Dies ist der gebündelte Versuch einer Replik auf: Karl R. Popper, Das Elend des Historizismus, was eine Replik darstellte auf: Karl Marx, Das Elend der Philosophie, was eine Replik darstellte auf: Proudhon, Die Philosophie des Elends

22.10.2005

Wertmessung

Wertmessung

Schon die Messung der Wertgröße eines Aggregates von heterogenen Gütern kann bei unter­schied­lichen Einkommensverteilungen die Frage aufwer­fen, ob dazu normative Urteile einge­führt werden müss­ten (Machlup 1978a:122). Wie vor allem die Kritik der Grenznutzentheorie sowie der Wohl­fahrts­ökonomie erwiesen hat, ist es logisch gesehen unmöglich, von der Wer­tung eines Einzelnen auf die Wertur­tei­le einer Menge von Individuen zu schließen.

„Eine der wichtigsten Fragen, an denen sich die anthropologische Kritik der Wertlehre ent­zün­dete, ist die Frage der Quantifizierbarkeit der Bedürfnisse. Da es sich beim Bedürfnisbegriff um die ökonomische Kategorie handelt, auf die al­le Wertaussagen bezogen zu werden pflegen, ist dieses Problem von ele­men­tarer Bedeutung für die Ökonomik. Nur wenn es gelingen könnte, die Be­dürf­nisse hinsichtlich ihrer intrasubjektiven Bedeutung quantitativ miteinander und mit den zur Verfügung stehenden Befriedigungsmitteln in Beziehung zu set­zen, wäre eine anthropologische Grundlage für die Entwicklung der öko­nomi­schen Idealproblematik gegeben. Nur wenn außerdem die Möglichkeit inter­sub­jek­tiver Bedeutungsvergleiche bestünde, könnte die ökonomische Idealge­setz­lich­keit über die Sphäre des Individuums hinaus auch im sozialen Bereich An­wen­dung finden." (Albert 1954a:65f)

Grundlegend für eine Wertung im sozialen Bereich ist jedoch der relative soziale Vergleich, den jede Wertung impliziert, wie es auch die unterschiedlichsten sozi­al­psychologischen Theo­ri­en und soziolo­gi­sche middle range theories immer wieder herausgestellt haben: die Theorie der Normentstehung, die Theorien zur sozialen Wahrnehmung, die Theorien der relativen Depriva­ti­on und der Bezugsgruppe.

Für das Wahrnehmungs-Ergebnis ist wesentlich, wie häufig ein Beobachter einen bestimmten Reiz be­reits in einer bestimmten Weise wahrgenommen hat (Secord, Backman 1964a:I). Je bes­ser eine Per­son in der Vergangenheit lernen konnte, ei­nen Reiz auf eine bestimmte Weise wahr­zunehmen, desto grö­ßer ist die Wahr­schein­lichkeit, dass sie diesen auf dieselbe Weise wieder wahrnehmen wird, falls er sich wiederholt. Neben solchen Wahrnehmungs-Gewohn­heiten ist fer­ner der gegenwärtige Ge­samt­zustand des Individuums wichtig, insbesondere sei­ne Be­dürf­nis­lage zur Zeit der Wahrnehmung. Dar­aus ergeben sich nämlich unterschiedliche Wahrneh­mungs-Fähigkeiten sowie unterschiedliche Bewer­tun­gen der Objekte der Wahrnehmung. Eini­ge sozialpsychologische Experimente deuten daraufhin, dass zum Beispiel hungrige Menschen Nahrungsmittel besonders rasch und gut wahr­nehmen. Experi­mente mit Stimulus-Verarmung verwenden vages, wenig struktu­riertes Reizmaterial für Wahrneh­mungs­tests. Dabei lässt sich feststellen, dass po­si­tiv bewertete Objekte mit höherer Wahrschein­lich­keit wahrgenommen wer­den als neutral bewertete. Allerdings sind im Alltagsleben Vertrautheit und po­sitive Be­wer­tung von Objekten eng miteinander verknüpft; daher ist schwierig zu ent­schei­den, ob ein be­stimmtes Objekt wegen seiner Vertrautheit oder wegen seiner posi­ti­ven Bewertung besser er­kannt wird. Bei Experimenten zur Größen-Schätzung er­wies sich, dass die positive Bewertung zur Über­schätzung der tatsächlichen Grö­ße von Dingen führen kann. Wenn der Wert einer Se­rie von Din­gen systematisch mit ihrer physischen Größe variiert, dann werden die Unterschiede innerhalb der Serie für größer gehalten, als sie es in Wirklichkeit sind. Da die Extreme dabei über­betont werden, heißt diese Form sozial induzierter Wahrnehmungsverzerrung Akzentu­ierung.

Mögen auch diese einzelnen hier angeführten Resultate experimenteller For­schung für sich re­vidierbar sein und keineswegs eine ausgeführte Theorie der mensch­lichen Wahrnehmung dar­stellen, so wird doch eines deutlich: Menschliches Wahrnehmen und Erkennen stellen einen prin­zipiell sozialen Prozess dar. Die Bio­gra­fie des menschlichen Individuums sowie seine je­wei­lige soziale Umwelt bedin­gen die Art und Weise, wie es seine Umwelt wahrnimmt, erkennt und erlebt.

Die vorstehende Erklärungsskizze zeigt, dass es eine absolut zuverlässige und si­chere Quelle der Er­kenntnis von Realität nicht zu geben kann und auch nicht braucht. Denn das Individuum erhält durch Wahrnehmen und Denken Informatio­nen über seine Umwelt, die insoweit brauch­bar sind, als es sich da­mit im Allge­mei­nen in der Realität orientieren und seine Ziele praktisch verfolgen kann. Diese Ori­en­tierungsfähigkeit ist aber stets verbesserungsfähig. Wahr­nehmen - Denken - Verhalten ist nicht als ein linear-kausales Modell, sondern besser als ein sich selbst­­ steuernder Rückkopplungsprozess zu be­greifen.

Alle diese Theorien weisen darauf hin, dass Wahrnehmung und Bewertung von einer Skalen­bildung aus­geht, und diese Wahrnehmungsskalen sind in ihrem Be­zugs­punkt sozial verankert! Denn dieser An­ker wird durch die soziale Erfahrung und die soziale Situation des jeweiligen Individuums „konsti­tuiert"; er ist die Basis, worauf beruht, dass alle Wahrnehmung und Wer­tung nicht absolut, sondern relativ und kontingent zur sozialen Umwelt vollzogen wird.

Von daher ergibt sich also eine fundamentale Differenz zur kontextinvarianten, bzw. dekon­textua­li­sier­ten Logik des Wertes, wie sie der Grenznutzentheorie und der darauf basierenden ökonomischen Logik vorschwebt. Diese übersieht den grund­legenden Unterschied zwischen dem subjektiven Wert, den sie als eine Be­deu­tung konzipiert, die Größe hat, mit dem Preis, der eine Größe ist, die Be­deu­tung hat. Das schier unlösbare Problem besteht jedoch darin, Bedeu­tungs­grö­ßen überhaupt zu quantifizieren (Al­bert 1954a:70f).

Eine brauchbare Theorie des Wertes muss daher schon in ihren Grundprämissen berück­sichti­gen, dass alle ökonomische Wertung wesentlich interpersonelle Ver­glei­che impliziert.

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