Dies ist der gebündelte Versuch einer Replik auf: Karl R. Popper, Das Elend des Historizismus, was eine Replik darstellte auf: Karl Marx, Das Elend der Philosophie, was eine Replik darstellte auf: Proudhon, Die Philosophie des Elends

22.10.2005

Utopismus und piece-meal engineering


"Nur was Gegenstand der Freiheit ist, heißt Idee. Wir müssen also auch über den Staat hinaus! - Denn jeder Staat muss freie Menschen als mechanisches Rä­derwerk behandeln; und das soll er nicht; also soll er aufhören. Ihr seht von selbst, dass hier alle die Ideen, vom ewigen Frieden u.s.w. nur untergeordnete Ideen einer höheren Idee sind: Zugleich will ich hier die Prinzipien für eine Ge­schichte der Menschheit niederlegen und das ganze elende Menschenwerk von Staat, Verfassung, Re­gie­rung, Gesetzgebung bis auf die Haut entblößen. End­lich kommen die Ideen von einer moralischen Welt, Gottheit, Unsterblichkeit, - Umsturz alles Afterglaubens, Ver­folgung des Priestertums, das neuerdings Ver­nunft heuchelt, durch die Ver­nunft selbst. - Absolute Freiheit aller Geister, die die intellektuelle Welt in sich tra­gen und weder Gott noch Unsterblichkeit au­ßer sich suchen dürfen." (Hegel, Das älteste Systemprogramm:3)

Nur das eine schließt Hoffnung ganz aus: der Beweis, dass etwas völlig unmög­lich ist. Doch selbst Beweise sind noch angreifbar.

„Wie andere vor mir, so gelangte auch ich zu dem Resultat, dass die Idee einer utopischen sozialen Planung großen Stiles ein Irrlicht ist, das uns in den Sumpf lockt. Die Hybris, die uns versuchen lässt, das Himmelreich auf Erden zu ver­wirk­lichen, verführt uns dazu, unser gute Erde in eine Hölle zu verwandeln - ei­ne Hölle, wie sie nur Menschen für ihre Mitmenschen verwirklichen können." (Pop­per 1987a:VIII)

So ersetzt Popper die Doktrin von der Unvermeidlichkeit der kommunistischen Revo­lu­tion durch die Doktrin des unvermeidlichen Scheiterns revolutionärer Hoff­nungen. Wenn ersteres "Popperizismus" genannt wird, so stellt letzteres offenbar einen popper-made Pop­per­izis­mus dar. Methodologisch ist jedoch fragwürdig, dass Popper hier­ den Eindruck erweckt, er könne eine empirische Frage durch politisch-moralische Er­wä­gun­gen bzw. allein mittels Logik lö­sen. Wenn "Utopismus" bedeutet, die wirklichen Triebkräfte des sozialen Lebens zu verkennen (Sombart 1908a:44), so ist praktisch Popper hier sel­ber Utopist.

Als "uto­pis­tisch" wird kriti­siert, was aufgrund nomologischen Wissens als nicht her­stellbar angesehen wird.[1]) Die Grenzen unseres nomologischen Wissens - also das, was mit jedem wissenschaftlichen Fort­schritt sich laufend ändert -, wird da­bei als unproblematische Gegebenheit unterstellt. Pop­pers Anti-Utopismus impli­ziert demnach einen bias, wodurch das Bestehende bzw. das norma­tiv verzeichne­te Bild der gegenwärti­gen Gesellschaft insgeheim fortgeschrieben und in alle Ewig­keit extrapoliert wird. Kernpunkt einer jeden Ideologie ist es aber, eine Fiktion als Grund­la­ge der Realität zu nehmen.

Popper macht viel Aufhebens davon, dass Marx die nichtbeabsichtigten Folgen von absichts­vol­lem Handeln erkannt habe. Wesentlich ist jedoch, dass man nicht bei solcher Grundeinsicht stehen bleibt, sondern welche Folgerungen man daraus zieht:

Entweder: Nicht beabsichtigte Nebenwirkungen heißt: Die Folgen meines Han­delns sind unkalkulierbar. Also ist alles rationale Planen sinnlos. Wir müssen voll auf die Vorsehung (unsere Eliten, den Markt) vertrauen. Alles regelt sich von selbst am besten, weil unsere Welt grundsätzlich in Ordnung ist und unser Schöpfer barm­her­zig.

Oder: Wir können den Bereich unseres Einflusses und unseres Wissens stets er­weitern. Also müs­sen wir in Forschung investieren und unsere Planungen und Hand­lungsweisen ständig zu ver­bes­sern suchen.



[1]) "... man kann annehmen, dass das Wort »Ideal« nunmehr die allgemeine Be­deu­tung dessen trägt, was keine Wahrheit in sich hat ..." (Hegel, Aufsätze:20)

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