Dies ist der gebündelte Versuch einer Replik auf: Karl R. Popper, Das Elend des Historizismus, was eine Replik darstellte auf: Karl Marx, Das Elend der Philosophie, was eine Replik darstellte auf: Proudhon, Die Philosophie des Elends

22.10.2005

Wie löst Popper die Aufgabe, Entscheidungen rational zu wählen?

" Seeing what I was against helped me become clearer about what I was for." (Marx 2000b)

Popper tritt - ähnlich wie die meisten Marxisten - für die Parteilichkeit der Philosophie ein [1]). Wie kann man aber von etwas fest überzeugt sein, dessen Prüfung nicht abgeschlossen worden ist, ja die prinzipiell nie abgeschlossen werden kann. Oder vielleicht noch überhaupt nicht be­gon­nen wurde? Kann ein radikaler Fallibilist (Schizophrenie ausgeschlossen) überhaupt von irgend­et­was fest überzeugt sein? Ist ein Fallibilist überhaupt entscheidungs- und handlungsfähig?

Wie Agassi berichtet, fiel Popper das Eingeständnis nicht leicht, dass eine rationale Diskussion von Ethik bzw. Werten überhaupt möglich sei [2]). Seine Wertposition führt Popper dabei über­ra­schen­derweise als ein privates Glaubensbekenntnis ein. Bekräftigt wird selbiges durch einen ein­drucksvollen Ausdruck von Glaubensstärke, was bei einem er­klär­ten Fallibi­li­sten doch erstaunen lässt:

„For all his belittlement of knowledge and certainty, I have never read anyone who wrote so many books all imbued with such conscious certainty and autho­ri­ty - the authority of one who knows." (Dykes o. J.)

Eine tiefe Über­zeu­gung, möge sie auch noch so wahrhaftig oder "politisch korrekt" (Kurthen, Lo­sey 1995a) sein, stellt kein Ar­gu­ment dar.[3]) Dennoch ist die eigene Überzeugtheit eine uner­läss­li­che Voraussetzung für die Fähig­keit, seine Mitmenschen zu überzeugen, weshalb es je­dem Ver­käufer, Po­li­tiker, Pfarrer [4]), Ma­nager oder Stellenbewerber in zahllosen Rhetorik-Schu­lun­gen und Rol­len­trainings immer wie­der bei­gebracht wird.

Sollen wir Popper seine Theorien nur deswegen abkaufen, weil uns sei­ne politische Ausrich­tung oder Grundeinstellung entgegenkom­men? Gerade dieses wird uns von den Poppers Rezen­sen­ten angesonnen, wenn sie rühmen: Poppers kämpferischen Einsatz für die De­mo­kra­tie, für die Freiheit, für den Wes­ten, etc. Die gute politische Absicht ist aber kein Ersatz für feh­len­de Argu­mente.[5]) Mit der eigenen Überzeugtheit ar­gu­mentieren - was ist das an­deres, als das eigene Wer­ten als ei­ne Einsicht zu be­haupten, d.h. der ei­genen Wertung den Charakter von Er­kenntnis zu­zu­schrei­ben? So wird vom Kritischen Ra­tionalis­mus der Un­terschied von Sein und Sol­len ge­gen­über gegnerischen Positionen stets her­aus­gekehrt - der von Popper praktizierte Ar­gu­men­ta­ti­onsstil ver­stößt jedoch sträflich dagegen.

Es stellt sich hier die Frage, ob Poppers Philosophieren auf eine selbstgesetzte Schran­ke stößt:

"Diejenigen, welche am unmittelbaren Wissen kleben zu bleiben sich ent­schlos­sen und deshalb auch mei­nen, sie blieben wirklich im unmittelbaren Wissen, kön­nen sich konsequenterweise nicht zu einem Rä­son­ne­ment aus­breiten, sondern müs­sen sich be­gnügen, in Vorreden und bei anderen Gelegenheiten aus der Au­to­ri­tät ih­res Ge­fühls und Glaubens absprechende, nicht mit Räsonnement, noch we­ni­ger von Be­griffen unter­stütz­te Ver­siche­run­gen zu machen, (...)" (Hegel, Rezen­si­o­nen:226)



[1]) „Ich möchte nochmals die Gelegenheit wahrnehmen, um ausdrücklich klarzu­ma­chen, dass ich nicht vorgebe, un­parteiische historische Urteile zu fällen. Na­türlich bemühe ich mich, die relevanten Tatsachen objektiv fest­zu­stel­len. Ich bin mir aber wohl bewusst, dass meine Be­wertungen (wie etwa die Bewertungen ei­nes jeden ande­ren Men­schen) weitgehend von mei­nem moralischen Standpunkt ab­hängen müssen. Aber obgleich ich dies zugebe, bin ich doch von der Richtig­keit meines Stand­punk­tes (und daher auch meiner Bewertungen) fest über­zeugt.“

[2]) „Yet one of his ideas which I turned down was that we should have much work to do and struggle in a losing battle to do it; another was his view that ethical issues are uninteresting and de­ba­ting them is a waste of precious ti­me. The worst of it was, he simply could not discuss ethics with me: even while solemnly expres­sing readiness to do so he sabotaged discussion on ethics." (Agassi 1993a:65)

[3]) "Was nutzt zuletzt die Berufung auf die unerschütterliche Überzeugung? Nicht nur die Wahr­heit, son­dern auch der Irrtum hat seine Märtyrer." (Elsner 1975a:294ff)

[4]) "Der Professor ist vielfach ein modernisierter Priester; Vorlesungen über Philosophie nehmen daher nicht selten den Charakter einer Predigt an." (Neurath 1931a:11)

[5]) „Das bedeutet aber, dass Poppers ethische Kritik am Historizismus, so sehr diese auch von den­jenigen, die Poppers moralischen Standpunkt teilen, begrüßt werden mag, dennoch aus wis­sen­schaftlicher Sicht we­gen ihrer Be­liebigkeit zurückgewiesen werden muss." (Habermehl 1980a:144) - „cri­tical preference counts, but not belief.” (Popper 1973a:107)

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