Dies ist der gebündelte Versuch einer Replik auf: Karl R. Popper, Das Elend des Historizismus, was eine Replik darstellte auf: Karl Marx, Das Elend der Philosophie, was eine Replik darstellte auf: Proudhon, Die Philosophie des Elends

22.10.2005

Wie soll man definieren?

Sprache erfüllt eine Verweisfunktion , d.h. sie verweist immer auf anderes. Schon die Poetik des Aristoteles thematisierte in der mimesis diesen Verweis­cha­rakter (Höffe 1981b:89). Ihn hat spä­ter Ockham weiter entwickelt: Er versteht den Begriff als ein Etwas in der Seele, das na­tür­licherweise etwas anderes bedeutet, als wofür es im Satz stehen kann (Imbach 1981a:238f). In die­sem be­stimmten Sinne sprechen wir schon immer HTML: Hyper Text Language [1]).

„There can always be a further text." (Fox 1995a)

Jedes Zeichen stellt semantisch eine Relation dar, und ist nicht einfach ein nicht weiter dif­fe­ren­zierbares Merkmal, d.h. ein einstelliges Prädikat (Wein 1961a). Fox (1995a) spricht die ana­lo­ge Problematik der Beziehungen zwischen Texten als „inter­textuality" an. Wer die Welt aber im­mer nur in einer Sprache kennen lernt, verfällt insgeheim leicht dem natürlichen Dogmatismus einer jeden natürlichen Sprache: dann ist Sprache die Welt der Objekte. Die Re­la­tivität der sprachlichen Be­deu­tun­gen tritt in den Hintergrund: Das Wort ist das Objekt. Dann ist der Schritt nur noch einfach, anzunehmen, dass Wort und Bedeutung identisch seien, al­so zu glau­ben, dass die Frage nach der richtigen Bedeutung eines Wortes eine durchaus sinn­volle sei.

In diesem Sinne sagt Dykes (o. J.:03): "Dies ist ein Feigenbaum." [2]) Also wach­sen daran nächsten Sommer Feigen! Darauf beruht der Grundgedanke des ari­sto­te­li­schen Erkenntnis­pro­gramms, der immer noch stark im heutigen gesunden Menschenverstand und alltäglichen Sprachgebrauch verankert ist: dass das letzte Erkenntnisziel die richtige De­fi­ni­tion der Dinge sei. Wenn ich einen Feigenbaum rich­tig definiert habe, dann kenne ich seine Na­tur, d.h. ich weiß ich unter ande­rem, was ich von ihm (z.B. an Früchten) zu gewärtigen habe. Was könnte ich über die Natur eines Dinges hinaus definitiv noch mehr wissen?!

Popper verquickt völlig unnötig und verwirrend mit dieser Problematik das beson­dere Pro­blem einer Definitionslehre. Er hätte aber schon bei Platon und Aristoteles, wenn nicht spä­ter­hin bei Hegel und Marx sehen können, dass die Fragen:

Wie definiere ich sinnvoller Weise?

Was ist eine Definition im logischen Verstande?

mit der Frage des Wesens nichts unmittelbar zu tun haben und in jedem Fall ge­sondert zu be­trach­ten sind. Einzig Aristoteles stellt einen expliziten Zusammen­hang her durch seine be­son­de­re Metaphysik. Wie schon von Schelling (5) in seiner historisch-kritischen Einführung in die Philosophie der Mythologie an­gedeutet, kann man in der Wesenslehre eine Verbindung her­stellen zwischen der mytho­lo­gi­schen An­schau­ungsweise, die hinter jedem Ding einen Gott oder Dämon am Wer­ke glaubt, und der begriffs­lo­gi­schen, die das wirksame Prinzip einer je­den Sache darzustel­len sucht. Die Magie des Namenszaubers (Zucker 1948a:38) feiert im In­for­ma­ti­ons­zeitalter fröhliche Urständ in Form des EDV-Befehls und ins­be­sondere des pass-word: Wie sa­ge ich es meinem Computer? Aber schon bei Aristoteles muss man die bei­den soeben ge­stell­ten Fragen aus­einanderhalten. Wie Hägler (1994a:50) nachweist, ist bereits innerhalb der lo­gi­schen Theorie der Identität die Frage nach den formalen Bedingungen der Identität zu tren­nen von der Frage nach den jeweili­gen Kriterien der Überprüfung von Iden­ti­täts­be­haup­tun­gen bzw. des Für­wahrhal­tens derselben.



[1]) Nelson (1999a) bemängelt als einen schwerwiegenden Geburtsfehler von HTML, dass dessen einseitige Verwei­sungsstruktur nur hin- und nicht zu­rück­verweist.

[2]) Die vergleichbare Frage stellt sich für die Dattelpalme:

"Es liegt große Freude darin, Nathanael, schon einfach zu behaupten:
Die Frucht der Palme nennt sich Dattel und ist eine köstliche Speise.
Der Wein der Palme nennt sich Lagmy und ist ihr gegorener Saft;
Einen Becher Lagmy bot mir der kabylische Hirte in den schönen Gärten von Ouardi." (Gide 1974a:35)

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