In welcher Weise rechtsextremistische Staatstheoretiker Teil deutscher akademischer Tradition sind, offenbart das Eingeständnis [1]) eines bekannten deutschen Nationalökonomen. Solche geschichtlichen Denkwürdigkeiten, erschienen in einer akademischen Festschrift, gibt es leider noch viel zu selten. Schmitt [2]) jedoch erlebt immer wieder deutsche Wiedergeburten.
Kann man überhaupt eine rationale politische Auseinandersetzung mit Standpunkten führen, die als „nicht diskursfähig“ ausgegrenzt werden? Wer soll über „Diskursfähigkeit“ entscheiden, wenn nicht wieder ein Diskurs, bei welchem alle Argumente [3]) aufgedeckt werden können und müssen? Der demokratische Verfassungsstaat schadet sich wohl oft mehr durch eine Sterilisierung per Verfassungsschutz (Parteienverbote, Extremisten-Erlass, SPIEGEL-Affäre etc.[4]) als durch eine aktive Auseinandersetzung im Diskurs. Gerade Deutschland mit seiner historisch gewachsenen obrigkeitsstaatlichen Tradition hat wenig Veranlassung, sich mit der aktiven Präsenz einer politischer Polizei zu beruhigen. Auch das Abschieben umstrittener politischer Grundsatzentscheidungen auf die Verfassungsgerichtsbarkeit, der scheinbare deus ex machina [5]) der gesamten deutschen Politik, mag zu definitiven und formell korrekten Entscheidungen führen, stellt aber gewiss nicht der Königsweg [6]) einer lebendigen politischen Demokratie dar.
Die wissenschaftliche und/oder philosophische Kritik einer Theorie muss dieser aber notwendigerweise ein wissenschaftlich und/oder philosophisch sinnvolles Problem unterstellen, andernfalls könnte sie ihren Zweck nicht erfüllen, nämlich Lösungen im Hinblick auf ihre Problemstellungen zu beurteilen.
„Der Vernunft ist nur das Vernünftige Gegenstand.“ (Feuerbach 1976a:26)
Alles Andere - z.B. etwas von vornherein, d.h. bevor es wissenschaftlich geprüft worden ist, als „pseudo-wissenschaftlich“ abzuqualifizieren - ergibt methodologisch keinen Sinn, sondern mag allenfalls literarische oder politische Bedürfnisse der Polemik befriedigen. Dass sich die Wissenschaft nicht um jede noch so unsinnige Frage kümmern kann und von daher Prioritäten bei der Auswahl von Forschungsthemen setzen muss, ist eine nachrangige, eher praktisch lösbare Frage. Freilich wäre, hierzu eine Konsistenz-Bedingung - d.h. die Forderung nach Übereinstimmung mit dem jeweils gegebenen wissenschaftlichen Erkenntnisstand - einzuführen, ein weder historisch noch rational begründbares konservatives Präjudiz und widerspräche nach Feyerabend (1976a:61) sogar einem wohlverstandenen Empirismus, da es die Entdeckung neuer Tatsachen verhinderte.[7])
Denn ob eine Tatsache vorhanden oder logisch vorstellbar sei, hängt davon ab, ob ein entsprechender metaphysischer Bezugsrahmen dem Denken und Sprechen überhaupt zur Verfügung steht.
Prinzipiell kann aber gesagt werden: Wann eine bestimmte Theorie oder Problemlösung wissenschaftlich akzeptiert werden können oder als degeneriert aufzufassen sind, hängt von der Einschätzung der betreffenden Wissenschaftler ab und kann wissenschaftlich nicht ex cathedra des kritisch-rationalen oder marxistischen Volksaufklärers [8]) abgeurteilt werden. Denn wenn der Methodologe die Aufgabe der logischen und methodologischen Kritik zur Rolle eines Ideologie-Kritikers und politischen Aufklärers aufbläst, so muss, so wie einstens Marx nach der Erziehung der Erzieher gefragt hatte, analog die Frage gestellt werden:
Wer klärt den Aufklärer auf?
[1]) „Der Freund, der Petersons Konversion in langen Diskussionen erleichterte, war der böse Dämon von Universität und Politik in diesen Jahren, war Carl Schmitt. Er ist verdientermaßen heute verfemt; denn geistige Missetaten wie die seinen wiegen mindestens so schwer wie die Morde geborener Verbrecher. Aber geziemt es sich nicht für uns, dass wir dessen gedenken, wie oft wir uns an seinen geschliffenen Reden erfreuten, wie gern wir mit ihm diskutierten, wie er uns als einer der ganz Wenigen erschien, dessen politische Bildung und dessen juristische Schärfe jedes Gespräch bereicherte und würzte? Ich stehe gewiss nicht im Verdacht, dass ich etwas zugunsten des Halbirren sage, der 1936 die deutsche Rechtswissenschaft zerstörte, oder zugunsten des eitlen Monomanen, der den großen Bodinus als seinen ‘Bruder im Geiste’ bezeichnete, - der wilde Antisemit instinktlos den Maranen ... Aber gab es nach dem allzu frühen Tod von Rothenbücher einen Staatsrechtslehrer vom Rang und von der Intensität dieses politischen Chamäleons und hatten lautere Charaktere wie Anschütz oder Radbruch das gleiche Gespür für den Umbruch der Welt? Wir haben uns zeitweise in den Schlingen dieses Dämons verfangen; aber es gebührt sich, dass wir auch zu unseren Schwächen stehen." (Salin 1964a:16)
[2]) vgl. Utz (1999a); Gross (2000a); Herrmann (2001a)
[3]) So entdeckt z.B. Günther (1984a:99) zu seiner Überraschung, dass Poppers Anti-Nationalismus, , im flagranten Gegensatz zum Wiedervereinigungsgebot des deutschen Grundgesetzes stünde. Nichtsdestoweniger ist nicht zu übersehen, dass der Nationalismus als politische Denkvoraussetzung schon überfällig auf den Prüfstand gehört; vgl. Glotz (1990a). Eine ähnliche Position hatte schon Börne reflektiert, wobei er sich als Jude zwischen Deutschland und Frankreich zurecht zu finden hatte. Eine aktuelle Einschätzung des Verhältnisses deutscher - französischer Intellektueller liefert Wolfgang Matz, Krieg, Kunst, Kitsch und Tod, taz 27.2.2001, S. 4.
[4]) "Es ist nicht einfach, Extremist en zu bekämpfen. Da der Rechtsstaat verachtet wird, finden seine Maßnahmen keinen Respekt, seine Gesetze werden nicht beachtet. Wer sich nicht offen organisiert, ist mit Verboten nicht zu erreichen. Vor allem in der linksextremistischen Szene gibt es geradezu eine Tradition der Arbeit im Untergrund. Bei Straftaten werden Spuren vermieden, der Mangel an Beweisen erschwert die Strafverfolgung außerordentlich. Um so wichtiger ist die Arbeit des Verfassungsschutzes als politisches „Frühwarnsystem". Über seine Erkenntnisse werden Politik und Öffentlichkeit kontinuierlich durch Lagebilder und Analysen unterrichtet; Informationen über politisch motivierte Straftaten teilt er den Strafverfolgungsbehörden mit. Der Kern seines Auftrags bedeutet Prävention: der Verfassungsschutz benennt rechtzeitig Gefährdungen, damit Zeit zum Handeln bleibt."
[5]) „Der Vorwurf, das Gericht werde missbraucht als Quasi-Gesetzgeber oder führe sich selbst als Gesetzgeber auf, gab es schon zu meiner Zeit und schon sehr viel früher. Man muss aber sagen, dass es in jüngster Zeit eine Reihe von Entscheidungen gab, die auf die Gesetzgebung und die Politik weitreichende Auswirkungen haben." - „Nur keine Feigheit vor dem Freund". TV-Interview mit Ex-Verfassungsrichter Ernst Benda über Vergangenheit und Zukunft des höchsten deutschen Gerichts, TV 27.04.1999 - "Das Kontrollmotiv hat in der politischen Willensbildung, in Übereinstimmung mit traditionellen Vorstellungen, aber auch aus zeitnahen Gründen, zwei wichtige Institutionen der politischen Willensbildung entstehen lassen. Davon ist die eine, das Bundesverfassungsgericht, ermächtigt, unabhängig allgemein-verbindliche, jedoch überparlamentarische Entscheidungen zu treffen, um der möglichen Verwandlung parlamentarischer Rechtssetzung in parlamentarisches Unrecht oder dem Übermut der Regierungsämter vorzubeugen. Die zweite, die Deutsche Bundesbank, übt partielle, zielgerichtete und in ihren Wirkungen oft diskriminierende Regierungsfunktionen aus. Sie ist auf dem Gebiet der Währungs- und damit der Wirtschaftspolitik als eine Kontre-Regierung errichtet und bewusst der Einwirkung und Kontrolle gesellschaftlicher Kräfte entzogen. Beide Institutionen sind nicht einer unmittelbaren Legitimation unterworfen." (Wildenmann 1969a:10) Das demokratisch unlegitimierte Hineinregieren der Bundesbank in die Politik setzt nun die EZB fort: "So wird die fragwürdige Aktion zur Rettung des Holzmann-Konzerns als Grund genannt, nicht zuletzt von der EZB, die zwar explizit keine Wechselkurspolitik betreibt, aber de facto - und damit im Widerspruch zu ihrer intendierten währungspolitischen Abstinenz - mit ihrer Äußerung Wasser auf die Mühlen der Währungsspekulanten gegossen hat." DIW-Wochenbericht 1/2000, Grundlinien der Wirtschaftsentwicklung 2000 - Offensivere Wirtschaftspolitik erforderlich
[6]) zu Poppers Toleranzprinzip und der damit verbundenen deutschen Diskussion um Spinners Pluralismus-Konzeption siehe Günther (1984a:57-71)
[7]) „Mit noch so viel ‘kritischer Diskussion’ kann man nicht das nicht Vorhandene entdecken oder das Unvorstellbare untersuchen.“ (Feyerabend 1976a:318)
[8]) Feyerabend (1976a:317) bezeichnet Popper als einen „Nachzügler der Aufklärung". Lenin (1962a:118) forderte „Volkstribune". Zu dieser eigentümlichen Einrichtung zum Schutz einer ansonsten rechtlosen Unterschicht siehe Coulanges (o.J:287f): Person und der Leib der Tribunen wurde (in Gegensatz zu den von der Priesteraristokratie in herkömmlicher Weise legitimierten Magistratsbeamten) durch eine besondersartige Zeremonie sakrosankt gemacht, so dass niemand sich ungestraft am Leib des Tribunen vergreifen durfte. Der Schutzbereich des Tribunen erstreckte sich allerdings nur auf Rufweite; er war gewissermaßen ein "wandelnder Altar".
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