Dies ist der gebündelte Versuch einer Replik auf: Karl R. Popper, Das Elend des Historizismus, was eine Replik darstellte auf: Karl Marx, Das Elend der Philosophie, was eine Replik darstellte auf: Proudhon, Die Philosophie des Elends

22.10.2005

Modell-Platonismus

Hartfiel hat den Prozess der Modellbildung wie folgt rekonstruiert:

„Denn der Aufbau eines Modells für jeden einzelnen Ausschnitt aus der Erfah­rungswirklich­keit erfordert zunächst eine Aufbereitung, eine Auflösung des kon­kret-historischen Wirklich­keits­gefüges, und zwar (1) in die im Modell be­rück­sich­tigten, weil für die jeweilige sozialwissenschaftliche Problemstellung als re­le­vant angesehenen Größen (Variablen) und deren Be­zieh­ungen unterein­an­der, und (2) in eine ’Residualwirklichkeit’, die vorerst in den ‘Daten­kranz’ des Modells abgeschoben wird. Der Modellkonstrukteur zerlegt hier die von ihm un­terschiede­nen Erscheinungen bzw. Bestandteile der Wirklichkeit in ‘exogene’ und ‘endogene’, wobei die ‘exogenen’ Erscheinungen im Modell entweder gar nicht oder nur durch Variable vertreten sind, deren Werte als Parameter gesetzt werden, also als unab­hängige (bestimmen­de) Größen auftreten."

(Hartfiel 1968a:19)

In Gegensatz zu Popper bezieht sich Albert in einschlägigen Arbeiten auf den durch die deut­sche Wissenschaftsgeschichte schwelenden Methodenstreit und trifft historisch und philoso­phisch einseh­ba­re Zuordnungen. Sein Vorgehen verliert aber dann alle Plausibilität, so wie er ver­sucht, Poppers Essentialismus-Kritik dazwischen zu blenden. Denn da muss ein unbe­fan­ge­ner Betrachter sofort erkennen, dass Poppers Charakterisierung des Essentialismus sowie sei­ne kritischen Argu­mente viel­leicht maßgeschneidert auf die aristotelisch (Kauder) fundierte öster­rei­chische Schule [1]) der Natio­nal­ökonomie passen, nur sehr eingeschränkt jedoch auf die Be­griffslogik eines Hegel oder Marx. So­mit steht Alberts Unterstützung der Essentialismus-Kri­tik Poppers in unverblümten Gegensatz zu sei­ner ausdrücklichen Präferenz der wirt­schafts­sozio­lo­gischen Orientierung, welche er an der hetero­do­xen, sprich: klassischen Ökono­mie lobt. Albert (1963a:45ff) lehnt die ver­gleichsweise empirie­feind­li­che und autonomistische Einstellung der neoklassischen Ökonomie ab. Die frühere, noch relativ radi­ka­le Kritik Alberts (1976a:126, Anm.9) an der neoklassischen Ökono­mie wird von ihm später aller­dings um etliches zurück­ge­nommen [2]), wie dann später Popper gar, konfrontiert mit der Methode der neoklas­si­schen Öko­no­mie, kuriose, im Grunde nicht nachvoll­ziehbare Schlenker um seine eigenen me­tho­do­lo­gi­schen Maximen herum vollführt. Für die grundlegenden Ideen der Tradition der theo­re­ti­schen Nationalökonomie halte er nun nicht mehr die Kritik aufrecht, dass deren erklärende ih­rer ide­o­logischen Funktion untergeordnet sei. Versteh­bar wird deren Apriorismus m.E. aber erst in ih­rer philosophiegeschichtlichen Perspektive: in ihrer Rechtfertigung durch den kanti­schen Trans­zen­den­talismus.

Das von Albert geprägte Pejorativ „Modell-Platonismus" hat vielleicht, so könnte man da­für­hal­ten, wie viele Schimpfworte den Nachteil, dass das damit negativ assoziierte und stilisierend Ge­kenn­zeich­ne­te, hier: die Philosophie Platons, stark stereotypisierend abgewertet wird, so wie in manchen Fällen der Ausruf „Du dummer Esel!" eine völlig ungerechtfertigte Beleidigung al­ler dieser biologischen Gat­tung angehörenden Geschöpfe zu impliziert. Dem­ge­gen­über ist je­doch zu be­rücksichtigen, dass die Fachdiskussion schon lange dazu gelangt ist, ei­nen strikten Un­terschied zu machen zwischen Platon einerseits und dem Platonismus an­der­er­seits ähnlich wie zwischen einer­seits Aristoteles und an­de­rer­seits dem Aristotelismus. Die Wir­kungsge­schichte eines Autors beinhaltet stets eine zuweilen recht restriktive und ein­sei­ti­ge Selektion aus dem zudem in unter­schiedlichem Maße zur Verfügung ste­henden au­then­ti­schen Material; und es macht herzlich wenig Sinn, Autor und seine Rezeptionsge­schichte durchgängig als einen monolithischen Block zu behan­deln (Dlubek, Skambraks 1967a).

Es findet sich gleichwohl bei Platon [3]) eine sehr schönes Beispiel der von Albert gemeinten „mo­dell-platonistischen" Orientierungsweise.




[1]) „Kaufmann and Oskar Morgenstern imported the positivist critique into the Mises seminar from the Thursday eve­ning sessions of the Vienna Circle. There the foundations of deductive the­ory were deemed to be either ‘con­ventions’ or ‘tautologies’, not synthetic a priori truths as Menger (and virtually all other rationalist thinkers) had believed." (Prendergast 1986a:9)

[2]) Alberts wissenschaftstheoretische Habilitationsschrift wurde 1955 an der Kölner Univer­sität von Sozi­o­lo­gen wie Ökono­men als jeweils ihrer Disziplin nicht eindeutig zurechenbar zurück­ge­wie­sen. Außerdem wur­de er der Mit­gliedschaft in der kom­munistischen Partei verdächtigt (Albert 1996a:31). "So zeigten sich auch die totalitären Tendenzen des sogenannten McCarthyism in den Vereinigten Staaten am deut­lichsten in dem Versuch, nicht einfach Kom­mu­nisten zu verfolgen, son­dern jeden Bürger dazu zu ver­an­las­sen, sich als Nichtkommunist aus­zu­weisen." (Arendt 1986a:566)

[3]) „In der Politeia wird Glaukon getadelt, als er bei der Erläuterung der astronomischen Wis­sensbildung den Blick zum Him­mel wendet. Dieser gehört in der Terminologie der Ideenlehre zur Sphäre der Erscheinungen, in­so­fern zur Sphäre des Wissenschaftlich Unerklärbaren, im Gegensatz zur Himmel der Astronomen, der nur mit den ‘Augen des Geistes’ erblickt werden kann." (Mit­tel­straß 1981a:54) Dieser unverfälschte Platonismus wird heutzutage nur noch von neoklassischen Öko­nomen erreicht, die in ihren mathe­mati­schen Modellen von Marktrationalität und Grenz­pro­duk­tivitätsraten keine Spur von Ausbeutung ent-decken können, woraus gerade ein Nobelpreis­trä­ger der Ökonomie messerscharf schließen muss, dass eine sol­che einfach nicht existiert (vgl. z. B. Samuelson 1971a).

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