"Die Völker der Sowjetunion wurde über siebzig Jahre lang eine immer falsche Geschichte gelehrt. Daher der Witz aus jenen Zeiten: 'Die Zukunft ist gewiss, nur die Vergangenheit nicht.'" (Stern 1998a)
Lask (1911a:1f) liefert zum Thema "Vorsehungsglaube" einen kurzen Abriss der Philosophiegeschichte. Topitsch (1966a:124) wirft umstandslos zusammen:
„Noch Comte und Marx lebten durchaus im Glauben, der Geschichtsprozess sei notwendig auf ein werthaftes Ziel gerichtet, auf das positive System oder die klassenlose Gesellschaft."
In Gegensatz dazu sind für Parsons (1965a:57f) die Theorie Webers wie die Comtes, Marxens zwar evolutionär, aber keineswegs unilinear ausgerichtet.
"Noch die Antike kannte die wahre Praxis, und Scipio, der Karthagos Boden strauchelnd betritt, ruft, weit im Sturze die Arme breitend: die Siegeslosung: Teneo te, Terra Africana! Was Schreckenszeichen, Unglücksbild hat werden wollen, bindet er leibhaft an die Sekunde und macht sich selber zum Faktotum seines Leibes." (Benjamin 1955a:115)
Wenn Geschichtsteleologie eine ubiquitäre Hintergrundsannahme abendländischer Philosophie ist, so wurde sie von Marx zwar nicht grundsätzlich problematisiert, sondern nur implizit angewandt, auf das Gebiet der Gesellschaftstheorie übertragen und dabei kritisch erweitert. Es wäre daher vonnöten, diese Sinnverschiebung bzw. aktive Reinterpretation im einzelnen zu beleuchten und zu überprüfen, anstelle von einem klaren, sicheren Fakt auszugehen. Vor allem wäre es notwendig, diesem theoretischen Faden nachzugehen von Marx und Engels hin zu Kautsky und Bernstein, Lenin, Trotzky und Stalin usw. Erst dann könnte ein begründetes Urteil abgegeben werden über Stellenwert und argumentative Funktion von Geschichtsteleologie für Theorie und Politik des Marxismus. Davon sind sowohl Popper wie Topitsch weit entfernt geblieben, weil sie sich lieber mit der Darstellung und der Kritik eines Idealtypus denn mit einer Theoriengeschichte befasst haben.
Engels (MEW 1:456f) hat 1842 in einer vergleichenden Betrachtung der zeitgenössischen sozialen Bewegungen in Deutschland, Frankreich und Großbritannien gerade in der deutschen Öffentlichkeit eine dem Vorsehungsglauben entsprechende, im vollen Schwange befindliche Geschichtsphilosophie ausgemacht. Dies belegt jedoch eigentlich nur, dass Engels auf ein Vorverständnis beim deutschen Publikum gestoßen ist. Poppers Popperizismuskritik leistet einiges zur Identifizierung dieser Erwartungshaltung, lässt indessen diese Problemgeschichte weitgehend unerörtert.
Spinoza, Herder oder auch Hegel setzten Gott = Natur (Deus sive Natura); dies wurde mit Recht als Atheismus aufgefasst (Neurath 1931a:24):
"Während Hegel die Vernunft Gottes logisch darstellen will und damit den Weltablauf, muß der Theologe, der mit einem persönlichen Gott operiert, sich um die 'Psychologie Gottes' bemühen.."
Marx jedoch setzte, Feuerbachs Religionskritik folgend, Mensch in Verhältnis zur Natur und ging darüber hinaus zu einer sozialgeschichtlichen Betrachtungsweise weiter. Popper (1967a:25) fühlte sich jedoch aufgerufen, er müsse eine hegel/marxsche „Deifikation der Geschichte" abwehren. Diese Popper-Spitze findet in Marxens Darstellung der Wechselbeziehung von Mensch und Natur keinen Halt.
Erlösung kann man nur einem Sünder versprechen. Wenn es Schelsky (1975a) wie Topitsch in der Seele wohl tut, den Marxismus als Heilslehre und Religion zu kennzeichnen, so bleibt doch zweifelhaft, ob für Religionssoziologie etwas dadurch gewonnen ist. Wenn aber beide vorstehend genannten Autoren damit vermeinen, ein Argument gegen den Marxismus gewonnen zu haben, so dann doch nur, indem sie das Konzept „Religion" glauben essentialistisch gebrauchen zu können. Es gibt immerhin diesen fundamentalen Unterschied:
„A religious movement can split its allegiances and (like Lutheranism) live in but not of the world (after all, it is not concerned with this life but the after-life); a political movement cannot." (Bell 1965a:279)
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