Hilfsannahmen und modellexogene Annahmen, bei der ökonomischen Modellbildung oft als ungeprüfte Voraussetzungen oder „Dogmen" (Schumpeter 1965a:38) behandelt, werden in der Ökonomie häufig als originäre Erkenntnisquelle missverstanden. Becker (1972a), dem dieser Sprachgebrauch der Ökonomen wenig einleuchtet und noch weniger die marxschen Distinktionen von Wert, Tauschwert und Preis, fällt daher nichts leichter als das Argument, Marxens Ökonomie sei „dogmatisch". Wer Klassiker dogmengeschichtlich betrachtet, wird mit Notwendigkeit in ihnen nur Dogmensammlungen finden. Dem geistig Toten ist Lebendiges nur mumifiziert zugänglich; an der Behandlungsweise des Objekts erweist sich die Eigenschaft des Subjekts. Feuerbach („Principles of the Philosophy of the Future") hingegen war fähig, aus einer content analysis theologischer Texte eine Anthropologie zu entwickeln!
Nun ist Ökonomen vielleicht noch zu verzeihen, dass sie oft nicht wissen, was sie tun, vor allem bei der bei ihnen so beliebten Modellmethode. Berüchtigt geworden geradezu ist Friedmans (1953a) Eiertanz, „F-twist" [1]) genannt (Musgrave 1981a), zwischen empirischer und konventionalistischer Auffassung von ökonomischer Theorie, welcher in dem Ausspruch gipfelte:
„the more significant the theory, the more unrealistic the assumption" (Friedman 1953a:14)
Wir wollen uns hier ersparen, näher ergründen zu suchen, was Friedman damit wohl gemeint haben könnte. Dies haben bereits viele andere mit recht mageren Ergebnissen unternommen (Arni 1989a). Albert (1976a:155f, Anm.98) erblickte hier in der Mehrdeutigkeit von „Annahme" das Kerngebiet der Konfusion. Der Zwist um den Twist wäre dabei noch nicht so peinsam, wenn nicht gerade Friedman als Vorkämpfer und Aushängeschild einer empirisch orientierten Ökonomie gelten würde. Stattdessen möchten wir uns dem Ursprung und dem logischen Charakter der Modellmethode zuwenden (was der Debatte um Friedman schließlich auch zur Grundlage diente).
Diese relativ triviale Einsicht geht im Zuge einer Modelldiskussion allerdings sehr leicht verloren. Essers (1993a) anthropologische Kapitel, voll im Trend des biogenetischen Zeitalters, lesen sich stellenweise wie eine Naturgeschichte des menschlichen Verhaltens oder eine Humanzoologie. Die zuvor von ihm herausgestellte Differenz zwischen Anthropologie und den handlungstheoretischen Annahmen des RC-Ansatzes vergisst er dann aber endgültig, wenn er später von den modell-logisch bewährten Annahmen zurückschließt auf eine empirisch bewährte allgemein-menschliche Natur. Dies ist damit nur ein Beispiel, wie schnell aus zweckmäßigen Modellannahmen unter der Hand ontologische Behauptungen werden und aus einem erst instrumentell gehandhabten Rationalismus ein faustdicker Empirismus, besser: Positivismus. Denn aus sprachlich oder logisch zweckmäßigen Festlegungen werden urplötzlich ontologische Schlussfolgerungen gezogen. Anders herum, wie es schon Albert (1954a) gefordert hat, wäre es aber korrekt: Man muss Anthropologie zur Kritik modelltheoretischer Menschenbilder einsetzen. Eine derartige Ontologisierung wird meist durch die stillschweigende Annahme der Diskutanten unterstützt, das betreffende Modell sei das einzige, welches ein bestimmtes Gebiet der Realität mathematisch wiederzugeben in der Lage sei (Altschul, Biser 1948a).
[1]) "Truly important and significant hypotheses will be found to have assumptions that are wildly inaccurate descriptive representations of reality, and, in general, the more significant the theory, the more unrealistic the assumptions (in this sense)." (Friedman 1953a:20) "The inverse relationship between significance of a theory and the realism of its assumptions" bilden nach Nurmi (144) "the core of the F-twist". Die gesamte Debatte litt sehr darunter, dass von Anfang an äußerst unklar war, was unter "significant" und "realistic" zu verstehen sei. So könnte "unrealistisch" etwa heißen: a) eine unvollständige Beschreibung, b) empirisch falsche Annahmen, c) kontrafaktische Bedingungssätze, d) Idealisierungen irgendeiner Art. Der Neckname stammt von Samuelson (1963a:232).
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