Die Ubiquität des Globalismus [1]), insbesondere als kognitives Schema,zu bezeugen, könnten wir Schlimmeres tun, als zum Jahreswechsel 1998/99 dem Oberbürgermeister of the home town of Karl Marx, Mr. Schröer [2]) zu lauschen. Trier liegt nämlich ganz im Trend sowohl der Republik wie des gesamten „globalen Dorfes". Die kommunale Selbstverwaltung (Müller 1966a) war einstens das Geschenk der preußischen Modernisierungsstrategen bzw. piece-meal-Ingenieure wie v. Stein, Hardenberg oder auch Hegel an die vielen regionalen Splitter Deutschlands, das damals Preußen dargestellt hat. Auch zum Ende des Jahrtausends war wieder einmal große Rede von der Notwendigkeit der Strukturanpassung von Staat und Bürokratie. Einmal wieder gab es Volksvertreter, die sich ggf. fragten bzw. fragen lassen mussten, wen sie wie vertreten sollen. Durch den Druck der leeren Kassen bei zunehmenden Verwaltungserfordernissen, die an ein regionales Oberzentrum gestellt werden, zweifeln jedoch die demokratisch gewählten Volksvertreter im Trierer Stadtrat [3]) immer mehr an ihrem Daseinszweck.
„Heute ist das einstige Königsrecht der Abgeordneten zumindest in einer Stadt wie Trier zu einer Abnick-Arie verkommen, zum puren Vollzug von Sachzwängen." (Lintz 1999a)
Wie in einer Nussschale wird da deutlich: Finanzielle Probleme haben ihre strukturelle Ursachen. Strukturen sind jedoch immer auch gemacht, zum Teil von interessierter Seite so gewollt, oft aber auch nur Ausfluss unbeabsichtigter Nebenwirkungen von Politik. Im Zeichen der Globalisierung erleben wir den Wettbewerb der Kommunen und Stadtregionen [4]). Die Stadt ist nicht mehr ein Ort, wo Menschen sich treffen und leben, sondern vorrangig ein angebotspolitisches Instrument, die Wirtschaftskraft der Region [5]) zu stärken. In entsprechender Weise wurde aus der liberalen Mini-Idee eines Minimalstaates in unserer heutigen politischen Realität das praktische Programm eines angebotspolitischen Wirtschaftsförderungs- bzw. Subventionsbetrugsstaates [6]) ("crony capitalism"), dessen sozialreaktionäre Vorkämpfer und Förderer beim Wohlfahrtsstaat (Offe 1998a) ebenso bereits die Grenze zum Sozialismus überschritten wähnen wie bei der weltweiten Abschaffung von Kinderarbeit. Alle wollen sich bereichern und drängen dadurch zur Ungerechtigkeit. Der Staat, angeblich geschaffen, dem abzuhelfen, soll wirtschaftsfreundlich sein, wird jedoch gerade dadurch zum ungerechten Staat.
Auf der richtigen Gewichtung beruht also der Vorteil der Realpolitik! Näheres nachzulesen bei Machiavelli (1977a). Dazu gilt: Der Staat in seiner Gesetzeskraft dient der moralischen Bestimmung (Batscha 1977a:26), wie man sich bei jedem Klein-, Mittel- und Großunternehmen überzeugen kann.
„But now that we are all on our own, that we are not our brothers' and sisters' keepers, we've changed the subject. The problem of reducing poverty has been redefined into the problem of reducing welfare rolls. Now that's not really a hard problem. You just cut people off and throw them on the street. It's amazing it took them so long to figure it out." (Faux 1998a)
Ordnungs- wie Sozial- und Umweltpolitik sollen Leistungsanreize richtig setzen. Richtig. Es werden meist jedoch zu gerne unterschiedliche Maßstäbe [7]) angelegt je nach dem, ob etwas in die eigene Tasche hineinkommt und aus derselben hinausgeht.[8]) Die Wirtschaft verkommt dabei immer mehr zu einem staatlich subventionierten Hochleistungssport, dem ein immer größer und zynischer werdendes Publikum nur noch zuschaut. Olympische Idee und Staatslotterie haben ausgedient; die Bundesligatabelle wird funktional äquivalent ersetzt durch DAX und dow jones.
Globalisierung - das ist zum einen das Schlagwort für eine neue internationale Arbeitsteilung (Obst 1998a), gekennzeichnet durch eine globale Öffnung der Märkte („global sourcing") und einem entsprechenden Rückgang nationaler politischer Eingriffs- und Gestaltungsmöglichkeiten.
[1]) "Doch da stellt in der Koalition eine Art Gesinnungsgemeinschaft aus Kommunisten, linkskatholischen Christdemokraten und Gewerkschaftlern fest, dass das Herz immer noch links schlägt. Und so soll es bleiben, versprechen sie treuherzig, mögen sich die ökonomischen Naturgesetze tunlichst danach richten. Das kann nicht gut gehen, weder in Italien noch anderswo." (Fischer 1999b)
[2]) „Die ‘Globalisierung’, ein viel verwandter Begriff zur Kennzeichnung unserer weltumfassenden Vernetzungen, hat für uns alle merkliche Auswirkungen. Das gilt auch für die Kommunalpolitik ’vor Ort’: Da unterhalten ehemals renommierte heimische Firmen in Trier nur noch ‘Zentralen’ - produziert wird irgendwo sonst in der Welt zu günstigen Preisen. Da brechen in Trier Märkte weg, weil andernorts in der Welt wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten kein Bedarf mehr an den hier erzeugten Produkten besteht. Mehr und mehr werden die Entscheidungen des Marktes global getroffen. Die Idee und Verpflichtungen einer ‘sozialen’ Marktwirtschaft weichen dem reinen Wettbewerb. Soziale Schäden aber treffen die Menschen in der Stadt ‘vor Ort’, auch bei uns. In dieser Situation wäre es jedoch kein zukunftsträchtiger Gedanke, die Globalisierung am Ende des zweiten Jahrtausends rückgängig zu machen. Wir müssen im Gegenteil die Herausforderungen, die durch die Globalisierung entstehen, annehmen und aktiv die Voraussetzungen für unsere Wettbewerbsfähigkeit verbessern. Dabei stellt sich immer drängender die Frage, ob und wie wir als Stadt für die Menschen in dieser Zeit Haltepunkte, Werte und Orientierung anbieten können. Ich bin sicher: Wir haben im Zeitalter der Globalisierung durchaus die Chance, durch solidarisches Miteinander Verankerung und Sicherheit zu vermitteln. Werte, die global in Unordnung geraten sind, können in unserer unmittelbaren Umgebung - in unserer Heimat - wieder neu zu einem ordnungspolitischen Gerüst aufgebaut werden." (RZ 22.12.98:3)
[3]) Der „Trierische Volksfreund" (28.011999) titelt zu den städtischen Haushaltsberatungen: „Wenn Hase und Igel im Stadtrat laufen - Immer mehr Ratsmitglieder zweifeln an ihren Mitwirkungsmöglichkeiten - Viel Arbeit und wenig Einfluss": „Die angegriffene Gemütslage der Kommunalpolitiker hat zwei ganz unterschiedliche Ursachen. Die eine liegt in der allgemein miesen Finanzlage, die kaum mehr Spielraum für Ideen lässt. Es gibt aber auch ein ‘hausgemachtes’ Problem, und das hängt mit der neuen Haushaltsstruktur, der ‘Budgetierung’ zusammen. Als sie vor wenigen Jahren eingeführt wurde, hatte man den Ratsmitgliedern den Mund wässrig gemacht: Jetzt werde alles durchschaubarer, es gebe neue, ungeahnte Mitwirkungsmöglichkeiten. Die Praxis sah dann anders aus. Schon im Frühjahr werden heute in einem Eckwertebeschluss die Korsettstangen des Haushalts eingezogen. Dabei dominiert die Verwaltung mit ihrem immensen Informationsvorsprung. Und wenn es dann am Jahresende in die detaillierten Haushaltsverhandlungen geht, fühlen sich viele Ratsmitglieder wie beim Wettlauf zwischen Hase und Igel: Wann immer sie etwas vorschlagen, ist die Verwaltung schon da und erklärt, warum es nicht geht. Suchen die Dezernenten selbst nach Finanzierungsmöglichkeiten in ihren Budgets, werden sie fast stets fündig."
[4]) "Vor diesem Hintergrund wird von der neueren Regionalpolitik eine Neubewertung regionaler Wirtschaftszusammenhänge gefordert, in der die Stadtregionen sich nicht als ‘passive’ Standorte definieren, sondern sich auf ihre spezifischen endogenen Potentiale (gewachsene Wirtschaftstraditionen, Institutionsstrukturen und Handlungsoptionen) besinnen. Nach der ersten Phase der Ansiedlungs- und Standortpolitik, die auf externer Kapitalzufuhr aufbaute, stellt sich heute die besonders dringliche Aufgabe, die geschaffenen industriellen Kerne als Katalysatoren für die örtliche Wirtschaft zu sichern und zu einer regional verankerten wirtschaftlichen Basis mit regionalen Wertschöpfungsketten und Innovationsnetzen weiterzuentwickeln. Zweitens stehen die Städte und Regionen heute - anders als in der ersten Phase des Transformationsprozesses, in der die Prozesse noch weitgehend von Bund und Ländern, also zentral, gesteuert wurden - vor der großen Herausforderung, selbständig Strategien zu entwickeln, die aus den regionalen Besonderheiten heraus zu einer besseren Position im Wettbewerb beitragen. Eine solche Herausforderung lässt sich nur innerhalb einer effizienten institutionalisierten kommunalen und regionalen Handlungsstruktur meistern. Damit sind nicht nur formelle politische Institutionen gemeint; diese sind auf der regionalen Ebene auch nur relativ schwach entwickelt. Entscheidend sind vielmehr die besonderen regionalen informellen institutionellen Arrangements, das Verhalten und die spezifischen Beziehungsmuster (Koalitionsmuster, Machtstrukturen, Kooperationsformen) der relevanten organisierten Akteure: der Bürgergruppen, Investoren, Unternehmen, Verbände, Parteien und staatlichen Akteure." (Kujath 1999a:15f) - "If it is difficult to get financing in a distressed area, does that mean that the markets have failed? More likely, it means that there is more risk than the markets are willing to bear. Prices will eventually adjust so that people in these areas will either leave or rebuild." (Arthur J. Rolnick, Is State and Local Economic Development Policy a Zero-Sum Game ... or Worse?, fedgazette 1/1993)
[5]) „Im Trierer Rotlicht-Skandal sind nach ihrer Auffassung Verbindungen und Verflechtungen zwischen Ordnungsamt, Polizei, Landeskriminalamt, Staatsanwaltschaft und Richtern mit Bordellbetreibern und Organisierter Kriminalität »deutlich sichtbar« geworden. Während die Stadt einerseits rigide Aufenthaltsgenehmigungen verweigert habe, seien bei Prostituierten unbesehen Ausnahmen gemacht worden, sagte Lea Ackermann, die sich seit 15 Jahren gegen Frauenhandel und Zwangsprostitution engagiert." Grüne fordern besseren Opferschutz. Stadt Trier begünstigte angeblich Frauenhandel, Trierischer Volksfreund, 19.03.1999
[6]) In Rheinland-Pfalz scheint gerade die FDP als neoliberale Unternehmerpartei durch ihre eigenes Regierungshandeln beweisen zu wollen, dass Strukturpolitik notwendigerweise zu Misswirtschaft führen muss: „Mainz in der Schusslinie des Rechnungshofes. Millionen werden verschwendet: Rüffel des Landesrechnungshofs Rheinland-Pfalz für die Konversionspolitik der Mainzer Landesregierung: Zu unprofessionell und verschwenderisch wurde vor allem bei den Flughäfen Hahn und Zweibrücken zu Werke gegangen. In die Schusslinie geriet auch die millionenschwere Sanierung des ehemaligen Zettelmeyer-Geländes in Konz." (TV 10.02.99) - Die öffentliche Misswirtschaft zugunsten einzelner Privatinteressen setzt sich fort bis in die Kommunen: „Auf Einnahmen in Milllionen-Höhe verzichtet. Landesrechnungshof rügt die Stadt Konz: Grundstücke zu billig abgegeben, Beiträge nicht erhoben, Förderungen doppelt kassiert." (TV 10.02.99). - "Kommission will Wildwuchs lichten. Neue Regelung für Landräte und Bürgermeister" (TV Nr.288,1999) "Auf strengere Vorgaben für Minister und mehr Kontrolle einer offenkundig laschen Handhabung bei Landräten und Bürgermeistern in puncto Nebenjobs dringt eine Expertenkommission." Wozu aber schärfere Regelungen, wenn die bestehenden schon nicht eingehalten werden, wie man selbst augenzwinkernd zugibt?! "Betrügereien bei Exporterstattungen, Zöllen und Mehrwertsteuer" meldet Hajo Friedrich (FAZ 23.11.1999,S.28) auch von der Europäischen Union. "Kommission und Mitgliedsstaaten bekommen die EU-Finanzverwaltung nicht in den Griff". 5% des EU-Haushalts (d.h.: jährlich rund 8 Milliarden DM) laut EuRH-Präsidiumsmitglied Bernhard Friedmann mit Unregelmäßigkeiten behaftet. - Jahresbericht 1998 zur EU-Betrugsbekämpfung
[7]) „Daimler und die zu hohen Steuern. Bonn reagiert erstaunt auf Konzernkritik: Seit 1995 keine müde Mark gezahlt": „Das Bundesfinanzministerium hat am Montag Kritik von Daimler-Chrysler an der geplanten Steuerreform zurückgewiesen. Daimler-Finanzchef Manfred Gentz hat in einem Brief an Bundeskanzler Schröder (SPD) die Steuerreform als wirtschaftsfeindlich angeprangert und eine drohende Abwanderung von Konzernen angekündigt. Am Montag sagte Gentz: ‘ Es könnte dazu führen, wenn man nicht eine vernünftige Regelung findet, dass Konzernzentralen und deren Spitzen ihren Sitz aus Deutschland heraus suchen.' Das Bonner Bundesfinanzministerium nahm den Brief ‘mit Erstaunen zur Kenntnis’. Der Konzern sei nicht gerade als einer der Hauptsteuerzahler aufgefallen, sagte Sprecher Torsten Albig. Weil Daimler Verlustvorträge in zweistelliger Milliardenhöhe vor sich hergetragen habe, habe der Konzern seit 1995 in Deutschland keine Steuern mehr bezahlt. Bei der Geltendmachung von Verlusten werde sich auch künftig nichts ändern. Es sei aber nicht auszuschließen, dass der Konzern in Zukunft Steuern zahlen werde. Das würde die Bundesregierung begrüßen." (TV 16.03.1999) - Hier zeigt sich vielleicht eine abnehmende Elastizität der kaufbaren Politik: Eine Regierung wird von der Wirtschaft umso weniger erpressbar, je weniger diese faktisch überhaupt noch Steuern zahlt. Dies macht aber noch ein ganz anderes „utilitaristisches Dilemma" deutlich, als es Parsons (1937a) noch im Auge hatte: „Strenggenommen müsste für den Betroffenen die Rechtsordnung, wo sie ihm keinen Nutzen oder einen Nachteil bringt, ihre Verbindlichkeit verlieren und seine ‘natürliche Verpflichtung’ zur Gerechtigkeit enden." (Kulenkampf 1981a:452, Humes Moralphilosophie interpretierend). Dieses Dilemma fühlt bis heute aber noch jedes Privatinteresse: der schlanke Staat ist ihm nur Mittel zu seinem Zweck und gerade insoweit noch legitim. Der Einzige und sein Eigentum unterhält mit dem Staat über seine Dienste gewissermaßen gerade noch einen Mietvertrag; darüber hinaus gibt es keine öffentliche Verpflichtung (die Ersetzung der allgemeinen Wehrpflicht durch Söldner und der staatlichen Polizei durch private body guards ist nur zu konsequent). Selbst dann noch entsteht im Sinne Olsons (1985a) das „Trittbrettfahrer" - Problem beim Angebot eines frei zugänglichen Kollektivgutes. Auch das Vertrauen in die Vertragstreue ist ab einem gewissen Punkt nicht mehr einklagbar; die Eutrophie der Überlastung der Rechtswege und des Rechtsschutzes indizieren eine Eskalation der Transaktionskosten (wie in den USA evtl. die Eutrophie des Plastikgeldes zur Zerstörung des Vertrauens in Währung und Kreditsystem führt). Wenn Kollektivgüter aber nicht mehr honoriert werden, werden sie über kurz oder lang auch nicht mehr hergestellt werden. Ein Schmarotzer-Kapitalismus entzieht sich dadurch selbst seine eigene Grundlage, da er 1. die Erstattung der Reproduktionskosten seines eigenen polit-ökonomischen Systems nicht zu organisieren vermag und 2. systemfremde Grundlagen nur auszubeuten in der Lage ist. Aufgrund solcher Überlegungen erscheinen marxistische oder Schumpeters Erwartungen hinsichtlich eines systembedingten Zusammenbruchs der kapitalistischen Wirtschaftsordnung nur allzu begründet. Dass der Schmarotzer bisher überlebt hat, ist nur den bisher vorhandenen Wirten zu danken.
[8]) „Nous les payons, en quelque sort, pour qu’ils nous achètent." (Servan-Schreiber 1967a:44)
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