Dies ist der gebündelte Versuch einer Replik auf: Karl R. Popper, Das Elend des Historizismus, was eine Replik darstellte auf: Karl Marx, Das Elend der Philosophie, was eine Replik darstellte auf: Proudhon, Die Philosophie des Elends

22.10.2005

Krieg der Ideen

Ist es Popper nun gelungen, mehr als ein „subjektives Unbehagen über die Ziele und Normen der Historiz­i­sten geltend zu machen“? (Habermehl 1980a:140) Die Art und Weise, wie Popper mit seinen Be­wer­tungen umgeht, gefährdet letztlich sein eigenes Erkenntnisziel. Eine Kritik poli­ti­scher Phi­losophie betrifft sowohl alternative Metatheorien als auch alternative Wertstand­punk­te. Die einen wie die anderen werden aber von Popper nur unzu­reichend exponiert.

Wer seine eigene Position vertreten will, muss diese erst einmal kennenlernen.[1]) Um die ei­ge­ne Lehre kennen zu lernen, muss man erst einmal die anderen kennen. Ein Ver­gleich von Stand­punkten oder Kulturen setzt erst einmal das Studium anderer Standpunkte, Per­spektiven oder Kul­turen voraus. Contraria juxta se posita magis elucescunt.[2]) Eine monistische Philosophie ist ent­we­der trivial oder schlichtweg unverständlich, oder in die­sen verschiedenen Hinsichten alles gleich­zei­tig. Dies erklärt recht gut die Sterilität sowohl kirchlicher wie auch amtlicher Dok­trinen wie z.B. des parteiamtlichen Mar­xismus-Leninismus.

Kennen lernen, aber nicht durch die Brille des Gegners, als „Gegnerforschung“, sondern um un­par­teiisch Anderes oder Gleiches festzustellen. Solange sich die Kritik lediglich auf einen äu­ße­ren Geg­ner rich­tet, ist sie aber nicht glaubwürdig als kritischer Standpunkt.

“If an historian assumes one philosophy and describes the work of a scientist who assumes another, without realizing the differences between them, then while he can try to be fair he cannot be objective.” (Blackmore 1983a:18)

Zu oft geht Kritik nach außen mit Dog­ma­tismus nach innen [3]) einher, woher der Vorwurf der „halbierten Ratio­na­lität“ nur zu sehr ein­leuchtet. Radikal und kompromisslos klingt hier Mar­xens Forderung:

„Ist die Konstruktion der Zukunft und das Fertigwerden für alle Zeiten nicht un­sere Sache, so ist desto gewisser, was wir gegenwärtig zu vollbringen haben, ich mei­ne die rücksichtslose Kritik alles Bestehenden, rücksichtslos sowohl in dem Sin­ne, dass die Kritik sich nicht vor ihren Resultaten fürchtet und ebenso wenig vor dem Konflikt mit den vorhandenen Mächten.“ (Marx, MEW 1:344)

Popper hingegen glaubt an den "Krieg der Ideen" [4]). Tut man Popper unrecht, wenn man ihm diese Metapher als einen Aufruf zur psychologischen Kriegs­führung auslegt? Das machtvollste Wissen ist das Wissen an der Macht, das Herrschaftswissen. Wie der NATO-Krieg gegen Serbien erneut gezeigt hat, führen Kriegszeiten zu Hysterie, Po­la­ri­sierung und Stereoty­pi­sie­rung, also zu verminderter In­gebrauchnahme an sich vorhandener po­litischer und sozialer Intel­ligenz. Popper möchte frei­lich Theorien anstelle von Menschen ster­ben lassen. Doch auch diese Sicht der Dinge ist politisch naiv, da sie von einem voll­kom­me­nen Wettbewerb un­ter Theorien aus­zugehen scheint [5]). Schließ­lich ist ja wohl auszuschließen, dass die Ide­en, wie es bei Hegel zuweilen der Fall scheint, selbst und direkt miteinander kämpfen?! Welt-3-Popper kommt selbiger Vorstellung sehr nahe. Soll er nicht in Unmenschlichkeit en­den, setzt dieser Kampf menschliche Kom­mu­ni­ka­tion, einen Austausch zwi­schen Menschen vor­aus - unter Men­schen würdigen Bedingun­gen. Wenn wir Kom­munikati­ons­schran­ken er­rich­ten, schaden wir uns nur selbst, weil wir da­mit ver­hindern, von­ein­ander zu lernen.[6])



[1]) „Wer nur die eigene Lehre kennt, kennt sie nicht.“ (Spinner 1978a:XI)

[2]) "Vorurteile findet man durch Kontrast und nicht durch Analyse." (Feyerabend 1976a:50)

[3]) „Nun haben aber die Machthaber, welche die öffentliche Meinung, Moral und Erziehung nur zu ihrem eigenen Vorteile lenken, die Liebe zum Vaterland, die sich gegen die inneren Feinde hilf­reich zeigt, nie als eine Tugend geltend zu machen gesucht, sondern vielmehr als das größte aller La­ster verdammt und unter dem Namen Lan­des­verräterei und Majestätsverbrechen durch ihre Gesetze mit den härtesten Strafen be­droht." (...) - "Nur denjenigen Pa­triotismus, der sich äußeren Feinden des Vaterlandes entgegensetzt, haben sie als eine Tu­gend angepriesen und be­lohnt, weil er ihnen nütz­te, weil er ihre Herrschaft sicherte und sie in den Stand setzte, je­den fremden Fürsten oder jedes fremde Volk, die sie befeinden wollten, als Feinde ihres Volkes darzustellen." (Börne 1964a:334)

[4]) “For I believe in the power of ideas, including the power of false and pernicious ideas. And I be­lieve in what I might call the war of ideas.” (Popper 1969a:373)

[5]) Markttransparenz, freier Zugang , auf Dauer ge­winnt das Bes­sere, etc. - vgl. Seiden­fus (1964a)

[6]) „Denn wenn wir unsere Gegner in einer Diskussion nicht so behandeln wie sie uns, sondern so, wie wir von ihnen behandelt werden möchten, sind wir es, die den Gewinn davon haben. Wenn es unser Ziel ist, etwas zu lernen, statt eine De­batte zu gewinnen, müssen wir die Argumente unserer Gegner ernst nehmen und sie nicht zurückweisen, außer wir können sie widerlegen.“ (Bartley 1987a:180)

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