Das Globalismus-Argument
Globalisierung vollzieht sich lokal (Berking 1998a). Denn sie findet nicht im superblauen und perwoll-gewaschenen Cyber-Himmel statt, sondern unten auf dem Planeten Erde. Sie ordnet territoriale wie soziopolitische Strukturen neu.
"Es ist dies die sogenannte zivilisierende Wirkung des auswärtigen Handels." (Marx GR:921)
Wurde im 19. Jahrhundert der Erdkreis von den englischen Kolonialherren zivilisiert, erleben heute Europa und die gesamte Welt eine Zivilisierung à la américaine. Dabei werden die sozialen Strukturen von Raum und Zeit neu geordnet. Der methodologische Staatszentrismus [1]), den Marxens „Kapital“ mit der klassischen Ökonomie eines Smith und Ricardo teilt, wird in der neueren Soziologie immer mehr ersetzt durch die globale Perspektive der „Weltgesellschaft". Dabei stellt sich jedoch die Frage, ob denn wirklich alles so ganz neu ist, wie es uns heute so gerne dargestellt wird (Nassehi 1998a:155).
[1]) obwohl zu erwähnen ist, dass „Das Kapital" nur ein Fragment der insgesamt von Marx geplanten Untersuchungen darstellt, in welcher auch ein eigener Abschnitt über den Weltmarkt geplant war (Rosdolsky 1968a). Methodologisch kann „Das Kapital" damit als Fallstudie am englischen Modell verstanden werden: "Was ich in diesem Werk zu erforschen habe, ist die kapitalistische Produktionsweise und die ihr entsprechenden Produktions- und Verkehrsverhältnisse. Ihre klassische Stätte ist bis jetzt England. Dies der Grund, warum es zur Hauptillustration meiner theoretischen Entwicklung dient. Sollte jedoch der deutsche Leser pharisäisch die Achseln zucken über die Zustände der englischen Industrie- und Ackerbauarbeiter oder sich optimistisch dabei beruhigen, dass in Deutschland die Sachen noch lange nicht so schlimm stehn, so muss ich ihm zurufen: De te fabula narratur!" (MEW 23:12) - Giddens (1971a:188, Anm.10) hält die Entwicklung des englischen Kapitalismus im Gegenteil nicht für typisch, sondern eher für einen Ausnahmefall; hingegen halten die meisten Ökonomen sich berechtigt, vom Modellfall USA auf alle entwickelten Nationen Schlüsse zu ziehen. Es gibt aber andere Äußerungen Marxens, wo er den ökonomischen, politischen und philosophischen Entwicklungsvorsprung jeweils auf England, Frankreich und Deutschland verteilt sieht (Giddens 1971a:197).
Globalisierung - das ist zum einen das Schlagwort für eine neue internationale Arbeitsteilung (Obst 1998a), gekennzeichnet durch eine globale Öffnung der Märkte („global sourcing") und einem entsprechenden Rückgang nationaler politischer Eingriffs- und Gestaltungsmöglichkeiten.
„Globalismus" heißt gemäß Beck (1997a:5): die Auffassung, dass politisches Handeln heutzutage nur noch in der Anpassung an die Gesetze des Weltmarktes bestehen kann.
Die Anforderungen des weltweiten Wettbewerbs, ansonsten ein Thema, das sich bislang auf die Literatur der industrial relations und Organisationstheorie beschränkt hatte, wurden zunehmend zu einem Kernpunkt eines Diskurses von internationalen Organisationen, Regierungen und Verbänden, der Wettbewerbsfähigkeit [1]) und Flexibilisierung als unausweichliche Imperative herausstellte und dabei durchgreifende Politikänderungen verfolgte, insbesondere in Hinblick auf Regelungen des Arbeitsmarktes und des Sozialstaates (Amoore 1998a:51).
„Paradoxically, despite the conceptual ‘fuzziness’ generated by general use and lack of definition, globalisation has become a core dictum for academics, public policy makers, and corporate managers alike. One key effect of the reification of the term is the emergence of a totalising univocal discourse. This discourse becomes a powerful instrument which decisively shapes the policy agendas of states and firms. The assumption is that the state itself is compelled to adopt new policy instruments; the firm operates in a qualitatively new competitive environment and therefore seeks to restructure the organisation of production and work; and society must accept the uncertainty of the global era and absorb the imperatives to abandon embedded practices and ‘make the leap’." (Amoore 1998a:50)
Erst relativ spät erfolgte in Reaktion auf diesen kulturell-hegemonialen Angriff der ökonomischen Machteliten, repräsentiert vor allen Dingen von den dominierenden Wirtschaftskreisen der USA und den damit verbundenen multinationalen Konzernen, eine kritische Analyse der hiermit indoktrinierten neoliberalen Konzeption von "Globalisierung".
"Der Wandel ist unausweichlich, aber er muss gesteuert werden."
So unbestreitbar die These scheint - der Fehler liegt im Gebrauch des bestimmten Artikels im Singular. In der scheinbaren Plausibilität, von dem unausweichlichen Wandel zu sprechen statt von den vielen möglichen gestaltungsfähigen Pfaden der sozialen Entwicklung, in dieser nahe liegenden Blickverengung liegt bereits die ganze ideologische Unschärfe dessen, was man als das Globalismus-Argument zu rekonstruieren gezwungen ist. Wer sich dem so nahe liegenden sozialen Anderswerden widersetzt, wird sofort als der Feind des unausweichlichen Fortschritts hingestellt: "Globaphobia" [2]).
[1]) „Suppose you're a 50-year-old, laid-off worker, or a single mom making $6 an hour when it takes $10 an hour to live, or you're a college graduate who's been driving a cab over the past four years and doing part-time work. You are trying to figure out why, when you are doing everything you're supposed to, you still can't pay the bills at the end of the month. So you come home, and you turn on the television. Although their styles may be different, whether it's Bill Clinton or Newt Gingrich or your favorite media pundit, they are sending a similar message: ‘It's a new competitive world out there. There are six billion people who want your job, and most will work for less then you will. You had better train yourself to compete against them with all the computer power you can get. And, by the way, lower your expectations. Don't expect us to help you, just because you're an American. We're in a global economy, and the era of big government is over.’ The message is: ‘You are on your own.’" (Faux 1998a)
[2]) Burtless, Lawrence, Litau, Shapiro 1998a: Gary Burtless, Robert Z. Larence, Robert E. Litau, Robert J. Shapiro, Globaphobia. Confronting Fears About Open Trade, Washington New York 1998
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