Materialistische Dialektik
"Meine dialektische Methode ist der Grundlage nach von der hegelschen nicht nur verschieden, sondern ihr direktes Gegenteil. Für Hegel ist der Denkprozess, den er sogar unter dem Namen Idee in ein selbständiges Subjekt verwandelt, der Demiurg des Wirklichen, das nur seine äußere Erscheinung bildet. Bei mir ist umgekehrt das Ideelle nichts andres als das im Menschenkopf umgesetzte und übersetzte Materielle." (MEW 23:27 ff.)
In der Rekonstruktion von Sarlemijn (1971a:6) ist die hegelsche Dialektik untrennbar mit seinem Idealismus verbunden. Also kann Marxens Dialektik, wenn sie denn materialistisch ist, wenn nicht etwas in jeder Hinsicht Neues, so doch eine eigenständige Konzeption darstellen.
Lukács, der hierin ein zentrales Problem des Marxismus gesehen hat, stieß auf folgende Schwierigkeit:
„Es gehört zum Wesen der dialektischen Methode, dass in ihr die - in ihrer abstrakten Einseitigkeit - falschen Begriffe zur Aufhebung gelangen. Dieser Prozess des Aufhebens macht aber zugleich notwendig, dass dennoch ununterbrochen mit diesen - einseitigen, abstrakten und falschen - Begriffen operiert wird; dass die Begriffe weniger durch eine Definition, als durch die methodische Funktion, die sie als aufgehobene Momente in der Totalität erhalten, zu ihrer richtigen Bedeutung gebracht werden. Dieser Bedeutungswandel ist aber in der von Marx korrigierten Dialektik noch weniger terminologisch fixierbar als in der hegelschen selbst. Denn wenn die Begriffe nur gedankliche Gestalten geschichtlicher Wirklichkeiten sind, so gehört ihre - einseitige, abstrakte und falsche - Gestalt als Moment der wahren Einheit eben mit zu dieser wahren Einheit selbst."
Zeleny sieht die „dialektischen Regeln" [1]) als im weiteren Sinne empirische Verfahren an. Betrachten wir die Verwendung des Terminus „Widerspruch" bei Marx, finden wir tatsächlich, wie Vetter (1962a) schon bemerkte, keine Verletzung des aussagenlogischen Kontradiktionsverbots, sondern eine Verwendung des Terminus im Sinne einer theoretischen Relation, die auf institutionelle Bedingungen des Handelns abstellt:
„Political economy starts out from labor as the real soul of production and yet gives nothing to labor and everything to private property. Proudhon has dealt with this contradiction by deciding for labor and against private property. But we have seen that this apparent contradiction is the contradiction of estranged labor with itself and that political economy has merely formulated laws of estranged labor." (Marx ÖPM:520)
Dennoch zeigen die Vorbehalte, wie sie z.B. Burawoy gegenüber dem analytischen Marxismus geltend macht [2]), zumindest das Eine, dass ohne eine befriedigende Klärung des Verhältnisses von analytischer Logik zu materialistischer Dialektik und Geschichtsauffassung es keine dauerhafte Synthese zwischen Marxismus und modernen formalen Methoden geben kann. Dass aber „Das Kapital" selbst nicht zuletzt (wenn auch nur einfache, aber immerhin!) mathematische Anwendungen enthält, ist ein klarer Beweis, dass seinem Autor die Kompatibilität formal-analytischer und dialektisch-begriffslogischer Denkweisen, wenn nicht als völlig unproblematisch, so doch als prinzipiell gesichert gegolten hatte [3]).
[1]) „Im Falle der dialektischen Regeln handelt es sich um außer-F-logische Regeln, die nicht (bzw. nicht nur) gedankliche Operationen betreffen, die die Ausdrücke auf der Grundlage ihres Aufbaus transformieren, sondern ‘empirische Verfahren’ im umfassenden Sinne des Wortes. Es handelt sich um Regeln, die aus den ontologischen Voraussetzungen der materialistischen Dialektik abgeleitet sind und daher immer von dem spezifischen Charakter der marxschen Untersuchung abhängen." (Zeleny 1968a:152f)
[2]) „As Western Marxism turned from a dialogue with the working class to a dialogue with bourgeois theories of philosophy, sociology, and economcis, it has been more concerned with academic respectability than the challenges of history. Typical in this respect is analytical Marxism, which seeks to bring Marxism into the last quarter of the twentieth century by assimilating neoclassical economcis, analytical philosophy, game theory, and stratification theory (Cohen 1978; Elster 1985; Roemer 1986, 1988; Wright 1985; Przeworski 1985). The goal is to establish a true Marxist science by marrying the techniques of modern social science to all that is valid and useful in Marxism. But in attempting to consummate the truth of all previous Marxisms, analytical Marxism takes Marxism out of history, eclipsing the historical challenges that have been the ‘motor’ of it’s theoretical growth. Insulating itself from its own historicity while making fetishes of clarity and rigor, analytical Marxism atrophies as science." (Burawoy 1990a:790)
[3]) zu Hegels Verhältnis zur Mathematik siehe Neuser (1987a, 1988a).
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