Dies ist der gebündelte Versuch einer Replik auf: Karl R. Popper, Das Elend des Historizismus, was eine Replik darstellte auf: Karl Marx, Das Elend der Philosophie, was eine Replik darstellte auf: Proudhon, Die Philosophie des Elends

22.10.2005

Wesen und Unwesen der Realdefinition

Eine Wesens- oder Realdefinition lässt sich im Hinblick auf von ihnen implizierte empirische Gesetze interpretieren. Darauf hat im Grunde schon Hempel verwiesen:

„A ‘real’ definition, according to traditional logic, is not a stipulation determi­ning the meaning of some expression but a statement of the ‘essential nature’ or the ‘essential attributes’ of some entity. The notion of essential nature, how­ever, is so vague as to render this characterization useless for the purposes of rigo­rous in­quiry. Yet it is often possible to reinterpret the quest for real definition in a manner which requires no reference to ‘essential natures’ or ‘essential attri­bu­tes’, namely, as a search either for an empirical explanation of some pheno­me­non or for a meaning analysis." (Hempel 1952a:6)

Hempel macht es sich aber zu einfach, den „Essentialismus" allein nur aufgrund von angeb­lich mangelnder logischer Präzision abzuweisen. Ist denn damit schon gesagt, dass er sich un­mög­lich präzi­sieren lasse? Der Vorwurf der Vagheit trifft nur zu, wenn man den philosophi­schen Hintergrund leugnet. Die fragliche "Explikation" geht auf Aristoteles zu­rück und fußt auf dessen Metaphysik - aber für Anti-Metaphysiker vielleicht nicht nachvollziehbar.

„Doch sei gleich von vornherein auf die eigentümliche Stellung hingewiesen, wel­che die Defini­tion in dem aristotelischen System einnimmt, und damit der Grund angedeutet, warum sie sich we­niger leicht als andere Formen von den me­taphysischen Voraussetzungen loslösen lässt. Während die übrigen logi­schen Formen Glieder in dem Prozess der wissenschaftlichen Untersuchung und Dar­stellung bilden, während z.B. der Syllogismus ein Werkzeug bedeutet, mit dessen Hilfe man von ei­nem Gedanken zum anderen fortschreitet, so ist es nach Aristo­teles die Aufgabe der Definition, die Untersuchung abzuschließen und das ‘Wesen’ der betreffenden Untersuchungsobjekte end­gültig festzu­stel­len. Dieser Unterschied ist für den mehr als formalen Charakter der Definition von entscheidender Be­deutung. Mag man nämlich alle anderen Formen des Den­kens von ihrem Inhalte loslösen und die Wahrheit, die sie liefern, als eine le­diglich ‘hypothetische’ ansehen, so ist bei der Definition eine solche Betrach­tungsweise nicht möglich, ohne ihr den Sinn zu rauben, den sie bei Aristoteles besitzt." (Rickert 1929a:2)

Das Bewusstsein davon ist aber offensichtlich den meisten Logikern schon lange abhanden ge­kommen, obwohl immer noch hin und wieder Residuen aristotelischer Logik in Logikbü­chern auftauchen, und zwar häufig in einer Form und in einem recht rätselhaften Zusammen­hang, der die Bewusstlosigkeit über den früheren Problemzusammenhang nur umso greller ins Licht setzt. Insofern ist bei jeder sog. „essentialistischen" Definition zu betrachten, in Zusam­menhang mit welcher Begriffslogik und Erkenntnistheorie sie eingesetzt wird. Dies ist schließ­lich der ursprüngli­che Sinne der Rede vom „Wesen". Denn was unter „Wesen" genau genom­men zu verstehen ist, dazu muss man stets die besondere Philosophie befragen, der dieser Be­griff entnommen ist.

Es führt daher Popper - außer polemische Luft abzulassen - zu nichts, wenn er von einem „Es­sentialismus" schlechthin spricht. Zwar gilt der aristotelische Essentialismus in der Lite­ra­tur als der Essentialismus par excellence. Dies ver­deckt aber allzu leicht, dass im Laufe der Phi­lo­sophiegeschichte sehr unterschiedliche, teil­weise von Aristoteles stark abweichende Formen entwickelt worden und verbreitet waren. So arbeitet z. B. Wilks für Abelard die Unter­schei­dung heraus

„between predication in essence (hereafter ‘essential predication’) and predi­ca­tion in adjacence (‘adjacent predication’). This distinction attaches a meaning to ‘essen­ce’ rather removed from its usual, Aristotelian sense; for the twelfth cen­tury and earlier, particularly among logicians and grammarian ‘essentia’ is of­ten emplo­yed in a sense very like that of ‘res’ to mean, simply, ‘thing’. The no­ti­on of essen­ti­al predication is founded on this usage. To read a sentence as in­volving an es­sential predication is simply to impute to the predicate the role of be­ing the na­me of something. In this way the predicate is construed as beha­ving seman­ti­cal­ly the same way the subject does; the subject and predicate alike denote some­thing and if what the predicate denotes is identical with what the subject deno­tes then the sentence is true."-„To read a sentence as an ad­ja­cent predication, by contrast, is to read the predicate as corresponding to some adjacent (i.e., inhe­ring) form, so that the sentence is true when that inhering form actually does in­here in the thing denoted by the subject." (Wilks 1998a:366f)

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