Wer Definieren für willkürlich und Wortklauberei hält, dem kann es auch völlig gleichgültig sein, wer welche Wörter zum ersten Male gebraucht hat. In eigenartigem Kontrast dazu sticht Poppers Präokkupation mit Prioritätsansprüchen bei der Einführung von Neologismen hervor (Agassi 1993a:102). In den Fußstapfen ihres Meisters traben Jarvie u. Shearmur (1996a: 447). Sie sprechen von „central notions of essentialism and poppericism, both labels original to Popper."
Alle deutschsprachigen Texte bestehen aus lediglich unterschiedlichen Kombinationen einundderselben 26 Buchstaben des Alphabets. Ein Computer kennt im Grunde sogar nur die binäre Logik aus 0 und 1 und kann damit doch alles ausdrücken, was menschliche Sprache zu sagen vermag. Es wird also bei Prioritätszankerei kaum darum gehen, ob jemand dieselben Buchstaben oder dasselbe Wort zum ersten mal verwendet hat (vielleicht war es ein Computer?!). Es geht nicht um ein Patent auf Buchstabenkombinationen [1]), sondern um die Schöpfung eines neuen Begriffs, einer neuen Idee oder eines Theorieentwurfs. Wer aber eine Idee patentieren möchte, muss sie erst dingfest machen! Da für Popper eine absolut präzise Sprache nicht existiert, dass er auch Bedenken trägt gegen eine relative Genauigkeit, dürfte sich ihm gerade das aber äußerst schwierig gestalten (seine Nachschwätzer mit ihm). Popper hätte vermutlich auf dem Patentamt für Philosophen mit der Anmeldung von „Essentialismus" genauso sehr ein Problem wie Hegel mit „Dialektik", alldieweil man gemeinhin nur Antworten und nicht Fragen patentiert.
Laut Merton ist aber Poppers Wortprioritätsklauberei notwendig, insofern Popper Wissenschaftler. Ein Wissenschaftler ist nämlich Wortklauber qua Profession, ein Philosoph sowieso.
„But the great frequency of struggles over priority does not result merely from these traits of individual scientists but from the institution of science, which defines originality as a supreme value and thereby makes recognition of one’s originality a major concern. When this recognition of priority is either not granted or fades from view, the scientist loses his scientific property. Although this kind of property shares with other types general recognition of the ‘owner’s’ rights, it contrasts sharply in all other respects. Once he has made his contribution, the scientist no longer has exclusive rights of access to it. It becomes part of the public domain of science. Nor has he the right of regulating its use by others by withholding it unless it is acknowledged as his. In short, property rights in science become whittled down to just one: the recognition by others of the scientist’s distinctive part in having brought the result into being." (Merton 1973a: 294)
Das Statussystem Wissenschaft wird nämlich durch ein Belohnungssystem reguliert, welches auf anerkannter Priorität gründet.[2]) Jedes Belohnungssystem enthält wie jedes Steuerungs- oder Sicherheitssystem seine eigenen besonderen Möglichkeiten, es zu missbrauchen oder zu unterlaufen.
„This would not be the first time that public rewards, either in the market of money or the market of prestige, have resulted in a multitude of imitations, in which the outer appearance is substituted for the genuine article. This danger, ..., is inherent in every reward system." (Merton 1973a:433)
Jedes Belohnungssystem muss Leistung messen.[3]) Damit sind aber Messkosten verbunden sowie Gelegenheiten für moral hazard und adverse selection (Eggertsson 1990a:44).
Wie Marx schon sagte, der Mensch ist seine sozialen Verhältnisse. Und gegen seine Natur kann auch ein Popper nicht an. Uns kann es hier sehr gleichgültig sein, ob Popper wirklich zum ersten Male bestimmte Wörter benutzt hat. Wichtiger als Wörter sind in jedem Fall Begriffe. Wenn aber Popper Priorität für die Einführung bestimmter Begriffe beanspruchen wollte, so wäre es sachdienlicher gewesen, er hätte diese Begriffe eben selbst befriedigend expliziert. Woher soll jemand wissen, ob er diesen Begriff überhaupt gehabt hat?!
„Wenn aber einer behauptet, jemals von mir etwas gelernt oder gehört zu haben insbesondere, was nicht auch alle anderen gelernt oder gehört haben, so wisst, dass er nicht die Wahrheit redet." (Platon, Des Sokrates Verteidigung:23[1]) Man soll sich ja vor Sarkasmen hüten, bekanntlich werden sie dann wahr: Aber an die Möglichkeit, neugebildete Wörter zu patentieren und zu verkaufen, haben die Vorkämpfer einer "market-model university" vielleicht bisher noch nicht gedacht (Warde 2001a).
[2]) "An important way that academics can effect change is through impact on the culture and climates of opinion. Of course if colleagues steal your ideas that is a different matter." (Marx 2000b)
[3]) "There are enough questionable cases involving tenure and promotion, the awarding of grants, and the acceptance of materials for publication to make clear the role of non-achievement criteria in social reward. Cynical awareness of this state of affairs need not make you throw in the towel or become corrupt, but it may mean slowing down, putting less emphasis on outcomes, and becoming more philosophical about failure and success. This awareness can take some of the sting out of defeat. It also ought to take some of the pride out of victory." (Marx 2000b)
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