Dass die Frage der Begriffslogik aber unmittelbar die Methode empirischer Theoriebildung betrifft - was auch Rickerts Überzeugung entspricht -, zeigt etwa Irle (1963a:83) in seiner Auseinandersetzung mit der eine Zeit lang innerhalb der Theorie der Organisation verbreiteten Dichotomie „formell vs. informell". Die Metaphysik der Substanz verstellte in diesem Beispiel, wie Irle sagt, den Blick darauf, dass es sich bei den formellen und den informellen Beziehungen der Mitglieder einer formalen Organisation nicht um getrennte Dinge handelt, sondern um zwei unterschiedliche Aspekte an derselben Sache, nämlich den Prozessen sozialen Handelns innerhalb dieser Organisation.
Schon in unserer natürlichen Sprache steckt eine Tendenz zur Substantialisierung oder, grammatikalisch gesprochen, zur „Substantivitis" [1]). Diese Verhexung des Denkens durch Hauptwörter macht es oftmals unmöglich, dass wir Prozesse angemessen begreifen können. In einem gewissen Sinne kann man Hegels Dialektik als einen Versuch ansehen, das Denken in Substantiven durch das Negieren der grammatischen Form durch das spekulative Denken so zu strapazieren, dass aus ihm ein Tätigkeitswort werde.
Eine ähnliche Problematik der Ontologie der Substanz (bzw. Partikel) liegt dem Welle-Korpuskel-Problem der Quantentheorie zugrunde, gegenüber dem die gewohnte Ontologie der Makrophysik versagt (Hennemann 1961a), nach welcher es keinen Sinn macht, von einer Bewegung zu sprechen ohne etwas, das sich da bewegt. Man kann, wie Lenin (1947a) es tendenziell versucht hat, die erkenntnistheoretische Position des kritischen Realismus behaupten, indem sie von sperrigen ontologischen Annahmen befreit wird. Topitschs (1960b) Leerformel-Vorwurf gegen Lenins Identifikation von „Materie" und „objektiver Realität" befasst sich jedoch überhaupt nicht mit dieser seiner erkenntnistheoretischen Problemstellung, sondern stellt nur vor die Alternative: eine hergebrachte Ontologie exhaurieren / eliminieren. Topitsch wendet sich damit aber nicht gegen einen bestimmten Fehler Lenins, sondern gegen Erkenntnistheorie schlechthin. Wenn er die Unwissenschaftlichkeit des Marxismus-Leninismus beweisen wollte, hat er damit letzterem nur die Ehre erwiesen, diesen mitsamt Kant und jeder Erkenntnistheorie als Bla-bla abzutun. Man kann auch zuviel beweisen. Und wer im philosophischen Glashaus sitzt, sollte doppelt vorsichtig sein bei Rohrkrepierern.
Die Soziologie der Organisation hat sich weiterentwickelt, indem sie vom geschlossenen zweckrationalen Bürokratie-Modell Webers überging zu einem offenen System, das sich mit der Bewältigung von Unsicherheit mittels einer begrenzten Rationalität auseinandersetzt. Dadurch gerät das gewohnte Bild der Organisationshierarchie in eine neue Perspektive; es stellt sich das sog. "paradox of administration".
Die Metaphysik täuscht durch ihre Begriffslogik reale Unterschiede vor, die unter einer anderen, meist differenzierteren oder dynamisierten, theoretischen Perspektive betrachtet, nicht vorhanden sind oder zumindest anders aussehen. Dies ist jedoch kein Argument gegen Metaphysik, sondern gegen schlechte; es hebt nur die Rolle der Kategoriensysteme und der jeweiligen Begriffslogik hervor. Denn Metaphysik zeichnet immer ein Bild, wie die Welt zusammenhängt; eine gute Metaphysik liefert Hinweise auf die Art und den Typus der wirklichen Mechanismen, welche die realen Prozesse steuern.
Auf die metaphysische Kategorie der Substanz ging auch Zeleny (1970a:43) zurück, als er Marxens Methode im „Kapital" analysierte. Welche Auffassung der marxschen Begriffslogik kann man hieraus ableiten?
„Der ‘Begriff’ ist nach Marx die gedankliche Reproduktion der inneren Gliederung, der inneren Struktur eines Gegenstandes, und zwar dieser inneren Struktur in ihrer Entwicklung, in ihrer Entstehung, in Existenz und Untergang ... ‘Begriff’ bedeutet die rationelle Erfassung, die gedankliche Reproduktion, die gedankliche Aneignung, die gedankliche Widerspiegelung des Gegenstandes in seinem strukturell-genetischen Wesen, d.h. in seiner strukturell-genetischen Gesetzmäßigkeit." (Zeleny 1970a:62)
In gewisser Weise beinhaltet Marxens Konzeption der materialistischen Dialektik eine ungleich radikalere Essentialismus-Kritik als diejenige Poppers, weil sie bereits vor dem Sprechen, bei der Aktivität des Organismus bzw. beim handelnden Menschen ansetzt. Jeder lern- und aktionsfähige Organismus schafft sich im Austausch mit seiner Umwelt günstigere Lebensbedingungen, er vergegenständlicht sich. Die Vergegenständlichung schlägt sich sowohl in der Änderung der Umwelt auch im Organismus selber nieder. Und jede Vergegenständlichung ist auch eine Verselbständigung gegenüber dem Subjekt, d.h. sie kann der Möglichkeit nach aus dem Kontrollbereich des Subjekts geraten.
Genau dieses trifft auch auf Sprache zu. Begriffe sind Vereinseitigungen, die das Subjekt zu seinen besonderen Zwecken vornimmt. In der sprachlichen Kommunikation wie im Denken des Einzelnen sind diese Vereinseitigungen zweckentsprechende Instrumente, die aber über ihre Zweckerfüllung hinaus ihre Eigendynamik entfalten. So steckt in jedem Sprechen und Denken eine natürliche Tendenz zur Verdinglichung, zum Platonismus. Denn jedes Handeln, jede Kommunikation muss sich zu einer relativ festen Form fixieren. Diese Form entspricht aber keinem flüssigen Geschehen mehr. Diese Problematik wird potenziert durch Traditionen schaffende intersubjektive Kommunikation und rechtliche Fixierung von Verfügungsrechten, die sowohl das Handeln wie auch den möglichen Aktionsradius des Handeln weiter einschränken. Unter bestimmten gesellschaftlichen Umständen wird aus Vergegenständlichung Entfremdung. Im Kontext der Entfremdung werden Ursprung und Aktionsradius des Subjekts für Leistungen der Vergegenständlichung nicht mehr einsehbar.
[1]) Hegel allerdings beuteilt die Substantivitis als eine besondere Eignung des Deutschen zur Spekulation: " Viel wichtiger ist es, dass in einer Sprache die Denkbestimmungen zu Substantiven und Verben herausgestellt und so zur gegenständlichen Form gestempelt sind; die deutsche Sprache hat darin viele Vorzüge vor den anderen modernen Sprachen; sogar sind manche ihrer Wörter von der weiteren Eigenheit, verschiedene Bedeutungen nicht nur, sondern entgegengesetzte zu haben, so dass darin selbst ein spekulativer Geist der Sprache nicht zu verkennen ist;...)" (Hegel: Wissenschaft der Logik:13) Richtig ist jedenfalls, dass das Amtsdeutsch schon manchen Bürger zum Spekulieren veranlasst hat. Ist dies aber wirklich eine Besonderheit des Deutschen?
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