklärung. Aufklärung ist aber kein All­zweck­rei­niger, der Aberglaube [1]) raus und Vernunft rein zwingt. Das Ziel der Mündigkeit schließt nicht die Ge­fahr der psychischen Beschädigung auf dem Wege dahin aus. Brauchen wir vielleicht, wie Hinrichs (1999a:151) fragt, unsere in­tellektuelle Beschränktheit, um bei Trost zu bleiben? Aber: Schon der Mythos ent­hält aufklärerische Momente, wie auch Auf­klä­rung nie dagegen gefeit ist, in einen Mythos neuesten Designs umzuschlagen (Horkheimer, Adorno 1998a:18).

Auf das Problem des Mythos hatte sich damals Schelling geworfen. So steht es schon 1796 in „Das Älteste Systemprogramm des Deutschen Idealismus“ [2]), von Hegels Hand überliefert, zu dessen Auto­renkreis zum größten Teil Schelling und nicht zuletzt wohl auch Hölderlin rech­nen dürften. In­wiefern überschreitet so ver­stan­dene Mythologie [3]) die Grenzen des Rationa­len? Ist sol­chem philosophischen Trachten, vielleicht in Anbetracht der demagogischen Erfolge tota­li­tä­rer Ideologi­en, nachzueifern oder zu konkurrieren? Sehen Leute wie Hegel oder Popper die Welt voreingenommener Weise durch eine rationalistische Brille? Die Welt ist ein logisch auf­lösbares Rätsel - alles andere ist nicht (worüber ich nicht rational reden kann, davon muss ich schwei­gen). Für die Gegenposition ist das Wesentliche nicht rational erfassbar. Dieser Wi­derspruch lässt sich niemals definitiv lösen, sondern muss für immer eine offene Wunde der Phi­losophie blei­ben. Für Feyerabend aber ist nicht einmal die Differenz von Wis­senschaft und Mythos gesichert. [4])

Rational widerlegen lässt sich nur der, wer rationale Argumente annimmt, also sich auf den Bo­den rationaler Argumentation stellt und vor allem intersubjektive Kri­terien der Wahrheit ak­zeptiert:

„Der Wahrheitsbegriff ist für den hier entwickelten Kritizismus unentbehrlich. Was wir kritisieren, das ist der Wahrheitsanspruch.“ (Popper 1969b:116)

Immunisierung ist aber erzwungener Konformismus durch Nichtzulassen von Al­ter­nativen (Fey­erabend 1976a:57).

Es stellt sich daher die Frage, inwieweit Mythologen wie Schelling Philosophie er­setzen durch Re­ligi­o­sität oder andere Arten von Subjektivismen. Man kann die­ses Pro­blem jedoch kei­nesfalls durch eine Definition von „Philosophie“ lösen, weil dies nur zu einer Vor­herrschaft des jeweils persönlich bevorzugten Dogmatismus führen würde. Auch auf der Grundlage des Kri­tischen Rationalismus kann man zu­mindest dies Ergebnis festhalten: Eine Philosophie ist nicht erschöpfend zu wider­legen, werde sie aufgefasst als eine konkrete Totalität im Sinne He­gels oder aber als ein historisches Individuum mit unendlich vielen Facetten analytischer In­ten­si­tät und Beziehungsmöglichkeiten (Weber).

Uns geht es wie Euthyphron in seinem Dialog mit Sokrates:

„Aber ich weiß nicht, wie ich dir sagen soll, was ich denke. Denn wovon wir auch ausgehen, das geht uns ja immer herum und will nicht bleiben, wohin wir es gestellt haben.“ (Platon:53)



[1]) "Aberglaube ist der Hang, in das, was als nicht natürlicher Weise zugehend vermeint wird, ein größeres Ver­trauen zu setzen, als was sich nach Naturgesetzen erklären lässt - es sei im Phy­si­schen oder Moralischen." (Kant XI:335, Anm.*)

[2]) „- wir müssen eine neue Mythologie haben, diese Mythologie aber muss im Dienste der Ide­en stehen, sie muss eine Mythologie der Vernunft werden. Ehe wir die Ideen ästhetisch, d. h. my­tho­logisch machen, haben sie für das Volk kein Interesse; und umgekehrt, ehe die Mythologie ver­nünftig ist, muss sich der Philosoph ihrer schämen. So müssen endlich Aufgeklärte und Unaufge­klärte sich die Hand reichen, die Mythologie muss philosophisch werden, und das Volk vernünftig, und die Philosophie muss mythologisch werden, um die Philosophie sinnlich zu machen. Dann herrscht ewige Ein­heit unter uns. Nimmer der verachtende Blik, nimmer das blinde Zittern des Volks vor seinen Weisen und Prie­stern. Dann erwartet uns gleiche Ausbildung aller Kräfte, des Ein­zelnen sowohl als aller Individuen: Keine Kraft wird mehr unterdrückt werden, dann herrscht all­ge­meine Freiheit und Gleichheit der Geister! - Ein höherer Geist vom Himmel gesandt, muss die­se neue Religion unter uns stiften, sie wird das letzte, größte Werk der Mensch­heit sein." (Höl­derlin 3:621ff)

[3]) „Der Mythos muss verstanden werden als wirkliches religiöses Geschehen, als Werden der Gottes-Erkennt­nis. Weder Mythos noch Offenbarung sind rein-rational verstehbar oder gar be­weis­bar. Nicht um sie kritisch zu behandeln, wohl aber um kritisch zu beweisen, dass die kritisch-ra­tionale Methode ihre unüberschreitbare Gren­ze hat, führt Schelling in den umfangreichen Einlei­tungen diese ‘negative Philosophie’ aus." (Hildebrandt 1961a:25)

[4]) „Thus science is much closer to myth than a scientific philosophy is prepared to admit. It is one of the many forms of thought that have been developed by man, and not necessarily the best. It is conspicuous, noisy, and im­pudent, but it is inherently superior only for those who have alrea­dy decided in favour of a certain ideology, or who have accepted it without having ever examined its advantages and its limits. And as the accepting and re­jec­ting of ideologies should be left to the individual it follows that the separation of state and church must be supp­lemented by the sepa­ra­ti­on of state and science, that most recent, most aggressive, and most dogmatic religious institution. Such a separation may be our only chance to achieve a humanity we are capable of, but have never fully realised." (Feyerabend 1976a:395)

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