Ist es Popper nun gelungen, mehr als ein „subjektives Unbehagen über die Ziele und Normen der Historizisten geltend zu machen“? (Habermehl 1980a:140) Die Art und Weise, wie Popper mit seinen Bewertungen umgeht, gefährdet letztlich sein eigenes Erkenntnisziel. Eine Kritik politischer Philosophie betrifft sowohl alternative Metatheorien als auch alternative Wertstandpunkte. Die einen wie die anderen werden aber von Popper nur unzureichend exponiert.
Wer seine eigene Position vertreten will, muss diese erst einmal kennenlernen.[1]) Um die eigene Lehre kennen zu lernen, muss man erst einmal die anderen kennen. Ein Vergleich von Standpunkten oder Kulturen setzt erst einmal das Studium anderer Standpunkte, Perspektiven oder Kulturen voraus. Contraria juxta se posita magis elucescunt.[2]) Eine monistische Philosophie ist entweder trivial oder schlichtweg unverständlich, oder in diesen verschiedenen Hinsichten alles gleichzeitig. Dies erklärt recht gut die Sterilität sowohl kirchlicher wie auch amtlicher Doktrinen wie z.B. des parteiamtlichen Marxismus-Leninismus.
Kennen lernen, aber nicht durch die Brille des Gegners, als „Gegnerforschung“, sondern um unparteiisch Anderes oder Gleiches festzustellen. Solange sich die Kritik lediglich auf einen äußeren Gegner richtet, ist sie aber nicht glaubwürdig als kritischer Standpunkt.
“If an historian assumes one philosophy and describes the work of a scientist who assumes another, without realizing the differences between them, then while he can try to be fair he cannot be objective.” (Blackmore 1983a:18)
Zu oft geht Kritik nach außen mit Dogmatismus nach innen [3]) einher, woher der Vorwurf der „halbierten Rationalität“ nur zu sehr einleuchtet. Radikal und kompromisslos klingt hier Marxens Forderung:
„Ist die Konstruktion der Zukunft und das Fertigwerden für alle Zeiten nicht unsere Sache, so ist desto gewisser, was wir gegenwärtig zu vollbringen haben, ich meine die rücksichtslose Kritik alles Bestehenden, rücksichtslos sowohl in dem Sinne, dass die Kritik sich nicht vor ihren Resultaten fürchtet und ebenso wenig vor dem Konflikt mit den vorhandenen Mächten.“ (Marx, MEW 1:344)
Popper hingegen glaubt an den "Krieg der Ideen" [4]). Tut man Popper unrecht, wenn man ihm diese Metapher als einen Aufruf zur psychologischen Kriegsführung auslegt? Das machtvollste Wissen ist das Wissen an der Macht, das Herrschaftswissen. Wie der NATO-Krieg gegen Serbien erneut gezeigt hat, führen Kriegszeiten zu Hysterie, Polarisierung und Stereotypisierung, also zu verminderter Ingebrauchnahme an sich vorhandener politischer und sozialer Intelligenz. Popper möchte freilich Theorien anstelle von Menschen sterben lassen. Doch auch diese Sicht der Dinge ist politisch naiv, da sie von einem vollkommenen Wettbewerb unter Theorien auszugehen scheint [5]). Schließlich ist ja wohl auszuschließen, dass die Ideen, wie es bei Hegel zuweilen der Fall scheint, selbst und direkt miteinander kämpfen?! Welt-3-Popper kommt selbiger Vorstellung sehr nahe. Soll er nicht in Unmenschlichkeit enden, setzt dieser Kampf menschliche Kommunikation, einen Austausch zwischen Menschen voraus - unter Menschen würdigen Bedingungen. Wenn wir Kommunikationsschranken errichten, schaden wir uns nur selbst, weil wir damit verhindern, voneinander zu lernen.[6])
[1]) „Wer nur die eigene Lehre kennt, kennt sie nicht.“ (Spinner 1978a:XI)
[2]) "Vorurteile findet man durch Kontrast und nicht durch Analyse." (Feyerabend 1976a:50)
[3]) „Nun haben aber die Machthaber, welche die öffentliche Meinung, Moral und Erziehung nur zu ihrem eigenen Vorteile lenken, die Liebe zum Vaterland, die sich gegen die inneren Feinde hilfreich zeigt, nie als eine Tugend geltend zu machen gesucht, sondern vielmehr als das größte aller Laster verdammt und unter dem Namen Landesverräterei und Majestätsverbrechen durch ihre Gesetze mit den härtesten Strafen bedroht." (...) - "Nur denjenigen Patriotismus, der sich äußeren Feinden des Vaterlandes entgegensetzt, haben sie als eine Tugend angepriesen und belohnt, weil er ihnen nützte, weil er ihre Herrschaft sicherte und sie in den Stand setzte, jeden fremden Fürsten oder jedes fremde Volk, die sie befeinden wollten, als Feinde ihres Volkes darzustellen." (Börne 1964a:334)
[4]) “For I believe in the power of ideas, including the power of false and pernicious ideas. And I believe in what I might call the war of ideas.” (Popper 1969a:373)
[5]) Markttransparenz, freier Zugang , auf Dauer gewinnt das Bessere, etc. - vgl. Seidenfus (1964a)
[6]) „Denn wenn wir unsere Gegner in einer Diskussion nicht so behandeln wie sie uns, sondern so, wie wir von ihnen behandelt werden möchten, sind wir es, die den Gewinn davon haben. Wenn es unser Ziel ist, etwas zu lernen, statt eine Debatte zu gewinnen, müssen wir die Argumente unserer Gegner ernst nehmen und sie nicht zurückweisen, außer wir können sie widerlegen.“ (Bartley 1987a:180)
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