Die Freiheit unserer Wirtschaftsordnung ist für Popper - das nimmt er unbesehen unseren Ökonomen ab, - in der Konsumentensouveränität verankert. Letztere jedoch ist nichts weniger als eine empirisch festgestellte Tatsache, vielmehr ein kontrafaktisches Postulat neoklassischen Modelldenkens (Kötter 1970a). Dieses Utensil aus der ökonomischen Dogmensammlung kann man so formulieren:
„.. wo immer freier Tausch stattfindet und herrscht, lenken die Wünsche der Konsumenten die Preise so gut wie die Zuteilung der Produktionsmittel, damit diesen Wünschen auf die bestmögliche Weise entsprochen werde."
(Dobb 1973a:27)
Der Bedarf des Konsumenten ist ein modellexogenes Datum der Gleichgewichtsökonomie (Albert 1954a:38), die daraus die Rationalität des Allokationssystems nachzuweisen sucht, was aber aufgrund irreparabler Paradoxien schon rein logisch als misslungen gelten muss (39). Wie es aber mit der logischen oder realen Verwirklichung dieses Postulats aussieht, danach fragt Popper nicht. Das normative Postulat wird von ihm unbesehen für eine zutreffende empirische Beschreibung genommen. Es wird die interpersonelle Vergleichbarkeit des Nutzens [1]) unterstellt. Zudem wäre es verfehlt zu denken,
„der Konsument bringe dadurch, dass er bestimmte Preise für bestimmte Güter tatsächlich zahlt, irgendeinen Willen bezüglich der richtigen zukünftigen Produktion eindeutig zum Ausdruck, oder auch nur, er billige durch seine Kaufakte die tatsächliche Verteilung der Produktionskräfte. (...) Der in der Souveränitätstheorie auftretenden Wille der Gesamtheit der Konsumenten ist dagegen eine ökonomische Konstruktion, die der gleichen Kritik verfallen muss und aus den gleichen Gründen wie der ‘volonté générale’ des Genfer Staatstheoretikers." (Albert 1954a: 115f)
de facto sind sowohl die Bedürfnisse wie der Bedarf der Verbraucher alles andere als gesellschaftlich unabhängige Faktoren. Die Bedürfnisse werden durch Werbung manipuliert, der Bedarf hängt von der Einkommens- und Vermögensverteilung ab. Schließlich kommt es auch auf die rechtliche Organisation [2]) und die gesellschaftliche Machtverteilung der beteiligten Interessengruppen an. Sich einer solch "arbeitnehmerfreundlichen" Wirtschaftspolitik [3]) entgegenzustellen, ließ einen Finanzminister (Lafontaine 1999a) zum Aussteiger des Jahres werden.
Bei der reinen ökonomische Theorie handelt es sich wesentlich um Ideologie (Myrdal 1932a) in der Darstellungsform der Mathematik. Wie schon Platon vorführte, kann man gerade mit Zahlen herrliche Mystik treiben.[4]) In seinem Aufsatz „Die Problematik der ökonomischen Perspektive" [5]) hat Albert diese moderne Form von Scholastizismus bzw. Rechtgläubigkeit kritisiert. An anderer Stelle charakterisiert er diese Art „ökonomischen Denkens", das sich in der Neoklassik zur vollen Blüte entwickelt habe, wie folgt:
„Dieses Denken und die damit verbundene ökonomische Perspektive wird im Allgemeinen durch gründliches Studium so gut ‘gelernt’, dass es später gegen jede Kritik immun bleibt, unberührt z. B. auch von den Resultaten der Diskussion um das Wohlfahrtsproblem und ähnlicher Debatten. Auch wenn man die Stichhaltigkeit einzelner Einwendungen durchaus zuzugeben bereit ist, ist man doch vielfach nicht in der Lage, diesen Einwendungen dann später, z.B. in der ordnungspolitischen oder überhaupt der wirtschaftspolitischen Diskussion, Rechnung zu tragen." (Albert 1976a:63, Anm.7)
Vergleichbare Kritik richtete sich gegen Pareto [6]) als einflussreichen Wortführer des wirtschaftsmathematischen main stream [7]). Die Diagnose muss bei den Ökonomen der neoklassischen „Theorie" daher auf einer gelernten Unfähigkeit zu lernen erkennen. Selbst ein erstrangiger Vertreter des Fachs wie Schumpeter war, wie Albert belegt, von dementsprechenden fachspezifischen Scheuklappen nie völlig frei.
Wer diese Einschätzung der Volkswirtschaftslehre für stark übertrieben hält, der möchte bitte überprüfen, 1. welche politischen Empfehlungen heute von unseren ökonomischen „Weisen" gegeben werden, und 2. auf welcher wissenschaftlichen Basis derlei Empfehlungen beruhen. Letztlich ist es immer die Politik, die sich ihre Sachverständigen auswählt.[8]) Wer solches Vorgehen als eine Eigentümlichkeit der rotgrünen Regierungskoalition betrachtet, sollte sich an die kaum zurückliegende Kritik des Ex-Finanzministers Waigel am DIW erinnern sowie der damit verbundenen Forderung, dem genannten Institut den staatlichen Zuschuss zu streichen.
[1]) "Utility maximization, which lies at the heart of neoclassical economics, is a psychological theory of behavior. It states that human behavior can be explained as an attempt to achieve a certain goal, whether it be happiness (in the Benthamite account) or satisfaction of preferences (from the ordinal utility perspective). The ordinal/revealed preference approach does not divorce economics from psychology, but builds economics up from a hollow foundation. The issue is not whether economics will be based on psychology or not, but whether it will be grounded in good psychology or bad psychology." (Loewenstein 1999a:335) siehe dazu Majumdar (1958a).
[2]) "Nicht das Kaufrecht des einzelnen wird geschützt, sondern das Recht des Verkäufers, den einzelnen zu manipulieren." (Galbraith 1968a:208)
[3]) „Staatliche Wirtschaftspolitik, die auf eine Stützung der Konsumnachfrage setzt, ist einäugig, bleibt letztlich kurzatmig und kann nicht erfolgreich sein. Die zweite Komponente der Nachfrage - unternehmerische Investitionen - müssen mindestens ebenso sehr gestärkt werden. das ist keine Politik zugunsten der Unternehmer, sondern eine Politik zur Schaffung von Arbeitsplätzen und der Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft." (IHK Trier, Geschäftsbericht 1998:7)
[4]) „Man betont bisweilen, reine Theorie sei ‘zeitlos’. Das ist natürlich nicht falsch, aber es hat ebensoviel Sinn über die Beziehungen von Definitionen als zeitlos zu sprechen, als es Sinn hat, über die Multiplikationstafel als zeitlos zu sprechen." (Hutchison 1964a:283, Anm.37)
[5]) enthalten in „Marktsoziologie und Entscheidungslogik"
[6]) "Pareto z. B., einer der Wortführer dieser mathematischen Richtung ist im Bereich der Preislehre durchaus exakt und voll mathematischen Geistes, wenn er aber von den Krisen spricht, wird er poetisch, Wellenberg und Wellental kennzeichnen den Rhythmus des Wirtschaftslebens." (Neurath 1931a:122)
[7]) (Mott, Roper)
[8]) So meldete der „Trierische Volksfreund" am 02.02.1999: „Franz weicht Kromphardt. Umstrittener Weiser muss seinen Stuhl räumen BONN. Der Rat der 'Fünf Weisen' erhält trotz aller Solidaritäts-Bekundungen für den Mannheimer Arbeitsmarktexperten Wolfgang Franz (55) auf Gewerkschaftswunsch ein neues Mitglied. Der Volkswirtschaftsprofessor Jürgen Kromphardt (65) von der Technischen Universität in Berlin tritt zum 1. März an die Stelle von Franz, der nach fünf Jahren aus dem Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung ausscheidet. Der Wechsel wurde am Montag vom Finanzministerium und vom DGB bestätigt. Franz war dem Vernehmen nach bei den Gewerkschaften in Ungnade gefallen, weil er nicht eindeutig genug einen nachfrageorientierten Kurs im Rat gefahren habe." (13)
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