Ebenso wie Mills tritt auch Albert (1972c:119) sowohl für eine technologische als auch für eine kritisch aufklärerische Funktion von Sozialwissenschaft ein. Rational kann eine Aussage aber nur sein, wenn sie von einem anderen, der gegenteilige Wertpositionen vertritt [1]), dennoch ebenfalls akzeptiert werden muss, das heißt: wenn jeder rationale Mensch aufgrund des vom jeweiligen Autor explizit vorgegebenen Wertstandpunkts zu denselben Entscheidungen logisch zwingend kommen muss. Das ist schließlich auch die fundamentale Funktion des Wertfreiheits-Postulats [2]), nämlich eine wissenschaftliche Kommunikation trotz divergierenden Werthaltungen zu ermöglichen.
Allerdings insistiert Albert (1976a:170ff), normative Aussagen seien nicht notwendig, um eine empirische Wissenschaft praktisch anwenden zu können [3]). Auch methodologische Regeln, obwohl in ihrem Charakter und in ihrer pragmatischen Funktion wirklich normativ, brauchen und sollten daher auch nicht normativ formuliert werden. Offenbar steht hinter dieser seiner Position die Auffassung, dass sich die Überprüfbarkeit von Normen und Wertungen lediglich auf ihren sachlichen Gehalt erstreckten, so dass es vorzuziehen sei, genau diesen bei deren Formulierung in den Vordergrund zu stellen.
Darin zeigen sich aber bei Albert selbst Rudimente des positivistischen Ansatzes der Ideologie-Kritik von Geiger und Myrdal (1932a), die gerade in der "Krypto-Normativität“ den ideologischen Charakter ökonomischer Lehren festzumachen suchten. Geigers (1953a) radikale Interpretation von Werturteilen als falsche Aussagen geht zurück auf eine platonistische Deutung von Werturteilen, verbunden mit einer anti-platonistischen Frontstellung (Albert 1972c:134, Anm.18).
So wird am Wesens-Begriff von Nominalisten heftig kritisiert, dass er spielend den Übergang zur Wertung erlaube (Albert 1967d:247). Beispielsweise etwa vollführt Popper am Begriff "Wissenschaft" spielend den Übergang zwischen historischen Tatsachenbehauptungen und normativen "Vorschlägen". Man vergleiche Hegel:
„Die Kritik, in welchem Teil der Kunst oder Wissenschaft sie ausgeübt werde, fordert einen Maßstab, der von dem Beurteilenden ebenso unabhängig als von dem Beurteilten, nicht von der einzelnen Erscheinung noch der Besonderheit des Subjekts, sondern von dem ewigen und unwandelbaren Urbild der Sache selbst hergenommen sei.“ (Hegel, Aufsätze:2)
Albert (1976a:127) räumt indessen letztlich ein, dass Dingfestmachen eines krypto-normativen Charakters keineswegs hinreiche, um eine Theorie für den wissenschaftlichen Wettbewerb zu disqualifizieren. Wir können nämlich logisch immer vom normativen Charakter absehen, wenn wir nur wollen. Da die normative Funktion einer bestimmten Formulierung sogar vom Kontext abhängen kann (Albert 1972c:141), ist sogar unvermeidlich, eine entsprechende Bedeutungs-Dialyse vorzunehmen, wenn man sachliche und normative Aussage auseinanderhalten will. Entscheidend ist dann aber wohl, was an deskriptiv-nomologischen Gehalt vom Patienten übrigbleibt, nachdem wir diese Operation vorgenommen haben. Da ein Werturteil nicht nur der Sache nach, sondern auch von seiner wertenden Form bzw. ihrer Wertstruktur nach kritisch geprüft werden kann, ergibt sich daraus m.E. keine begründbare Präferenz weder für eine deskriptive noch für eine wertneutralisierende Ausdrucksweise.
„Die Eigenart der präskriptiven Sprache besteht aber gerade darin dass die pragmatische Komponente in der Vordergrund gerückt wird. Die normierende Funktion, die beabsichtigte Wirkung auf die Motivation des Verhaltens, kommt sozusagen schon in der Grammatik zum Ausdruck.“ (Albert 1976a:168)
Wenn aber eine Kritik am meisten durch eine transparente Darstellung gefördert wird, ist es vorzuziehen, dass normative und wertende Urteile diesen ihren Charakter schon in ihrer logischen Grammatik zum Ausdruck bringen, d.h. dass diese als normative Aussagen, Regeln, Imperative etc. formuliert werden und damit unter ihrer wahren logischen Flagge segeln. Die Sachlichkeit der Kritik muss unter dieser Darstellungsform überhaupt nicht leiden. Es stellt ein unbegründetes Präjudiz dar, dass Werturteile stets zu unsachlicher Argumentation führen müssen. Unsachlichkeit ist letztlich immer nur auf die Konfusion und Verwechslung der differierenden logischen Formen zurückzuführen. Dass aber unterschiedliche Menschen sich mit unterschiedlicher Lautstärke zu unterschiedlichen Normen und Werten bekennen, dies kann nicht schon der Sachlichkeit einer Diskussion abträglich sein.
[1]) Weber (1988a): „einem Chinesen“
[2]) „Vorurteile findet man durch Kontrast und nicht durch Analyse." (Feyerabend 1976a:50)
[3]) Insbesondere in Kritik an Weisser (1923a), seinem akademischen Lehrer, der das Programm verfolgt hatte, Wirtschaftspolitik auf ein System expliziter Werturteile zu gründen. "Die Rationalität im Bereich politischer Entscheidungen hängt nicht von der Existenz einer more geometrico konstruierten politischen Wissenschaft ab." Albert (1972c:112); vgl. dazu Braybrooke, Lindblom (1963a)
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