Dies ist der gebündelte Versuch einer Replik auf: Karl R. Popper, Das Elend des Historizismus, was eine Replik darstellte auf: Karl Marx, Das Elend der Philosophie, was eine Replik darstellte auf: Proudhon, Die Philosophie des Elends

22.10.2005

Wie lassen sich Wertungen begründen?

Wenn Werte nicht absolut begründet werden können, so können diese doch kritisch an Al­ter­na­ti­ven geprüft werden, d.h. also der fallibilistischen Methode unterzogen werden (auch Webers letz­te Wert­ent­scheidungen!). Also findet hier eine methodo­lo­gisch analoge Behandlung von The­o­ri­en und ethischen Systemen statt.

Auf diesem gewandelten methodologischen Hintergrund ist aber auch das Wert­frei­heits­po­stu­lat und der diesem nach Kant unterliegenden Dualismus von Sein und Sollen neu zu fassen. Dass von Sein nicht auf Sollen geschlossen werden kann, beruht gerade auf diesem Dualis­mus. Es war aber nun ein Teil des hegelschen Programms, diesem Dualismus zu entgehen. Marx suchte Hegel hier auf materi­alisti­scher Basis zu folgen. Habermas sucht die­ses Programm fort­zu­setzen, indem er auf die Alltagspraxis von Kommunikation [1]) zu­rückgreift, wo Aussagenwahrheit, Richtigkeit von Nor­men, Wahrhaftigkeit und Authentizität ein einheitliches Geschehen bilden.

Es ist nicht a priori zu entscheiden, ob derartige Alternativen zum kantischen Dualismus ver­nünf­tig vertretbar sind oder nicht, sondern nur durch genaue Ausarbeitung und kritische Prü­fung der sich anbietenden Alternativen. Dabei könnte es sich aber auch herausstellen, dass bei­de ver­tretbar sind, aber beide gleichzeitig unterschiedliche Vor- und Nachteile aufweisen. [2])

Das Wertfreiheitspostulat enthält dann lediglich die Minimalforderung: Wertungen sollten auf je­den Fall identifizierbar und intersubjektiv kontrollierbar sein. Dazu ist nicht auf jeden Fall er­for­der­lich, dass Wertungen und empirische Beschreibung im Text auseinandergehalten wer­den. Die Art und die Logik der Wertung muss für den Kommunikationspartner stets prin­zi­pi­ell nach­voll­ziehbar sein. Wenn diese Minimalforderung erfüllt ist, ist auf jeden Fall Rati­ona­li­tät gewahrt. Insofern ist Königs (1973a:23ff) Kritik am Totalitätsbegriff nur insoweit be­rech­tigt, als dieser Be­griff von den von ihm angegriffenen Vertretern der Theorie der Gesellschaft nicht genügend ex­pli­ziert und mit eindeutiger Be­deutung verwendet wird. Seine Kritik schießt über das Ziel hinaus, wenn er die Theo­rie der Gesell­schaft für unwissenschaftlich hält, nur weil sie Wertungen enthält. Nicht aber dieses ist schon irratio­nal; sondern nur, wenn diese Wer­tungen erschlichen oder für Drit­te nicht kontrollierbar sind.



[1]) “The most important achievement of such an approach is the possibility of clarifying a con­cept of communi­ca­tive rationality that escapes the snares of Western logocentrism. Instead of follo­wing Nietzsche's path of a to­ta­li­zing and self-referential critique of reason, whether it be via Heideg­ger to Derrida, or via Bataille to Foucault, and throwing the baby out with the bathwater, it is more promising to seek this end through the analysis of the al­ready operative potential for rationality con­tained in the everyday practices of communication. Here the vali­di­ty dimensions of propositional truth, normative rightness, and subjective truthfulness or authenticity are inter­meshed with each other. From this network of a bodily and interactively shaped, historically situated reason, our phi­lo­so­phical tradition selected out only the single thread of propositional truth and theoretical reason and sty­lized it into the monopoly of humanity.“ (Habermas 1985c:196f)

[2]) „We may have to get used to the idea that every single specific reconstruction has some de­me­rits along with whatever merits it may possess.” (Feigl 1974a:3)

Keine Kommentare:

Blog-Archiv