"Dank Popper ist es ein Gemeinplatz, dass einigermaßen detaillierte Prognosen über künftige Erkenntnisse logisch unmöglich sind. Gerade in ihrer Nicht-Vorhersagbarkeit liegt die Bedeutung einer theoretischen Innovation." (Radnitzky 1976a:31)
Wichtiger als alle logische Stringenz der Popperschen Argumentation im einzelnen sind allemal die Fragen:
Was hat uns dieser Feldzug gebracht?
Wie wurde die Sozialwissenschaft dadurch gefördert?
Hier geht es also um die Botschaft der Popperizismuskritik für die Sozialwissenschaft. Und diese lautet folgendermaßen:
Aussagen über langfristige Entwicklungstendenzen sind wissenschaftlich nicht möglich!
Es sei wissenschaftlich äußerst fragwürdig, sich mit Langzeitprognosen in historischen Dimensionen zu befassen, wobei "fragwürdig" hier im moralischen Sinne verstanden wird, nämlich als "unwissenschaftlich". Ein guter Popper-Schüler wird sich als empirischer Soziologe sagen, eine solche Theorie gibt es nicht und kann es auch gar nicht geben!
„Mit der wichtigen Ausnahme von Mikrosimulationsmodellen für Fragestellungen gibt es für den Einsatz von Simulationen zu Prognosezwecken in der Soziologie keine theoretische Grundlage. Ohne bewährte Theorien ist die Konstruktion eines Simulationsmodells zu Prognosezwecken sinnlos. Da es solche bewährten Theorien in der Soziologie zumindest für Makrophänomene nicht gibt - und mit guten Gründen deren prinzipielle Existenzmöglichkeit bestritten werden kann (Popper 1971; Boudon 1983) - sind quantitative Simulationen sozialer Prozesse daher (zumindest für lange Zeit) in den Sozialwissenschaften nur in wenigen Ausnahmefällen möglich." (Schnell 1990a:114f)
Ist aber deswegen sozialer Wandel, der über die Änderungen des bestehenden Systems hinausgeht (Rüschemeyer 1968a:25), theoretisch unerklärbar? Ist ein theoretischer Erklärungsversuch von Systemtransformation von vornherein unmöglich, also Aberglaube [1])?! Es käme sicherlich erst auf den Versuch an (trial and error)! Wenn Schnell Ausnahmen zulässt und langfristige Änderungen einräumt, scheint er Poppers Unmöglichkeitsbeweis schon nicht so recht zu trauen. Ein kleiner Sieg des Empiristen über die wissenschaftstheoretsichen Scheuklappen seines Methodologie-Papstes! Es kommt mir hier aber nur darauf an, zu zeigen, dass von Popper aus ideologischen Motiven heraus die Theoriekonstruktion sowie die empirische Forschung überhaupt entmutigt wurde. Popper hat schlecht kantianisch gerade das getan, was er anderwärts so lautstark kritisiert hat: die Ontologisierung einer Wissenslücke, d.h. mit gnoseologisch/logischen Argumenten den Bereich empirischer Fragestellungen a priori einzuengen:
"Wir können nur die eine Forderung erheben: Versuchen wir, strenge, beschränkende Gesetze, Verbote aufzustellen, die an der Erfahrung scheitern können; die Forschung durch Verbote zu beschränken, sollten wir unterlassen." (Popper 1984a:197)
[1]) "Aberglaube ist der Hang, in das, was als nicht natürlicher Weise zugehend vermeint wird, ein größeres Vertrauen zu setzen, als was sich nach Naturgesetzen erklären lässt - es sei im Physischen oder Moralischen." (Kant XI:335,Anm.*)
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