Dies ist der gebündelte Versuch einer Replik auf: Karl R. Popper, Das Elend des Historizismus, was eine Replik darstellte auf: Karl Marx, Das Elend der Philosophie, was eine Replik darstellte auf: Proudhon, Die Philosophie des Elends

22.10.2005

Materialistische Dialektik

"Meine dialektische Methode ist der Grundlage nach von der hegelschen nicht nur verschieden, sondern ihr direktes Gegenteil. Für Hegel ist der Denk­pro­zess, den er sogar unter dem Namen Idee in ein selbständiges Subjekt ver­wandelt, der Demiurg des Wirklichen, das nur seine äußere Erscheinung bildet. Bei mir ist umgekehrt das Ideelle nichts andres als das im Menschenkopf um­ge­setzte und übersetzte Materielle." (MEW 23:27 ff.)

In der Rekonstruktion von Sarlemijn (1971a:6) ist die hegelsche Dialektik untrennbar mit sei­nem Idealismus verbunden. Also kann Marxens Dialektik, wenn sie denn materialistisch ist, wenn nicht etwas in jeder Hinsicht Neues, so doch eine eigenständige Konzeption darstellen.

Lukács, der hierin ein zentrales Problem des Marxismus gesehen hat, stieß auf folgende Schwie­rigkeit:

„Es gehört zum Wesen der dialektischen Methode, dass in ihr die - in ihrer ab­strakten Einseitigkeit - falschen Begriffe zur Aufhebung gelangen. Dieser Pro­zess des Aufhebens macht aber zugleich not­wendig, dass dennoch ununter­bro­chen mit diesen - einseitigen, abstrakten und falschen - Be­grif­fen operiert wird; dass die Begriffe weniger durch eine Definition, als durch die methodische Funk­tion, die sie als aufgehobene Momente in der Totalität erhalten, zu ihrer rich­ti­gen Bedeutung ge­bracht werden. Dieser Bedeutungswandel ist aber in der von Marx korrigierten Dialektik noch we­ni­ger terminologisch fixierbar als in der hegel­schen selbst. Denn wenn die Begriffe nur gedankliche Ge­stalten ge­schicht­licher Wirklichkeiten sind, so gehört ihre - einseitige, abstrakte und fal­sche - Ge­stalt als Moment der wahren Einheit eben mit zu dieser wahren Ein­heit selbst."

Zeleny sieht die „dialektischen Regeln" [1]) als im weiteren Sinne empirische Ver­fahren an. Betrachten wir die Verwendung des Terminus Widerspruch" bei Marx, finden wir tat­säch­lich, wie Vetter (1962a) schon bemerkte, keine Verletzung des aussagenlogischen Kontra­dik­ti­ons­ver­bots, sondern eine Ver­wendung des Terminus im Sinne einer theoretischen Relation, die auf in­stitutionelle Bedingungen des Handelns abstellt:

„Political economy starts out from labor as the real soul of production and yet gives nothing to labor and everything to private property. Proudhon has dealt with this contradiction by deciding for labor and against private property. But we have seen that this apparent contradiction is the con­tradiction of estranged la­bor with itself and that political economy has merely formulated laws of estran­ged labor." (Marx ÖPM:520)

Dennoch zeigen die Vorbehalte, wie sie z.B. Burawoy gegenüber dem analyti­schen Marxis­mus geltend macht [2]), zumindest das Eine, dass ohne eine befriedigende Klärung des Verhält­nis­ses von analytischer Logik zu materialistischer Dialektik und Geschichtsauf­fas­sung es keine dau­er­hafte Synthese zwischen Marxismus und modernen formalen Methoden ge­ben kann. Dass aber „Das Kapital" selbst nicht zuletzt (wenn auch nur einfache, aber immer­hin!) mathema­ti­sche Anwendungen enthält, ist ein klarer Beweis, dass seinem Autor die Kom­pa­tibilität formal-analytischer und dialektisch-begriffslogischer Denkweisen, wenn nicht als völ­lig unproble­ma­tisch, so doch als prinzipiell gesichert gegolten hatte [3]).



[1]) „Im Falle der dialektischen Regeln handelt es sich um außer-F-logische Regeln, die nicht (bzw. nicht nur) gedankliche Operationen betreffen, die die Ausdrücke auf der Grundlage ihres Auf­baus transformieren, sondern ‘empirische Verfahren’ im umfassenden Sinne des Wortes. Es han­delt sich um Regeln, die aus den ontologischen Voraussetzungen der materiali­stischen Dialektik ab­geleitet sind und daher immer von dem spezifischen Charakter der marxschen Untersuchung ab­hängen." (Zeleny 1968a:152f)

[2]) „As Western Marxism turned from a dialogue with the working class to a dialogue with bour­geois theories of philosophy, sociology, and economcis, it has been more concerned with aca­demic respectability than the challenges of history. Typical in this respect is analytical Marxism, which seeks to bring Marxism into the last quarter of the twentieth century by assimilating neo­clas­sical economcis, analytical philosophy, game theory, and stratification theory (Cohen 1978; El­ster 1985; Roemer 1986, 1988; Wright 1985; Przeworski 1985). The goal is to establish a true Mar­xist science by marrying the techniques of modern social science to all that is valid and useful in Marxism. But in attempting to consummate the truth of all previous Marxisms, analytical Mar­xism takes Marxism out of history, eclipsing the historical challenges that have been the ‘motor’ of it’s the­oretical growth. Insulating itself from its own historicity while making fetishes of clarity and ri­gor, ana­ly­ti­cal Marxism atrophies as science." (Burawoy 1990a:790)

[3]) zu Hegels Verhältnis zur Mathematik siehe Neuser (1987a, 1988a).

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