Gemäß der Tradition des Wiener Kreises wird der empirische Gehalt einer Theorie gefunden, indem diese „logisch rekonstruiert“, d.h. in eine Idealsprache übersetzt werde. Theorien gelten nur insoweit als sinnvoll, als diese Übersetzung möglich sei. Damit wird aber das unbegründete Vorurteil für eine neutrale Beobachtungssprache konserviert. Bei der Konstruktion der Idealsprache stieß man auf Probleme, von der man in der Physik bislang nichts wusste (Feyerabend 1976a:379, Anm.139). Aber:
„Für den Methodologen müssen sich Probleme stellen, an die andere Leute oft nicht denken.“ (Albert 1972c:287)
In ähnlicher Weise gab es für Carnap (1934a) nur 2 Arten sinnvoller Fragen: (1) Objektfragen und (2) die damit verbundenen logischen Fragen, d.h. Wissenschaftslogik. Schon durch den Titel „Logik der Forschung“ knüpft Popper (1984a) an diesem so überlieferten Neopositivismus an. Als Vorläufer dieser als Logik aufgezäumten Methodologie ist J. St. Mill zu nennen, dessen Kontroverse mit Whewell von Wettersten (1992a) äußerst instruktiv nachgezeichnet wurde. „The half-hidden agenda“ dieser Kontroverse war wie später bei Popper die mit allem Glanz formaler Rigorosität und einem großen Aufwand an philosophischen Invektiven herausgeputzte Ideologie der Wissenschaftlichkeit [1]), welche mit der wissenschaftlichen Praxis nur noch legitimatorisch befasst ist.
Wer sich gegen Argumente von Wissenschaftslogik stelle, verstoße damit aber gegen die Grundgesetze der genannten formalen Wissenschaften. Dies ist die implizite Logik von Rhetorik, womit derlei Positionen sodann verteidigt zu werden pflegen. Die angegriffenen Methodologien und deren philosophische Begründungen werden dabei als Pappkameraden rekonstruiert.[2]) Popper baut sich Idealtypen der von ihm angegriffenen philosophischen Lehren. Wenn ihm aber Weber aufgrund seiner Methode des Idealtyps als ein Essentialist gilt, was ist dann Popper? Die angegriffenen Auffassungen werden in ihrem „Wesen“ enthüllt und bis auf die Knochen blamiert: nicht bloß als wissenschaftlich verstaubt und überholt, sondern so, dass sie offensichtlich als gröbste logische Schnitzer dastehen. Über die Rekonstruktion einer problemgeschichtlichen Situationslogik kommt bei Popper nur allzu häufig die Gültigkeitsprüfung anhand der historischen Quellensituation zu kurz. Logische Plausibilität siegt dann über historische Wahrheit.
Siehe z. B. Poppers Abhandlung der „Manifestationstheorie“, „Essentialismus“ , der Dialektik etc. oder Alberts (1967c) kurzgefasste Einführung in die Wissenschaftslogik im „Handbuch der Sozialwissenschaften“, einer „Zusammenfassung der hauptsächlichsten Irrtümer unserer Zeit“ (Syllabus; Topitsch 1966a:78), wohlgemerkt ein Handbuch, von dem man annehmen kann, dass es von Studenten gelesen wird, die nach dieser Lektüre kaum mehr in ihrem Leben etwas mit Wissenschaftstheorie oder Methodologie am Hut haben werden, ergo von dem Gelesenen aller Voraussicht nach als von einem lebenslang gehüteten Dogmenschatz zehren werden. Im Übrigen ist aber ein Handbuch durchgängig dogmatisch gehalten: „eine Ansammlung von gesichertem Wissen (a body of knowledge)“ (Popper 1992b:334); ein „Handbuch des Fallibilismus“ also genau genommen eine contradictio in adiecto, wie z.B. ein Kompendium [3]) der Philosophie.
In der dabei benutzten, mehr rhetorisch als argumentativ geschickten Darstellungsweise wird nicht berücksichtigt, dass Wissenschaftslogik immer nur eine Anwendung von Logik darstellen kann, so wie ein ökonomisches Modell immer nur eine Anwendung von Mathematik. Diese Fehleinschätzung wird vor allem bei Kade (1958a:41) erkennbar, für den die Mathematisierbarkeit der Ökonomie ein rein logisches, von keinerlei Erkenntnistheorie getrübtes Problem ist, so wie für Brinkmann (1989a:XIII) Wissenschaftstheorie von den logischen Prinzipien handelt, durch deren Anwendung aus Erkenntnis Wissenschaft wird. So werden vorgeblich aus dem Hut der Logik die sich rasch vermehrenden Kaninchen angeblich wissenschaftlich wohl gegründeter Wahrheiten gezaubert, ohne dass von einer „philosophy of science“ mehr groß die Rede zu sein braucht.
So darf nicht durch Etikettenschwindel unter den Tisch fallen, dass Logik als Lehre von den Prinzipien des korrekten Argumentierens (Stegmüller, 1974a:2), im heutigen Sprachgebrauch die symbolischen Logik, etwas anderes meint als das, was Philosophen traditionsgemäß seit Kant unter „Methodenlehre“ [4]) als ein weiteres Gebiet der Logik angesehen haben. Schließlich gibt es auch nicht „die Logik“ [5]) oder „die Methodologie“; beide können nämlich auf die unterschiedlichste Art und Weise rekonstruiert werden [6]). Grundsätzlich: Auch Logik selbst ist nichts Letztes, Unhinterfragbares oder etwa das letzte verbliebene Rückzugsgebiet der absoluten Gewissheit (Lask 1911a:25; Albert 1972c:27, Anm.19); insbesondere dann nicht, wenn, wie Lask (1911a) oder Lenk (1968a) dies für das Problemfeld der Kategorienlehre getan haben, die Logik der Philosophie zur zentralen Aufgabe einer philosophischen Logik erhoben wird.
Bleiben wir jedoch bei dem Problem der Nutzanwendung von Logik auf dem Gebiete der empirischen Einzelwissenschaften.
„The rounded growth of knowledge however requires both mathematics and something that is not mathematics. By inquiring into the limitations of mathematics we may become clearer as to what is ‘not-mathematics.’ “ (Boulding 1955a)
Eine Verwendung von Logik zwecks empirischer Erkenntnis sieht so aus, dass eine derartige Anwendung von Logik oder Mathematik als eine Kombination
„formale Wissenschaft + X“
aufgefasst werden muss. Diese Relation umfasst also immer mehr als die betreffende formale Wissenschaft der Logik selbst. Denn:
„...kein formales Schema kann aus sich selbst heraus seine eigene Anwendbarkeit beweisen.“ (Toulmin 1978a:81)
Poser macht den Zusammenhang zwischen Mathematik und ihrer Anwendung an einem einfachen Beispiel [7]) deutlich. Hutchison (1964a:274) zitiert Einstein (1921a:6), der wie Poser strikt zwischen einem wahren Satz der Geometrie sowie einer möglicherweise wahren Anwendung dieses Satzes auf reale Gegebenheiten unterschieden hat. Bereits Platon war die Geometrie ein Gegenstand von Modelldiskussion; gerade dieses Paradigma von wissenschaftlicher Erkenntnis führte ihn zur Annahme idealisierter Gegenstände (Mittelstraß 1981a).
Was lernen wir daraus? - Ob diese Interpretationen durch die entsprechenden formalen Methoden sachgerecht begründet, d.h. ökonomisch bzw. methodologisch sinnvoll und valide sind, kann nicht die Mathematik entscheiden, so wenig wie die Logik entscheiden kann, was eine sinnvolle Methodologie darstellt. Bei der kritisch-rationalen Wissenschaftslogik fällt also bewusst unter den Tisch, dass mit der jeweiligen Anwendung der symbolischen Logik auf eine Frage der Methodologie immer auch eine entsprechende Entscheidung erkenntnistheoretischer oder philosophischer Art verknüpft ist. Gefordert wäre daher eine entsprechende Exposition dieser philosophischen Prämissen und eine philosophische Auseinandersetzung mit denen der kritisierten Methodologien. Dies unterbleibt jedoch in aller Regel, indem so getan wird, als gehe es nur darum, diesen bestimmte logische Schnitzer nachzuweisen. Die eigene Philosophie verbleibt innerhalb dieser ganzen Aktion unausgesprochen und unkritisiert .
Der Kontrahent wird mit der Autorität der Logik geblendet. Insgeheim aber wird, logisch eingekleidet oder impliziert durch deren Anwendungsweise, Philosophie transportiert. Es ist daher nur allzu verständlich, dass diese philosophische Polemik im Gewande logischer Kritik bei ihren Opfern auf lebhaft empfundene Ressentiments stößt, welche emotionalen Reaktionen die erklärten Feinde des Dogmatismus aber nur noch mehr in ihrem Verdacht betreffs der Irrationalität ihrer Gesprächspartner zu bestärken geeignet sind - Dogmatismuskritik als self-fulfilling prophecy. So sind diese scheinbaren Ideologie-Kritiker in der beneidenswerten Lage, ihre eigene Nachfrage zu produzieren und damit ihre Daseinsberechtigung selbst reproduzieren zu können.
Grundlage solcher Konfusionen und Polemiken ist häufig eine Diskrepanz zwischen dem Präzisionsgrad logistischer Systeme und ihrer Einbettung in sprachliche, soziale, technische und / oder philosophische Zusammenhänge. Hier liegt die Analogie von der Logik als einem sprachlichen Präzisionsinstrument mit dem Computer als einem rationalen Mechanismus nahe. Der gemeine Menschenverstand erliegt hier wie da oft dem Fehlschluss von der internen Rationalität des Mittels auf die Rationalität der damit zu bewirkenden Zwecke. Ein solcher Denkfehler ist bei der Undurchsichtigkeit und Komplexität der betreffenden formalen Zusammenhänge verständlich. Prinzipiell bedeutet eine derartige Faszination durch Technik jedoch nichtsdestoweniger einen Rückfall in magisches Denken oder eine scheinbare Erfüllung kindlicher Omnipotenz-Gefühle. Die Herrschaft der Mittel kann hier wie sonst nur die irrationale Herrschaft der Technokraten zur Konsequenz haben.
[1] ) „Pending clarification of these questions, I am not clear that what Sir Karl has given us is a logic of knowledge at all. In my conclusion I shall suggest that, though equally valuable, it is something else entirely. Rather than a logic, Sir Karl has provided an ideology; rather than methodological rules, he has supplied procedural maxims." (Kuhn 1970a:15)
[2]) „Es ist tatsächlich so, dass wir auf wissenschaftlichem und anderen Gebieten nicht für oder gegen Menschen oder Dinge, wie sie tatsächlich sind, sondern für oder gegen die Karikaturen, die wir aus ihnen machen, kämpfen.“ (Schumpeter 1965a:135)
[3]) „Ein eigentliches Kompendium jedoch hat den für fertig angesehenen Umkreis einer Wissenschaft zum Gegenstande, und das ihm Eigentümliche ist, vielleicht einen kleinen Zusatz hier und da ausgenommen, vornehmlich die Zusammenstellung und Ordnung der wesentlichen Momente eines Inhalts, der längst ebenso zugegeben und bekannt ist, als jene Form ihre längst ausgemachten Regeln und Manieren hat. Von einem philosophischen Grundriss erwartet man diesen Zuschnitt schon etwa darum nicht, weil man sich vorstellt, das, was die Philosophie vor sich bringe, sei ein so übernächtiges Werk als das Gewebe der Penelope, das jeden Tag von vorne angefangen werde." So der "Dogmatiker": Hegel, Rechtsphilosophie:3).
[4]) „Wie die Elementarlehre in der Logik die Elemente und Bedingungen der Vollkommenheit einer Erkenntnis zu ihrem Inhalt hat: so hat dagegen die allgemeine Methodenlehre, als der andre Teil der Logik, von der Form einer Wissenschaft überhaupt, oder von der Art und Weise zu handeln, das Mannigfaltige der Erkenntnis zu einer Wissenschaft zu verknüpfen." (Kant VI:571)
[5]) „Wer sich mit moderner Logik und mathematischer Grundlagenforschung beschäftigt, muss sich, sei es auch widerstrebend, die Auffassung zu eigen machen, dass es die Logik und die Mathematik nicht gibt, sondern dass Alternativmöglichkeiten existieren, Logik und Mathematik als wissenschaftliche Disziplinen zu betreiben. Ebenso sollte sich der Wissenschaftstheoretiker so früh als möglich mit dem Gedanken vertraut machen, dass es nicht nur ein, sondern verschiedene Rekonstruktionsmöglichkeiten dessen gibt, was man wissenschaftliche Erkenntnis nennt, und dass wir vielleicht niemals einen vollständigen Überblick über alle diese Möglichkeiten gewinnen werden." (Stegmüller 1974a:XXVI)
[6]) zu Poppers Versuch einer neuartigen Theorie der Deduktion siehe Lejewski (1974a)
[7]) "Die Verbindung zwischen beiden Bereichen, also zwischen dem angewendeten Satz des Pythagoras in der Feldvermessung und dem rein geometrischen Gebilde, wird durch Zuordnungsregeln gestiftet, die - im Falle unseres Beispiels - geometrische Geraden realen Bandmaßen oder Messlatten der Geodäten zuordnen. Solche Zuordnungen sind auf mannigfaltige Art denkbar - und garantieren damit die Breite der Anwendbarkeit einer bestimmten mathematischen Aussage. - Doch können solche Zuordnungen auch untauglich sein, denn während niemand bezweifelt, dass 2 + 2 immer 4 ergibt, ergibt das Hinzufügen von 2 Wassertropfen zu 2 Wassertropfen kaum 4 Wassertropfen, und '20° C + 20° C' sind beileibe nicht 40° C, sondern es handelt sich um einen sinnlosen Ausdruck, weil im vorliegenden Fall für '+' keine sinnvolle Zuordnungsregel bekannt ist. Niemand würde jedoch hieraus den Schluss ziehen wollen, gelegentlich sei 2+2 ungleich 4 und gelegentlich seien mathematische Aussagen unzuverlässig; vielmehr muss man konstatieren, dass sich die Gewissheit mathematischer Aussagen nicht auf die Anwendung überträgt." (Poser 1976a:78)
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