Dies ist der gebündelte Versuch einer Replik auf: Karl R. Popper, Das Elend des Historizismus, was eine Replik darstellte auf: Karl Marx, Das Elend der Philosophie, was eine Replik darstellte auf: Proudhon, Die Philosophie des Elends

22.10.2005

Kriege werden durch Militarismus verursacht

Die Ursache eines Krieges ist stets seine Vorbereitung. Das Vorhandensein eines militärischen Machtapparates erhöht die Wahrscheinlichkeit seines Einsatzes, wie z.B. das amerikanische Waffengesetz, das Waffen für jeden verfügbar macht, deren Verwendungschance steigert. Und leider stehen Intelligenz und Aufwendungen für militärische Strategien wohl auf ewig im Missverhältnis zu politischen. Deutschland hat bereits genügend schlimme Erfahrungen gemacht mit der Unterordnung der Politik unter scheinbare militärische Erfordernisse nationaler Selbstverteidigung, um noch groß in die Vortrefflichkeit militärischer Logik Vertrauen setzen zu können.

§92 „Weil der Wille, nur insofern er Dasein hat, Idee oder wirklich frei und das Dasein, in welches er sich gelegt hat, Sein der Freiheit ist, so zerstört Gewalt oder Zwang in ihrem Begriff sich unmittelbar selbst, als Äußerung eines Willens, welche die Äußerung oder Dasein eines Willens aufhebt. Gewalt oder Zwang ist daher, abstrakt genommen, unrechtlich." -
§93 „Der Zwang hat davon, dass er sich in seinem Begriffe zerstört, die reelle Darstellung darin, dass Zwang durch Zwang aufgehoben wird, er ist daher nicht nur bedingt rechtlich, sondern notwendig - nämlich als zweiter Zwang, der ein Aufheben eines ersten Zwanges ist." (
Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts, S. 153)

Ein gewaltsamer Konflikt ist freilich für Politiker wie Bill Clinton immer auch eine Gelegenheit, einen issue zu definieren, d.h. ein Thema für den politischen Prozess zu erfinden. Ein Konfliktthema ist aber dazu notwendig, um die Aufrechterhaltung von Repressionsapparaten rechtfertigen zu können.

"Such a transference of sovereign power, say from king to people, would be easily compatible with Hobbes' conception of sovereignty, and would involve, of course, a similar reduction of the monarch to a status of comparative impotence. But the impotence of Hegel's monarch is not due to such a cause. That power to create law by willing it which Hobbes called sovereignty has not been transferred in Hegel's State to another holder than the monarch: it does not exist in Hegel's State at all." (Foster 1965a:191)

"A State is not for him sovereign in virtue of the expression within it of a will which stands above its laws and creates its constitution, but in virtue of an organic unity." (Foster 1965a:188)

Hegel ist im Recht, wenn er das Verhältnis zwischen den Staaten seiner Zeit als eine rechtsfreie Zone sieht. Die Transaktionskosten für den Austausch zwischen Politiker, Kriminellen und souveränen Staaten sind im Allgemeinen unverhältnismäßig hoch, so dass sehr viel Wert auf Vertragselemente und Gestaltung von Austauschbeziehungen gelegt wird, die sich von selbst durchsetzen (Eggertsson 1990a:71). Das Machtstaatdenken Hegels ist nicht so stark ausgeprägt wie beim Nationalliberalen Weber [1]) und spiegelt damit nur die zeitgemäße politische Haltung des deutschen Bürgertums [2]) wieder, dem es weniger um eine bestimmte Form des des Staates als um einen Staat, d.h. vorrangig um die politische Einheit Deutschlands ging - und um Ruhe und Ordnung.[3]) Wenn es Popper wirklich um Ursachen für Hitler und die Entwicklung des deutschen Militarismus gegangen wäre, so wäre er wohl innerhalb der staatstragenden Schichten des Kaiserreichs und deren Fortsetzung in der Weimarer Zeit schnell fündig geworden. Es ist weder sehr plausibel, dass Hegel für die faschistische oder politische Strategie eine Rolle spielte, noch dass der Marxismus oder die Sozialdemokratie das Erstarken des preußischen Polizeistaates mitverursacht habe. Dass das Bürgertum sich aus Furcht vor der Revolution der Reaktion in die Arme geworfen hat, klingt plausibel, ist wohl aber ein schwaches Argument gegen eine Stärkung der Arbeiterbewegung. Keine Klasse verzichtet wohl auf Durchsetzung ihrer Interessen, nur weil die anderen Klassen sich davor fürchten und irrational handeln könnten.

"Nicht durch Geduld, durch Ungeduld werden die Völker frei." (Börne 1964a:308)

Trotz einiger Fortschritte im Völkerrecht scheint sich ein entscheidender Wandel [4]) in den internationalen Beziehungen bis heute nicht vollzogen zu haben. Erfährt in unseren Tagen durch den Krieg im Kosovo das Völkerrecht [5]) eine neue Gebrauchsdefinition? Habermas (1999a) sieht in einer aktuellen ZEIT-Analyse dafür deutliche Anzeichen vorhanden.

"States offer protection to larger numbers of citizens than kingdoms, baronies, and feudal protectorates could, but the number of lives lost in the process has risen faster than the degree of protection afforded. Although states have learned to restrain major external wars, they seem helpless before internal ethnic violence, which in some ways resembles the old disorders but will not yield to the old solutions.
The new struggles produce internal wars, not over dynasties or boundaries or even markets and resources, but out of the political ambitions of upstarts and rogue communities that are hungry for power. War is not disappearing so much as it is turning inward. Just as international peace seemed almost to arrive, it was shoved aside. Political manipulators, financed by economic fellow-travelers, offer recurrent challenges to the public order. Violence still attracts religious and racial fanatics who reject views larger than their own ambitions, and in so doing lay claim to the sanction of moral absolutes. Even those states that possess the physical capacity to restrain such misadventures still hesitate to challenge the ethical claims that these groups present. For their part, extremists who attack the public order sustain themselves by relying on the myth that to sacrifice human life in their just cause is a moral act. As a result, states that are strong enough to refrain from war now shrink before a more insidious threat to peace, their own moral incapacity to deal with internal claims."
(Montgomery 1999a)

"Den Kommunisten ist ferner vorgeworfen worden, sie wollten das Vaterland, die Nationalität abschaffen. Die Arbeiter haben kein Vaterland. Man kann ihnen nicht nehmen, was sie nicht haben. Indem das Proletariat zunächst sich die politische Herrschaft erobern, sich zur nationalen Klasse erheben, sich selbst als Nation konstituieren muß, ist es selbst noch national, wenn auch keineswegs im Sinne der Bourgeoisie. Die nationalen Absonderungen und Gegensätze der Völker verschwinden mehr und mehr schon mit der Entwicklung der Bourgeoisie, mit der Handelsfreiheit, dem Weltmarkt, der Gleichförmigkeit der industriellen Produktion und der ihr entsprechenden Lebensverhältnisse. Die Herrschaft des Proletariats wird sie noch mehr verschwinden machen. Vereinigte Aktion, wenigstens der zivilisierten Länder, ist eine der ersten Bedingungen seiner Befreiung. In dem Maße, wie die Exploitation des einen Individuums durch das andere aufgehoben wird, wird die Exploitation einer Nation durch die andere aufgehoben. Mit dem Gegensatz der Klassen im Innern der Nation fällt die feindliche Stellung der Nationen gegeneinander." Marx/Engels: Manifest der kommunistischen Partei, S. 71 ff. Digitale Bibliothek Band 11: Marx/Engels, S. 2643 (vgl. MEW Bd. 4, S. 478 ff.)



[1]) vgl. zu "Max Weber und die Machtpolitik" Stammer 1965a:103-156.

[2]) "In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war der Nationalismus ein bürgerlicher Glaube, eng verbunden mit liberalen Zielen der repräsentativen Herrschaft von Gesetz und Toleranz. Der schrillere Nationalismus, dem sich konservative und reaktionäre Kräfte zuwandten, bildete sich erst später heraus." (Stern 1998a)

[3]) "Obwohl mit einigem Recht behauptet werden kann, daß Brandenburg und Sachsen nicht schon repräsentativ für die ganze Republik sind, läßt sich doch kaum leugnen, wie sehr auch hier das Festhalten am Grundmuster des einmal eingeschliffenen Status quo die Verhaltensweisen der Politikkonsumenten prägt. Zwar will das Juste-milieu nicht unbedingt, wie am Ende Weimars, einen Cäsar; doch scheut es jeden politischen Konflikt und liebt in erster Linie "Ordnung" - selbst um den Preis bürgerlicher Freiheiten.
Da dies alles wohl eher den Tugendkanon einer Familie umschreibt, ist daran zu erinnern, daß Demokratie in heutigen Gesellschaften keine Sache des Vertrauens in bestimmte Vaterfiguren, sondern eher institutionalisiertes Mißtrauen gegenüber den Machtträgern sein kann. Ohne deren Kontrolle blühen am Ende nicht Landschaften, sondern Sümpfe der Korruption.
In diesem Punkt behält der jüngst verstorbene Karl Popper recht, wenn er behauptet, daß die Substanz einer demokratischen Regierung sich daran bemißt, ob in ihr die Möglichkeit garantiert ist, Interessenkonflikte offen auszutragen, ob es der politischen Opposition grundsätzlich möglich sei, ihre Alternativprogramme erfolgreich in die Praxis umzusetzen.
Sieht man sich im geeinten Deutschland heute um, so fehlt es an beidem: zentrale Konflikte werden eher moralisiert denn thematisiert, mehrheitsfähige Alternativen gar nicht erst konzipiert, geschweige denn im ständigen Diskurs mit den Wählern rational und argumentativ entwickelt. Es fehlt an einer demokratischen Öffentlichkeit. An deren Stelle tritt der medial erzeugte sekundäre politische Analphabetismus. Er bildet, je länger er währt, die Ursache der nicht bloß im Reich Berlusconis praktizierten Telekratie. In ihr aber amüsiert oder langweilt sich ein Wahlvolk zu Tode, lange nachdem die Perspektive einer offenen Gesellschaft abhanden kam." (Lenk 1994a)

[4]) „If we consider the globe as one human community and attempt to examine the enforcement of the articles of the UDH on the state level, we shall find that most of them are violated by the super powers and even by the United Nations, which declared them as rights of individuals. One can easily cite hundreds of violation examples for each article of the UDH. I invite the reader to read the 30 articles one by one and replace the words: ‘everyone and no one’ in each article by ‘every state and no state’ and see for him- or herself to what extent the UDH is respected when applied to the relations between states in the age of globalization." (Samir 1998a)

[5]) „Die pazifistischen Gegner rufen den moralischen Unterschied zwischen Tun und Lassen in Erinnerung und lenken den Blick auf das Leiden der zivilen Opfer, die eine noch so zielgenaue militärische Gewaltanwendung ‘in Kauf nehmen’ muss. Der Appell richtet sich jedoch dieses Mal nicht an das gute Gewissen hartgesottener Realisten, die die Staatsräson hochhalten. Er richtet sich gegen den legal pacifism einer rot-grünen Regierung. An der Seite der alten Demokratien, die von vernunftrechtlichen Traditionen stärker als wir geformt worden sind, berufen sich die Minister Fischer und Scharping auf die Idee einer menschenrechtlichen Domestizierung des Naturzustandes zwischen den Staaten. Damit steht die Transformation des Völkerrechts in ein Recht der Weltbürger auf der Agenda. Der Rechtspazifismus will den lauernden Kriegszustand zwischen souveränen Staaten nicht nur völkerrechtlich einhegen, sondern in einer durchgehend verrechtlichten kosmopolitischen Ordnung aufheben. Von Kant bis Kelsen gab es diese Tradition auch bei uns. Aber heute wird sie von einer deutschen Regierung zum ersten Mal ernst genommen. Die unmittelbare Mitgliedschaft in einer Assoziation von Weltbürgern würde den Staatsbürger auch gegen die Willkür der eigenen Regierung schützen. Die wichtigste Konsequenz eines durch die Souveränität der Staaten hindurchgreifenden Rechts ist, wie sich im Falle Pinochets schon andeutet, die persönliche Haftung von Funktionären für ihre in Staats- und Kriegsdiensten begangenen Verbrechen. In der Bundesrepublik beherrschen die Gesinnungspazifisten auf der einen, die Rechtspazifisten auf der anderen Seite die öffentliche Auseinandersetzung. Sogar die ‘Realisten’ schlüpfen unter den Mantel der normativen Rhetorik. Die Stellungnahmen pro und con bündeln ja gegensätzliche Motive. Die machtpolitisch Denkenden, die der normativen Zügelung der souveränen Staatsgewalt grundsätzlich mißtrauen, finden sich Arm in Arm mit Pazifisten wieder, während die ‘Atlantiker’ aus schierer Bündnistreue ihren Argwohn gegen den regierungsamtlichen Menschenrechtsenthusiasmus unterdrücken - gegen Leute, die vor kurzem noch gegen die Stationierung der Pershing II auf die Straße gegangen sind. Dregger und Bahr stehen neben Stroebele, Schäuble und Rühe neben Eppler. Kurzum, die Linke an der Regierung und der Vorrang normativer Argumente, beides erklärt nicht nur die eigentümliche Schlachtordnung, sondern den beruhigenden Umstand, dass öffentliche Diskussion und Stimmung in Deutschland nicht anders sind als in anderen westeuropäischen Ländern. Kein Sonderweg, kein Sonderbewußtsein. Eher schon zeichnen sich Bruchlinien ab zwischen Kontinentaleuropäern und Angelsachsen, jedenfalls zwischen denen, die den Generalsekretär der Uno zu ihrer Beratung einladen und eine Verständigung mit Russland suchen, und jenen, die hauptsächlich den eigenen Waffen vertrauen."

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