Wertmessung
Schon die Messung der Wertgröße eines Aggregates von heterogenen Gütern kann bei unterschiedlichen Einkommensverteilungen die Frage aufwerfen, ob dazu normative Urteile eingeführt werden müssten (Machlup 1978a:122). Wie vor allem die Kritik der Grenznutzentheorie sowie der Wohlfahrtsökonomie erwiesen hat, ist es logisch gesehen unmöglich, von der Wertung eines Einzelnen auf die Werturteile einer Menge von Individuen zu schließen.
„Eine der wichtigsten Fragen, an denen sich die anthropologische Kritik der Wertlehre entzündete, ist die Frage der Quantifizierbarkeit der Bedürfnisse. Da es sich beim Bedürfnisbegriff um die ökonomische Kategorie handelt, auf die alle Wertaussagen bezogen zu werden pflegen, ist dieses Problem von elementarer Bedeutung für die Ökonomik. Nur wenn es gelingen könnte, die Bedürfnisse hinsichtlich ihrer intrasubjektiven Bedeutung quantitativ miteinander und mit den zur Verfügung stehenden Befriedigungsmitteln in Beziehung zu setzen, wäre eine anthropologische Grundlage für die Entwicklung der ökonomischen Idealproblematik gegeben. Nur wenn außerdem die Möglichkeit intersubjektiver Bedeutungsvergleiche bestünde, könnte die ökonomische Idealgesetzlichkeit über die Sphäre des Individuums hinaus auch im sozialen Bereich Anwendung finden." (Albert 1954a:65f)
Grundlegend für eine Wertung im sozialen Bereich ist jedoch der relative soziale Vergleich, den jede Wertung impliziert, wie es auch die unterschiedlichsten sozialpsychologischen Theorien und soziologische middle range theories immer wieder herausgestellt haben: die Theorie der Normentstehung, die Theorien zur sozialen Wahrnehmung, die Theorien der relativen Deprivation und der Bezugsgruppe.
Für das Wahrnehmungs-Ergebnis ist wesentlich, wie häufig ein Beobachter einen bestimmten Reiz bereits in einer bestimmten Weise wahrgenommen hat (Secord, Backman 1964a:I). Je besser eine Person in der Vergangenheit lernen konnte, einen Reiz auf eine bestimmte Weise wahrzunehmen, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie diesen auf dieselbe Weise wieder wahrnehmen wird, falls er sich wiederholt. Neben solchen Wahrnehmungs-Gewohnheiten ist ferner der gegenwärtige Gesamtzustand des Individuums wichtig, insbesondere seine Bedürfnislage zur Zeit der Wahrnehmung. Daraus ergeben sich nämlich unterschiedliche Wahrnehmungs-Fähigkeiten sowie unterschiedliche Bewertungen der Objekte der Wahrnehmung. Einige sozialpsychologische Experimente deuten daraufhin, dass zum Beispiel hungrige Menschen Nahrungsmittel besonders rasch und gut wahrnehmen. Experimente mit Stimulus-Verarmung verwenden vages, wenig strukturiertes Reizmaterial für Wahrnehmungstests. Dabei lässt sich feststellen, dass positiv bewertete Objekte mit höherer Wahrscheinlichkeit wahrgenommen werden als neutral bewertete. Allerdings sind im Alltagsleben Vertrautheit und positive Bewertung von Objekten eng miteinander verknüpft; daher ist schwierig zu entscheiden, ob ein bestimmtes Objekt wegen seiner Vertrautheit oder wegen seiner positiven Bewertung besser erkannt wird. Bei Experimenten zur Größen-Schätzung erwies sich, dass die positive Bewertung zur Überschätzung der tatsächlichen Größe von Dingen führen kann. Wenn der Wert einer Serie von Dingen systematisch mit ihrer physischen Größe variiert, dann werden die Unterschiede innerhalb der Serie für größer gehalten, als sie es in Wirklichkeit sind. Da die Extreme dabei überbetont werden, heißt diese Form sozial induzierter Wahrnehmungsverzerrung Akzentuierung.
Mögen auch diese einzelnen hier angeführten Resultate experimenteller Forschung für sich revidierbar sein und keineswegs eine ausgeführte Theorie der menschlichen Wahrnehmung darstellen, so wird doch eines deutlich: Menschliches Wahrnehmen und Erkennen stellen einen prinzipiell sozialen Prozess dar. Die Biografie des menschlichen Individuums sowie seine jeweilige soziale Umwelt bedingen die Art und Weise, wie es seine Umwelt wahrnimmt, erkennt und erlebt.
Die vorstehende Erklärungsskizze zeigt, dass es eine absolut zuverlässige und sichere Quelle der Erkenntnis von Realität nicht zu geben kann und auch nicht braucht. Denn das Individuum erhält durch Wahrnehmen und Denken Informationen über seine Umwelt, die insoweit brauchbar sind, als es sich damit im Allgemeinen in der Realität orientieren und seine Ziele praktisch verfolgen kann. Diese Orientierungsfähigkeit ist aber stets verbesserungsfähig. Wahrnehmen - Denken - Verhalten ist nicht als ein linear-kausales Modell, sondern besser als ein sich selbst steuernder Rückkopplungsprozess zu begreifen.
Alle diese Theorien weisen darauf hin, dass Wahrnehmung und Bewertung von einer Skalenbildung ausgeht, und diese Wahrnehmungsskalen sind in ihrem Bezugspunkt sozial verankert! Denn dieser Anker wird durch die soziale Erfahrung und die soziale Situation des jeweiligen Individuums „konstituiert"; er ist die Basis, worauf beruht, dass alle Wahrnehmung und Wertung nicht absolut, sondern relativ und kontingent zur sozialen Umwelt vollzogen wird.
Von daher ergibt sich also eine fundamentale Differenz zur kontextinvarianten, bzw. dekontextualisierten Logik des Wertes, wie sie der Grenznutzentheorie und der darauf basierenden ökonomischen Logik vorschwebt. Diese übersieht den grundlegenden Unterschied zwischen dem subjektiven Wert, den sie als eine Bedeutung konzipiert, die Größe hat, mit dem Preis, der eine Größe ist, die Bedeutung hat. Das schier unlösbare Problem besteht jedoch darin, Bedeutungsgrößen überhaupt zu quantifizieren (Albert 1954a:70f).
Eine brauchbare Theorie des Wertes muss daher schon in ihren Grundprämissen berücksichtigen, dass alle ökonomische Wertung wesentlich interpersonelle Vergleiche impliziert.
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