Laut Poppers (1992b:13f) Explikation des Essentialismus enthüllt sich das Wesen in der Geschichte
Auf gerade dieselbe Weise stellt jedoch Popper auch seine eigene Problemgeschichte des Essentialismus und Popperizismus dar; und ich glaube nicht, dass er seine Darstellung für eine Persiflage bzw. immanente Kritik der zu kritisierenden Positionen gehalten ha.t
Popper plädiert (zumindest anfänglich) für den methodologischen Nominalismus. Den Totalitarismus möchte er jedoch auf das historische Wirken von Ideen zurückführen. Da er nicht bereit ist, seinen Nominalismus zu definieren bzw. zu explizieren, hätten wir wenigstens gern in praxi gesehen, wie sich eine nominalistische Geschichtsdarstellung ausnimmt. Aber leider enttäuscht uns Popper hier. Man muss schon in unverkennbar hegelscher Manier die Entwicklungsgeschichte der verschwisterten Ideen des Essentialismus und Popperizismus konstruieren, wenn man aus Hegels Denken die politische Geschichte Deutschlands entspringen lassen will. Oder man muss wie letzthin Kiesewetter die deutsche Geschichte selbst schlichtweg zur Fortsetzung hegelscher Philosophie erklären:
"Die 'Richtigkeit' der Interpretation der hegelschen Sozialphilosophie kann nicht nur aus den Schriften erschlossen werden, die durch die Verwendung von Dialektik und Leerformeln teilweise konträre und kontradiktorische Auslegungen ermöglichen, sondern erst im Prozess der historischen Vergegenständlichung von Theorie in Praxis erweist sich der eigentliche Gehalt des hegelschen Systems." (Kiesewetter 1974a:36f)
Wenn Bismarck und der Kaiser sich Hegel nicht selbst als Vorlage gewählt haben, so muss wohl der Weltgeist persönlich die deutsche Geschichte gelenkt haben.[1]) Damit löst sich auch das Rätsel, dass der „tote Hund" Hegel ständig wiederkehrt. Totgesagte leben länger. Also rächt sich der Geist Hegels, dass er unbewältigt aus dem Grabe steigt und seine Substanz auf ewig unverdaut von seinen Kritikern wiedergekäuet werde.
Selbst wenn man annimmt, dass der deutsche Idealismus inkl. Junghegelianer das der französischen Revolutionsgeschichte entnommene Verlaufsmuster unzulässigerweise auf die Geschichte der gesamten Menschheit projiziert habe: Auf jeden Fall kann eine Kritik der historischen Folgen einer Philosophie nicht auf der Basis von pauschalen Schuldzuweisungen erfolgen.
„Philosophen haben vollauf genug damit zu tun, die Folgen zu verantworten, die sich aus dem legitimen Gebrauch ihrer Philosophie ergeben. Ihr Missbrauch ist denen anzulasten, die philosophische Ideen missbrauchen." (Spinner 1967a: 188)
Derlei moralische Verdammungen sind weder widerlegbar noch besonders informativ. Es kommt auf die Differenzierung des Urteils an. Die Elemente, Mechanismen und Prozesse (evtl. auch historische Zufälle) müssen bei einer solchen historisch verfahrenden Kritik herangezogen werden: Man vergleiche Webers Programm einer historischen Soziologie!
Keine noch so abstrakte Philosophie ist politisch uneingeschränkt manipulierbar, worauf Topitsch (1966a:37) sein Universalargument [2]) des Leerformelcharakters abstellt. Selbst wenn eine Philosophie nur eine bestimmte Sprache lieferte, so ist doch in einer Sprache nicht alles zu formulieren. Wenn aber Topitschs Vorwurf stimmte, dann weiß man nicht, wie Poppers Vorwurf der totalitären Tendenz der hegelschen Philosophie noch aufrechtzuerhalten sei. Wenn Hegel beliebig einsetzbar ist, so dann auch z.B. zu Demokratie und Liberalismus. Eines ist aber jedenfalls utopisch: eine vor politischem Missbrauch geschützte Theorie.
Jede Philosophie, auch eine idealistische, ist auf historisch-gesellschaftliche Praxis hin angelegt, da sie doch an einen Adressatenkreis gerichtet ist und ihr Publikum sucht. Ihre unterbestimmten Abstraktionen finden dabei in der Praxis ihre notwendige Ergänzung und bewähren gleichzeitig ihre Tauglichkeit, praktisch zu orientieren. Ist durch diesen Vorgang jedoch eine bestimmte Philosophie falsifizierbar? - Wohl kaum, da die besondere Anwendung nicht streng deduktiv abzuleiten ist. Allerdings lassen aus der Einheit von Theorie und Praxis Gesichtspunkte für Bewertung, Interpretation sowie Hinweise für den philosophischen Problemfortgang gewinnen.
[1]) "Es ist ungefähr dasselbe, als würde man das 'Gott mit uns' auf dem Koppelschloss als Beleg dafür akzeptieren, dass die Verbrechen der Wehrmacht eine quasi naturgesetzliche Folge des Christentums sind." (Schumann, Rosenblum)
[2]) Universell verwendbar, weil jede Theorie allgemein ist und meistens mehr weglässt, als jemand zu wissen wünschen wird. Die zentrale Frage ist, ob eine Theorie ihren Zweck erfüllt, z. B. ihre Problemstellung befriedigender als andere löst.
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