Dies ist der gebündelte Versuch einer Replik auf: Karl R. Popper, Das Elend des Historizismus, was eine Replik darstellte auf: Karl Marx, Das Elend der Philosophie, was eine Replik darstellte auf: Proudhon, Die Philosophie des Elends

22.10.2005

Wortklauberei mit Prioritätsanspruch

„Of course I may have overlooked some earlier writer, and nothing could be less important than to claim priority for introducing a name of a problem." (Pop­per 1973a:93)

Wer Definieren für willkürlich und Wortklauberei hält, dem kann es auch völlig gleichgültig sein, wer welche Wörter zum ersten Male gebraucht hat. In eigenartigem Kontrast dazu sticht Poppers Präokkupation mit Prioritätsansprüchen bei der Einführung von Neologismen hervor (Agassi 1993a:102). In den Fußstapfen ihres Meisters traben Jarvie u. Shearmur (1996a: 447). Sie sprechen von „central notions of essentialism and poppericism, both labels original to Pop­per."

Alle deutschsprachigen Texte bestehen aus lediglich unterschiedlichen Kombinationen ein­und­der­sel­ben 26 Buchstaben des Alphabets. Ein Computer kennt im Grunde sogar nur die binä­re Lo­gik aus 0 und 1 und kann damit doch alles ausdrücken, was menschliche Sprache zu sagen ver­mag. Es wird also bei Prioritätszankerei kaum darum gehen, ob jemand dieselben Buchsta­ben oder dasselbe Wort zum ersten mal verwendet hat (vielleicht war es ein Computer?!). Es geht nicht um ein Patent auf Buch­sta­ben­kombinationen [1]), sondern um die Schöpfung eines neu­en Be­griffs, einer neuen Idee oder eines Theo­rie­entwurfs. Wer aber eine Idee patentieren möch­te, muss sie erst dingfest machen! Da für Popper eine absolut präzise Sprache nicht exi­stiert, dass er auch Bedenken trägt gegen eine relative Genauigkeit, dürfte sich ihm gerade das aber äußerst schwie­rig gestalten (seine Nachschwätzer mit ihm). Popper hätte vermutlich auf dem Patentamt für Philo­so­phen mit der Anmeldung von „Essentialismus" genauso sehr ein Prob­lem wie Hegel mit „Dialektik", alldieweil man gemeinhin nur Antworten und nicht Fragen patentiert.

Laut Merton ist aber Poppers Wortprioritätsklauberei notwendig, insofern Popper Wissen­schaft­ler. Ein Wissenschaftler ist nämlich Wortklauber qua Profession, ein Philosoph sowieso.

„But the great frequency of struggles over priority does not result merely from these traits of individual scientists but from the institution of science, which de­fi­nes originality as a supreme value and thereby makes recognition of one’s ori­gi­nality a major concern. When this recognition of priority is either not gran­ted or fades from view, the scientist loses his scientific property. Although this kind of property shares with other types general recognition of the ‘owner’s’ rights, it con­trasts sharply in all other respects. Once he has made his contri­bu­tion, the sci­entist no longer has exclusive rights of access to it. It becomes part of the pu­blic domain of science. Nor has he the right of regulating its use by others by withhol­ding it unless it is acknowledged as his. In short, property rights in sci­en­ce become whittled down to just one: the recognition by others of the scien­tist’s distinctive part in having brought the result into being." (Merton 1973a: 294)

Das Statussystem Wissenschaft wird nämlich durch ein Belohnungssystem reguliert, welches auf anerkannter Priorität gründet.[2]) Jedes Belohnungssystem enthält wie jedes Steuerungs- oder Sicherheitssy­stem seine eigenen besonderen Möglich­keiten, es zu missbrauchen oder zu unter­laufen.

„This would not be the first time that public rewards, either in the market of mo­ney or the market of prestige, have resulted in a multitude of imitations, in which the outer appearance is substituted for the genuine article. This danger, ..., is inherent in every reward system." (Merton 1973a:433)

Jedes Belohnungssystem muss Leistung messen.[3]) Damit sind aber Messkosten verbunden so­wie Gelegenheiten für moral hazard und adverse selection (Eggertsson 1990a:44).

Wie Marx schon sagte, der Mensch ist seine sozialen Verhältnisse. Und gegen seine Natur kann auch ein Pop­per nicht an. Uns kann es hier sehr gleichgültig sein, ob Popper wirklich zum ersten Male be­stimm­te Wörter benutzt hat. Wichtiger als Wörter sind in jedem Fall Begriffe. Wenn aber Pop­per Pri­orität für die Einführung bestimmter Begriffe beanspruchen wollte, so wäre es sach­dienlicher ge­wesen, er hätte diese Begriffe eben selbst befriedigend expliziert. Wo­her soll je­mand wissen, ob er diesen Begriff überhaupt gehabt hat?!

„Wenn aber einer behauptet, jemals von mir etwas gelernt oder gehört zu ha­ben insbesondere, was nicht auch alle anderen gelernt oder gehört haben, so wisst, dass er nicht die Wahrheit redet." (Platon, Des Sokrates Verteidigung:23


[1]) Man soll sich ja vor Sarkasmen hüten, bekanntlich werden sie dann wahr: Aber an die Mög­lich­keit, neugebildete Wörter zu patentieren und zu verkaufen, haben die Vorkämpfer einer "mar­ket-model university" vielleicht bisher noch nicht gedacht (Warde 2001a).

[2]) "An important way that academics can effect change is through impact on the culture and climates of opinion. Of course if colleagues steal your ideas that is a different matter." (Marx 2000b)

[3]) "There are enough questionable cases involving tenure and promotion, the awarding of grants, and the acceptance of materials for publication to make clear the role of non-achievement criteria in social re­ward. Cynical awareness of this state of affairs need not make you throw in the towel or become corrupt, but it may mean slowing down, putting less emphasis on outcomes, and becoming more philosophical about failure and success. This awareness can take some of the sting out of defeat. It also ought to take some of the pride out of victory." (Marx 2000b)

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