Poppers Essentialismus-Kritik ist voll berechtigt, sofern sie sich gegen das fundamentalistische Begründungsdenken richtet, das häufig mit essentialistischer Begriffslogik einhergeht:
„Die Lehre, die ich ‘Essentialismus’ genannt habe, ist die Ansicht, dass die empirische Wissenschaft letzte Erklärungen in der Form essentieller oder wesentlicher Eigenschaften suchen muss; wenn wir das Verhalten eines Dinges kraft seines Wesens - seiner wesentlichen Eigenschaften - erklären können, dann kann keine weitere Frage gestellt werden und braucht auch keine gestellt zu werden ..." (Popper 1964a:76)
Das war es aber auch schon. Die Verschlingung des Essentialismus mit der Rechtfertigungsstrategie ist keineswegs logisch zwingend. Zumindest dachte Popper nicht daran, dies nachzuweisen. Zudem: Was steht dem im Wege, eine rechtfertigungsorientierte essentialistische Theorie in eine fallibilistische Theorie umzudeuten? de facto geschieht dies bei jedem empirischen Test einer Theorie: denn logische Wahrheiten werden nicht direkt empirisch getestet, sondern dadurch, dass sie im Verein mit empirischen Aussagen konsistente Resultate zeitigen.
Es geht daher nicht an, dass Popper auf Grundlage seiner Essentialismus-Kritik seine Begriffslehre und seine Definitionslehre als die wissenschaftlich allein richtige hinstellt, zumindest solange nicht, bis alle gangbaren Alternativen untersucht und erwogen sind. Wie wir aber eben gesehen haben, trifft seine Kritik nicht den Essentialismus selbst bzw. die Begriffslogik, sondern ausschließlich die damit evtl.verknüpfbare Rechtfertigungsstrategie.
Im Übrigen steht Poppers Ablehnung von „Wortklauberei" in Widerspruch zu seiner Kritik der essentialistischen Metaphysik. Wenn Essentialismus eine metaphysische Doktrin bezeichnet, muss er eo ipso mehr als reine Wortklauberei sein. Es findet hier eine Analogie statt zwischen Kritik einer Theorie aufgrund von Basisaussagen und der Destruktion eines Begriffs durch Kritik seiner wesentlichen Bedeutung:
Entweder wird deren Denkmöglichkeit oder deren nomologische Möglichkeit (d.h. mögliche Übereinstimmung mit den gegebenen Naturgesetzen) bestritten!
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