Dies ist der gebündelte Versuch einer Replik auf: Karl R. Popper, Das Elend des Historizismus, was eine Replik darstellte auf: Karl Marx, Das Elend der Philosophie, was eine Replik darstellte auf: Proudhon, Die Philosophie des Elends

22.10.2005

Der souveräne Konsument

Die Frei­heit unse­rer Wirtschaftsordnung ist für Popper - das nimmt er unbe­sehen unse­ren Ökonomen ab, - in der Kon­su­menten­souve­ränität ver­an­kert. Letzte­re jedoch ist nichts weniger als eine empirisch festgestell­te Tatsache, vielmehr ein kontra­fak­ti­sches Po­stu­lat neoklassi­schen Modelldenkens (Kötter 1970a). Dieses Uten­sil aus der ökonomischen Dogmen­sammlung kann man so formulieren:

„.. wo immer freier Tausch stattfindet und herrscht, lenken die Wünsche der Kon­sumenten die Preise so gut wie die Zuteilung der Produktionsmittel, damit die­sen Wünschen auf die bestmögliche Weise entsprochen werde."

(Dobb 1973a:27)

Der Bedarf des Konsumenten ist ein modellexogenes Datum der Gleichge­wichts­öko­nomie (Al­bert 1954a:38), die daraus die Rationalität des Allokationssystems nach­zuweisen sucht, was aber auf­grund irreparabler Paradoxien schon rein logisch als misslungen gelten muss (39). Wie es aber mit der logi­schen oder realen Ver­wirk­lichung dieses Postulats aussieht, danach fragt Popper nicht. Das normative Postulat wird von ihm unbesehen für eine zutreffende empirische Beschreibung ge­­nommen. Es wird die interpersonelle Vergleichbarkeit des Nutzens [1]) un­ter­stellt. Zudem wäre es verfehlt zu denken,

„der Konsument bringe dadurch, dass er bestimmte Preise für bestimmte Gü­ter tat­sächlich zahlt, irgendeinen Willen bezüglich der richtigen zukünftigen Pro­dukti­on eindeutig zum Aus­druck, oder auch nur, er billige durch seine Kauf­akte die tat­säch­liche Verteilung der Produkti­ons­kräfte. (...) Der in der Souver­ä­ni­täts­theorie auf­tre­tenden Wille der Gesamtheit der Kon­su­men­ten ist dagegen eine ökonomi­sche Konstruktion, die der gleichen Kritik verfallen muss und aus den gleichen Grün­den wie der ‘volonté générale’ des Genfer Staatstheoretikers." (Albert 1954a: 115f)

de facto sind sowohl die Bedürfnisse wie der Bedarf der Verbraucher alles andere als gesell­schaft­lich un­abhängige Faktoren. Die Bedürfnisse werden durch Werbung manipuliert, der Be­darf hängt von der Einkommens- und Vermögensverteilung ab. Schließlich kommt es auch auf die rechtliche Organisation [2]) und die gesell­schaft­­­li­che Machtverteilung der beteiligten Interes­sen­gruppen an. Sich einer solch "arbeitnehmerfreundlichen" Wirtschaftspolitik [3]) entgegenzustellen, ließ ei­nen Fi­nanz­minister (Lafontaine 1999a) zum Aussteiger des Jahres werden.

Bei der reinen ökonomische Theorie handelt es sich wesentlich um Ideologie (Myr­dal 1932a) in der Darstellungsform der Mathematik. Wie schon Platon vorführ­te, kann man gerade mit Zah­len herrliche Mystik treiben.[4]) In seinem Aufsatz „Die Problematik der ökonomischen Perspektive" [5]) hat Albert diese mo­der­ne Form von Scholastizismus bzw. Rechtgläubigkeit kritisiert. An anderer Stelle charakterisiert er diese Art „ökonomischen Denkens", das sich in der Neoklassik zur vollen Blüte entwickelt ha­be, wie folgt:

„Dieses Denken und die damit verbundene ökonomische Perspektive wird im Allgemeinen durch gründliches Studium so gut ‘gelernt’, dass es später gegen je­de Kritik immun bleibt, unberührt z. B. auch von den Resultaten der Diskus­si­on um das Wohlfahrtsproblem und ähnlicher Debatten. Auch wenn man die Stich­haltig­keit einzelner Einwendungen durchaus zuzugeben bereit ist, ist man doch vielfach nicht in der Lage, diesen Einwendungen dann später, z.B. in der ord­nungspo­li­ti­schen oder überhaupt der wirtschaftspolitischen Diskussion, Rech­nung zu tragen." (Albert 1976a:63, Anm.7)

Vergleichbare Kritik richtete sich gegen Pareto [6]) als einflussreichen Wortführer des wirt­schafts­ma­the­ma­ti­schen main stream [7]). Die Diagnose muss bei den Ökono­men der neo­klas­si­schen „Theorie" daher auf einer gelernten Unfähigkeit zu lernen erkennen. Selbst ein erst­ran­gi­ger Ver­tre­ter des Fachs wie Schumpeter war, wie Albert belegt, von dement­sprechenden fach­spezifischen Scheuklappen nie völlig frei.

Wer diese Einschät­zung der Volks­wirt­schaftslehre für stark übertrieben häl­t, der möchte bitte überprüfen, 1. wel­che po­litischen Emp­fehlungen heu­­te von unseren ökonomischen „Weisen" ge­geben werden, und 2. auf welcher wissen­schaft­lichen Basis derlei Empfehlungen beruhen. Letztlich ist es immer die Po­litik, die sich ihre Sachverständigen auswählt.[8]) Wer solches Vorgehen als eine Ei­gen­tüm­lich­keit der rotgrünen Re­gie­rungskoalition betrachtet, sollte sich an die kaum zu­rück­lie­gen­de Kritik des Ex-Finanzministers Wai­gel am DIW erinnern sowie der damit ver­bun­denen For­de­rung, dem ge­nannten Institut den staat­lichen Zuschuss zu streichen.



[1]) "Utility maximization, which lies at the heart of neoclassical economics, is a psychological the­ory of behavi­or. It states that human behavior can be explained as an attempt to achieve a certain goal, whether it be happiness (in the Benthamite account) or satisfaction of preferences (from the ordinal utility perspective). The ordinal/revealed pre­ference approach does not divorce economics from psychology, but builds econo­mics up from a hollow founda­ti­on. The issue is not whether eco­nomics will be based on psychology or not, but whether it will be grounded in good psychology or bad psychology." (Loewenstein 1999a:335) siehe dazu Majumdar (1958a).

[2]) "Nicht das Kaufrecht des einzelnen wird geschützt, sondern das Recht des Ver­käu­fers, den einzelnen zu manipulieren." (Galbraith 1968a:208)

[3]) „Staatliche Wirtschaftspolitik, die auf eine Stützung der Konsumnachfrage setzt, ist ein­äu­gig, bleibt letztlich kurzatmig und kann nicht erfolgreich sein. Die zweite Kom­ponente der Nach­frage - unternehmerische Investitionen - müs­sen minde­s­tens ebenso sehr gestärkt werden. das ist keine Politik zugunsten der Unterneh­mer, sondern eine Politik zur Schaffung von Arbeitsplätzen und der Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft." (IHK Trier, Ge­schäfts­bericht 1998:7)

[4]) „Man betont bisweilen, reine Theorie sei ‘zeitlos’. Das ist natürlich nicht falsch, aber es hat ebensoviel Sinn über die Beziehungen von Definitionen als zeitlos zu sprechen, als es Sinn hat, über die Multiplikationstafel als zeitlos zu spre­chen." (Hutchison 1964a:283, Anm.37)

[5]) enthalten in „Marktsoziologie und Entscheidungslogik"

[6]) "Pareto z. B., einer der Wortführer dieser mathematischen Richtung ist im Bereich der Preis­lehre durchaus exakt und voll mathematischen Geistes, wenn er aber von den Krisen spricht, wird er poetisch, Wellenberg und Wel­len­tal kennzeichnen den Rhyth­mus des Wirtschaftslebens." (Neurath 1931a:122)

[7]) (Mott, Roper)

[8]) So meldete der „Trierische Volksfreund" am 02.02.1999: „Franz weicht Kromp­hardt. Umstrittener Weiser muss seinen Stuhl räumen BONN. Der Rat der 'Fünf Weisen' erhält trotz aller So­lida­ritäts-Bekundungen für den Mannheimer Arbeits­marktexperten Wolfgang Franz (55) auf Ge­werk­schaftswunsch ein neues Mitglied. Der Volkswirtschaftsprofessor Jürgen Kromphardt (65) von der Techni­schen Universität in Berlin tritt zum 1. März an die Stelle von Franz, der nach fünf Jahren aus dem Sachver­stän­digenrat zur Begutachtung der gesamtwirt­schaft­li­chen Entwicklung aus­scheidet. Der Wechsel wurde am Mon­tag vom Finanzministerium und vom DGB bestätigt. Franz war dem Vernehmen nach bei den Gewerk­schaf­ten in Ungnade gefallen, weil er nicht ein­deu­tig genug einen nachfrageorientierten Kurs im Rat gefahren habe." (13)

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