Dies ist der gebündelte Versuch einer Replik auf: Karl R. Popper, Das Elend des Historizismus, was eine Replik darstellte auf: Karl Marx, Das Elend der Philosophie, was eine Replik darstellte auf: Proudhon, Die Philosophie des Elends

22.10.2005

Methodologischer Individualismus

Popper hat sich für den methodologischen Individualismus entschieden: Dieser

„hebt mir Recht hervor, dass es möglich sein muss, das ‘Verhalten’ und die ‘Hand­lungen’ von Kollektiven wie Staaten und Sozialgruppen auf das Verhalten und die Handlungen menschlicher Individuen zu reduzieren." (Popper 1992b:108)

Die Alternative ist für ihn „romantischer", „totalitärer", etc. Holismus und Kollektivismus. Diese Alter­na­tive sieht er nicht nur durch die von ihm angegriffenen Philosophen, sondern fast in der gesamten So­zi­alwissenschaft vertreten. Auch hier heißt es für Popper wieder: Viel Feind, viel Ehr! Dies wird zum Beispiel schon daran sichtbar, dass Poppers Essentialismus- und Ho­lis­muskritik sich auch gegen den strukturell-funktionalen Ansatz und sogar prinzipiell gegen je­den Ansatz ge­richtet ist, der soziale oder öko­nomische Systeme zugrunde legt. Hierdurch wird der formidable Verdacht Hayeks tatsächlich be­stätigt, dass Soziologen samt und sonders ver­kapp­te Sozialisten [1]) sind. Es ist natürlich ein ver­lockender Gedanke, alle gesellschaftlichen Pro­bleme schon allein dadurch zu besei­ti­gen, dass man mit der Essenz gleich auch den Begriff der „Gesellschaft" liqui­diert. Dasselbe Schicksal er­leidet kon­se­quen­terweise die Makroö­ko­no­mie. Der Nominalist kennt kein Vaterland, sondern nur noch Patrioten (Elster 1982a). So gibt es auch keinen Euro, sondern nur Individuen, die diesem evtl. und ggf. einen Euro-Glauben auf­weisen. Einem Nominalisten ist es aber gleichermaßen völlig unmöglich, eine Aussage über ei­ne Beziehung zwischen Essentialismus, Holismus und Totalitarismus zu machen - denn sol­che Dinge sind für ihn einfach nicht existent.

Poppers Unterstellung einer logischen Verbindung zwischen Essentialismus und Holismus ist aber auch sonst alles andere als logisch zwingend (Schumpeter 1965a). Es sind alle logischen Kom­b­inatio­nen durchführbar:

Atomismus vs. Nominalismus

Atomismus vs. Essentialismus

Holismus vs. Nominalismus

Holismus vs. Essentialismus

So können für Atomismus/Essentialismus u.a. Hobbes (Röd 1981a) und für Holis­mus / Nomi­nalismus Weber angeführt werden.

Der Punkt ist also nicht: entweder Atomismus oder Holismus, sondern die Verknüpfung bei­der Per­spek­tiven in der Erklärung von Prozessen. Jede theoretische Erklärung erlaubt uns tiefer in die Struk­tur der objektiven Realität einzudringen als eine oberflächliche Beschreibung (Pop­per 1964a:79). Dies leistet aber eine soziologische Erklärung gerade dann, wenn sie Makro­pro­zesse mit Mikroprozessen in­di­viduellen Verhaltens verbindet. Modelle über Makroprozesse soll­ten daher über eine ent­spre­chen­de Mikrofundierung verfügen: Nur nomologische Hypo­the­sen (z. B. über individuelle Wahrnehmung oder Motivation) über das Handeln menschlicher In­dividuen erlauben die anzustrebende „Tiefen­erklä­rung" makrosozialer Prozesse (Lindenberg 1983a; Kiser, Hechter 1991a:16, Anm.34; Esser 1991a:40ff). Eine Erklärung sollte mindestens einen Kausalmechanismus spezifizieren, der mit mög­lichst minimalen time lags arbeitet und mög­lichst viele empirische Impli­kationen aufweist.



[1]) Wenn manchen Soziologen dies völlig aus der Luft gegriffen erscheint, so beweist das nur, dass Sozio­lo­gen in aller Regel meist naiver als ihre eigenen Versuchspersonen sind. Schließlich ha­ben sie ihre ganze aka­de­mische Ausbildung nur darin investiert, in die berüchtigten Besucher vom Pla­neten Mars zu mutieren.

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