Dies ist der gebündelte Versuch einer Replik auf: Karl R. Popper, Das Elend des Historizismus, was eine Replik darstellte auf: Karl Marx, Das Elend der Philosophie, was eine Replik darstellte auf: Proudhon, Die Philosophie des Elends

02.10.2005

Poppers Logizismus

So lässt sich nicht von der Hand weisen: In der Verwendung zur Rekonstruktion inhaltlicher Ar­gu­mente, weniger indes als kritisches Gegenargument wird Logik gerade von Popper im­mer wieder überstrapaziert. Darin besteht der „Logizismus“ und der unauffällige Dogmatismus des kritisch-rati­o­nalen Anti-Dogmatismus. Diese Überstrapazierung der Rolle von Lo­gik be­deu­tet eine Ver­engung der Kriterien von Rationalität.

Gemäß der Tradition des Wiener Kreises wird der empirische Gehalt einer Theorie gefunden, in­dem diese „logisch rekonstruiert“, d.h. in eine Idealsprache übersetzt werde. Theorien gelten nur in­so­weit als sinnvoll, als diese Übersetzung möglich sei. Damit wird aber das un­be­grün­de­te Vor­ur­teil für eine neutrale Beobachtungssprache konserviert. Bei der Konstruktion der Ide­al­spra­che stieß man auf Probleme, von der man in der Physik bislang nichts wusste (Feyerabend 1976a:379, Anm.139). Aber:

„Für den Methodologen müssen sich Probleme stellen, an die andere Leute oft nicht denken.“ (Albert 1972c:287)

In ähnlicher Weise gab es für Carnap (1934a) nur 2 Arten sinnvoller Fragen: (1) Objektfragen und (2) die damit verbundenen logischen Fragen, d.h. Wissenschaftslogik. Schon durch den Ti­tel „Logik der Forschung“ knüpft Popper (1984a) an diesem so überlieferten Neopositivismus an. Als Vor­läufer dieser als Logik aufgezäumten Methodologie ist J. St. Mill zu nennen, des­sen Kontro­ver­se mit Whewell von Wettersten (1992a) äußerst instruktiv nachgezeichnet wur­de. „The half-hidden agenda“ dieser Kontroverse war wie später bei Popper die mit allem Glanz for­maler Ri­gorosität und einem großen Aufwand an philosophischen Invektiven her­ausge­putz­te Ideo­lo­gie der Wissen­schaftlichkeit [1]), welche mit der wissenschaftlichen Praxis nur noch legi­ti­ma­to­risch befasst ist.

Wer sich gegen Argumente von Wissenschaftslogik stelle, verstoße damit aber gegen die Grund­geset­ze der genannten formalen Wissenschaften. Dies ist die implizite Logik von Rhe­to­rik, womit derlei Positionen sodann verteidigt zu werden pflegen. Die angegriffenen Metho­do­lo­gien und de­ren philoso­phische Begründungen werden dabei als Pappkameraden rekon­stru­iert.[2]) Popper baut sich Idealtypen der von ihm angegriffenen philosophischen Lehren. Wenn ihm aber We­ber aufgrund seiner Methode des Idealtyps als ein Essentialist gilt, was ist dann Pop­per? Die an­gegrif­fe­nen Auffassungen werden in ihrem „Wesen“ enthüllt und bis auf die Kno­chen bla­miert: nicht bloß als wissenschaftlich verstaubt und überholt, sondern so, dass sie of­fen­sichtlich als gröb­ste lo­gische Schnitzer dastehen. Über die Rekonstruktion einer pro­blem­geschichtlichen Situati­ons­lo­gik kommt bei Popper nur allzu häufig die Gültig­keits­prü­fung an­hand der historischen Quellen­si­tu­ation zu kurz. Logische Plausibilität siegt dann über hi­sto­ri­sche Wahrheit.

Siehe z. B. Poppers Abhandlung der „Manifestationstheorie“, „Essentialismus“ , der Dialek­tik etc. oder Alberts (1967c) kurzgefasste Einführung in die Wissenschaftslogik im „Handbuch der Sozial­wis­sen­schaften“, einer „Zusammenfassung der hauptsächlichsten Irrtümer unserer Zeit (Syllabus; To­pitsch 1966a:78), wohlgemerkt ein Handbuch, von dem man annehmen kann, dass es von Studen­ten gele­sen wird, die nach dieser Lektüre kaum mehr in ihrem Leben etwas mit Wissen­schafts­the­o­rie oder Methodologie am Hut haben werden, ergo von dem Gelesenen al­ler Voraussicht nach als von ei­nem lebenslang gehüteten Dogmenschatz zehren werden. Im Übri­gen ist aber ein Handbuch durch­gängig dogmatisch gehalten: „eine Ansammlung von ge­sichertem Wis­sen (a body of knowledge)(Pop­per 1992b:334); ein „Handbuch des Fallibilismus“ al­so genau genommen eine contradictio in adiec­to, wie z.B. ein Kompendium [3]) der Philosophie.

In der dabei benutzten, mehr rhetorisch als argumentativ geschickten Darstellungsweise wird nicht berücksichtigt, dass Wissenschaftslogik immer nur eine Anwendung von Logik dar­stel­len kann, so wie ein ökonomisches Modell immer nur eine Anwendung von Mathematik. Die­se Fehl­einschätzung wird vor allem bei Kade (1958a:41) erkennbar, für den die Mathema­tisier­bar­keit der Ökonomie ein rein logisches, von keinerlei Erkenntnistheorie getrübtes Problem ist, so wie für Brinkmann (1989a:XIII) Wissenschaftstheorie von den logischen Prinzipien han­delt, durch deren Anwendung aus Erkenntnis Wissenschaft wird. So werden vorgeblich aus dem Hut der Logik die sich rasch vermehrenden Kaninchen angeblich wissenschaftlich wohl ge­grün­de­ter Wahrheiten ge­zaubert, ohne dass von einer „philosophy of science“ mehr groß die Re­de zu sein braucht.

So darf nicht durch Etikettenschwindel unter den Tisch fallen, dass Logik als Lehre von den Prin­zipien des korrekten Argumentierens (Stegmüller, 1974a:2), im heutigen Sprachgebrauch die sym­bo­lischen Logik, etwas anderes meint als das, was Philosophen traditionsgemäß seit Kant un­ter Methodenlehre [4]) als ein weiteres Gebiet der Logik angesehen haben. Schließ­lich gibt es auch nicht die Logik“ [5]) oder die Methodologie“; beide können nämlich auf die unter­schiedlichste Art und Weise rekonstruiert werden [6]). Grundsätzlich: Auch Logik selbst ist nichts Letz­tes, Unhin­terfragbares oder etwa das letzte verbliebene Rückzugsgebiet der ab­so­lu­ten Gewiss­heit (Lask 1911a:25; Albert 1972c:27, Anm.19); insbesondere dann nicht, wenn, wie Lask (1911a) oder Lenk (1968a) dies für das Problemfeld der Kategorienlehre getan haben, die Lo­gik der Philoso­phie zur zentralen Aufgabe einer philosophischen Logik erhoben wird.

Bleiben wir jedoch bei dem Problem der Nutzanwendung von Logik auf dem Gebiete der em­pi­ri­schen Einzelwissenschaften.

„The rounded growth of knowledge however requires both mathematics and something that is not mathematics. By inquiring into the limitations of mathe­ma­tics we may become clearer as to what is ‘not-mathematics.’ (Boulding 1955a)

Eine Verwendung von Logik zwecks empirischer Erkenntnis sieht so aus, dass eine derartige An­wendung von Logik oder Mathematik als eine Kombination

„formale Wissenschaft + X“

auf­gefasst werden muss. Diese Relation umfasst also immer mehr als die betreffende formale Wissenschaft der Logik selbst. Denn:

„...kein formales Schema kann aus sich selbst heraus seine eigene Anwend­bar­keit beweisen.“ (Toulmin 1978a:81)

Poser macht den Zusammenhang zwischen Mathematik und ihrer Anwendung an ei­nem ein­fa­chen Beispiel [7]) deutlich. Hutchison (1964a:274) zitiert Einstein (1921a:6), der wie Po­ser strikt zwischen einem wahren Satz der Geometrie sowie einer möglicherweise wahren An­wen­dung dieses Satzes auf reale Gegebenheiten unterschieden hat. Bereits Platon war die Ge­o­me­trie ein Gegenstand von Modelldiskussion; gerade dieses Paradigma von wissenschaft­li­cher Er­kenntnis führte ihn zur Annahme idealisierter Gegenstände (Mittelstraß 1981a).

Was lernen wir daraus? - Ob diese Interpretationen durch die entsprechenden formalen Me­tho­den sachgerecht begründet, d.h. ökonomisch bzw. methodologisch sinnvoll und valide sind, kann nicht die Mathematik entscheiden, so wenig wie die Logik entscheiden kann, was ei­ne sinn­volle Methodologie darstellt. Bei der kritisch-rationalen Wissenschaftslogik fällt also be­wusst unter den Tisch, dass mit der jeweiligen Anwendung der symbolischen Logik auf ei­ne Fra­ge der Methodolo­gie immer auch eine ent­sprechende Entscheidung erkenntnis­theore­ti­scher oder philosophischer Art verknüpft ist. Gefordert wäre daher eine entsprechende Ex­po­si­tion die­ser philosophischen Prämissen und eine philosophische Auseinandersetzung mit de­nen der kri­tisierten Methodologien. Dies unterbleibt jedoch in aller Regel, indem so getan wird, als ge­he es nur darum, diesen be­stimmte logische Schnitzer nachzuweisen. Die eigene Philosophie ver­bleibt innerhalb dieser ganzen Aktion unausgesprochen und unkritisiert .

Der Kontrahent wird mit der Autorität der Logik geblendet. Insgeheim aber wird, logisch ein­ge­kleidet oder impliziert durch deren Anwendungsweise, Philosophie transportiert. Es ist da­her nur allzu verständlich, dass diese philosophische Polemik im Gewande logischer Kritik bei ih­ren Op­fern auf lebhaft empfundene Ressentiments stößt, welche emotionalen Reaktio­nen die er­klärten Feinde des Dogmatismus aber nur noch mehr in ihrem Verdacht betreffs der Ir­ra­tio­na­lit­ät ihrer Gesprächspartner zu bestärken geeignet sind - Dogmatismuskritik als self-ful­filling pro­phecy. So sind diese scheinbaren Ideologie-Kritiker in der beneidenswerten Lage, ih­re eigene Nach­frage zu produzieren und damit ihre Daseinsberechtigung selbst reprodu­zie­ren zu können.

Grundlage solcher Konfusionen und Polemiken ist häufig eine Diskrepanz zwischen dem Prä­zi­sionsgrad logistischer Systeme und ihrer Einbettung in sprachliche, soziale, technische und / oder philosophische Zusammenhänge. Hier liegt die Analogie von der Logik als einem sprach­li­chen Präzisionsinstrument mit dem Computer als einem rationalen Mechanismus na­he. Der ge­meine Menschenverstand erliegt hier wie da oft dem Fehlschluss von der inter­nen Ra­tio­na­li­tät des Mittels auf die Rationalität der damit zu bewirkenden Zwecke. Ein sol­cher Denk­fehler ist bei der Un­durchsichtigkeit und Komplexität der betreffenden formalen Zu­sam­men­hänge ver­ständlich. Prinzipiell bedeutet eine derartige Faszination durch Technik je­doch nichts­desto­we­niger einen Rückfall in magisches Denken oder eine scheinbare Erfül­lung kind­li­cher Omni­po­tenz-Gefühle. Die Herrschaft der Mittel kann hier wie sonst nur die ir­ra­ti­onale Herr­schaft der Technokraten zur Konsequenz haben.



[1] ) „Pending clarification of these questions, I am not clear that what Sir Karl has given us is a logic of know­led­ge at all. In my conclusion I shall suggest that, though equally valuable, it is some­thing else entirely. Rather than a logic, Sir Karl has provided an ideology; rather than methodolo­gi­cal rules, he has supplied procedural maxims." (Kuhn 1970a:15)

[2]) „Es ist tatsächlich so, dass wir auf wissenschaftlichem und anderen Gebieten nicht für oder gegen Menschen oder Dinge, wie sie tatsächlich sind, sondern für oder gegen die Karikaturen, die wir aus ihnen machen, kämp­fen.“ (Schumpeter 1965a:135)

[3]) „Ein eigentliches Kompendium jedoch hat den für fertig angesehenen Umkreis einer Wis­sen­schaft zum Gegenstande, und das ihm Eigentümliche ist, vielleicht einen kleinen Zusatz hier und da ausgenommen, vornehmlich die Zusammenstellung und Ordnung der wesentlichen Mo­men­te eines Inhalts, der längst ebenso zugegeben und bekannt ist, als jene Form ihre längst aus­ge­machten Regeln und Manieren hat. Von einem philosophischen Grundriss erwartet man diesen Zu­schnitt schon etwa darum nicht, weil man sich vorstellt, das, was die Philosophie vor sich brin­ge, sei ein so übernächtiges Werk als das Gewebe der Penelope, das jeden Tag von vorne angefan­gen werde." So der "Dogmatiker": Hegel, Rechtsphilosophie:3).

[4]) „Wie die Elementarlehre in der Logik die Elemente und Bedingungen der Vollkommenheit einer Erkenntnis zu ihrem Inhalt hat: so hat dagegen die allgemeine Methodenlehre, als der andre Teil der Logik, von der Form einer Wissenschaft überhaupt, oder von der Art und Weise zu han­deln, das Mannigfaltige der Erkenntnis zu einer Wissenschaft zu verknüpfen." (Kant VI:571)

[5]) „Wer sich mit moderner Logik und mathematischer Grundlagenforschung beschäftigt, muss sich, sei es auch widerstrebend, die Auffassung zu eigen machen, dass es die Logik und die Ma­thematik nicht gibt, sondern dass Alternativmöglichkeiten existieren, Logik und Mathematik als wissenschaftliche Disziplinen zu betreiben. Ebenso sollte sich der Wissenschaftstheoretiker so früh als möglich mit dem Gedanken vertraut machen, dass es nicht nur ein, sondern verschiedene Re­kon­struktionsmöglichkeiten dessen gibt, was man wissenschaftliche Erkenntnis nennt, und dass wir vielleicht niemals einen vollständigen Überblick über alle diese Möglichkeiten gewinnen wer­den." (Stegmüller 1974a:XXVI)

[6]) zu Poppers Versuch einer neu­ar­tigen Theo­rie der Deduktion siehe Lejewski (1974a)

[7]) "Die Verbindung zwischen beiden Bereichen, also zwischen dem angewendeten Satz des Py­thagoras in der Feldvermessung und dem rein geometrischen Gebilde, wird durch Zuord­nungs­regeln gestiftet, die - im Falle unseres Beispiels - geometrische Geraden realen Bandmaßen oder Mess­latten der Geodäten zuordnen. Solche Zuordnungen sind auf mannigfaltige Art denkbar - und garantieren damit die Breite der Anwend­barkeit einer bestimmten mathematischen Aussage. - Doch können solche Zuordnungen auch untauglich sein, denn während niemand bezweifelt, dass 2 + 2 immer 4 ergibt, ergibt das Hinzufügen von 2 Wassertropfen zu 2 Wassertropfen kaum 4 Was­sertropfen, und '20° C + 20° C' sind beileibe nicht 40° C, sondern es handelt sich um einen sinnlosen Ausdruck, weil im vorliegenden Fall für '+' keine sinnvolle Zuordnungsregel bekannt ist. Niemand würde jedoch hieraus den Schluss ziehen wollen, gelegentlich sei 2+2 ungleich 4 und ge­le­gent­lich seien mathematische Aussagen unzuverlässig; vielmehr muss man konstatieren, dass sich die Gewissheit mathematischer Aussagen nicht auf die Anwendung überträgt." (Poser 1976a:78)

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