Popper tritt - ähnlich wie die meisten Marxisten - für die Parteilichkeit der Philosophie ein [1]). Wie kann man aber von etwas fest überzeugt sein, dessen Prüfung nicht abgeschlossen worden ist, ja die prinzipiell nie abgeschlossen werden kann. Oder vielleicht noch überhaupt nicht begonnen wurde? Kann ein radikaler Fallibilist (Schizophrenie ausgeschlossen) überhaupt von irgendetwas fest überzeugt sein? Ist ein Fallibilist überhaupt entscheidungs- und handlungsfähig?
Wie Agassi berichtet, fiel Popper das Eingeständnis nicht leicht, dass eine rationale Diskussion von Ethik bzw. Werten überhaupt möglich sei [2]). Seine Wertposition führt Popper dabei überraschenderweise als ein privates Glaubensbekenntnis ein. Bekräftigt wird selbiges durch einen eindrucksvollen Ausdruck von Glaubensstärke, was bei einem erklärten Fallibilisten doch erstaunen lässt:
„For all his belittlement of knowledge and certainty, I have never read anyone who wrote so many books all imbued with such conscious certainty and authority - the authority of one who knows." (Dykes o. J.)
Eine tiefe Überzeugung, möge sie auch noch so wahrhaftig oder "politisch korrekt" (Kurthen, Losey 1995a) sein, stellt kein Argument dar.[3]) Dennoch ist die eigene Überzeugtheit eine unerlässliche Voraussetzung für die Fähigkeit, seine Mitmenschen zu überzeugen, weshalb es jedem Verkäufer, Politiker, Pfarrer [4]), Manager oder Stellenbewerber in zahllosen Rhetorik-Schulungen und Rollentrainings immer wieder beigebracht wird.
Sollen wir Popper seine Theorien nur deswegen abkaufen, weil uns seine politische Ausrichtung oder Grundeinstellung entgegenkommen? Gerade dieses wird uns von den Poppers Rezensenten angesonnen, wenn sie rühmen: Poppers kämpferischen Einsatz für die Demokratie, für die Freiheit, für den Westen, etc. Die gute politische Absicht ist aber kein Ersatz für fehlende Argumente.[5]) Mit der eigenen Überzeugtheit argumentieren - was ist das anderes, als das eigene Werten als eine Einsicht zu behaupten, d.h. der eigenen Wertung den Charakter von Erkenntnis zuzuschreiben? So wird vom Kritischen Rationalismus der Unterschied von Sein und Sollen gegenüber gegnerischen Positionen stets herausgekehrt - der von Popper praktizierte Argumentationsstil verstößt jedoch sträflich dagegen.
Es stellt sich hier die Frage, ob Poppers Philosophieren auf eine selbstgesetzte Schranke stößt:
"Diejenigen, welche am unmittelbaren Wissen kleben zu bleiben sich entschlossen und deshalb auch meinen, sie blieben wirklich im unmittelbaren Wissen, können sich konsequenterweise nicht zu einem Räsonnement ausbreiten, sondern müssen sich begnügen, in Vorreden und bei anderen Gelegenheiten aus der Autorität ihres Gefühls und Glaubens absprechende, nicht mit Räsonnement, noch weniger von Begriffen unterstützte Versicherungen zu machen, (...)" (Hegel, Rezensionen:226)
[1]) „Ich möchte nochmals die Gelegenheit wahrnehmen, um ausdrücklich klarzumachen, dass ich nicht vorgebe, unparteiische historische Urteile zu fällen. Natürlich bemühe ich mich, die relevanten Tatsachen objektiv festzustellen. Ich bin mir aber wohl bewusst, dass meine Bewertungen (wie etwa die Bewertungen eines jeden anderen Menschen) weitgehend von meinem moralischen Standpunkt abhängen müssen. Aber obgleich ich dies zugebe, bin ich doch von der Richtigkeit meines Standpunktes (und daher auch meiner Bewertungen) fest überzeugt.“
[2]) „Yet one of his ideas which I turned down was that we should have much work to do and struggle in a losing battle to do it; another was his view that ethical issues are uninteresting and debating them is a waste of precious time. The worst of it was, he simply could not discuss ethics with me: even while solemnly expressing readiness to do so he sabotaged discussion on ethics." (Agassi 1993a:65)
[3]) "Was nutzt zuletzt die Berufung auf die unerschütterliche Überzeugung? Nicht nur die Wahrheit, sondern auch der Irrtum hat seine Märtyrer." (Elsner 1975a:294ff)
[4]) "Der Professor ist vielfach ein modernisierter Priester; Vorlesungen über Philosophie nehmen daher nicht selten den Charakter einer Predigt an." (Neurath 1931a:11)
[5]) „Das bedeutet aber, dass Poppers ethische Kritik am Historizismus, so sehr diese auch von denjenigen, die Poppers moralischen Standpunkt teilen, begrüßt werden mag, dennoch aus wissenschaftlicher Sicht wegen ihrer Beliebigkeit zurückgewiesen werden muss." (Habermehl 1980a:144) - „critical preference counts, but not belief.” (Popper 1973a:107)
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