Dies ist der gebündelte Versuch einer Replik auf: Karl R. Popper, Das Elend des Historizismus, was eine Replik darstellte auf: Karl Marx, Das Elend der Philosophie, was eine Replik darstellte auf: Proudhon, Die Philosophie des Elends

22.10.2005

Ökonomie: eine Geschichte von Dogmen

Hilfsannahmen und modellexogene Annahmen, bei der ökonomischen Modellbildung oft als un­ge­prüfte Voraussetzungen oder „Dogmen" (Schumpeter 1965a:38) behandelt, werden in der Öko­no­mie häufig als originäre Erkenntnisquelle missverstanden. Becker (1972a), dem dieser Sprach­ge­brauch der Ökonomen wenig einleuchtet und noch weniger die marxschen Distink­ti­o­nen von Wert, Tauschwert und Preis, fällt daher nichts leichter als das Argument, Marxens Öko­nomie sei „dogmatisch". Wer Klassiker dogmengeschichtlich betrachtet, wird mit Not­wen­dig­keit in ihnen nur Dogmensammlungen finden. Dem geistig Toten ist Lebendiges nur mu­mi­fi­ziert zugänglich; an der Behandlungsweise des Objekts erweist sich die Eigenschaft des Sub­jekts. Feuerbach („Principles of the Philosophy of the Future") hingegen war fähig, aus ei­ner content analysis theologischer Texte eine Anthropologie zu entwickeln!

Nun ist Ökonomen vielleicht noch zu verzeihen, dass sie oft nicht wissen, was sie tun, vor al­lem bei der bei ihnen so beliebten Modellmethode. Berüchtigt geworden geradezu ist Fried­mans (1953a) Eiertanz, „F-twist" [1]) genannt (Musgrave 1981a), zwischen empirischer und kon­ven­tionalistischer Auffassung von ökonomischer Theorie, welcher in dem Ausspruch gipfelte:

„the more significant the theory, the more unrealistic the assumption" (Friedman 1953a:14)

Wir wollen uns hier ersparen, näher ergründen zu suchen, was Friedman damit wohl gemeint haben könnte. Dies haben bereits viele andere mit recht mageren Ergebnissen unternommen (Arni 1989a). Albert (1976a:155f, Anm.98) erblickte hier in der Mehrdeutigkeit von „Annahme" das Kerngebiet der Kon­fu­sion. Der Zwist um den Twist wäre dabei noch nicht so peinsam, wenn nicht gerade Fried­man als Vorkämp­fer und Aushängeschild einer empirisch orientierten Ökonomie gelten würde. Stattdessen möchten wir uns dem Ursprung und dem logischen Cha­rakter der Modell­me­thode zuwenden (was der De­batte um Friedman schließlich auch zur Grund­lage diente).

Diese relativ triviale Einsicht geht im Zuge einer Modelldiskussion allerdings sehr leicht ver­lo­ren. Essers (1993a) anthropologische Kapitel, voll im Trend des biogenetischen Zeitalters, le­sen sich stellenweise wie eine Naturgeschichte des menschlichen Verhaltens oder eine Hu­man­zoologie. Die zuvor von ihm herausgestellte Differenz zwischen Anthropologie und den hand­lungstheoretischen Annahmen des RC-Ansatzes vergisst er dann aber endgültig, wenn er spä­ter von den modell-lo­gisch bewährten Annahmen zurückschließt auf eine empirisch be­währ­te all­ge­mein-menschliche Natur. Dies ist damit nur ein Beispiel, wie schnell aus zweck­mä­ßigen Mo­dellannahmen unter der Hand ontologische Behauptungen werden und aus einem erst instru­men­tell gehandhabten Ratio­nalismus ein faustdicker Empirismus, besser: Po­si­ti­vis­mus. Denn aus sprachlich oder logisch zweckmäßigen Festlegungen werden urplötzlich on­to­lo­gische Schluss­folgerungen gezogen. Anders herum, wie es schon Albert (1954a) gefordert hat, wäre es aber korrekt: Man muss Anthropologie zur Kritik modelltheoretischer Men­schen­bil­der einset­zen. Eine derartige Ontologisierung wird meist durch die stillschweigende An­nah­me der Disku­tanten unterstützt, das betreffende Modell sei das einzige, welches ein be­stimm­tes Gebiet der Re­alität mathematisch wiederzugeben in der Lage sei (Altschul, Biser 1948a).



[1]) "Truly important and significant hypotheses will be found to have assumptions that are wild­ly inaccurate descriptive representations of reality, and, in general, the more significant the the­ory, the more unrealistic the assumptions (in this sen­se)." (Friedman 1953a:20) "The inverse re­lati­onship between significance of a theory and the realism of its assumptions" bilden nach Nurmi (144) "the core of the F-twist". Die gesamte Debatte litt sehr darunter, dass von Anfang an äußerst un­klar war, was unter "significant" und "realistic" zu verstehen sei. So könnte "unrealistisch" etwa heißen: a) eine unvoll­stän­di­ge Beschreibung, b) empirisch falsche Annahmen, c) kontrafaktische Bedin­gungs­sätze, d) Idealisierungen irgendeiner Art. Der Neckname stammt von Samuelson (1963a:232).

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