Popper nun hat des öfteren eine Vorliebe bewährt für Slogans [1]) und reißerische Titel, die gemessen an dem realen argumentativen Gehalt der betreffenden Schrift letztlich enttäuschen müssen. Hier übersah er auch, dass der Vorwurf des „Orakelns“ sich in Widerspruch befindet zum Vorwurf des Popperizismus. Ist es doch das Wesen eines Orakels, eher uninformative Aussagen über die Zukunft zu machen, während der Historizist nur zu genaue Prognosen trifft, die jedoch wissenschaftlich unbegründbar sind.[2])
Im Übrigen sammelt Popper aus der deutschen politischen und philosophischen Tradition überkommene Vorurteile, Mythen und Legenden wie weiland die Brüder Grimm oder Hauff Sagen und Märchen, vor allem, was Preußen [3]) und den deutschen Idealismus angeht. Nur werden diese hier anders als bei besagten Romantikern uns sogleich als die neueste sozialphilosophische Kritik aufgetischt. Wie erklärt Popper denn sonst die philosophischen Irrtümer Platons, Hegels, Marxens, die er selbst auf solch lächerlichen Karikaturen reduziert hat (Spinner 1978a:26f)? Wenn man ihn so liest, kann sich der seriöse, an Philosophie interessierte Leser nicht mehr plausibel erklären, wie solche Denker in derartige Irrtümer haben verfallen können - für jeden unvoreingenommenen Leser ein Indiz, dass etwas mit der Rekonstruktion nicht stimmen kann. Kein Mann der Wissenschaft ist so dumm und lächerlich, wie ihn seine Gegner gerne hinstellen. Ein Amok laufender Overkiller ist aber stets gezwungen, alles, Freund und Feind, über den Haufen zu rennen und dabei auch immer wieder einmal das Kind mit dem Bade auszuschütten. Ein rhetorischer knock-out ist der schale Sieg, den man nicht der Position mit den besseren Argumenten, sondern der eigenen Beredsamkeit bzw. der Ermüdungsfähigkeit des Lesers schließlich zu danken hat.
Worin bestehen denn Poppers „important and influential interventions in the theory of interpretation of texts” (Jarvie, Shearmur 1996a:445)? Das deklarierte objektive [4]) Methodenverständnis lässt Popper nicht selten bei seinen hermeneutischen Unternehmungen ziemlich in Stich. Falls von Innovationen zu gesprochen werden kann, so muss man diese meist eher als einen Schlag ins Gesicht einer pünktlichen Textanalyse empfinden.
Eine vorbildliche Rekonstruktion von Philosophien würde voraussetzen, dass der Leser die eigentümlichen Problemstellungen erfasst, womit diese jeweils starten (Windelband 1976a:526ff). Als eine gelungene Einführung in das Werk von Platon, Aristoteles, Hegel oder Marx sind Poppers Schriften kaum zu gebrauchen. Denn wir lernen durch seine Polemiken nur einen selbstfabrizierten Popperplaton, Popperaristoteles, Popperhegel und Poppermarx kennen. Popper erscheint hier „trapped by familiar frameworks“ (Wettersten 1992a:201), die bei ihm auf Neopositivismus und Kantianismus hinauslaufen - philosophische Perspektiven, die sicherlich ihre eigenen Meriten besitzen, wohl aber nicht sehr hilfreich für Poppers Hegel- und Marxinterpretation waren.
Poppers mixture von Philosophie, Geschichte und Politik bietet weder das eine noch das andere, sondern von alledem weniger, als wenn er nur eines von den dreien angeboten hätte. Hätte doch Popper nur diese seine Empfehlung in seinen sozialphilosophischen Schriften auch selber beherzigt:
“All criticisms are valuable, though some are more valuable than others. The most valuable kind of criticism is one that takes a theory, formulates it as clearly and sharply as possible, putting it in its best possible shape, as it were, and which then proceeds to show that, nevertheless, there is something wrong with it. The least valuable kind of criticism is one that misunderstands or misinterprets a theory, and shows that there is something wrong with the theory when thus misunderstood or misinterpreted. It is my firm belief that usually even this kind of criticism has some intellectual value: it may teach us where our approach is open to misunderstandings and misinterpretation; where we might have chosen a better formulation; and perhaps more important, where the general approach of our critic differs from ours in such a way that, to resolve the misunderstandings or misinterpretations, we have to discuss our problems on a deeper level.” (Popper 1968a:88)
Demzufolge liegt also der Hauptwert der Popperschen Sozialphilosophie darin, dass sie in exzellenter Manier demonstriert, auf welch fundamentale Weise man die besprochenen Autoren missverstehen kann. Geschichte ist immer selbstfabriziert und beginnt stets bewusst oder unbewusst in der Gegenwart des Historikers. Dennoch ist Objektivität möglich. Um eine solche scheint jedoch Popper hier, so sehr er sonst wo davon redet, nicht allzu sehr bemüht zu sein, sei es, weil er sie bei diesem Gegenstand entweder nicht für möglich, nötig oder wünschenswert hielt, sei es, weil er einfach zu wenig Distanz zum gewählten Thema mitbrachte.[5])
“... there is one pernicious prejudice to be carefully avoided: the idea that since we are right we should win the debate at all cost.” (Agassi 1993a:227)
[1]) "Die Kunst des Kritikers in nuce: Schlagworte prägen, ohne die Ideen zu verraten. Schlagworte einer unzulänglichen Kritik verschachern den Gedanken an die Mode." (Benjamin 1955a:52)
[2]) Die modernen Orakel des Globalismus sind die Börsen in New York, London und Tokyo.
[3]) "Es unterliegt ebenfalls keinem Zweifel (obwohl manche Deutsche das irgendwie noch nicht begriffen haben), dass der Austausch Bonn/Berlin im Grunde eine kolossale psychologische Reorientierung für einen wesentlichen Teil der deutschen Gesellschaft bedeutet. Es ist keine Frage der Tradition, sondern der Geographie. Was die Tradition angeht, so darf man heute wohl die Ansicht wagen, dass der Geist Preußens in gemeinsamer Anstrengung von Hitlerfaschisten und Kommunisten zu Grabe getragen worden ist." (Szczypiorski 1998a)
[4]) „Die sogenannte Objektivität der Wissenschaft besteht in der Objektivität der kritischen Methode; das heißt aber vor allem darin, dass keine Theorie von der Kritik befreit ist, und auch darin, dass die logischen Hilfsmittel der Kritik. die Kategorie des logischen Widerspruchs - objektiv sind." (Popper 1969b:106)
[5]) „Man sieht mit Erstaunen, dass eine Philosophie, die so viel Aufhebens von ‘Rationalität’ und ‘Objektivität’ macht, so entsetzlich wenig von beidem besitzt." (Feyerabend 1976a:297)
1 Kommentar:
Genau dieser Diskussionsstil aber, so er auch in eklatantem Widerspruch steht zu Fallibilismus und Pluralismus (d.h. zum Lernen aus denselben Alternativen, die jeder Diskussionsgegner mit Entzücken gratis frei Haus liefert), entsprach so recht Poppers persönlichem Naturell und wurde leider als erste hervorstechende Eigentümlichkeit Poppers von den „Neokriras“ in Form einer Abgrenzungsphilosophie und politischen Rundumschlag-Technik nachgeeifert (Spinner 1978a:37ff). Die Fehler Poppers werden hier, wie das Popper bei den von i abgehandelten Philosophen implizit selbst getan hat, durch das Vergrößerungsglas der Sünden seiner Anhänger gesehen. Ich nehme hierbei in Kauf, Popper mitunter recht grob heranzunehmen, vielleicht sogar unverdient herabzusetzen. Es sollte jedoch klargestellt sein, dass es im vorliegenden Text nicht um die historisch gerechte Würdigung der Person oder Leistung Poppers geht oder um eine philologische Absicht einer pünktlichen Textinterpretation.
Der Name „Popper“ (Gleiches gilt selbstverständlich auch für „Hegel“ oder „Marx“) gilt im Folgenden nicht als Individual-, sondern als ein Universalbegriff, nämlich mindestens in zweierlei Weise: 1. eine Galionsfigur des Vulgärpopperianismus; 2. das, was an Poppers Philosophie wahr bzw. im hegelschen Sinne absolute Philosophie ist. Der Unterschied zwischen beidem dürfte analytisch recht deutlich sein. Mit Popper zu reden: Eine Theorie (wie die poppersche Philosophie) ist ein Welt-3-Objekt; und Popper (als menschliches Individuum) ist ein Subjekt. Außerdem: Nicht immer haben die Erfinder und Konstrukteure einer Idee diese selbst am besten und sofort völlig verstanden. Schon von daher verbietet es sich, die einen für das andere persönlich haftbar zu halten.
Kommentar veröffentlichen