Dies ist der gebündelte Versuch einer Replik auf: Karl R. Popper, Das Elend des Historizismus, was eine Replik darstellte auf: Karl Marx, Das Elend der Philosophie, was eine Replik darstellte auf: Proudhon, Die Philosophie des Elends

22.10.2005

Poppers essentialistische Geschichtsphilosophie

Laut Poppers (1992b:13f) Explikation des Essentialismus enthüllt sich das Wesen in der Ge­schichte


Auf gerade dieselbe Weise stellt jedoch Popper auch seine ei­ge­ne Pro­blem­ge­schich­te des Essentialismus und Popperizismus dar; und ich glaube nicht, dass er seine Darstellung für eine Per­siflage bzw. immanente Kritik der zu kritisierenden Positionen gehalten ha.t

Popper plä­diert (zumindest anfänglich) für den metho­dolo­gi­schen Nominalismus. Den Totalitarismus möchte er jedoch auf das historische Wirken von Ideen zu­rückführen. Da er nicht bereit ist, sei­nen No­mi­na­lismus zu definieren bzw. zu explizieren, hätten wir wenigstens gern in praxi gese­hen, wie sich eine no­mi­na­listi­sche Geschichts­darstellung ausnimmt. Aber lei­der enttäuscht uns Popper hier. Man muss schon in unverkennbar hegelscher Ma­nier die Entwicklungsgeschichte der ver­schwisterten Ide­en des Es­sentialismus und Popperizismus konstruieren, wenn man aus Hegels Den­ken die poli­ti­sche Ge­schich­te Deutschlands entspringen lassen will. Oder man muss wie letzt­hin Kiese­wet­ter die deutsche Geschichte selbst schlichtweg zur Fortsetzung he­gelscher Phi­lo­sophie erklären:

"Die 'Richtigkeit' der Interpretation der hegelschen Sozialphilosophie kann nicht nur aus den Schriften erschlossen werden, die durch die Verwendung von Dia­lek­tik und Leerformeln teilweise konträre und kontradiktorische Auslegun­gen ermöglichen, sondern erst im Prozess der historischen Verge­gen­ständli­chung von Theorie in Praxis erweist sich der eigentliche Gehalt des hegelschen Sy­stems." (Kiesewetter 1974a:36f)

Wenn Bismarck und der Kaiser sich Hegel nicht selbst als Vorlage gewählt ha­ben, so muss wohl der Weltgeist persönlich die deutsche Geschichte gelenkt ha­ben.[1]) Damit löst sich auch das Rätsel, dass der „tote Hund" Hegel ständig wie­derkehrt. Totgesagte leben länger. Also rächt sich der Geist Hegels, dass er unbe­wältigt aus dem Grabe steigt und seine Sub­stanz auf ewig un­verdaut von seinen Kritikern wiedergekäuet werde.

Selbst wenn man annimmt, dass der deutsche Idealismus inkl. Junghegelianer das der fran­zö­si­schen Revolutionsgeschichte entnommene Verlaufsmuster unzu­lässigerweise auf die Ge­schich­te der gesamten Menschheit projiziert habe: Auf je­den Fall kann eine Kritik der hi­sto­ri­schen Folgen einer Philosophie nicht auf der Ba­sis von pauschalen Schuldzuweisungen erfol­gen.

„Philosophen haben vollauf genug damit zu tun, die Folgen zu verantworten, die sich aus dem legitimen Ge­brauch ihrer Philosophie ergeben. Ihr Missbrauch ist denen anzulasten, die philosophische Ideen miss­brauchen." (Spinner 1967a: 188)

Derlei moralische Verdammungen sind weder widerlegbar noch besonders infor­ma­tiv. Es kommt auf die Differenzierung des Urteils an. Die Elemente, Mechanis­men und Prozesse (evtl. auch historische Zu­fälle) müssen bei einer solchen histo­risch verfahrenden Kritik heran­ge­zogen werden: Man vergleiche We­bers Programm einer historischen Soziologie!

Keine noch so abstrakte Philosophie ist politisch uneingeschränkt manipulierbar, worauf To­pitsch (1966a:37) sein Universalargument [2]) des Leerformelcharakters abstellt. Selbst wenn eine Philosophie nur eine bestimmte Sprache lieferte, so ist doch in einer Sprache nicht alles zu for­mulieren. Wenn aber Topitschs Vor­wurf stimmte, dann weiß man nicht, wie Poppers Vorwurf der totalitären Tendenz der he­gel­schen Philosophie noch auf­recht­zu­erhalten sei. Wenn Hegel beliebig einsetz­bar ist, so dann auch z.B. zu Demokratie und Liberalismus. Ei­nes ist aber jeden­falls utopisch: eine vor po­li­tischem Missbrauch geschützte Theorie.

Jede Philosophie, auch eine idealistische, ist auf historisch-gesellschaftliche Pra­xis hin ange­legt, da sie doch an einen Adressatenkreis gerichtet ist und ihr Publi­kum sucht. Ihre unterbe­stimm­ten Abstraktionen fin­den dabei in der Praxis ihre not­wendige Ergänzung und bewähren gleichzeitig ihre Tauglichkeit, prak­tisch zu ori­en­tieren. Ist durch diesen Vorgang jedoch eine be­stimmte Philo­sophie falsifi­zier­bar? - Wohl kaum, da die besondere Anwendung nicht streng de­duktiv abzuleiten ist. Allerdings lassen aus der Einheit von Theorie und Praxis Ge­sichts­punkte für Be­wertung, Inter­pretation sowie Hinweise für den philo­so­phischen Problem­fort­gang gewinnen.



[1]) "Es ist ungefähr dasselbe, als würde man das 'Gott mit uns' auf dem Koppel­schloss als Be­leg da­für akzeptieren, dass die Verbrechen der Wehrmacht eine quasi naturgesetzliche Folge des Chri­stentums sind." (Schumann, Rosenblum)

[2]) Universell verwendbar, weil jede Theorie allgemein ist und meistens mehr weglässt, als je­mand zu wissen wünschen wird. Die zentrale Frage ist, ob eine Theorie ihren Zweck erfüllt, z. B. ih­re Pro­blemstellung befriedigender als andere löst.

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