Vermutlich ist eher das Gegenteil richtig, dass nämlich die objektive Wahrheit eher dem Ungläubigen zugänglich ist. Ein Problem kann jedoch sein, es den Gläubigen auf eine passende und taktvolle Weise zu sagen, so dass sie dies verstehen und einzusehen mögen bzw. überhaupt zum Verlangen nach Einsicht gelangen. Mitunter wird dabei geschehen, dass der Kritiker auf derlei Weise seinen eigenen Forschungsgegenstand zerstört. Aus solchen Erwägungen ergibt sich, dass „kritische Theologie" schon in ihrem Beginnen immer eine zerbrechliche Kiste ist, wie wohl Albert (1979a; 1980a) es sich nicht sauer werden ließ, dies bis ins einzelne auch nachzuweisen. Dies wurde Theologen klar, als Anselm v. Canterbury zum Klärungsversuch mit den logischen Mitteln des Aristoteles und des Boethius verleitet wurde, was ein christlicher Priester von Amts wegen mit dem Spruch: „Dies ist mein Leib!" wirklich aussage (Flasch 1981a:179ff). Wie so oft steht im Hintergrund eines derartigen Explikationsversuchs die verwegene Voraussetzung, dass sich hinter einer grammatisch richtig konstruierten Aussage immer auch ein vernünftiger Sinn verberge.
Sollte die totale Vernunft Gottes aber bei der Omnipotenz menschlicher Vernunft stehen geblieben sein?! An dieser Stelle hat Hegels Weltgeist den Gott der Theologen aus betriebsbedingten Gründen gekündigt, d.h. wegrationalisiert [1]), ohne dies jedoch durch eine Änderung der Firmenbezeichnung dem allgemeinen Publikum anzuzeigen. Dies soll heute sehr oft vorkommen, dass das qualifizierte Personal entlassen wird und dennoch die Firma am Markt weiterzubestehen hofft, und zwar nur noch aufgrund des guten Rufs, das sich dieses Personal durch seine Servicequalität einstmals erworben hatte. Kurz und gut: Indem Hegel den Geist und Staat vergöttlichte, hat er Gott zur politischen Vernunft verstaatlicht. Die irdische Rolle Gottes hat dadurch seine himmlische erschlagen, gleichsam wie ein Fundi schnellstens seinen Idealen entsagen muss, sobald er eine bürokratische Karriere einschlägt. Diese Problemlösung, so originell sie damals erschien, ward allen Seiten bis auf die streitbare Schar der Hegelinge ein Sakrileg, bot einem Angehörigen des öffentlichen Dienstes von Preußen jedoch nicht geringen Vorteil: Die Einheit von Vernunft, Religion und Staat war damit von vornherein gewährleistet, da grundlegendes Prinzip des Systems. Der Philosoph diente, indem er allein der Vernunft, d.h. seiner Philosophie folgte, damit schon notwendigerweise dem Staatszweck: der unheimliche Philosophenkönig. Er konnte dem Staat geben, was des Staates ist und der Religion, was der Religion ist, und dennoch als Philosoph über Allem schweben.
Popper (1973a:159, Anm.8) warnt, man solle sich hüten, Welt-3-Objekte als Gedanken eines übermenschlichen Bewusstseins zu interpretieren, wie dies Aristoteles, Plotin und Hegel getan hätten. Solange Popper uns jedoch nicht sagen kann, was er unter „Gott" versteht, verstehen wir nicht, was er bei Hegel als „Vergöttlichung" [2]) angreift. Offensichtlich sucht Hegel u. a. eine Alternative zur herkömmlichen Theologie zu liefern; damit ist jedoch noch lange nicht geklärt, in welcher Hinsicht seine Philosophie eine Fortsetzung der Theologie darstellt (oder etwa eine Sprengung derselben). Popper begnügt sich mit den wenigen Äußerungen Hegels zu seiner Selbstdarstellung [3]), anstatt eine gründlichere Textinterpretation vorzunehmen.
[1]) Zumindest unternahm Bauer (1841a) dies zu zeigen, wobei er zweckmäßigerweise die Unterscheidung zwischen einem exoterischem und esoterischem Hegel einführte (McLellan 1969a:54). „Wo, wie bei Hegel, sich alles von selbst macht, ist eine göttliche Persönlichkeit überflüssig." (Engels 1973a:217) -"Begehre nicht, Nathanael, Gott anderswo zu finden als überall. Jegliche Kreatur weist hin auf Gott, nicht eine enthüllt ihn. Sobald unser Blick auf einer Kreatur verweilt, zieht sie uns ab von Gott." (Gide 1974a:15)
[2]) „Hegel, following Aristotle, rejected the Platonic third world: he conflated thought processes and objects of thought. Thus he disastrously attributed consciousness to the objective mind, and deified it. (See especially the end of Hegel’s Encyclopedia with the very apt quotation from Aristotle’s Metaphysics, 1072b18-30)." (Popper 1973a:154, Anm.2)
[3]) Dies wäre, als wenn man eine Persönlichkeitsbeurteilung allein auf Grundlage der Bewerbungsschreiben der betreffenden Person vornehmen würde. Die Arbeiten eines Staatsphilosophen in spe haben indes stets einen derartigen Bewerbungscharakter; das wusste wohl auch Popper.
1 Kommentar:
Beweis der Nichtexistenz Gottes
Gäbe es wirklich einen Gott, der diesen Namen verdiente,
so hätte er eine Welt geschaffen, in der der Mensch keinen Gott mehr bräuchte.
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