"Klassenteilungen können nicht wie Linien auf einer Landkarte gezogen werden, und das Ausmaß, in dem Klassenstrukturierung auftritt, hängt von der Interaktion verschiedener Faktorenkomplexe ab." (Giddens 1979a:340)
„Hier liegt ein genuines Dilemma, das von der marxschen Annahme einer notwendigen Verbindung von ‘Klassenlosigkeit’ und Abschaffung des Staates verschleiert wird. Denn die Eliminierung des ‘Klassenprinzips’ hängt von der Unterwerfung der Marktkräfte unter politische Lenkung ab; aber das festigt die Macht des Staates und reduziert sie nicht." (Giddens 1979a:314f)
Popper (1992b:8) reitet aus Sicht der Gegenwart recht billige Attacken gegen Platons und Aristoteles’ naturrechtliche Legitimation der Sklavenhaltergesellschaft. Nicht bloß billig, sondern anachronistisch und geradezu widersinnig, weil man durch Maßnehmen an unseren heutigen Maßstäben die damalige Gesellschaftsordnung nicht adäquat beurteilen kann.
„Solange jedoch in einer Kultur die Sklaverei einen integralen Teil des Wirtschaftssystems bildete, waren die später in den Menschenrechten ausgesprochenen Forderungen - wenn man sie oder auch nur einige von ihnen überhaupt erhob - unrealisierbar." (Topitsch 1966a: 76)
Relevant sind hier genauso die einschlägigen Stellen in der Bibel, die alles andere als ein sofortiges Ende von Unterdrückung fordern. Es wird sogar die Mensch-Gott-Beziehung als ein Herr-Sklave-Verhältnis rekonstruiert (Streminger 1999a). Natürlich wollen wir nicht heute die politische Ansichten antiker Autoren honorieren, etwa weil sie noch immer als philosophische Autoritäten gelten. Insofern kritisiert Popper zu Recht unsere heutigen Kommentatoren, die in ihrer kollegialen Nachsicht und politischen Naivität hier vielleicht oft zu weit gehen. Meines Wissens hat aber weder Stalin noch Hitler von diesen Philosophen direkt oder indirekt etwas profitiert; noch kann man sich vorstellen, dass dies für sie hätte politisch relevant werden können. Totalitäre Politiker sind eher Machttechniker als Philosophenkönige [1]), Parteigänger des Totalitarismus eher Hohlköpfe als Studenten der Philosophie - das dürfte wohl jede polizeiliche Untersuchung über den Zusammenhang zwischen Gewaltbereitschaft und politischer Einstellung erhärten. Freilich gibt es daneben auch einen Kreis von Ideologen, die propagandistische Schlagwörter, Mythen und Stratageme [2]) amalgamieren und damit ein ideologisches Klima der politischen Gewaltbereitschaft vorbereiten helfen.
Im Vergleich zu den popperschen Anachronismen ist Hegels Platonkritik fast vorbildlich zu bezeichnen:
„Platon in seinem Staate stellt die substantielle Sittlichkeit in ihrer idealen Schönheit und Wahrheit dar; er vermag aber mit dem Prinzip der selbständigen Besonderheit, das in seiner Zeit in die griechische Sittlichkeit hereingebrochen war, nicht anders fertig zu werden, als dass er ihm seinen nur substantiellen Staat entgegenstellte und dasselbe bis in seine Anfänge hinein, die es im Privateigentum (§ 46 Anm.) und in der Familie hat, und dann in seiner weiteren Ausbildung als die eigene Willkür und Wahl des Standes usf. ganz ausschloss. Dieser Mangel ist es, der auch die große substantielle Wahrheit seines Staates verkennen und denselben gewöhnlich für eine Träumerei des abstrakten Gedankens, für das, was man oft gar ein Ideal zu nennen pflegt, ansehen macht. Das Prinzip der selbständigen in sich unendlichen Persönlichkeit des Einzelnen, der subjektiven Freiheit, das innerlich in der christlichen Religion und äußerlich, daher mit der abstrakten Allgemeinheit verknüpft, in der römischen Welt aufgegangen ist, kommt in jener nur substantiellen Form des wirklichen Geistes nicht zu seinem Rechte. Dies Prinzip ist geschichtlich später als die griechische Welt, und ebenso ist die philosophische Reflexion, die bis zu dieser Tiefe hinabsteigt, später als die substantielle Idee der griechischen Philosophie." (Hegel, Rechtsphilosophie:283 ff)
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